Luthardt, Christoph Ernst - Wie verschieden die Menschen sich zu Jesu stellen.

Luthardt, Christoph Ernst - Wie verschieden die Menschen sich zu Jesu stellen.

Predigt am Palmsonntag über Joh. 12, 1-13 gehalten.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem HErrn Jesu Christo. Amen.

Mit dem heutigen Sonntag, in dem HErrn Geliebte, treten wir in die große heilige Woche ein, in diese Woche der größten heiligsten Erinnerungen, die wir im Herzen tragen. Die Ereignisse dieser Woche - sie sind der eigentliche Inhalt unseres Glaubens, der Mittelpunkt aller unserer Gedanken und Empfindungen die uns als Christen bewegen; und wenn wir die höchste Offenbarung der Gnade Gottes dankend aussprechen wollen, so nennen wir Karfreitag und Ostern. Denn sie sind unsere Erlösung; in ihnen ist uns Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit erworben und versiegelt auf ewig. Was in dem ganzen Verlauf des Lebens Jesu sich vorbereitet - in dieser letzten großen heiligen Woche hat es sich vollendet und entschieden. Die Tage und Stunden dieser Woche wiegen Monate und Jahre seines früheren Lebens auf. Hier treffen die größten Gegensätze zusammen, die höchste Liebe und der größte Hass, die tiefste Erbarmung Gottes und die stärkste Feindschaft wider Gott. Hier hat die ganze bisherige Geschichte des Heils ihr Ziel, hier hat sich Alles entschieden.

Aber es war Jesus selbst, der diese Entscheidung herbeiführte. Denn nun sollte sie stattfinden. Von der Auferweckung des Lazarus, zu welcher er aus dem Ostjordanlande nach Bethanien gekommen war, hatte er sich mit seinen Jüngern in die Stille zurückgezogen, damit nicht das Aufsehen, welches jene Tat hervorgerufen, die Feindschaft seiner Gegner vor der Zeit zu einem entscheidenden Schritt veranlasse. Als dann das Osterfest sich nahte und die Pilgerscharen vom Norden Palästinas nach Jerusalem wallfahrteten, da schloss sich Jesus einem solchen Zuge in Jericho an und legte mit diesem die Tagereise von Jericho nach Jerusalem zurück. Aber kurz vor Jerusalem verließ er den Zug, um in Bethanien einzukehren in dem befreundeten Haus jener drei Geschwister, deren Namen in der evangelischen Geschichte auf immer mit dem Namen Jesu verknüpft sind.

Es war ein Freitagabend als Jesus dort in Bethanien ankam, wahrscheinlich der 31. März des Jahres 30 unserer Zeitrechnung. Den Sabbat brachte er dort im Kreise der Freunde zu; am Sonntag hielt er seinen Einzug in Jerusalem. Die Huldigungen, die er vom Volk erfuhr, drängten seine Gegner zu entscheidenden Beschlüssen und Schritten. Denn an diesem Feste sollte Jesus sterben. So war es Gottes Rat und Wille. Und eine Ahnung von dem bedeutungsvollen Gewicht dieser Tage - das fühlen wir leicht der evangelischen Erzählung ab - lebte auch in den Gemütern der Freunde Jesu wie der Übrigen.

Wie es aber auch sonst zu geschehen pflegt, dass große entscheidende Augenblicke die Gedanken der Herzen offenbar machen, so war es auch hier. Die Nähe des Endes Jesu enthüllte mehr noch als frühere Zeiten den verborgenen Hintergrund der Herzen. Wir sehen wie die verschiedenen Menschen immer mehr bestimmte Partei nehmen für oder wider. Denn das gehört mit zur Bestimmung des Leidens Jesu Christi, die Menschen zu nötigen mit ihren letzten Gedanken hervorzutreten, wie es schon in den ersten Tagen der Kindheit Jesu der greise Simeon in jenen wundersamen Worten geweissagt hatte: „Siehe, dieser wird gesetzt zu einem Fall und Auferstehen Vieler in Israel und zu einem Zeichen dem widersprochen wird; und es wird ein Schwert durch deine Seele dringen, auf, dass Vieler Herzen Gedanken offenbar werden.“ Dies ist es auch was unser heutiger Text uns vor Augen stellt.

