Krummacher, Gottfried Daniel - Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan - Kades

Krummacher, Gottfried Daniel - Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan - Kades

Achtundvierzigste Predigt.

Zweiunddreißigste Lagerstätte: Wüste Bin, das ist Kades.

Text: 4. Buch Mose 33,36.

Von Ezeon Gaber ist uns noch Einiges zu betrachten übrig geblieben. In seiner Zusammensetzung bedeutet dieser Name so viel als Kraftrat. Das Letztere haben wir erwogen. Lasst uns jetzt den Namen Gaber betrachten.

Dieses Wort bedeutet mit Nachdruck einen Mann, einen Helden, einen Überwinder. Jes. 9. wird dieser Name Christo gegeben. El Gibbor, Kraft, Held, oder siegreicher Gott. Ist Rat und Kraft, ist Weisheit und Stärke bei einander, so ist die Wirkung desto herrlicher. Erteilt Jemand neben einem guten Rat auch die Mittel und die Kraft, ihn auszuführen, so ist's etwas Vollkommenes, und das ist's eben, was wir bedürfen, aber auch das, was wir in Christo besitzen, welcher beides zugleich ist und gibt. Rat ohne Kraft ist eine Art von Spott, Kraft ohne Verstand verderblich, beides zusammen vortrefflich. Der Herr ist beides Rat und Kraft. In Christo haben wir die Kraft, welche uns kräftigt.

Zuvörderst müssen wir wohl erwägen, dass wir keine Kraft haben, und deswegen unser Vertrauen nicht darauf setzen, so wie überhaupt nicht auf uns selbst. Ich rede hier nicht von natürlicher Kraft zu natürlichen Dingen; aber wenn ich auch davon redete, so würde doch der Beweis leicht zu führen sein, dass sie nicht zuverlässig ist, dass oft nichts damit ausgerichtet wird, und dass wir nicht vergessen sollen, sie als eine Gabe Gottes dankbar anzuerkennen. Wir wollen nicht anführen, wie viele Dinge außer dem Kreise menschlicher Kraft liegen, so dass wir nicht einmal ein Haar schwarz oder weiß machen können, keinen Tropfen Tau oder Regen hervorbringen können, sondern nur bemerken, wie oft eine größere Kraft durch eine kleinere gehemmt, große Heere von kleinen besiegt, ein riesenhafter Goliath von einem kleinen David überwunden ist. Ist Jemand jetzt noch ganz kräftig, kann er sich selbst dabei erhalten? Wird er übers Jahr oder in noch kürzerer Zeit nicht vielleicht schwach, krank, lahm, tot sein? Wie übel nimmt Gott es sogar einem blinden Heiden, dem Sanherib, dass er sich auf seine Macht so viel einbildete, vergleicht ihn mit einer Axt oder Säge, die bloß Werkzeuge in einer fremden Hand sind, und droht ihm, eben um dieser Prahlerei willen, den Untergang, wie Nebukadnezar sie mit dem Verlust seines Thrones büßen musste. Es ist hier der Ort nicht dazu, sonst ließe sich leicht nachweisen, wie kleine Ursachen oft die größten Erfolge gehabt, und die größten Rüstungen sich in nichts aufgelöst haben. Genug, die Schrift belehrt uns, dass wir auch der Natur nach aus uns selbst nicht einmal etwas denken können, dass außer Gott nichts ist, dass der Herr es ist, der solches Alles tut, dass folglich der Ruhm der Handlung als solcher ihm gebührt, in dessen Hand alle Kreaturen so sind, dass sie sich ohne seinen Willen nicht regen noch bewegen können.

