Murray, Andrew - Nach Jesu Bild - XXV. Er gab sein Leben für die Menschen.
„So jemand will unter euch gewaltig sein, der sei euer Diener, und wer da will der vornehmste sein, der sei euer Knecht. Gleichwie des Menschen Sohn ist nicht gekommen, dass Er Ihm dienen lasse, sondern dass Er diene, und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele.“ (Matth. 20,26.27.28).
„Daran haben wir erkannt die Liebe, dass Er sein Leben für uns gelassen hat, und wir sollen auch das Leben für die Brüder lassen.“ (1 Joh. 3,16).
Wenn wir davon sprechen, dass wir dem Tode Jesu ähnlich gemacht werden, das Kreuz tragen und mit Ihm gekreuzigt sein sollen, so ist auch der aufrichtige Christ einer Gefahr ausgesetzt, die darin besteht, dass er um seiner selbst willen nach diesen Vorzügen strebt, oder, wie er sich vielleicht ausdrückt, damit Gott durch seine persönliche Vervollkommnung gepriesen werde. Dieser Anschauung liegt ein großer Irrtum zu Grunde; wer darin beharrt, wird niemals zu der von ihm ersehnten Ähnlichkeit mit Jesu Tode gelangen, denn damit würde er den wesentlichsten Teil des Todes Jesu und der darin enthaltenen Selbstaufopferung ausschließen; dieses bezeichnende Merkmal ist die gänzliche Selbstvergessenheit, die Hingabe für andere. Um dem Tode Jesu ähnlich gemacht zu werden, muss man dem alten Ich sterben, es ganz aus dem Auge verlieren und unser Leben für andere dahingeben. Auf die Frage: wie weit sollen wir in der Hingabe zum liebenden Dienst, zur Rettung unserer Mitmenschen gehen? da zögert die Schrift nicht, uns die ganz unmissverständliche Antwort zu geben: „Wir sollen gerade so weit gehen wie Jesus, ja, wir sollen unser Leben lassen können. Wir sollten dies so sehr als den Zweck ansehen, weshalb wir erlöst und in der Welt gelassen sind, als den einen Zweck unseres Lebens, dass die Darangabe unseres Lebens im Tode uns als die ganz natürliche Folge davon erscheint. Nichts sollte uns auf dieser Welt festhalten können, als die Verherrlichung Gottes durch die Erlösung der Menschen, wie dies bei Jesu der Fall war. Die Schrift sagt uns ganz unverhohlen, dass wir Ihm eben in seinem Leidenspfad, da Er unserer Versöhnung und Erlösung auswirkte, nachfolgen sollen.1)“
Wie deutlich spricht sich dies in den Worten des Meisters selber aus: „Wer da will der vornehmste sein unter euch, der sei nur Knecht, gleichwie des Menschen Sohn nicht gekommen ist, dass Er Ihm dienen lasse, sondern dass Er diene, und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele.“ Derjenige wird zu der höchsten Ehre kommen, der sich zu dem geringsten Dienst erniedrigt hat, und der darin dem Meister am ähnlichsten geworden ist, dass auch er sein Leben darangegeben hat. Als Jesus einige Tage später, nachdem Er soeben von seinem Tode gesprochen hatte, sagte: „Die Zeit ist gekommen, dass des Menschen Sohn verklärt werde. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Es sei denn, dass das Weizenkorn in die Erde falle und ersterbe, so bleibt es allein; wo es aber erstirbt, so bringt es viele Früchte“, so wandte Er dieses alsbald auf seine Jünger an, indem Er ihnen wiederholte, was sie bereits von Ihm gehört hatten: „Wer sein Leben lieb hat, der wird es verlieren, und wer sein Leben auf dieser Welt hasst, der wird es erhalten zum ewigen Leben.“ Das Weizenkorn, das da erstirbt, um wieder aufzuerstehen, das da sein Leben verliert, um es vielfältig vermehrt wieder zu erlangen, wird hier deutlich nicht bloß als ein Sinnbild für den Meister, sondern für einen jeglichen seiner Nachfolger dargestellt.
Das Leben lieb haben, sich weigern zu sterben, das heißt in Selbstsucht allein bleiben; dagegen das Leben verlieren, um in andern viel Frucht hervorzubringen, dies ist der einzige Weg, das eigene Leben zu erhalten. Nur indem wir, wie Jesus, unser Leben zum Heile anderer dahingeben, können wir es in Wahrheit finden. Dadurch wird der Vater, werden auch wir verklärt. Wir sollen unser Leben Gott anheimgeben zur Rettung anderer, dieser tiefe Gedanke liegt der Umgestaltung in die Ähnlichkeit des Todes Jesu zu Grunde. Ohne denselben ist das Verlangen nach der Ähnlichkeit dieses Todes in Gefahr, bloß verfeinerte Selbstsucht zu sein.