Joh. 12,1-13.
Sechs Tage vor den Ostern kam Jesus gen Bethanien, da Lazarus war, der Verstorbene, welchen Jesus auferweckt hatte von den Toten. Daselbst machten sie ihm ein Abendmahl, und Martha diente, Lazarus aber war deren einer, die mit ihm zu Tische saßen. Da nahm Maria ein Pfund Salbe von ungefälschter köstlicher Narde, und salbte die Füße Jesu, und trocknete mit ihrem Haar seine Füße; das Haus aber ward voll vom Geruch der Salbe. Da sprach seiner Jünger einer, Judas, Simonis Sohn, Ischariothes, der ihn hernach verriet: Warum ist diese Salbe nicht verkauft um dreihundert Groschen und den Armen gegeben? Das sagte er aber nicht, dass er nach den Armen fragte; sondern er war ein Dieb, und hatte den Beutel, und trug, was gegeben ward. Da sprach Jesus: Lasst sie mit Frieden, solches hat sie behalten zum Tage meines Begräbnisses. Denn Arme habt ihr allezeit bei euch, mich aber habt ihr nicht allezeit. Da erfuhr viel Volks der Juden, dass er daselbst war, und kamen nicht um Jesu willen allein, sondern, dass sie auch Lazarum sähen, welchen er von den Toten erweckt hatte. Aber die Hohenpriester trachteten danach, dass sie auch Lazarum töteten. Denn um seinetwillen gingen viele Juden hin, und glaubten an Jesum. Des anderen Tages, viel Volks, das auf das Fest gekommen war, da es hörte, dass Jesus kommt gen Jerusalem; nahmen sie Palmzweige und gingen hinaus ihm entgegen, und schrien: Hosianna, gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn, ein König von Israel!

Wenn wir diesen Abschnitt übersehen - er ist wie eine Zusammenfassung der ganzen Woche. Wir hören vom Begräbnis, und der Hosiannaruf klingt wie eine Weissagung. Um ihn selbst aber sammeln sich die verschiedenen Menschen und offenbaren ihren verschiedenen Sinn. Der Grund der Herzen wird offenbar. Denn das ists, was unser Text uns zeigt:

Wie verschieden die Menschen sich zu Jesu stellen.

Es sind gleichsam drei Bilder, welche unser Text uns vorführt. Das erste zeigt uns die Freunde Jesu, das andere seine Feinde, und das dritte das wankelmütige Volk.

1. Die Freunde Jesu

Die Erzählung führt uns zunächst in den Kreis der Freunde Jesu. Wir sehen ihn unter seinen Freunden in Bethanien, dort bei Lazarus, Martha und Maria und im Haus des Simon, den er von schwerer Krankheit geheilt hatte. Hier war er an jenem Freitag geblieben, als die übrige Pilgerschar über Bethanien vollends nach Jerusalem zog. Warum er hier blieb? Ich denke wohl: es war ihm ein Bedürfnis seines Gemüts, von den Stürmen und Arbeiten seines Berufslebens hier auszuruhen im Kreise befreundeter und geliebter Menschen. Nicht als hätte er nicht auch hier seines Berufes gewartet und Worte des Lebens gesprochen. Denn sein ganzes Leben, auch der persönlichste Verkehr, stand im Dienst seines Berufs. Aber das war es doch nicht, was er zunächst hier wollte. Was er hier suchte, war auszuruhen in der Liebe befreundeter Menschen, ehe er den letzten schweren Gang des Leidens antrat. Wie es ihm wohl und ein Bedürfnis seines Herzens war am Herzen des Vaters auszuruhen - warum soll ihm nicht auch die Liebe befreundeter Menschen eine Erquickung seines Herzens gewesen sein? Denn er war nicht bloß seiner äußeren Erscheinung nach ein Mensch wie wir, sondern auch im innersten Leben seiner Seele und ihrer Empfindungen. Und ist ers nicht noch jetzt? Wohl, er sitzt zur Rechten der Majestät in der Höhe und regiert allmächtig sein Reich. Aber es ist doch unser Bruder, welcher mit der Allmacht bekleidet die Welt in seinen Händen trägt. Er hat seine menschliche Seele nicht ausgezogen, da er zum Vater zurückkehrte. Sein Herz umfasst Alle mit gleicher Liebe. Aber die ihm ihr Herz in völligerer Liebe dargeben und schenken, sind doch in vollerem Sinn vor den Anderen seine Freunde und ihre Liebe tut seinem Herzen wohl.

