Neviandt, Heinrich - Demut
Desselben gleichen, ihr Jungen, seid untertan den Ältesten. Allesamt seid unter einander untertan und haltet fest an der Demut. Denn Gott widersteht dem Hoffärtigen, aber dem Demütigen gibt er Gnade. So demütigt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, dass er euch erhöhe zu seiner Zeit. Alle eure Sorgen werft auf ihn, dann er sorgt für euch.
1. Pet. 5,5-7
Meine Brüder! Wir haben in unserem vorliegenden Wort eine wichtige Ermahnung des Apostels Petrus zur Demut und zum Vertrauen vor uns, und auch unser Wort zeigt, wie diese beiden christlichen Tugenden so innig miteinander zusammenhängen. Zugleich findet sich auch die Begründung der Ermahnungen. Suchen wir denn unter dem Beistand des Heiligen Geistes in den Inhalt unserer Stelle einzudringen!
Unmittelbar vorher geht das herrliche Wort der Ermahnung an die Ältesten und Vorsteher, die berufen sind, die Gemeinde zu weiden und Aufsicht zu halten. Nun wendet sich der Apostel an die ganze Gemeinde und zunächst an die Jüngeren. Es ist also ein ausdrückliches Gebot des Herrn, das zunächst an die Jüngeren ergeht. „Ihr Jüngeren, seid untertan den Ältesten.“ Es ist ein wichtiger Zug, der durch das ganze Wort Gottes hindurchgeht, dass die natürlichen Ordnungen durch das Evangelium nicht aufgehoben, sondern geheiligt werden. Wie es eine göttliche Ordnung ist, die sich durch die Familie und das öffentliche Leben hindurchzieht, dass die Jüngeren dem Rat, der Leitung der Ältesten unterstellt sind, dass deswegen von ihrer Seite den Eltern Achtung, Ehrerbietung, überhaupt Unterordnung gebührt, so auch in der Gemeinde Gottes. Darin macht auch die Tatsache keine Änderung, dass alle wahrhaft Gläubigen den heiligen Geist empfangen haben, und deswegen von Gott gelehrt sind. Der gläubige Sohn wird seinen Eltern, vor allen Dingen seinen gläubigen Eltern, noch in einer ganz andern Weise untertan sein, als er es vordem war. Der gläubige Arbeiter wird in einer ganz andern Weise zu seinem Arbeitgeber stehen, nachdem er weiß, dass er nicht nur Menschen, sondern dem Herrn Christo dient. Selbstverständlich bleibt auch in diesen Verhältnissen das Wort in Kraft: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ Tritt menschliches Gebot in ausdrücklichen Widerspruch mit dem Gebot des Herrn, so hat man dem Herrn mehr zu gehorchen als den Menschen. Indessen bedarf es einer sorgfältigen Prüfung vor dem Herrn, ob uns in dem einzelnen Fall unser Gewissen oder der eigene Geist und Wille leiten. Zu den besonderen Gefahren des jugendlichen Alters gehört ein oft starker Trieb nach Freiheit und Selbstständigkeit. Die Ordnungen erscheinen oft als Schranken, die man gerne durchbrechen möchte. Das ist ein Zug, der besonders auch durch unsere Zeit hindurchgeht und der den Eltern und Erziehern viel Not und Schwierigkeiten bereitet. Dieser Zug spielt auch in das christliche Lager hinein, und deswegen ist die Ermahnung des Apostels auch so sehr am Platz. Zu einem gesegneten Gemeinschaftsleben gehört überhaupt, dass ein Jeder die innere Willigkeit hat, etwas von seiner Selbstständigkeit zu opfern und daran zu geben, um die Einigkeit des Geistes zu bewahren. Diese Willigkeit hat ihren tieferen Grund in der demütigen Anerkennung, wie viel mir noch fehlt und wie ich der Gnadengaben, die der Herr Andern gegeben hat, zu meiner Ergänzung und Bewahrung so dringend bedarf. Diese Stellung ist aber für die Jugend besonders gewiesen, weil ihr die reifere Erfahrung und namentlich die tiefere Selbsterkenntnis noch so vielfach mangelt. Wie ist der Sohn Gottes in dieser Beziehung ein so leuchtendes Vorbild, wo er als zwölfjähriger Knabe im Tempel den Lehrern zuhört und sie fragt und seinen Eltern, wie wir lesen, untertan war, obwohl er tiefere Blicke in die Geheimnisse Gottes besaß als seine Eltern. Wer seine Schwachheit kennt und sich seiner Fehler, Torheiten und Übereilungen bewusst ist, dem wird das Untertansein eine Wohltat.
