Ranke, Karl Ferdinand - Jakobus der Ältere.
Um den Anfang der christlichen Zeitrechnung ward Jakobus am lieblichen, von reizenden Höhen umkränzten See Genezareth in einer galiläischen Fischerfamilie geboren. Nicht arm und dürftig waren wohl seine Eltern, Zebedäus und Salome, da sie sich noch von Tagelöhnern unterstützen ließen (Mark. 1,10); sie gehörten aber jenem Lebenskreis der arbeitenden Klassen an, die wir als die niederen anzusehen gewohnt sind. Ein ausgezeichneter, im Alter wohl wenig verschiedener Bruder wuchs mit ihm auf, Johannes, an den ihn nicht nur die natürliche Liebe, sondern noch mehr die gleiche Gesinnung und die ganze Entfaltung des Lebens fesselte. Beide nahmen bald an der einfachen Berufstätigkeit des Vaters Teil und wären unter den gewöhnlichen Umständen gewiss eben so verborgen, wie so viele Tausende ihres Gleichen, aus der Welt gegangen, ohne ein hervorragendes Andenken unter den Menschen zu hinterlassen. Aber nicht vergebens hatte sie Gott in ganz außerordentlicher, großer Zeit ins Dasein gerufen: sie sollten eine Aufgabe lösen helfen, welche weit über die Grenzen ihres geringen Wohnortes, ja ihres Vaterlandes hinausging und ihnen eine welthistorische Bedeutung gab, - die Aufgabe nämlich, aus dem seinem Untergang entgegeneilenden Judentum ein geistiges Leben zu retten und ein neues Weltalter heraufzuführen.
Den ersten Trieb zu etwas Höherem, als die häuslichen Umstände erwarten ließen, gab dem jungen Jakobus Sinn und Geist der Eltern, welche, wenn wir aus der ganzen Lebensentwicklung der Söhne schließen dürfen, ganz denselben Regungen, wie diese selbst, zugänglich waren. Auch die enge Verbindung mit einer anderen Fischerfamilie an demselben See, der des Jonas, wird dem Herrn ein Mittel der Vorbereitung, indem ein zweites Brüderpaar, Simon Petrus und Andreas, durch die Gleichheit des Berufes mit ihnen in näheren Umgang kam, welches derselben hohen Bestimmung entgegen reifte. Da erschien Johannes der Täufer; das ganze jüdische Land ward zur größten Aufmerksamkeit auf den Propheten ohne Gleichen angeregt, bei vielen freilich nur so weit, dass sie durch Teilnahme an seiner Taufe ihr Interesse öffentlich bezeugten, dann aber ungebessert zu ihren früheren Verhältnissen zurückkehrten. Anders die beiden Brüderpaare. Denn es ist wohl keinem Zweifel unterworfen, dass nicht nur Andreas und Johannes, Johannes 1,15, sondern auch Petrus und Jakobus zu dem Täufer geeilt waren und seine Belehrungen benutzend, sich in die Ideen einlebten, welche er bekannte und in seinem Volk auszubreiten aufgetreten war. Wie dem aber auch sei, nur kurz und vorübergehend, nur ein erstes Moment höheren Lebens, war dieses Zusammensein. Dem Propheten folgte der Messias auf dem Fuß nach, und Johannes ward samt Andreas von dem Täufer selbst auf das Lamm hingewiesen, welches die Sünden der Welt zu tragen bestimmt sei, und konnte nicht anders, nachdem er den ersten Eindruck vom Messias empfangen hatte, als die fröhliche Botschaft Wir haben den Messias gefunden in das Vaterhaus bringen und den geliebten Bruder sich nachziehen.
Wen könnte man glücklicher preisen, als die, welche Jesus zu seinen Jüngern, zu Zeugen seines Lebens machte? Was Jakobus, der Fischersohn, besaß, war ein für höheres Geistesleben empfängliches Herz, eine entschiedene Opferfähigkeit für ein edles Werk, ein gläubiges, hingebendes Gemüt. Aber wie gering ist das gegen die Gaben, die er nun empfing? Das Bewusstsein eines göttlichen Rufes, die Anschauung der Wunder des inneren und äußeren Lebens des Gottmenschen, auf den die Engel hinauf- und herabfuhren, das allmähliche Emporwachsen in einen Standpunkt von unermesslicher Höhe, die Weihe höherer Wahrheit, Gnade um Gnade, die Gewissheit der Kindschaft Gottes.