In dem Apostel Paulus tritt uns diese Gesinnung besonders merkwürdig entgegen, und wie lehrreich sind die Worte, welche der Heilige Geist ihm eingab, um diese Gesinnung auszudrücken! Den Korinthern sagt er: „Wir tragen um allezeit das Sterben des Herrn Jesu an unserem Leibe, auf dass auch das Leben des Herrn Jesu an unserem Leibe offenbar werde. Denn wir, die wir leben, werden immerdar in den Tod gegeben um Jesu willen, auf dass auch das Leben Jesu offenbar werde an unserem sterblichen Fleisch. Darum so ist nun der Tod mächtig in uns, aber das Leben in euch.“
„Ob Er wohl gekreuzigt ist in der Schwachheit, so lebt Er doch in der Kraft Gottes. Und ob wir auch schwach sind in Ihm, so leben wir doch mit Ihm in der Kraft Gottes unter euch“ (2 Kor. 4,10-12; 13,4). „Nun freue ich mich in meinem Leiden, das ich für euch leide, und erstatte an meinem Fleisch, was noch mangelt an Trübsalen in Christo für seinen Leib, welcher ist die Gemeinde“ (Kol. 1,24). Diese Stellen zeigen uns, wie das stellvertretende Element des Leidens, das Jesus an seinem Leibe auf dem Holze trug, bis zu einem gewissen Grad noch immer das Leiden seines Leibes, der Gemeinde, kennzeichnet. Gläubige Jünger Jesu, die sich darlegen, um die Sündenlasten ihrer Mitmenschen vor den HErrn zu bringen, die da Schmach und Verachtung, Schmerz und Ermüdung erdulden, indem sie dem HErrn Seelen zu gewinnen suchen, diese erstatten an ihrem Fleisch, was noch mangelt an Trübsalen in Christo. In ihnen selbst ist die Gemeinschaft des Leidens und Todes Jesu wirksam, aber durch sie wirkt die Lebenskraft Jesu in denen, an welchen sie in Liebe arbeiten. Ohne Zweifel dachte Paulus in der Stelle Phil. 3,7-10, wo er von der Gemeinschaft des Leidens und der Ähnlichkeit des Todes Jesu spricht, nicht bloß an den innern, geistlichen, sondern auch an den äußerlichen, leiblichen Anteil an dem Leiden Christi.
In gewissem Maße muss dies auch bei einem jeden von uns stattfinden. Die Aufopferung unser selbst, nicht bloß in der eigenen Heiligung, sondern um der Rettung unserer Mitmenschen willen, diese allein bringt uns in die wahre Gemeinschaft mit dem Heiland, der sich für uns dahingegeben hat.
Die praktische Anwendung dieser Gedanken ist eine sehr einfache. Vor allem müssen wir das, was uns hier der Heilige Geist lehrt, als Wahrheit erkennen. Wie es bei der Umgestaltung in Jesu Bild wesentlich auf die Ähnlichkeit seines Todes ankommt, so ist wiederum an dieser Ähnlichkeit das Wesentliche, dass wir unser Leben dargeben, um andere für Gott zu gewinnen. Bei einer solchen Dahingabe geht der Gedanke an die eigene Rettung auf in dem Verlangen, andere zu retten. Lasst uns um die Erleuchtung des Heiligen Geistes bitten, damit wir es lernen, dass wir in dieser Welt sind, um, wie Jesus, uns selbst daranzugeben, zu dienen, zu leben und zu sterben, gleichwie des Menschen Sohn, „welcher nicht gekommen ist, dass Er Ihm dienen lasse, sondern dass Er diene, und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele.“ O dass doch die Kinder Gottes ihren Beruf recht erkennten, dass sie sich nicht selbst, sondern Gott und ihren Mitmenschen angehören, und dass sie, gleichwie Jesus, nur dafür zu leben haben, um der Welt ein Segen zu sein.