Man hatte Jesu ein Mahl bereitet und Martha diente, Maria aber schüttet die edle Salbe ihm über Haupt und Füße. Wir fühlen es Alle, was die wenigen Worte der Erzählung sagen wollen: man wollte ihm Liebe beweisen, mannigfaltiger Weise. Ein Jedes ist in seiner Weise bemüht ihm Liebe zu zeigen, aber ihrer Aller Liebe ist Dankbarkeit. Nicht haben sie Jesum zuerst geliebt, sondern er hat ihnen zuvor Liebe erzeigt. Er hat den Simon geheilt, er hat den Lazarus erweckt, er hat den Schwestern ihren Bruder, er hat, was mehr ist, ihnen Worte des ewigen Lebens und einen Vorschmack desselben geschenkt. Dafür dankt ihm ihr Herz. So ists auch bei uns. Alle unsere Liebe ist Dankbarkeit. Lasset uns ihn lieben, denn er hat uns zuerst geliebt. Wir wollen nichts erwerben mit unserer Liebe, wir verdienen nichts damit, wir danken ihm nur, danken ihm für das, was er uns gegeben und allezeit gibt.

Was hat er uns gegeben?

„Lazarus war derer einer die mit ihm zu Tische saßen.“ Die ganze Erzählung von diesem Mahl hat etwas Bedeutungsvolles. Es ist nicht bloß ein einmaliges zufälliges Begebnis, was uns der Evangelist berichtet. Es erscheint ihm Alles bedeutungsvoll; es ist bedeutungsvoll auch für uns. „Lazarus war derer einer die mit ihm zu Tische saßen.“ Damit erinnert uns der Evangelist an jene Erzählung, die er vorher berichtet, und an jenes Wort Jesu: ich bin die Auferstehung und das Leben. Er erweckt uns vom Tod zum Leben, zum wahren, zum geistlichen Leben. Was wir leben, wenn wir nicht in der Gemeinschaft Gottes leben, alles unser Leben in uns selbst und in der Welt und nicht in Gott ist Tod. Denn Gott allein ist die Quelle des Lebens. Alles, was Leben heißt ohne ihn, verdient nicht den Namen des Lebens. Es ist der Eitelkeit und Nichtigkeit verfallen. Dies ganze vergängliche Weltwesen, alle diese Sorge und Unruhe, Mühe und Arbeit, Freude und Leid, Furcht und Hoffnung wenn es sonst keinen höheren Inhalt hat, wenn es nur dies ist befriedigt es uns? Befriedigt es einen Menschen wahrhaft? Befriedigt es sein besseres Teil, seine eigentliche Seele? Niemand der aufrichtig ist wird dies sagen. Alle Menschen streben danach, dass es ihnen wohl werde auf Erden. Aber es wird uns nur wohl, wenn unsere Seele von der Betäubung und dem Todesschlaf dieses eitlen Weltwesens erwacht zum Leben in Gott. Das ists was wir Christo danken, dass er uns zu diesem wahren Leben, dem Leben in Gott erweckt hat. Wer ein Christ geworden ist und er blickt zurück auf sein früheres Leben er wird sagen müssen: es war ein Leben das nicht verdiente Leben zu heißen. Da fingen wir an wahrhaft zu leben, da uns seine Liebe ins Herz drang und unser Herz in Glaube und Liebe sich ihm erschloss und hingab. Ihm danken wir, dass wir in Wahrheit leben. Und von ihm holt unser neues Leben fort und fort Nahrung und Stärke. Wir sitzen an seinem Tisch. Er speist unsere Seele. Mit seinem Wort. „Dein Wort sei meine Speise bis ich gen Himmel reise.“ Denn es sind Worte des ewigen Lebens. Und mit sich selber. „Dein Wort, dein Geist, dein Leib und Blut.“ Die Zeit, in der wir jetzt stehen ist die Zeit des Abendmahls. Da sucht ein jeder Christ die Himmelsspeise am Tisch des HErrn. Das ists, was wir ihm danken. Alle unsere Liebe ist Dank für seine Liebe.