Kein gläubiger Leser der Evangelien kann sich einem unbeschreiblichen Eindruck entziehen, wenn er die einfache Erzählung jener großen Berufung zum apostolischen Amte liest, welche dem Jakobus und seinen drei Freunden zu Teil ward, Mark. 1,16 ff., Matth. 4,22 ff. Was muss es erst für eine Rückerinnerung gewesen sein, diese erlebt zu haben! Fische fangen, Netze flicken, war ihr Geschäft: da sie sich aufgefordert hörten, Menschenfischer zu werden, von jener seelenvollen Stimme, die sie schon kannten und ehrten, hielt sie nichts zurück: sie ergriffen freudig die Hand, die sich ihnen darbot, und auch ihre Eltern ließen Zweifeln und Bedenken keinen Raum.
Noch war die Trennung vom Haus nicht vollständig; so lange der Meister in Galiläa blieb, war es ihnen leicht, zur Unterstützung der Eltern zuweilen zurückzukehren. Bei einer solchen Gelegenheit geschah es, dass Jesus zu ihnen kam, Lukas 5,1 ff., und sie zu einer Stunde antraf, in welcher trotz angestrengter Arbeit ihr Werk völlig erfolglos geblieben war. Menschenfreundlich nahm der Herr jetzt selbst an dem Fischfang Teil, zeigte ihnen den rechten Ort für das Gelingen desselben und war ihnen in einer Weise hilfreich, die ihre eigene Erwartung unendlich überstieg. Es war ein großer Augenblick. Waren sie das erste Mal fast willenlos dem Winke des Herrn gefolgt, jetzt empfingen sie von dem ungeheuren Abstand zwischen ihm und sich das volle Bewusstsein, dem Petrus Worte lieh: Herr, gehe von mir hinaus, ich bin ein sündiger Mensch. Sie sahen in ihrer Ohnmacht die aus der Sündhaftigkeit hervorgehende Schwäche, in seiner Wunderkraft die Macht des Heiligen Gottes und lernten in die unendlichen Tiefen hineinblicken, welche sich bei dem Herrn hinter der menschlichen Gestalt verbargen. Als jetzt Christus sein großes Wort, dass sie von nun an Menschen fangen sollten, wiederholte, fassten sie dies viel mehr in seiner wahren Bedeutung auf und konnten an dem irdischen Erfolg, den sie vor Augen sahen, eine erste Ahnung von den großen Taten erhalten, welche ihnen als Dienern des göttlichen Wortes bei ihrer Arbeit bevorstanden. Es war nicht mehr eine populäre Verständigung über ihren künftigen Beruf: es war eine erhabene Verheißung, die ihnen vorbildlich ihre große Zukunft zeigte, eine weise und ergreifende Ermutigung, welche ihren Gang beflügelte. Und wie erfüllte sie sich schon am Pfingsttag, als Petrus Wort dreitausend Jünger um die Apostel her nicht minder wunderbar sammelte!
So außerordentlich waren die Ereignisse, unter denen Jakobus ein Glied an dem Leib Christi ward; so unter die Zwölf aufgenommen, durchlebte er mit ihnen alle die großen Wendepunkte des gemeinsamen Lebens, das Wunder zu Kana, des Petrus großes Glaubensbekenntnis, dass Jesus der Christ sei, die Weissagungen Jesu von seinem nahen Tod, die Flucht bei seiner Gefangennehmung, die Auferstehung und Himmelfahrt, die Sendung des heiligen Geistes, die ersten Arbeiten der Apostel und die Verfolgungen der Gemeinde in Jerusalem.
Aber mitten aus dem größeren Kreis leuchten hier und da die Andeutungen hervor, dass die beiden Brüderpaare innerhalb desselben einen kleineren bildeten, der daneben noch seine eigene Geschichte hatte. Ist es doch gewiss nicht Zufall, dass in allen Apostelverzeichnissen, Mark. 3,17, Matth. 10,2, Lukas 6,12, Apostelgesch. 1,13, immer die vier Namen zuerst angeführt werden. Und wie die bereits berührten Erzählungen aus dem Anfang der Wirksamkeit des Messias auf ein ganz besonders inniges Verhältnis schließen lassen, - auch in Kapernaum als Petrus Schwiegermutter vom Fieber geheilt wurde, waren die vier zugegen, wie uns Mark. 1,29 berichtet, von dem (vgl. Matth. 7,19) überhaupt diese persönlichen Mitteilungen am sorgfältigsten angemerkt sind, - ebenso waren es gegen das Ende des Lehramtes Christi, Mark. 13,1 ff., diese vier Apostel, welche auf dem Ölberg den Herrn bei Seite nahmen und ausführliche Offenbarungen über den einstigen Fall von Jerusalem und die traurige Zukunft der Juden aus seinem Mund vernahmen, aber auch auf das kräftigste zu verdoppelter Wachsamkeit aufgefordert wurden und den tiefsten Blick in die Gefahren taten, die sie selbst erwarteten.