Wir reden hier von geistlicher Kraft zu geistlichen Dingen, Gedanken, Einsichten, Gesinnungen, Werken, als da ist: Erkenntnis Jesu Christi in seinem Evangelium, Glauben an seinen Namen, Liebe, Gebet, Geduld u. dgl. und lehren, dass der Mensch zu allem diesem ganz und gar untüchtig sei, und zwar so, dass er das Gute eben so wenig will, als er's kann, und es ihm am Wollen eben so sehr mangelt, als am Vollbringen. Ist Ersteres erst da, so wird sich Letzteres wohl finden, da Gott es ist, der beides schafft nach seinem Wohlgefallen. Wir wissen es wohl, dass dies eine demütigende, eine alles Selbstvertrauen zerstörende, eine zu Christo zwingende und also verhasste, verrufene und verschriene Lehre ist. Man leitet daraus schwere Folgerungen her und macht ihr die bittersten Vorwürfe, man erklärt sie für schädlich. Wir aber erklären sie - ihr rechtes Verständnis natürlich vorausgesetzt - für nützlich, für durchaus notwendig, für höchst ersprießlich und für eine Anleitung, zur wahren Kraft zu gelangen, zu einer Kraft, wodurch uns Alles möglich, ja leicht wird. Erwartet indessen diesmal nicht, dass wir jene Vorurteile widerlegen, dass wir die Vorurteile dieser Lehre auseinandersetzen und sie ausführlich beweisen. Seid ihr halsstarrig, so werden alle Beweise an euch abprallen; vertraut ihr auf euch selbst, so werdet ihr zu Grunde gehn; seid ihr gutwillig, so lasst's euch Gott offenbaren; seid ihr arm und schwach, so bleibt in Christo und Er in euch, so werdet ihr viel Frucht bringen, denn ohne ihn könnt ihr nichts tun. Offenbar könnt ihr Christum nur in so weit annehmen, als ihr ihn bedürfet. Erkennt, dass ihr nichts in euch selber habt, um Alles in ihm zu finden.

Die göttlichen Führungen mit den Gläubigen bezwecken auch mit die gründliche Überzeugung von diesem Kraftmangel, wie Gott 5. Mose 8. ausdrücklich sagt: Er demütigte dich, damit du nicht sagtest, meine Kräfte und meiner Hände Stärke haben mir dies Vermögen ausgerichtet, sondern dass du gedächtest an den Herrn, deinen Gott, denn Er ist es, der dir Kräfte gibt. Wir bedürfen aber einer großen und mannigfaltigen Kraft, um Alles wohl auszurichten und das Feld zu behalten; einer großen Kraft, da wir ja nicht bloß mit Fleisch und Blut zu kämpfen haben, sondern mit Fürsten und Gewaltigen, mit den Herren der Welt, die in der Finsternis dieser Welt herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel. Was für schwere Sachen hatten namentlich die Kinder Israel noch vor sich. Je näher sie Kanaan rückten, desto schwereren Kriegen gingen sie entgegen, und das mit Völkern, gegen welche sie nur wie Ameisen zu rechnen waren, und gegen Festungen, vermauert bis an den Himmel. Welch' einen Krieg haben wir! Nicht genug, in einer Welt zu leben, welche uns von allen Seiten mit Versuchungen und Stricken umringt, und uns zum Tausch unsers Goldes gegen ihre wertlosen Scherben mit zauberischen Künsten zu verleiten sucht; durch vielfaches Gelingen dreist gemacht, haben wir sogar mit Fürsten und Gewaltigen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel zu streiten, wo wir ja den Kampf, so zu reden, schon verloren haben, indem wir ihn beginnen, wenigstens nehmen wir's mit giftigen Schlangen und brüllenden Löwen auf. - Ungleicher Kampf! Welche Kraft ist erforderlich! Um aber unsre Lage vollends zu einer verzweifelten zu machen, so gesellt sich unser eignes Herz zum feindlichen Heer, und wer es besiegt, ist nach dem Urteil des weisesten Königs größer, als der Städte gewinnt. Wir sollen uns selbst verleugnen, wir sollen unser Kreuz auf uns nehmen täglich, wir sollen Jesum nachfolgen, und was für zum Teil schwere Pflichten wir nicht alle erfüllen sollen wir sollen das Alles freilich durch den Glauben tun. Aber wird nicht auch dieser Glaube für das Schwerste im Gesetz erklärt? Es ist also leicht nachzuweisen, dass wir Kraft, dass wir viele und große Kraft bedürfen.

