Oehninger, Friedrich - Wahrheiten für unsere Tage - Gottes Verhältnis zur Welt.
„Durch Deinen Willen haben alle Dinge ihr Wesen und sind geschaffen“ heißt es in Off. 4,11 und „Aus freiem Willen hat Er uns geboren“ in Jak. 1,18. Im Gegensatz hierzu versucht es eine Philosophie, welche die Grenzen menschlicher Erkenntnis nicht kennt, die Notwendigkeit der Welt aus dem Wesen Gottes abzuleiten, ja uns an einen naturnotwendig weltgewordenen Gott glauben zu machen. Da halten wir es aber mit der Heiligen Schrift, mit deren Zeugnis übereinstimmend der Philosophie Herbart sagt: „Wir haben gelernt, die Weltbildung als freie Wohltat unseres weisen Schöpfers zu betrachten; und die geringste freie Wohltat gilt uns mehr, als ein ganzer in blinder Notwendigkeit weltgewordener Gott, den wir für nichts anderes halten als für einen der Götzen, wie sie nicht bloß aus den Händen, sondern auch aus den Köpfen der Menschen zu entspringen pflegen; wir glauben an einen seligen Gott.“ (Flügel, Spekulative Theologie, S. 326).
Es ist der Materialismus, welcher leugnet, dass Gott die Welt erschaffen hat; dieselbe bestände von selbst und habe sich aus sich selbst entwickelt, ist seine Behauptung. - Eine kleine treffliche Schrift, gründlich und populär, welche diese materialistische Behauptung in ihrer Unsinnigkeit beleuchtet und weitester Verbreitung wert ist, hat den Titel: „Die drei Artikel der Gottlosigkeit“ (Berlin 1891. In Kommission bei I. Hoffmann, S. Bellealliancestraße 11). Eine andere, mit großer naturwissenschaftlicher Kenntnis geschriebene, ebenfalls kurz und instruktiv und besonders die Entwicklung der Erde erörternde Schrift ist die von Bettex: „Das erste Blatt der Bibel“ (Stuttgart, Steinkopf). Nimm und lies!
Alles Leben ist ein Wunder. Weder in seine ersten Anfänge, noch in seinen ganzen Verlauf hat die Wissenschaft einen Blick. „Ignorabimus - Wir werden es ewig nicht erklären können“ sagt einer der freisinnigsten und berühmtesten Naturforscher unserer Tage, Dubois Reimond in Bezug auf die Probleme des Lebens. Besonders das Problem des Geistes, sowie des Zusammenhanges zwischen der physischen Welt und der Gedankenwelt nennt er ein undurchdringliches. Die täglichen Wunder größter Art, welche unsere Sinne nicht leugnen können, und welche die größte menschliche Intelligenz nicht einmal überdenken, kennen und nachdenken, geschweige machen, ordnen und ins Dasein rufen kann, sollten uns in den Staub beugen vor der übermenschlichen Intelligenz des Schöpfers und an seiner Schöpfertätigkeit niemals zweifeln lassen. Der Erde Lauf um die Sonne in 365 Tagen, genau ohne Verspätung, durch entgegengesetzte Kräfte bewirkt, dies einzige Wunder, dem sich tausend andere zugesellen, von was für einer Allmacht und Weisheit redet es! Die größten Dinge geschehen ohne des Menschen Wissen, Wollen und Urheberschaft; der „tiefe Schlaf Adams“ (1. Mose 2) zeugt von der ausschließlichen Schöpfertätigkeit Gottes. An den Geheimnissen der Schöpferkraft hat der Mensch nicht einmal durch ein Sehen oder Hören Teil, wie es Gott auch jetzt noch „den Seinen im Schlaf gibt“ (Ps. 127).