Ferner lasst uns daran glauben, dass Gott die Dahingabe unsres Lebens zu seiner Verherrlichung in der Rettung anderer angenommen hat. Lasst uns glauben, dass der Heilige Geist diesen Lebensgrundsatz der Ähnlichkeit des Todes Jesu in uns wirken will. Vor allem lasst uns an Jesum glauben; Er selbst nimmt jede Seele, die sich Ihm in völliger Hingabe überlässt, in die Gemeinschaft seines Todes auf, damit sie durch das Sterben mit Ihm viel Frucht bringe. Ja, lasst uns glauben, und als die Wirkung und die Gabe Jesu von oben erwarten, dass wir auch hierin Jesu ähnlich gemacht werden. Lasst uns sogleich anfangen, diesen Glauben auch auszuführen, indem wir ihn zur Tat werden lassen. Haben wir uns nun einmal, gleichwie Jesus, völlig dahingegeben, um unserem Gott zu leben und zu sterben, so lasst uns mit neuem Eifer unseren Liebesdienst ausüben in der Rettung verlorener Seelen. Wenn wir von Jesu erwarten, dass Er sein Ebenbild in uns zur Gestaltung bringe, wenn wir es dem Heiligen Geist zutrauen, dass Er uns Jesu Sinn immer völliger einpräge, so lasst uns im Glauben sogleich beginnen, als Nachfolger dessen zu handeln, der nur dafür lebte und starb, um andern ein Segen zu sein. Die Liebe muss uns zu dem ihr aufgetragenen Werk den Weg bahnen, durch die Freundlichkeit, Sanftmut und Dienstfertigkeit, mit welcher sie allen, die uns im täglichen Leben begegnen, entgegentritt. Diese Liebe muss sich in der Fürbitte Anderer annehmen, und dann zu Gott aufschauen und Ihn bitten, uns als Werkzeuge zur Erhörung ihrer Gebete zu gebrauchen. Lasst uns für Jesum reden und handeln als solche, die einen Auftrag und eine Kraft von oben haben, wodurch wir des Segens gewiss werden. Seelen für Jesum zu gewinnen, das sei unser Lebenszweck; dazu wollen wir uns der großen Schnitterzahl anschließen, welche der HErr in seine Ernte sendet. Dann werden wir es erfahren, dass die Darangabe unsres eigenen Lebens, um Seelen für Gott zu gewinnen, der seligste Weg ist, wie wir unsrem eigenen Ich sterben können, um gleich des Menschen Sohn zu dienen und die Verlornen zu retten.
O der wunderbaren, unbegreiflichen, seligen Umgestaltung nach Jesu Bild! Er gab sich selbst für die Menschen dahin, aber Er konnte sie nicht erreichen, bis Er sich selbst für sie Gott zum Opfer brachte; als das Weizenkorn starb, als das Leben sich ergoss, da erst floss der Segen wie ein mächtiger Strom. Ich mag wohl danach trachten, die Menschen zu lieben und ihnen zu dienen, aber sie wahrhaftig beeinflussen und ihnen zum Segen werden, kann ich nur, wenn ich mich selbst Gott übergebe und mein Leben für sie in seine Hand lege; nur wenn ich mich selbst als Brandopfer auf seinem Altar verliere, kann ich durch seines Geistes Kraft in der Tat ein Segen für die Welt werden. Wenn mein Geist in seinen Händen ruht, dann kann Er mich gebrauchen und segnen.
O mein Gott, verlangst du wirklich von mir, dass ich mich selbst, mein ganzes Leben dir für meine Mitmenschen, und wäre es auch zum Tode, dahingebe? Habe ich die Worte des Meisters recht verstanden, so erwartest du dies, und nichts Geringeres von mir.
Gott, willst du mich wirklich haben? Willst du mir erlauben, in Jesu, gleich Ihm, als ein Glied seines Leibes zu leben und zu sterben für meine Mitmenschen? Darf ich, mit Ihm gekreuzigt, mich neben Ihn (ich sage es in tiefster Ehrfurcht) auf den Altar legen, als ein dir geweihtes, lebendiges Opfer für meine Mitsünder? HErr, ich preise dich für diese wunderbare Gnade. Und nun komme ich, HErr, mein Gott, und gebe mich dir hin; o dass diese Tat durch den Heiligen Geist eine bestimmte und bleibende sei. HErr, hier bin ich, ich gehöre dir hinfort, um für diejenigen zu leben, die du zu erlösen gekommen bist.
Herr Jesu, komme du selbst und lasse deinen Sinn, deine Liebe mich durchwehen. Nimm völligen Besitz von mir, von meinen Gedanken, von meinen Gefühlen, von meiner Tatkraft, von meinem Leben, das dir anheimgestellt ist. Schreibe dies tief in mein Herz: Es ist geschehen, ich bin Gott übergeben, Er hat mich angenommen. Behalte du mich Tag für Tag in deinen Händen, in der gewissen Zuversicht, dass du mich für andere gebrauchen wirst. Auf deine Darangabe deiner selbst folgte dein Auferstehungsleben in der Kraft, und der Segen floss in vollen Strömen. Dies wirst du auch in deinem Volk bewirken; gelobt sei dein heiliger Name. Amen!