Wie zeigen wir ihm unsere Liebe?

Martha diente ihm, Maria salbte ihn. Von jeher hat man diese beiden Schwestern als Bilder verschiedenartiger Liebesbeweisung genommen. Denn beides ist Liebeswerk. Was Martha tut so gut wie das was Maria ihr Herz tun heißt. Der HErr lässt sich jenes gefallen wie dieses. Wir werden sagen dürfen: es muss beides mit einander verbunden sein. Der HErr nimmt den Dienst des Werkes an, die Arbeit des Dienstes, an seinen Armen, Kranken, Verlassenen. Denn was man an diesen tut, das tut man ihm. Man hat oftmals in Martha das Bild der mannigfaltigen Liebestätigkeit gesehen, welche wir jetzt etwa mit dem Namen der inneren Mission bezeichnen. Es ist ein nötiges Werk, und es ist ein Dienst der Jesu geschieht. Aber es muss mit dem anderen verbunden sein, was Maria abbildet: mit der Hingabe des Herzens. Denn sonst ist es ein äußeres Werk ohne wahren inneren Wert, nicht ein Dienst der Liebe. Was Maria tut es sieht aus wie ein Überschwang der Liebe. Aber das ist der Liebe Art: sie rechnet nicht, und es ist ihr nichts zu kostbar. Maria hat ein gutes Werk getan, denn sie hat es im Drange des dankbaren Herzens und sie hat es Jesu zu Ehren getan. Was ihm zu Ehren geschieht und aus reinem Dank des Gemütes geschieht, das ist recht und gut, wenn es auch dem kühlen Verstande überschwänglich erscheint.

Jesus gibt dem, was Maria tut, eine Bedeutung für seinen Tod. „Solches hat sie behalten zum Tage meines Begräbnisses.“ Es war göttliche Fügung, dass sie gleichsam zum Voraus seinen Leib zum Begräbnis salbte. Aber wir werden sagen dürfen: es war nicht bloß das, es war auch Ahnung ihres eigenen Herzens. Denn dies konnte man wohl durchfühlen, dass es nun zu Ende gehe. Früher war Jesus als der Lehrer in Bethanien gewesen; da hatte Maria zu den Füßen des Meisters sitzend auf die Worte des Lehrers, des Propheten gelauscht. Jetzt ist er auf dem Wege, das hohepriesterliche Opfer, sich selbst als dieses Opfer darzubringen. Da ist, was Maria tut, Opferweihe, Todesweihe.

Was Maria nur ahnte, wir wissen es. Wir wissen es ganz anders als sie, dass er sich für uns dahingegeben, für unsere Sünden geopfert hat. Wenn wir ihm unsere dankbare Liebe beweisen, so danken wir dem, der uns erkauft hat, mit seinem Blut, der das Opferlamm für uns geworden ist, das Lamm Gottes unschuldig am Stamm des Kreuzes geschlachtet. Ihn preisen die himmlischen Heerscharen, und der Seher Johannes hört im Gesicht die Lobgesänge der Engel im Himmel, die dem Lamm auf dem Stuhle Ehre geben. Und aller Preis der Kirche auf Erden, ihrer Gebete und ihrer Lieder, ihres Worts und ihrer stummen Sprache in Bild und Kunst, aller Dank der Christenherzen - er gilt dem von dem uns diese Woche predigt. Das macht die Freunde Jesu zu seinen Freunden, dass sie den lieben, der für sie gestorben ist. Und alles Werk der Christen soll ein Beweis dieser Liebe sein. „Lasset uns ihn lieben, denn er hat uns zuerst geliebt.“