In den Vorgängen der natürlichen Schöpfung haben schon die Kirchenväter ein Vorbild gesehen der Art und Weise, wie sich die Neuschöpfung vollzieht oder wie das Reich Gottes kommt. Sie haben die sechs Tage der Bildung der Erde als Typen von sechstausend Jahren betrachtet, während welcher der große Sabbat Gottes, der siebente Tag des tausendjährigen Reiches angebahnt wird, wo die Schöpfung zur Ruhe kommen und alles wieder gut werden wird, wenn Frieden und Gerechtigkeit die Erde bedecken werben wie Wasser das Meer. Denn das Geheimnis oder der Plan Gottes soll ja vollendet werden, und zwar durch eine Entwicklung, deren Gang in der Heiligen Schrift auf allerlei Weise vorgebildet ist. Der erste Tag mit der Erschaffung des Lichtes, das aber noch nicht wie dann am vierten Tag fixiert ist, erinnert an das erste Jahrtausend der Reichs-Gottes-Geschichte von Adam bis Henoch. Da ist auch geistliches Licht, das der Uroffenbarung, aber noch kein konzentriertes. Wir finden eine noch unbestimmte Verheißung, auch Altar und Opfer, doch noch ohne bestimmtes Priestertum und daneben viel Finsternis. - Der zweite Tag, mit seiner Scheidung von oberen und unteren Wassern, erinnert an die in der zweiten Periode berichtete Scheidung von Gotteskindern und Menschenkindern und die Wasser sind in der prophetischen Sprache der Schrift ein Bild der Völker, Nationen und Stämme. - Am dritten Tag wird Meer und Erde geschieden und das Pflanzenreich erscheint. Auf die Geschichte der Offenbarung angewendet, erinnern die Meere an das unruhig dahinflutende Völkerleben, die Erde an das, was dasselbe eingrenzt, einschränkt, an Regierung und Verfassung, - die Bäume an die über das andere hervorragenden Stände, Ordnungen und Einrichtungen, wie sich denn die Konsolidierung der Staaten durch Gesetzgebung und Königtum, besonders im dritten Jahrtausend vollzogen hat, in der Zeit von Abraham bis zum Tode Davids. - Am vierten Tag erscheinen Sonne, Mond und Sterne. In der Schrift selbst erscheint Christus als Sonne; der Mond mit seinem abgeleiteten, empfangenen Licht ist ein Bild der Kirche, die ihr Licht von Christus hat, und Sterne werden die Lehrer und Träger der geistlichen Ämter genannt. Die Offenbarung findet in Jerusalem eine bestimmte Stätte. - Am fünften Tag erscheint das animalische Leben in Fischen und Vögeln. Durch Fische wurden im Altertum die Getauften versinnbildlicht, die durch das Bad der Wiedergeburt ein neues Leben empfangen haben, und durch die Vögel, die in die Höhe steigen, prophetisch begabte Glieder der Kirche. Alles dieses tritt ins Dasein im Zeitraum von Anfang der Kirche bis auf Gregor VII. - Am sechsten Tag endlich tritt der Mensch mit seiner Gehilfin auf, als Krone und Ziel der Schöpfung, neben dem an den Materialismus erinnernden „Gewürm“. So wird am Ende der Tage Christus mit seiner Brautgemeinde erscheinen, auf Ihn wartet bewusst und unbewusst die ganze Schöpfung, und bis Er kommt und bis die Gemeinde geheiligt und vollendet ist, mit welcher Er die zukünftige Welt regieren und beseligen wird, kann und wird nicht Ruhe werden.
Dass Gott nicht nur Schöpfer und Erhalter der Welt, sondern auch ihr Herr und Regierer ist, das pflegen wir durch das Wort „göttliche Vorsehung“ auszudrücken, und verstehen darunter die höhere Hand, das gerechte, weise, heilige Walten des Allmächtigen, welches in den Schicksalen der Einzelnen, wie auch ganzer Völker wahrzunehmen ist. Ein wunderbares Beispiel solcher Vorsehung ist das Schicksal Mosis (2. Mose 2,1-10) und ein noch merkwürdigeres das des ganzen Volkes Israel von seinem Anfang bis auf den heutigen Tag. Da wird man inne, dass es einen Gott gibt und dass dieser Gott nicht, wie die Deisten meinen, sich um die Welt so wenig kümmert als ein Uhrmacher um die Uhr, die er aufgezogen und in andere Hände gegeben hat.
Wie viel tausend und tausend Tatsachen menschlicher Lebensführung bestätigen es, dass es eine Vorsehung und höhere Leitung gibt, wenn man sie auch nicht mit den Händen greifen kann! Dein Weg war im Meer und Dein „Pfad in großen Wassern, und doch spürte man nicht Deinen Fuß“ (Ps. 77,19). - Wie in der Natur der Unterschied der Arten, wo „jedes in seiner Art“ geschaffen ist, so weist in der Geschichte der „Unterschied der Zeiten“ auf die alles ordnende, richtende und leitende Hand Gottes hin. Die gegenteilige, unbewiesene, falsche Annahme, durch die man sich Gottes entledigen möchte, ist im Gebiete der Natur die, dass sich alles von selbst entwickelt habe und eine Art aus der andern unterschiedslos hervorgegangen sei, bis sich aus dem Niedrigsten das Höchste gebildet habe, - und auf dem Boden der Geschichte die Annahme: alles läuft ziellos dahin, Leben und Geschichte ist ein Kreislauf ohne Resultat.