Wenn wir fragen, wie sich das Untertansein zeigen wird, so liegt es auf der Hand, dass die eigentliche Grundlage desselben das gegenseitige Vertrauen ist, das die Ältesten mit den Jüngeren und die Jüngeren mit den Ältesten verbindet. Wo das vorhanden ist, da bedarf es nicht vieler Regeln; da wird man selbstverständlich für die Ratschläge und die Ermahnungen Solcher, die mehr Erfahrung und Einsicht haben als man selbst hat, offen sein und sich gegenseitig austauschen und Handreichung tun. Meine Lieben. Wer dazu beiträgt, dieses Vertrauen zu untergraben, wer die Jüngeren zu einer ungöttlichen Selbstständigkeit und Rücksichtslosigkeit anweist und erzieht, der arbeitet dem Feinde in die Hände und wird vor dem Herrn das zu verantworten haben, was er sät. Der Apostel dehnt nun seine Ermahnungen auf alle aus. Allesamt aber seid einander untertan und hüllt euch fest in die Demut. Hebt dadurch der Apostel seine erste Ermahnung wieder auf? Nimmermehr. Aber er zeigt, wie der Dienersinn Alten und Jüngeren unentbehrlich ist wie alle ohne Unterschied bereit sein müssen zu lernen, sich sagen zu lassen, und wie darauf der Segen der christlichen Gemeinschaft beruht. Teure Brüder und Schwestern, können wir, die Hand aufs Herz legend, sagen, dass wir so stehen? Kennen wir jenes heilige Misstrauen gegen uns selbst, gegen unsern eigenen Geist? Sind wir bereit, wenn der Herr ein Kind gebraucht, um uns zurecht zu weisen, willig, seine Stimme zu hören, sind wir willig auch zu hören, wenn er uns durch einen Bruder, eine Schwester, die vielleicht in anderer Beziehung unter uns stehen, ein Wort der Ermahnung zuruft? Die wahre Demut macht dazu fähig. Es ist nicht von ungefähr, dass Petrus so besonders auf die Demut dringt. Er wusste aus eigener, tiefschmerzlicher Erfahrung, was es um das Selbstvertrauen ist. Und doch, wie weit sind wir Alle von Haus aus von der Demut entfernt! Nichts sitzt so tief bei uns, als der Hochmut. Und es gibt auch einen geistlichen Hochmut. Freilich besteht er nicht in dem, was die Welt dafür ansieht; sie findet es hochmütig, unerträglich hochmütig, wenn jemand bekennt, durch Gottes Gnade gerettet und ein Kind Gottes zu sein. Aber das ist kein Hochmut, sonst wären alle Apostel und alle die Leute, an die sie schreiben, auch hochmütig gewesen. Z. B. an die Epheser schreibt Paulus: „Denn aus Gnaden seid ihr selig geworden durch den Glauben, und dasselbe nicht aus euch, Gottes Gabe ist es, nicht aus den Werken, auf dass sich nicht jemand rühme.“ Und unser Apostel fasst sich mit den Brüdern, an die er schreibt, zusammen, um Gott zu danken, dass er sie und ihn wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung. Aber wohl kann auch ein Kind Gottes vergessen, dass Alles, was es besitzt, Gnade ist, wohl kann es in Selbstgefälligkeit und Selbstbespiegelung geraten, und dann wird es nicht willig sein, sich unterzuordnen und zu lernen. Deswegen die Ermahnung: und hüllt euch fest in die Demut. Das Bild ist von einem Gewand hergenommen, das recht fest um den Leib befestigt wird, damit der Wind es nicht ergreift. Es weht ein Wind durch diese Welt, der nach hohen Dingen trachtet. Jeder will es gerne dem Andern zuvor tun. Jeder will gern der Größte sein. Um sich gegen diesen Wind zu schützen, ist es nötig, sich fest in die Demut zu hüllen. Wie man das macht? Seht an den Herrn Jesum Christum. Nichts können wir weniger selbst hervorbringen als gerade Demut. Das Kreuz Christi ist der Tod unseres Ich, und unser Ich ist der furchtbare Tyrann, der in unserm Herzen wohnt. Deswegen heißts 2. Kor. 5, 14 und 15: „Sintemal wir dafür halten, dass so Einer für alle gestorben ist, sind sie Alle gestorben, und er ist darum für alle gestorben, auf dass die, so da leben, hinfort nicht ihnen selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferstanden ist.“