2. Die Feinde Jesu.

Den Freunden Jesu stellt unser Text seine Feinde entgegen. Er spricht von Judas der die Liebe der Maria nicht versteht, von den Hohenpriestern welche sich über die Bewegung des Volkes ärgern. Aber die Feindschaft beider galt Jesu, und ihr Hass fand sein Ziel im Tode Jesu. Denn Hass ist Mordgesinnung.

Geliebte! Nirgends ist so wie hier das Geheimnis menschlicher Bosheit offenbar geworden. Denn wenn auch andere Mächte dahinter standen, wenn auch Jesus selbst von dem Feinde Gottes spricht, der solches Leiden über ihn bringe, so sind doch Menschen seine Werkzeuge, und ihr Hass stellt sich in seinen Dienst. Der dem die ganze Liebe des Herzens gehören sollte, wie sie keinem Menschen zu Teil geworden, der erfährt den Hass, wie ihn kein Mensch je erfahren hat. Der, welchem die tiefste Verehrung des Herzens gebührte, der die Offenbarung der ewigen Gnade und Wahrheit selbst ist, der unser ewiges Heil geworden er wird verschmäht und verworfen und schließlich ans Kreuz geschlagen. Wie dies möglich war - wir können es auch jetzt, nachdem es längst geschehen ist, kaum verstehen. Hier wird der ganze finstere Grund des Herzens, das ganze Geheimnis menschlicher Bosheit offenbar.

Der aber das eigentliche Werkzeug des Hasses geworden, ist Judas der Verräter, der Verräter unter den Aposteln. In unserer Erzählung tritt uns der ganze Gegensatz seines verworfenen Sinns zur dankbaren Liebe der Maria scharf und schneidend entgegen.

Die Gestalt des Judas ist die dunkelste Gestalt in der ganzen Geschichte der Menschheit der tiefste Schatten neben dem hellsten Lichte Judas und Jesus! Die Gestalt des Judas gehört zu den rätselvollsten - und doch ist sie zugleich für Alle, auch für die Christen die ernsteste Warnung.

Wie war Judas dazu gekommen ein Jünger Jesu zu werden? Er wäre es nicht geworden, hätte er nicht, wie wir es nennen, ein religiöses Interesse gehabt. Er beschäftigte sich mit den Fragen der Religion, er hoffte auf das Reich Gottes, er sah in Jesu einen Propheten, vielleicht den Messias, er glaubte, dass er das Reich Gottes aufrichten werde. Darum schloss er sich an ihn an. Aber es war nicht ein reiner Beweggrund, der ihn veranlasste. Es war nicht Gottes Ehre allein, es war nicht die Seligkeit seiner Seele, nicht die Vergebung seiner Sünde, die er vor Allem suchte, sondern die Herrlichkeit dieses Reiches, die schönere Zukunft die er davon hoffte, sein eigener Vorteil. So ist er ein Vorbild derer, welche den christlichen Glauben aus bloß äußeren Beweggründen annehmen und bekennen. Es ist nicht der Geist dankbarer, hingebender Liebe der sie erfüllt, sondern der kühlen Berechnung, der Geist der Selbstsucht.