Nein! Es gibt einen „El Roi,“ einen „Gott, der mich sieht“ (1. Mose 16,13), einen Gott, der mir, wie der Hagar in der Wüste, eine Wasserquelle verschafft und mich aus aller Abweichung zurückführt. „Der Herr wird's versehen“ ist unser durch Erfahrung bestätigter Glaube. (Merkwürdige Beispiele dieser Art siehe auch in dem Schriftchen „Der Herr siehet“ aus dem Leben des Bündner Pfarrers Ludwig.)
Diese Vorsehung irrt niemals. Darum dürfen wir ihren Wunderwegen trauen, auch wenn sie lange Zeit durch tiefes Dunkel führen. Sie führen wieder heraus. „Er hat mich erlöst, Er erlöst mich noch, und Er wird mich erlösen“ (2. Kor. 1, 10). - Es bleibt bei dem, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen müssen, wie z. B. die Geschichte Josephs zeigt, wo die Bosheit der Brüder in Gottes Hand ein Mittel wird zur Erreichung seiner Absichten. Alles wider uns, als unbekehrten; alles mit uns, selbst was wider uns war, als gläubigen Kindern Gottes, - das ist das Tun der Vorsehung. Darum mahnt Rückert:
O blicke, wenn die Welt den Sinn dir will verwirren,
Zum ew'gen Himmel auf, wo nie die Sterne irren.
Die göttliche Gegenwart und Tätigkeit („Mein Vater wirkt allezeit“) wird besonders in's Licht gestellt durch die zahlreichen Beispiele, wo durch Invalide Großes, ja das Größte, gewirkt wird. Dass dieses geschehe, hat schon der heidnische Philosoph Aristoteles beobachtet, und der Apostel Paulus sagt: „Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark; denn in der Schwachheit wird Gottes Kraft mächtig.“ Henry Fawocett, der Generalpostmeister des britischen Reiches und Mitglied der englischen Regierung, der 1884 starb, nachdem er als Reformator des Postwesens Großes geleistet, war blind von Jugend auf. - „Es ist dem Herrn gleich, durch viel oder wenig zu helfen“ (1. Sam. 14,6). Zu Gideon wurde im Kampf gegen die Midianiter gesagt: „Des Volkes ist zu viel, das mit dir ist; entlasse sie bis auf wenige, dass nicht Israel sich rühme wider Mich und sage: meine Hand hat mich erlöst.“
Wohl ist es ein für uns unlösbares Rätsel, wie die göttliche Vorsehung sich zur menschlichen Freiheit verhalte und beides in einander greife. Bei vielen wichtigen Schicksalen sagt sich der Mensch: Es hätte anders gehen sollen und die Entscheidung war in meine Hand gelegt. Kann und darf man in solchen Fällen auch an die Leitung der Vorsehung glauben und sich damit beruhigen? Sehr viel Licht hierüber gibt, was in Apg. 27,21-25 erzählt ist. Paulus deutet an, was hätte geschehen sollen und durch menschliche Schuld und Kurzsichtigkeit nicht geschehen ist. „Ihr hättet freilich mir folgen und von Sireta nicht abfahren sollen; dann hätten wir diesen Schaden ersparen können.“ Aber menschliche Schwäche und Fehlerhaftigkeit hebt die göttliche Vorsehung und Güte nicht auf, wenn sie auch die Wege, worauf diese uns zum Ziel führt, modifiziert. „Indessen sei guten Mutes! Denn keine Seele von euch wird umkommen, das Schiff ausgenommen; denn ein Engel des Gottes, dem ich diene, sprach zu mir: Fürchte dich nicht, du musst vor den Kaiser treten und Gott schenkt dir alle, die mit dir im Schiffe sind.“ Auch sehen wir aus dieser Stelle, wie aus andern (Hebr. 1,14; Ps. 34,8; 91,11; 104,4), wie vieles von Segen und Gericht durch Vermittlung der Engel geschieht.
Zwinglis Predigt über die Vorsehung enthält die gereifteste Zusammenfassung seiner religiösen, philosophischen und theologischen Grundgedanken.