Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Philipper in 25 Predigten - Dreiundzwanzigste Predigt.

Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Philipper in 25 Predigten - Dreiundzwanzigste Predigt.

Ich danke dir, mein Gott,
Dass du mir hast gegeben
Den Sinn, der gerne will
Dir hier zu Ehren leben;
Regier' nun auch mein Herz,
Steh' bei mir früh und spat,
In allem meinem Tun
Gib selber Rat und Tat.

Es gibt Menschen, die sich dünken lassen, dass sie tugendhaft seien, wenn sie bloß diesen oder jenen Lappen von der Tugend an sich tragen. Arbeitsamkeit, dazu ein gewisses Maß von Ehrlichkeit und etwas Wohltätigkeit - das ist Vielen der Inbegriff aller Tugend, und findet sich das an ihnen, so leiden sie nicht den Vorwurf, dass sie nicht gute, tugendhafte Menschen seien. Christen, wisst ihr nicht, dass die Schrift von uns fordert, wir sollen von Neuem geboren werden, und als Wiedergeborene in allem und jedem Betracht, innerlich und äußerlich, in Neigungen, Gedanken, Worten, Werken, nicht nur in diesem und jenem Stück, sondern in allen Stücken, nicht nur heute, sondern auch morgen, tugendhaft sein? Ist Jemand ein neuer Mensch, so ist er es ganz und gar, und ist er auch nicht vollkommen, so trachtet er doch vollkommen zu werden in allen Stücken. Es ist gut, dass du ein arbeitsamer, ehrlicher Mann bist; aber bist du nicht zugleich gottesfürchtig, liebreich, mild, barmherzig, demütig, versöhnlich, langmütig, keusch und was sonst noch zur Tugend gehört, so mag die Welt dich loben, aber Gott lobt dich nicht. Was hilft's, dass du auf den alten Menschen einige neue Flicken setzt? Ziehe den alten Menschen aus, ziehe den neuen an, der kein Flick- und Stückwerk ist, sondern, wie das Vorbild deines Erlösers zeigt, alle und jede Tugenden in sich vereinigt. Höre heute ein Wort, worin wir dazu aufgefordert werden. .

Phil. 4. V. 8-9:
Weiter, liebe Brüder, was wahrhaftig ist, was ehrbar, was, gerecht, was keusch, was lieblich, was wohl lautet, ist etwa eine Tugend, ist etwa ein Lob, dem denkt nach. Welches ihr auch gelernt und empfangen und gehört und gesehen habt an mir, das tut, so wird der Herr des Friedens mit euch sein.

Hatte der Apostel die Philipper zuvor zur Freude, zur Milde, zum kindlichen Gottvertrauen aufgefordert, so weist er sie jetzt mit einem „Übrigens“ auf das hin, was sie außerdem noch erstreben und tun sollen. Mit Nachdruck spricht er: Alles was zu einem tugendhaften Leben gehört, darauf seid bedacht, das tut, und er legt dem, was irgend gut heißen mag, so herrliche Eigenschaften bei und empfiehlt es so kräftig, dass der ein verblendeter Tor sein müsste, der des Apostels Ermahnung nicht beherzigen wollte. Geben wir denn nach unserm Text Antwort auf die Frage:: Warum wir nach einem tugendhaften Leben trachten sollen.

Wir sollen es 1. um der Tugend, 2. um des Rufes, 3. um des Evangeliums, 4. um des Gewissens willen: Heiliger Vater, ziehe uns durch diese vier Bande zu einem christlichen, tugendhaften Leben hin, und lehre uns erkennen, 1. dass nur auf diesem Wege Heil für uns zu finden ist.

1.