Judas ist aus einem Jünger Jesu zum Feinde, zum Verräter Jesu geworden. Wenn Jesus das wusste, warum hat er ihn erwählt? Hat er sich in ihm getäuscht? Er bedurfte nicht, sagt der Evangelist Johannes einmal, dass Jemand Zeugnis gäbe von einem Menschen; denn er wusste wohl was im Menschen war. Und schon Jahr und Tag vor seinem Tode sagte Jesus im Kreise seiner Jünger (6,70): habe ich nicht euch Zwölf erwählt? und euer einer ist ein Teufel. Er redete aber, fügt der Evangelist hinzu, von dem Juda Simon Ischarioth; derselbige verriet ihn hernach und war der Zwölfen einer. Er wusste es und litt ihn doch; er wusste es und erwählte ihn doch. Es war Gottes Wille so und Jesu Gehorsam gegen den Willen des Vaters. Mehr können wir nicht sagen. Aber obwohl er es wusste, trug er ihn doch, trug ihn die Jahre lang. Wenn sein Gemüt ausruhen wollte von dem Hass und der Feindschaft der Menschen im Kreise seiner Jünger und er seine Augen über sie hingehen ließ, so fielen sie auch auf den Verräter im Kreise seiner Jünger, seiner nächsten Freunde. Der die Liebe selbst war musste diesen geheimen Hass, der die Wahrheit selbst war musste diese heuchlerische Falschheit stets um sich haben und sehen und tragen! Und alle Worte seines Mundes und alle Liebe seines Herzens von allem - dem hat er ihm nichts entzogen, er hat es Alles auch an ihn gewandt, an ihn verschwendet, und er wusste, dass es Alles vergebens sei. Das gehörte mit zu seinem Leiden, zu seinem verborgenen Seelenleiden, dass er dies falsche Herz mit tragen musste, bis es ihn verriet. Damit hat Jesus auch unsere Unwahrheit, auch unsere Falschheit gebüßt.

Aus dem Jünger Jesu wurde der Verräter. Geliebte! Wenn man sich zu Christo bekennt und unter die Wirkung seines Wortes stellt, wird man entweder besser oder schlechter. Denn das Wort Jesu und der Geist der Heiligkeit, den wir erfahren, straft unsere Sünde unaufhörlich. Entweder wir lassen uns durch ihn bestimmen, sie zu bekämpfen, oder wir werden unempfindlich gegen sein Zeugnis und verhärten uns selbst. Eines von beiden. Dies ist der große Ernst der Verkündigung des Evangeliums und jeder christlichen Einwirkung. Wir werden entweder gerettet oder wir gehen verloren; und das Evangelium selbst ist es, dessen Wirkung uns zum Verderben gereicht, wenn wir uns nicht strafen und retten lassen. So wird aus einem Anhänger und Bekenner Jesu ein Feind desselben. Denn gegen Christum selbst richtet sich am Ende die Feindschaft. In dem Maß als Christus seine Person in den Vordergrund stellt, in dem Maß als alle Verehrung der Jünger Jesu ihm dem Meister gilt und Jesus sie annimmt, in dem Maß als er den Seinen ihr Ein und Alles ist und sein will, in dem Maße wächst die Abneigung, bald auch die Feindschaft gegen Jesus selbst. So war es bei Judas. Von dieser Huldigung an, welche Maria Jesu erweist und Jesus sich gefallen lässt, hatte sich seine Falschheit und Abneigung gegen Jesus zur Feindschaft gegen ihn gesteigert.

Zwar, sie kleidet sich in den Schein der guten Sache. Der Überschwang der Liebe versäumt - so stellt sie es dar - die nächsten Pflichten der Menschenliebe. „Warum ist diese Salbe nicht verkauft um dreihundert Groschen, d. h. um sechzig Taler, und den Armen gegeben?“ Es ist das Interesse für das Wohl der Armen, Verlassenen, Notleidenden, welches die Feindschaft gegen Christus vorwendet; aber sie heuchelt. Sie sucht den Schein, als wäre es ihr an der Wohlfahrt der geringen Klassen der menschlichen Gesellschaft gelegen, aber es ist ihr nur an ihrer eigenen Wohlfahrt gelegen und sie sucht nur das Ihre. Sie ist stark in Worten, aber sie ist schwach in Werken und langsam in Opfern.