Und nun begründet der Apostel seine Ermahnungen mit dem Wort: „Denn Gott widersteht den Hoffärtigen, den Demütigen aber gibt er Gnade.“ Es gibt keine Sünde, die Gott so hasst, als gerade den Hochmut. Die ganze heilige Schrift und auch die Geschichte ist voll von Belegen dafür. Wie gings den Turmbauern zu Babel? Gott verwirrte ihre Sprache. Wie ergings Pharao? Er ertrank im roten Meer mit seiner ganzen Macht. Wie Sanherib? Wie Nebukadnezar? Warum musste Paulus, das auserwählte Rüstzeug, einen Pfahl ins Fleisch haben? Damit er sich der hohen Offenbarungen nicht überhöbe. Und wie wahr auch, dass er den Demütigen Gnade gibt! Wie hat er die Hanna, das Weib Elfanas, aus der Trübsal aufgerichtet? Wie die Ruth, die Moabitin, zu Ehren gebracht? Wie hat er den David vor allen seinen Brüdern ans Licht gezogen! Wie oft hat er Israel aus seinem tiefen Elend wieder aufgerichtet, wenn es zu ihm schrie, sich vor ihm demütigte! Z. B. 1. Sam. 7. Wie hat er Joseph erhöht! Wie den Daniel! Wie den Hiskias, als Sanherib ihm und Jehova Hohn sprach! Wie freundlich und gnädig nimmt sich der Herr der Elenden an! „Da dieser Elende rief, hörte der Herr und half ihm aus allen seinen Nöten.“ Wie geht der Herr mit den Zöllnern und Sündern um? Wie mit Zachäus? Wie richtet er die große Sünderin auf! Und den Schächer rettet er als einen Brand aus dem Feuer! Und macht er es heute anders?
O, meine Brüder, so oft ein Sünder gebrochenen Herzens zu ihm kommt, da sind seine Arme offen. Und wie macht es der Herr seinen Kindern gegenüber? So treulich er sie demütigt, wenn sie es bedürfen, so freundlich und gnädig tröstet er sie, wenn sie sich vor ihm demütigen.
Der Apostel führt uns nun in dem folgenden Vers auf die eigentliche Wurzel der wahren Demut auch den Menschen gegenüber hin, indem er seine Brüder ermahnt: „So demütigt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zu seiner Zeit.“ Um vor Menschen sich wahrhaft zu demütigen, muss man sich vor Gott beugen können. Und wer sich vor Gott beugt, sieht auch in dem, was ihm von Menschen an Demütigungen widerfährt, nicht mehr bloß den Menschen, sondern den Herrn. So machts David, als Simei ihm flucht. Da sagt er zu den Kindern Zerujas, die ihn zur Rache aufstacheln wollen: „Lasst ihn fluchen, denn der Herr hats ihn geheißen: Fluche David! Wer könnte nun sagen, warum tust du also?“ Das war buchstäblich diesem Wort gefolgt, und wie hat der Herr David wieder erhöht! So demütigt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes. Das ist ein Wort an die ganze Gemeinde Gottes, Angesichts der ernsten Zeiten und der Gerichte, welche anfangen am Hause Gottes. Das ist auch ein Wort an eine einzelne Gemeinde Gottes, über die der Herr Sichtungszeiten verschiedener Art führen kann. Das ist auch ein Wort an den einzelnen Jünger des Herrn, wenn der Herr seine Hand auf ihn legt.
O, meine Lieben! Es ist Gnade, wenn ein Mensch sich unter die gewaltige Hand Gottes demütigen kann und demütigt, und zwar nicht bloß so, dass er sich in das Unvermeidliche schickt, weil er nichts machen kann, sondern wenn sein Wille, sein Herz sich den Weg Gottes wohlgefallen lässt, wenn er sich das Ohr und die Augen öffnen lässt, um zu erkennen, was der Herr mit seinen Wegen an ihm erreichen will. Dagegen gibts nichts Traurigeres, als wenn es von Jemanden heißt: „Du schlägst sie, aber sie fühlen es nicht; du reibest sie schier auf, aber sie lassen sich nicht ziehen; sie haben ein härter Angesicht, denn ein Fels und wollen sich nicht bekehren.“ (Jeremias 5,3.) Das ist der Gerichtszustand, in den die Welt je länger, je mehr hineinkommt, weil sie sich dem Licht des Evangeliums verschließt. „Damit er euch erhöhe zu seiner Zeit.“ Diese Zeit kann hienieden in einem gewissen Sinn kommen. Die eigentliche Zeit der Erhöhung kommt aber für Gottes Volk dann, wenn Christus, ihr Leben, sich offenbaren wird in Herrlichkeit. Jetzt ist ihr Leben verborgen mit Christo in Gott.