Ist dies Alles wohl geeignet, unsern natürlichen Mut, der auf das sieht, was vor Augen ist, niederzuschlagen, so ist's auch ein Sporn, den recht ins Auge zu fassen, der hier Gaber - Kraft, ein Mann, ein Held, ein Überwinder heißt. Diesen Namen führt er nicht bloß wegen dessen, was er wirklich und in sich selbst ist, sondern vielmehr wegen dessen, was er uns ist, in deren Schwachheit er seine Kraft vollbringt. Was hat es denn nun zu sagen, ob wir schwach sind! Sind wir schwach, so sind wir auch stark. Wir rühmen uns deswegen am liebsten unsrer Schwachheit, damit die Kraft Christi in uns wohne. In diesem Gaber, in diesem Helden ist die Gemeine wohl versorgt, denn Er ist's der sie mächtig macht. Dies Verhältnis gewährt ihr Sicherheit und Sieg. Sie soll nicht zaghaft, sondern mutig soll sie sein. Er wird sie schon aus weiter Ferne durch alle Schwierigkeiten in Kanaan zu bringen wissen. Mögen ihre Feinde an Macht, Zahl und Beschaffenheit sein, welche sie wollen, so entfalle keinem das Herz. Wie Brod wollen wir sie fressen. Der Herr wird für uns streiten, wir aber werden stille sein. Mit Gott wollen wir Taten tun. In Allem überwinden wir weit um des willen, der uns geliebt hat.

Wohlan denn Israel, so zeuch getrost weiter gen Kades!

Eine neue Wüste, eine neue Schule, neue Begebenheiten, neue Not und neue Hilfen.

Diese 32ste Lagerstätte ist von der vorigen einige Tagereisen weit entfernt, und nähert sich wieder dem verheißenen Lande. Dies ist das dritte Mal. Erst bei Ritma, dann bei Mithka, und nun hier. Die beiden ersten Male mussten sie zurück, hier gehts nicht besser, denn die Edomiter, durch deren Land sie hätten ziehen müssen, wollten sie nicht durchlassen. So mussten sie zum dritten Mal aufs rote Meer zurück.

Bei dieser Lagerstätte achten wir zuerst auf ihre Namen und dann auf die drei merkwürdigen Vorfälle daselbst, nämlich: Mosis Gesandtschaft nach Edom, wodurch er um die Bewilligung eines freien Durchzugs anhalten lässt, der aber abgeschlagen wird und ihren Rückzug zur Folge hat; den Tod der Schwester Mosis, und den Wassermangel, nebst dem von Gott sehr ungnädig aufgenommenen Versehe Mosis und Aarons. Das 38 Jahre hindurch beobachtete gänzliche Stillschweigen über die Kinder Israel, von welchen aus diesem langen Zeitraum nichts als die Namen ihrer Lagerstätten, welche sie in diesem Zeitraum 17 Mal veränderten, gemeldet wird, wird gebrochen. Jetzt tut die Geschichte ihren lang verschlossenen Mund wieder auf, aber doch nur, um ihre alten Klaglieder fortzusetzen.