Judas tritt für die Armen ein. Aber wer, glauben wir wohl, hat mehr für die Armen getan, er oder Maria? Wessen Liebe so wenig rechnet wo es die Ehre Jesu gilt, der wird auch am wenigsten rechnen, wo es das Wohl der Armen gilt. Es ist das Opfer Jesu Christi und der Glaube an dies Opfer und die dankbare Liebe des Herzens dafür, von welcher der Geist und Sinn des Opfers in der Welt stammt. Wer sind die welche die meisten Opfer für das Wohl der Elenden bringen und welche aushalten in wirklicher opfervoller Tätigkeit? Wer anders als die welche Jesum Christum lieb haben? Dies ganze weite, große Gebiet der Pflege der Armen, der Kranken, der Gefallenen wer arbeitet auf diesem Gebiet? wer anders als jene? Die Häuser alle in welchen diese Arbeit ihr Werk treibt, die Rettungshäuser und Diakonissenhäuser und Asyle für die Gefallenen wer hat sie gebaut, wenn nicht die Liebe zu Jesus? Und alle die Arbeit an den Ärmsten der Armen, an den Heiden, und alle die Opfer für dies Werk der äußeren wie der inneren Mission, dies von törichten Menschen und unverständiger Feindschaft viel Geschmähte aber von Gott gesegnete Werkes ist die Liebe Jesu von welcher der Geist der Liebe ausgeht, die nicht in Worten bloß besteht, sondern in Kraft. Der Sinn aber der diese Liebe verkennt und schmäht, es ist im Grunde die Feindschaft wider Jesus selbst. Und die letzte Wurzel dieser Feindschaft ist die innere Unwahrheit die zur Falschheit wird.

Sagen wir das uns! Kennen wir das menschliche Herz ganz? Es gibt keines, welches nicht die Gefahr der Unwahrheit und Falschheit in sich trüge. Lernen wir in unserem Bekenntnis zu Jesu wahr sein und treu! Aus einem Jünger Jesu kann ein Abgefallener, ein Widersacher Jesu, ein Verräter werden. Der Anfang des Verderbens im Leben des Judas war die innere Unwahrhaftigkeit und Unlauterkeit.

3. Das wankelmütige Volk.

In der Mitte aber zwischen den Freunden und den Feinden Jesu steht das wankelmütige Volk. Es gehört nicht zu den Feinden, aber es gehört auch nicht zu den Freunden Jesu. Es hat einen Eindruck von Jesu bekommen, von seinen Worten, von seinen Taten. Und der bewegliche Sinn, wie er von jeher den Volksmassen eigen war, steigert sich bis zum Enthusiasmus. Im Enthusiasmus holen sie Jesum ein und rufen ihn zum König aus.

Wenn sich Jesus darauf hätte verlassen wollen, wie übel hätte er sich betrogen! Er lässt sich die Huldigung der Volksgunst gefallen, weil sie den Gedanken Gottes dient. Aber er weiß wohl was davon zu halten ist. Als er um den Ölberg herumbog und der Stadt ansichtig wurde, da, berichtet Lukas, weinte er über sie. Er weinte über Jerusalems Sünde und über sein drohendes Gericht. Er wusste wohl, dass diese Volksgunst des Augenblicks in wenigen Tagen umschlagen werde zur Verwerfung, denn es war nur ein oberflächlicher Enthusiasmus, keine wirkliche innere Erneuerung.