Noch enger wird zuweilen der Kreis, wenn auch Andreas aus der Umgebung des Herrn ausscheidet, und das sind gerade einige Höhepunkte des Lebens Jesu, die Auferweckung der Tochter des Jairus, die Verklärung des Herrn und der Anfang seiner Leiden in Gethsemane, an welchen Teil zu nehmen Jakobus mit Johannes und Petrus gewürdigt ward. Sie allein waren es, welche das Talitha kumi vernahmen, Mark. 5,41, Matth. 14,1, Lukas 8,51, welche den Herrn auf seinem geheimnisvollen Weg auf einen hohen Berg begleiteten, Mark. 9,2, Matth. 17,1, Lukas 9,28, Moses und Elias sahen, Gottes Stimme vernahmen; sie allein aber auch waren es, welche seinem Vertrauen nicht entsprachen, als er sich zum letzten, einsamen Gebet entfernte und seine Seele bis zum Tode betrübt war, sondern vergebens mit dem sie übermannenden Schlaf rangen, Lukas 22,39, Matth. 26,30, Johannes 18,1, bis er sie seinem beginnenden Leiden entgegenführte. Wir sehen, Jakobus war so glücklich, mit dem Bruder und Freunde in so besonderem Grade die Liebe und das Vertrauen des Herrn zu genießen, dass er ihn bei den wunderbarsten und schwersten Ereignissen des Lebens mit jenen in seiner Nähe hatte; er selbst aber war keinesweges immer so stark und so zu dem Geist, dem der Meister sie entgegenführen wollte, emporgedrungen; was uns einige Erzählungen erkennen lassen, welche den Kreis noch enger ziehen, nur die beiden Brüder handelnd einführen.
Nicht ganz klar ist der Beiname Boanerges Donnersöhne, welchen Jesus dem Johannes und Jakobus erteilte, Mark. 3,17. Wir wünschten wohl, dass er damit die donnerähnliche Rede, den erhabenen Schwung der Seele, die Gewalt der Beredsamkeit als Eigentümlichkeit der beiden Brüder angedeutet hätte, wovon uns Johannes Evangelium eine so lebendige Anschauung verschafft: aber immer nicht ganz abzuweisen ist die Vermutung, dass auch ein leiser Tadel mit dem Lob sich vereinigte.
Aber einer starken Zurückweisung setzten sie sich aus, als sie die Ungastlichkeit der Samaritaner nach Elias Vorgang mit Feuer vom Himmel gestraft wissen wollten, Lukas 9,51, und mussten daran erinnert werden, dass es ein ganz andrer Geist sei, mit dem der Herr ihre Seelen ausrüsten und alle statt der Strafe zur Vergebung führen wollte.
Zu einer nicht geringeren Verirrung ließen sie sich samt ihrer Mutter verleiten, Mark. 10,35, als sie, wohl eben im Bewusstsein und falschen Verständnis des besonderen Vorzugs, den ihnen Jesus gewährt hatte, den Platz zu seiner Rechten und Linken erbaten, wenn er einst zur Vollendung seines Reiches zurückkehren würde. Indem er die Gewährung der Bitte damit zurückweist, dass sie nur in des Vaters, nicht in seinen Händen liege, zeigt er ihnen zugleich den Kelch, den sie nach seinem Vorgang zu trinken haben würden. Um so bedenklicher war ihre Bitte, als sie, wenn Christus dem nicht vorgebeugt hätte, leicht den Funken eines Zwiespaltes unter die Jünger hätte werfen können, der dem Reich Gottes höchst gefährlich geworden wäre. Schon aber nahten Augenblicke, welche alle solche Verirrungen für immer abschnitten und mehr als Worte dahin führten, dass die Apostel in voller Einheit und Harmonie allein das Gelingen ihres so vielfach angefeindeten Werkes suchen konnten.
Nach der Auferstehung des Herrn und der Ausgießung des heiligen Geistes hat auch Jakobus in treuer Arbeit mit den Mitaposteln gewetteifert und ist mit ihnen in der Kraft des Geistes allem Gegensatze mutig und kräftig, ohne alle Furcht und Ängstlichkeit, entgegengetreten.
Während solcher Tätigkeit erschien das Jahr 44 nach Chr. Herodes Agrippa war König geworden, hatte auch Judäa seinem Reiche hinzugefügt und suchte einen Weg, sich die Herzen des Volkes zu verschaffen; er fand ihn in der Parteiergreifung gegen die Christen. Nicht einmal also eigener Trieb, eigene Überzeugung leitete ihn, so wenig als einst Pilatus, da er Jesum zur Kreuzigung verurteilte: es war Buhlen um Menschengunst, das seine Schritte leitete. An Etliche in der Gemeinde legte er die Hände und den Apostel Jakobus ließ er durch das Schwert hinrichten. Apostelgesch. 12,1.