Lasst uns denn zuerst die Bedeutung der Namen dieser Wüste beachten. Sie hat zwei Namen. Erstlich heißt sie Zin. Dies Wort hat drei Bedeutungen. Zuerst heißt es Kälte, und ist deswegen ein Bild der Erfrischung, weil in den Morgenländern eine große Hitze gewöhnlich, und daher Schatten, Kühlung besonders erfrischend und angenehm ist. Wie die Kälte in der Ernte, so erquickt ein treuer Bote seines Herrn Seele, sagt Salomo Spr. 25,13.; das ist ja eine gute Bedeutung. Wer sollte den lieben Kindern Israel nicht eine Erfrischung gönnen, und wie angenehm ist, wenn's einem Christen geht, wie David sagt: Der Herr, mein Hirte, führt mich längs frischen Wassern und auf grünen Auen. Hatte er denn auch viel Bekümmernis in seinem Herzen, so ergötzten doch des Herrn Tröstungen seine Seele. Den Abend lang währt das Weinen, aber des Morgens ist Freude. Wird auch das Herz der Jünger wohl voll Trauerns, so will der Herr sie doch wiedersehen, und dann wird ihr Herz sich auf eine Weise freuen, dass Niemand ihre Freude von ihnen nehmen wird. Ist's grade nicht alle Tage ein lustiger Sabbat, so ist's doch auch nicht an einem fort Werktag. Scheint die Sonne nicht ununterbrochen, so regnets, stürmts und donnerts doch auch nicht stets. Auch in der Wüste gibts Oasen, grüne liebliche Plätze, die eben durch ihre Lage mitten in der Wüste an Anmut gewinnen. Und haben wir gelernt, auf des Herrn Gebote zu merken, so wird unser Friede sein wie ein Wasserstrom, und unsre Gerechtigkeit wie Meereswellen. Sind wir so gelehrt, uns selbst der Trübsale zu rühmen, für Alles zu danksagen, und uns allewege in dem Herrn zu freuen, so verstehen wir auch die Kunst, uns unsern Weg, auch wo er durch die Wüste geht, zu verschönern, und selbst im Jammertal uns Brunnen zu machen, wie der 84. Psalm redet. So lange wir glauben können, verlieren wir auch die Herrlichkeit des Herrn nie ganz aus dem Gesicht, und ihr verschönernder Schimmer heitert auch die Wüste auf.

Allerdings aber heißt Zin auch Dornen. In dieser Bedeutung kommts im 55. Vers dieses Kapitels vor, wo Gott den Israeliten sagt: Würden sie die Einwohner des Landes Kanaan nicht ausrotten, so würden sie ihnen zu stechenden Dornen werden, welche sie drängten. Die Welt ist voll gefährlicher Dornen und Disteln, und wohl bedürfen wir eines Noahs, der uns trösten wird über alle Mühe und Arbeit auf Erden, welche der Herr verflucht hat. Wir reden hier nicht von natürlichen Dornen, die uns ja eben nicht im Wege sind; wir meinen auch nicht allein die mancherlei Trübsale, welche dies Leben durchflechten und oft unerwartet aufschießen. Wir denken hier vielmehr überhaupt an den Fluch, welcher durch die Sünde über das ganze menschliche Geschlecht hereingebrochen ist und Alles durchgeht; den Fluch, welcher die Quelle ist all' des Herzeleids und Jammers, all' des Kummers und Verdrusses, all' der Unglücksfälle und traurigen Begebenheiten, welche in so mancherlei Gestalt und Verwechselung dies Erdenleben bedrohen oder wirklich durchziehen.