Wie steht es mit unserem Christentum? Ist es besser als beim jüdischen Volke am Tage des Königseinzugs Jesu in Jerusalem? Wir sind Alle getauft, so viele unserer Christen heißen; wir sind Alle konfirmiert; in diesen Tagen treten Scharen von Konfirmanden zum Altar. Wer will sagen, dass die Taufe ohne Wirkung sei? Sie ist und bleibt ein Sakrament, eine Gnadentat Gottes. Wer will sagen, dass die Konfirmation nicht mehr oder minder Alle, oder wenigstens die Meisten, wirklich berühre, welche das Gelübde der Treue gegen ihren Herrn und Heiland ablegen? Aber sind sie damit in Wahrheit Jünger Jesu im Grunde der Herzen? Die Meisten sind nur äußerlich berührt vom Geist Christi. Sie können Augenblicke, Stunden, Zeiten der inneren Bewegung und Wärme gehabt haben, wo das Bekenntnis zu Jesu wirklich Wahrheit war. Aber wie lange währt es - so ist alle diese flüchtige Regung untergegangen im eitlen Treiben des weltlichen Lebens. Könnten wir die Scharen, die in diesen Wochen zum Altar treten, nach etlichen Jahren wieder beisammen sehen - wie würden wir erschrecken über die Verwüstungen, welche inzwischen die Sünde in Vielen angerichtet hat! Und auch diejenigen sind nicht sicher davor, die in vorübergehender Erregung des Gefühls Christo ihre Huldigung darbringen, wenn nicht das Herz erneuert, wenn nicht der Grund der Natur vom Geist Christi wiedergeboren wird. Hinter allem dem Christentum des bloßen Augenblicks steht doch als letztes Ende die Verwerfung Jesu.

Wohl, es hat etwas Erhebendes zu sehen, wie Christus siegreich über die Erde hinzieht und die Völker ihm huldigen. Er hält seinen Palmsonntag in der Welt. Aber auf den Palmsonntag folgt der Karfreitag. Es ist schön, wenn ihm die Völker huldigen. Und gewiss, es sollen nicht bloß einzelne Häuschen gesammelt werden. Lehrt alle Völker und tauft sie lautet der Befehl des HErrn. Seine Freunde und Gläubigen sollen nicht äußerlich abgesondert sein; denn sie sollen der Sauerteig in der Masse sein. Aber trog aller christlichen Einwirkung bleibt die sündige Natur der Völker doch die alte. Ist nicht die Geschichte stets eine Geschichte des Ehrgeizes und der Gewalttat? Steht nicht die bürgerliche Gesellschaft zu allen Zeiten im Kampf mit dem Verbrechen? Hat die Fleischeslust und Augenlust je ihre Herrschaft verloren auf Erden? Dienen die Fortschritte der Kultur nicht auch jetzt noch der Selbstsucht und Genusssucht? Ist das Leben im Großen und Ganzen nicht stets ein Leben in der Zeit und nicht in der Ewigkeit? Und sind wir nicht Alle von diesem Geist berührt und haben dagegen zu kämpfen?

Geliebte! Ich sage das nicht um uns verzagt zu machen und hoffnungslos. Wenn auch die Welt den HErrn verwürfe - und die Schrift sagt uns, dass sie seiner einmal überdrüssig werden und aufhören wird ihm auch äußerlich zu huldigen - wenn auch seine Sache unterzugehen scheinen würde: wir wissen, dass auf Karfreitag Ostern folgt. Das Reich muss ihm doch bleiben. Nicht uns verzagt zu machen sage ich das, sondern ernst.

Täuschen wir uns nicht über uns selbst und lassen wir uns nicht betrügen und sicher machen durch flüchtige Regungen unseres Gefühls! Man kann getauft sein, man kann konfirmiert sein, man kann Zeiten und Stunden der inneren Bewegung gehabt haben, man kann erweckt sein, man kann Christo begeistert huldigen und doch von ihm abfallen und ihn verwerfen. Sehen wir wohl zu, auf welche Seite wir gehören. Unser Evangelium führt uns die Freunde und die Feinde Jesu vor und das wankelmütige Volk. Dort in Bethanien sind seine Freunde. Sollen wir nicht auch zu ihnen gehören? Er hat seine Jünger seine Freunde genannt, weil sie ihm in sein Herz geschaut (Joh. 15,15). Haben nicht auch wir in sein Herz gesehen? Aber wer ihm wahrhaft ins Herz schaut, mit den Augen des Herzens in sein Herz schaut, dem wird er sein Herz abgewinnen und er wird ihn wieder lieben und sein Freund werden. Lasst uns ihn lieben, denn er hat uns zuerst geliebt! Amen.

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