Das ist ein wichtiges Wort „zu seiner Zeit.“ Unsere Zeit, unter irgendeiner Prüfung oder Heimsuchung hinwegzukommen, ist gar bald da. Wie lange mochte es Joseph vorkommen, dass er im Gefängnis bleiben musste, und doch bekümmerte sich dem Anschein nach der Herr nicht um sein Seufzen, bis seine Zeit gekommen war. Wie schwer wurde David die Zeit, wo er vor Saul fliehen musste; wie manchmal mag er geseufzt haben: „Hüter, ist die Nacht schier hin?“ Aber die Zeit des Herrn kam doch, und er krönte den verjagten David mit Ehre und Macht. Wie kann oft einem Kind Gottes eine Prüfung irgendwelcher Art unendlich lang werden, sei es, dass es Trauriges in seiner Familie, an seinen Kindern oder auch innerlich erlebt! Aber der Herr wird seine Verheißung doch halten; er wird jedes der Seinen erhöhen zu seiner Zeit. Deswegen, Bruder, Schwester, halte dem Herrn still! Kämpfe an gegen das Murren, die Ungeduld und das Verzagen! Begegne dem Feind, wenn er dir die Treue deines Gottes verdächtigen will mit Asaphs Worten an den Herrn: „Dennoch bleibe ich stets bei dir; du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich endlich mit Ehren an“, und fass dir das kostbare Trostwort ins Herz, mit dem unser Text schließt: „Alle eure Sorgen werft auf ihn, denn er sorgt für euch.“
Liebe Freunde! Das ist eine Verheißung, und zwar eine unvergleichlich tröstliche, aber auch ein bestimmtes Gebot. Welch eine Macht, welch eine Bürde sind die Sorgen! Wie beugen sie Manchen vor der Zeit! Wie unglücklich machen sie Tausende von Menschen und verhindern sie, die Wohltaten Gottes zu erkennen und ihrer sich zu freuen! Was ist das nun für eine wunderbare Treue Gottes, dass er uns von dieser Plage befreien will! Alle Sorgen, heißt es, die äußerlichen und die geistlichen. Und es ist ein Segen, wenn Jemand Alles vor dem Herrn kund werden lässt. Da nimmt der Herr eine Sonderung vor. Wie mancher Sorgen muss man sich schämen, wenn man mit denselben vor den Herrn tritt. Da kann eine Sorge im Licht Gottes als eine Sünde erscheinen, von der man sich scheiden muss. Das ist dann ein erster Segen des Werfens der Sorgen auf den Herrn.
Es gibt Sorgen, die kann man Menschen nicht sagen; aber dem Herrn kann man alles sagen. Menschen, auch liebe Menschen, können wohl einmal unser Vertrauen missbrauchen, wenn auch vielleicht ohne böse Absicht, aber der Herr niemals. Er spricht nicht nicht weiter von dem, was wir ihm sagen. Menschen sind oft nicht recht dabei, wenn wir ihnen unser Herz ausschütten, und in keinem Fall steht es in ihrer Hand, uns immer zu helfen. Anders der Herr: Er ist ganz Auge und Ohr, wenn wir wirklich mit ihm reden.
Die geistlichen Sorgen können oft noch mehr drücken als die äußeren. Welche Rolle spielten z. B. die Sorgen um alle Gemeinden in dem Leben des Apostels Paulus! Solche Sorgen können auch heute noch die Herzen von Predigern und Vorstehern von christlichen Gemeinden bewegen. Aber es heißt: Alle Sorgen werft auf ihn. Das rechte Werfen schließt in sich, dass man die Sorgen nicht wieder mitnimmt vom Herrn, sondern sie bei ihm lässt.
Der Zusatz ist besonders tröstlich: „Denn er sorgt für euch.“ Ihm liegts am Herzen für euch. Ihm liegen unsere Angelegenheiten mehr am Herzen als uns selbst. An unserer Seligkeit liegt ihm viel mehr als uns selbst. Glauben wir das recht von Herzen, dann können wir getrost unsern Weg ziehen, auch wenn es nicht an Nöten und Schwierigkeiten fehlt. Amen.