Wir meinen den Fluch, der den Menschen Alles, auch die an sich vortrefflichen Gaben Gottes zu lauter Unsegen und Unheil macht, so dass des Einen Seelenheil durch Glück, wie des Andern durch Unglück zu Grunde geht; der durch Reichtum zum Stolz, jene durch Armut zur Niederträchtigkeit, Betrug, Stehlen, beide zur Gottesvergessenheit verleitet werden. Diesem ist seine Gesundheit ja so nachteilig, wie jenem sein Kranksein, ja noch schädlicher, da sie ihn in Stand setzt, desto mehr Laster auszuüben. Wie mancher wäre lieber blind, stumm, taub und lahm, ja gar nicht geboren, als das, was er ist. Hätte der nicht so viel Verstand, so würde er nicht ein so raffinierter Bösewicht, nicht ein so gefährlicher Feind des Christentums sein, und jener nicht so viel Böses haben anstiften können, hätte er nicht einen so einflussreichen Posten bekleidet, wo er des Guten so viel hätte ausrichten können. Wie Manchem sind ausgezeichnete Gaben das gewesen, was scharfgeladene Gewehre in Kinderhänden. Die schönsten Schlangen sind oft die giftigsten, und Tiger tragen das zierlichste Fell. Wandeln wir nicht in der Wüste Zin unter Dornen, als Fluchzeichen? wenn wir uns recht umsehen, mögen wir in das Reich der Natur, ins bürgerliche oder ins sittliche und religiöse Leben hinein schauen. Betrachtet den Himmel, welch' Schreckensgewande kann er anlegen. Stürme durchsausen die Lüfte mit einer wilden Macht, als wollten sie die ganze Erde ebnen und das Meer in einen Berg umschaffen. Zischende Blitze mahnen daran, dass Aller Leben und Habe in einer Hand stehe, die tun kann, was sie will, und die Niemand aufhalten kann. Erschreckliche Donnerschläge vollenden das Entsetzen.

Ganze Waldungen werden entblößt, und die Saatfelder scheinen nur zu dem Ende so üppig zu wallen, um in einer halben Stunde vom Hagel zerschmettert, die Hoffnung eines ganzes Jahres zu vernichten. Statt eines milden Regens bersten die ungeheuren Wasserbehälter des Himmels in einem Nu, und erneuern die verheerende Sündflut. Ströme erzürnen und bringen ihren Anwohnern statt der gewohnten Vorteile unersetzlichen Schaden. Dem einen Jahr weigert die Sonne ihre Strahlen, dem andern versagen die Wolken den Regen. Was ist das doch? Die Wüste Zin ist's, der um der Sünde willen auf der Erde lastende Fluch ist's, den wir darin sehen, wovon wir uns entledigen sollen. Sollen wir uns noch weiter umsehen in dieser grausamen Wüste, wo es heult? oder sollen wir's nicht tun? Wollen wir uns umsehen in den Gemächern der Kranken und ihre Leiden untersuchen? Unser Auge weigert sich, das nur für Augenblicke zu sehen, unser Ohr nur eine Beschreibung dessen anzuhören, was ihrer Viele wirklich leiden Tag und Nacht. Und siehe, du bist auch in der Wüste. Diese Dornen können leichtlich auch dir ins Fleisch dringen. Wie dann? Das bequemste Lager kann dir zu hart, die auserlesenste Erfrischung ekelhaft, das luftigste Gemach benaut werden. Wirf noch einen Blick auf die Kinderwelt, und lass dein Herz der vielen kleinen Märtyrer jammern, die auch mit Dornenkronen gehen, in Salems Mauern wohnen. Und in dieser Wüste haust der Tod und wandelt umher, wie ein wildes Ungetüm. Den geht er noch vorbei, obschon hoch bejahrt, bewusstlos, sich selbst und Andern eine Last, und reißt dafür jenen Unentbehrlichen weg. Freue dich nicht zu sehr. Vielleicht folgen bald weinende Kinder, ein schluchzender Gatte deiner Bahre, oder du der ihrigen. Halte sie fest; lass die Kunst der Ärzte sich erschöpfen. Es ist vergeblich, die Stunde schlägt, er atmet zum letzten Mal, und du verstumme. Es kann dich noch härter treffen.