Wie ähnlich und wie äußerst verschieden ist doch das Leben der beiden Brüder gewesen; derselben Familie hatte sie Gott geschenkt, durch dieselben Tatsachen einst Beide eingeweiht, durch dieselbe Gemeinschaft mit dem Erlöser ihnen seine Gnade gezeigt; aber fast schweigend geht Jakobus neben seinem Bruder her, und früh wird sein Leben durch tyrannische Hand geendet. So ist immer über das Leben der einzelnen Menschen ein Geheimnis gebreitet: sie erscheinen auf dem Schauplatz der Welt und scheiden aus derselben durch einen höheren Willen, und auch die weisesten und gebildetsten Menschen sind nicht im Stande, den Schleier, der darüber gehüllt ist, zu heben. Aber Christus hat uns gelehrt, in Allem, was uns begegnet, der liebenden Hand des himmlischen Vaters zu vertrauen.
Die böse Tat hatte die schlimmsten Folgen für die Schuldigen. Die Juden, zu deren Gunsten sie vollbracht war, gingen mit immer rascheren Schritten ihrem Verhängnis entgegen. Der aus der Stadt fliehende Petrus war ein Vorbote jener Zeit, wo nach Jesus Verheißung Alle, welche dem nahenden Unheil entrinnen sollten, die Stadt mieden. Agrippa aber, durch Petrus Rettung nicht belehrt, ging nach Cäsarea und ward dort unmittelbar nach einer glänzenden Versammlung, wo frevelnde Schmeichler ihn für einen Gott erklärten, eher als er es ahnte, aus der Welt hinweggenommen und um seine irdischen Hoffnungen betrogen.
In derselben Zeit hatten die Jünger alle Furcht überwunden und erfüllten sich in dem Gebet immer mehr mit dem Bewusstsein, dass ihre Sache Gottes Sache sei und kein Mensch ihnen wahrhaft schaden könne.
Die näheren Umstände des Prozesses und der Verurteilung des Jakobus sind unbekannt; eine liebliche Erzählung aber hat Clemens von Alexandrien und aus ihm Eusebius in der Kirchengeschichte uns aufbehalten. Ein Ankläger hatte Jakobus vor Gericht geführt, als er aber Jenen sprechen und sich verteidigen hörte, ward er selbst von der Einfachheit und Größe des Apostels so ergriffen, dass er noch in der Versammlung das Bekenntnis ablegte, dass er selbst ein Christ sei, und zu demselben Tod abgeführt wurde. Unterwegs erbat er sich und erhielt Verzeihung; nach dem Kuss der Versöhnung und dem Abschiedsgruß Friede sei mit dir erlitt er standhaft den Tod. Diese Geschichte ist ein schönes Vorbild jener großen Märtyrerzeit, wo ein Christ den anderen auf dem letzten Todesweg stärkte und aus dem Blute derselben sich eine Macht erhob, welcher das Heidentum erlag.
Die Erinnerung an Jakobus hat in der Kirche des Mittelalters eine sagenhafte Fortbildung erlebt. An dem Ort, wo jetzt in St. Jago di Compostella in Spanien eine dem Apostel geweihte Kirche steht, soll einst ein kleiner, dichter Busch gestanden haben, wo in der ersten Hälfte des neunten Jahrhunderts Nacht für Nacht ein bellbrennendes Licht bemerkt wurde. Bischof Theodomir hörte von dem Wunder, ließ den Platz untersuchen und entdeckte eine Einsiedelei mit einem Grab, in welchem der Leichnam des Jakobus enthalten war. Der 25. Juli, der seinem Andenken gewidmet ist, ist der Tag, an welchem die Entdeckung geschehen sein soll. Ein Orden ist dort zu Ehren des Apostels gegründet worden, der sich die Verteidigung des Grabes gegen die Mauren und andere Feinde zur Aufgabe machte. Spanien verehrt in Jakobus den Schutzheiligen des Landes: St. Jago ist noch immer der größte Wallfahrtsort.
Glücklich wollte das Heidentum keinen Menschen preisen, dessen Ende es nicht gesehen habe. Nicht war es ihm versagt, im Tod für das Vaterland oder für eine große, begeisternde Idee das Sterben eines glücklichen Menschen zu erkennen. Aber es blieb bei seinem Gesichtspunkt wesentlich auf dem irdischen Grund und Boden. Dem Christentum war es vorbehalten, das Auge des Glaubens in lebensvoller Klarheit auf das Jenseits zu lenken und dort der Lösung aller Rätsel zu warten. Der Apostel Jakobus ist durch das Schwert hingerichtet worden, hat aber seinen Namen mit der heiligsten Erscheinung auf dem Gebiet menschlichen Daseins in unauflösbare Verbindung gesetzt: er hat die Krone des Lebens und damit die Summe menschlichen Glückes errungen. Was er begründen half besteht und wird sich immer herrlicher entfalten bis an das Ende der Dinge.