Im bürgerlichen Leben ist die Wüste auch spürbar genug. Der klagt über die Arbeit, jener über den Lohn, der über den Absatz, jener über den Preis usw. Endlich, welch' ein Fluch, welch ein Unsegen waltet in sittlicher und religiöser Beziehung, was zwar weit weniger geachtet, aber schrecklicher ist, als alles andere Übel, was eben daraus entspringt; denn nichts als die Sünde ist der Leute Verderben. Welch' eine Unzahl von Verführungen zur Üppigkeit, zur Liederlichkeit, zur Unzucht! welch' eine Menge schamloser böser Beispiele! welche Frechheit in der Gottlosigkeit! Wie viele Schriften, die nichts anders suchen, als die Sitten zu verderben, den Irrtum zu verbreiten, die Wahrheit zu verdrängen, den Unglauben zu fördern, und so die ganze Welt zu verderben! Ist da, wo es so hergeht, die Wüste Zin nicht, wo ist sie denn? Um das Unheil aber gar zu vollenden, wird den bösen Menschen sogar das zum Tode, Fluch und Unsegen, was ihnen doch zum Leben gegeben ist, nämlich beides, Gesetz und Evangelium. Statt dass ihnen das Gesetz ein Zuchtmeister auf Christum sein sollte, indem sie dadurch zur Erkenntnis ihrer Sünden gelangen sollten, bleiben sie dabei stehen, gehen mit des Gesetzes Werken um, und bleiben unter dem Fluch. Statt sich durch das Evangelium anlocken zu lassen, werden sie demselben gram, ziehen feindselig gegen dasselbe zu Felde, wollen selbst nicht in das Himmelreich, und wehren auch denen, welche hineinwollen, und reizen so Gott, Rache zu üben mit Feuerflammen gegen diejenigen, welche dem Evangelium nicht gehorsam sind.

Auch gibt's Etliche, welche ihre Krankheit dadurch unheilbar machen, dass sie dieselben leugnen, statt sich davon befreien zu lassen. So wandelt denn auch Israel in einer Dornenwüste, und Paulus ist nicht der Einzige, welcher Ursache hatte zu sagen: Mir ist gegeben ein Dorn ins Fleisch. Und mag er bestanden haben, worin er will, so stach er ihn so schmerzlich, dass er den Herrn drei Mal bat, dessen überhoben zu werden, es aber doch nicht erlangte. Wohl aber dem, der zwar unter den Dornen wandelt, weil er muss, aber nicht unter die Dornen säet, und durch den Glauben an den, der im Dornbusch wohnte, von allem Fluche erlöset, in einen Stand versetzt ist, wo Alles zum Segen wird, es sei Tod oder Leben, wie denn denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen müssen.

Ist das Wandeln in solcher Wüste etwas Gefährliches und gar vielen Verderbliches, so müssen wir bemerken, dass das Wort Zin noch eine dritte und bessere Bedeutung hat; denn Zin heißt auch ein großer Schild. So braucht David das Wort im fünften Psalm, wo er sagt: Du, Herr, krönst oder umringst die Gerechten mit Gnade, wie mit einem Schilde. Und wenn das geschieht, was für ein Übel wird diesen Ringwall durchbrechen können? Im 35sten betet er: Ergreife Schild und Waffen und mache dich auf, mir zu helfen, und im 91sten spricht er: Der Herr wird dich mit seinen Fittigen decken, und deine Zuversicht wird sein unter seinen Flügeln. Seine Wahrheit ist Schirm und Schild. Fragt Jemand, wie das nämliche Wort zugleich Dorn und Schild bezeichnen möge, so bemerken wir, dass das Stammwort abwehren bedeute, was beide in ihrer Weise tun, so dass Hieb Dornhecken Schilder der Felder nennt. Fragt aber Jemand, wie die nämliche Sache zugleich Schild und Dorn sein könne, so antworten wir: Gar wohl. Die Beschaffenheit der Personen aber bewirkt die veränderte Wirkung. Gebt den nämlichen Wein den Schwachen, so ist er ihm ein Stärkungsmittel, dem Fieberkranken, und er ist ihm Gift. Bringt den Gottlosen in Versuchung, er kommt darin um, den Gottseligen, er wird geläutert. Predigt das nämliche Evangelium; dem Einen ist's ein Geruch des Todes zum Tode, dem Andern ein Geruch des Lebens zum Leben. Jesus bittet für die Seinigen, nicht, dass der Vater sie aus der Welt nehme, sondern dass er sie in derselben bewahre. -

Wehe aber dem, der ohne Schild wandelt. Nicht allein werden ihn die Dornen mit ihren giftigen Stacheln verletzen, sondern die tödlichen Pfeile des ihm auflauernden Bösewichts werden ihn erreichen und übel umbringen, ja, das Schwert des göttlichen Zorns wird ihn zerhauen und die Keule des Fluchs ihn zerschmettern. Er hat keinen Schutz, keine Sicherung, keinen Halt. Was will er tun, wenn die Sünde ihn bezaubert, der Teufel ihn anficht, das Gesetz ihn verklagt, die Hölle nach ihm hascht? Da bedarf man eines abwehrenden Schildes. Hat der Mensch diesen Schild in sich selbst? O ja! wenn er ein Christ ist. Wer aus Gott geboren ist, der bewahrt sich selbst, und der Arge wird ihn nicht antasten. Der in ihm ist, ist größer, als der in der Welt ist. Ihr seid stark und habt den Bösewicht überwunden. Wer aus Gott geboren ist, tut nicht Sünde und kann nicht sündigen, denn er ist von Gott geboren. Aber er ist auch ein Mensch in Christo. Wer außer ihm von Sicherheit träumt, wird im Schiffbruch rettungslos erwachen. Wir wollen von Können und Haben nicht reden. Glaubte Jemand nur etwas zu wissen, so wüsste er noch nichts, wie er's wissen müsste. Meinte Jemand etwas zu sein sei es so wenig, als es wolle so verführte er sich selbst. Was kann Entscheidenderes gesagt werden, uns unsere Wehrlosigkeit auf der einen Seite zu zeigen, auf der andern aber auch die Notwendigkeit, uns bei Zeiten nach einem tüchtigen Schilde umzusehen, der nicht zerbricht vor den hellen, blitzschnellen Donnerkeilen, vor des Abgrunds Feuerpfeilen.

Und was ist der rechte Schild? Dein Kreuzholz ist mein Stecken, der Schild, der mich kann decken. So seht denn das Israel Gottes gelagert zu Zin. Seht ihr auf der einen Seite Dornen und wohl nichts als Dornen und hört ihr sie singen:

Man wandelt nicht auf weichen Rosen;
Der Steg ist eng, der Feinde viel,
Mich abzureißen von dem Ziel.
Ich muss mich oft in Dornen stoßen.
Ich muss durch dürre Wüsten gehn
und kann selbst keinen Ausweg sehn.

so hört ihr sie auch rühmen: Du krönst mich mit Gnade, wie mit einem Schilde. Ihr seht sie, die Gemeine, die sich Gott mit seinem eigenen Blute erkauft hat, wie den Turm Davids mit Brustwehren gebaut, daran tausend Schilde hangen und allerlei Waffen der Starken. Der Kraft-Rat ist zugleich ihr Schild und mehr als tausend Schilde wert und allerlei Waffen, denn Christus ist ihr Schild. Was wehrt der von ihr ab? Alles Übel, von welcher Seite, in welchem Maße, mit welcher Kraft es auch auf sie anschleiche oder anstürme. Dieser Schild mag wohl Kades d. i. Heiligkeit genannt werden. Er ist aus dem Golde der Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung zusammengesetzt. Ist Jemand in Christo, so ist er gesichert. Wer ist denn, die hervorbricht, wie die Morgenröte, schön, wie der Mond, rein, wie die Sonne, schrecklich, wie Heeresspitzen? Glaubt aus aller Macht an den Herrn Jesum. Behaltet euch in der Liebe Gottes und wartet auf die Barmherzigkeit unsers Herrn Jesu Christi zum ewigen Leben, der euch behüten kann ohne Fehl und stellen vor das Angesicht seiner Herrlichkeit unsträflich mit Freuden. Amen.

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