Warum dem Guten nachtrachten, welchen Namen es auch haben mag? Der Apostel zeigt uns zunächst, welchen Wert es in sich selber hat: es macht uns der Wahrheit teilhaftig, verleiht uns Würde, macht uns rechtschaffen und rein. - Alles, was wahr ist, darauf seid bedacht. Ist es euch also um Wahrheit zu tun, so trachtet dem Guten nach, denn was gut ist, das ist zugleich wahr, statt dass das Böse in sich selbst lauter Unwahrheit und Lüge ist. Oder meint ihr, die Wahrheit gehöre bloß für den Verstand, und Jemand, könne mit seiner Erkenntnis in der Wahrheit stehen, wenn er gleich nach seiner Gesinnung und nach seinem Wandel den Weg der Sünde gehe? Nein, Christen, die heilige Schrift trennt Gutes und Wahres nicht. Die Wahrheit ist ein Licht vom Himmel, das nicht nur unsern Verstand erleuchtet, sondern auch unser Herz warm und unsern Wandel fruchtbar macht. Wo nun die Frucht einer göttlichen Gesinnung und eines göttlichen Wandels fehlt, da mag der Verstand leuchten wie der Mond, so fehlt doch das milde Licht der Wahrheit. Wo Sünde, wo Untugend ist, da ist auch Unlauterkeit, Verstellung, Falschheit, denn die Sünde kann nicht anders, sie muss sich verbergen, muss sich mit der Lüge durch die Welt helfen; wollte sie ihr Herz, ihre Gedanken, ihre Neigungen und Bestrebungen vor Jedermanns Augen offenbaren, so wäre es um sie geschehen und sie könnte nichts mehr ausrichten in der Welt; sie vermag nur dadurch etwas, dass sie sich den Schein der Wahrheit gibt. Willst du wissen, was Wahrheit ist, so schaue Christum an, welcher spricht: Ich bin die Wahrheit. Bei ihm aber leuchtet die Wahrheit nicht bloß im Wort, welches ohne Irrtum, sondern auch in seiner Liebe, welche ohne Mangel, und in seinem Wandel, welcher ohne Flecken ist. Wie weit bist du also von der Wahrheit entfernt, wenn deine Sünden und Übertretungen dich von Christo scheiden! Du bist nicht in Christo, Christus ist und lebt nicht in dir, so lange nicht dein Herz rein und dein Wandel heilig ist. Die Sünde ist seine Hausgenossin nicht, sondern wo sie Wohnung macht, da zieht er aus, und wo sie auszieht, da macht Er Wohnung. Haben wir das alles in und an uns, was gut heißt und ist, wohnt in uns die Liebe, die Freundlichkeit, die Gütigkeit, die Sanftmut, die Keuschheit, die Barmherzigkeit und alle andern Tugenden, ja, dann sind und leben wir in der Wahrheit. Davon kann man sagen, und dort nichts sonst: das ist das Wahre. - Und zugleich erlangen wir dadurch erst die rechte Würde. Alles, was ehrwürdig ist, darauf seid bedacht. Wir sollen ja ein Leben führen in aller Gottseligkeit und Ehrwürdigkeit (1 Tim. 2,2), und wie von den Alten in der Gemeinde verlangt wird (Titus 2), dass sie sollen ehrwürdig sein, so fordert Paulus an unserer Stelle die Ehrwürdigkeit vor allen Christen. Bist du denn ehrwürdig, wenn du durch Sünden und Untugenden die innere Würde verletzt, die dir Gott gegeben hat? Fürwahr, er hat dich hoch gestellt, denn zu seinem Ebenbild hat er dich geschaffen, und was die Sünde in und an dir entstellt hat, das will er durch Christum wieder herstellen, will dir die Würde wiedergeben, die du verloren hast durch die Sünde. Nun, wodurch erlangst du denn diese Würde? Doch dadurch nicht, dass du durch schlechten Sinn und Wandel dich, wie man es nennt, wegwirfst vor der Welt? Doch dadurch nicht, dass du der bösen Welt dich gleichstellst und Keiner an dir sehen und erkennen kann, dass du aus Gott geboren seist? Nein, der einzige Weg, auf dem du die rechte Würde erlangst, ist der christliche Tugendweg. Zeige solche Gesinnung, führe solchen Wandel, dass Jeder, der vor dir steht, ein Wesen höherer Art in dir erkennt, und dich achten muss, wenn er dich auch nicht lieben will. Weder Geld noch Gut, weder Ehre noch Macht, noch sonst irgend ein weltlicher Vorzug gibt dir Würde, sondern das tut die Tugend allein. Kein Salomo mit aller seiner Herrlichkeit kommt an Wert dir gleich, wenn er zwar reich und angesehen, aber schlecht ist, du zwar arm und verachtet, aber tugendhaft bist. Die Tugend zwingt die Leute, dich zu achten, und stellt dich so hoch, dass du deinen inneren Reichtum und Wert für kein irdisch Gut der Welt hingeben möchtest. - Und zugleich knüpft sie das Band der Freundschaft zwischen dir und Gottes Willen und Gesetz. Alles, was recht ist, darauf seid bedacht. Was nennt der Apostel recht? Was zusammenstimmt mit Gottes Willen und Gesetz. Es steht ja dies Gesetz nicht bloß äußerlich auf Papier, sondern der heilige Geist hat es mit seinem Griffel in unser Herz geschrieben. Muss es nun nicht dein Streben sein, in allen Dingen diesen heiligen Gotteswillen zu erfüllen? Aber durch die Sünde übertrittst du ja dies heilige Gesetz deines Gottes; die Sünde ist die Gesetzlosigkeit, ist das Unrecht. Durch sie geschieht nicht, was Gott will, sondern was das Gesetz in den Gliedern sagt und was der Teufel will, das tut die Sünde. Da folge du doch dem Willen deines lieben Vaters im Himmel, der wie ein Stern der Weisen dich nach dem himmlischen Jerusalem bringt. Lass es dein Streben sein jetzt und alle Zeit, dass du Alles unterlässt, was dich mit Gott und so auch mit dir selbst entzweit, und dass du dagegen tust, was recht ist und was der Herr, dein Gott, von dir fordert. Was kann doch dem tugendhaften Leben zu größerer Empfehlung dienen, als dass es gemäß ist Gottes Willen und seinem heiligen Gesetz! -

Wolltest du dich verunreinigen durch die Sünde? Nein! sagt Paulus, Alles, was rein ist, darauf seid bedacht. Die Sünder heißen die Unreinen, und sie sind es auch. Wie beflecken sie doch ihr Herz, wie verunreinigen sie ihren Sinn und ihren Wandel! Keine Flecken gibt es, die mehr uns schänden und sich tiefer einfressen in unser Herz und ganzes Wesen, als die Sündenflecken. Wer ein gutes, neues Kleid trägt, der geht vorsichtig, damit nicht Flecken darauf kommen. Gibt es ein besseres Kleid, als das Kleid der Gerechtigkeit, das uns Gott angezogen hat? Hast du nun dies Kleid im Glauben angezogen und bist ein neuer Mensch geworden durch deinen Erlöser, so lass es doch deine Sorge sein, dass du, was noch an Flecken sich bei dir findet, abtust und vor neuen Flecken dich hütest. -

Du kennst das Wort deines Erlösers (Matth. 5): Selig sind, die reines Herzens sind. Zu der Reinheit des Herzens soll kommen die Reinheit der Tat, wie von den Korinthern gerühmt wird (2 Kor. 7), dass sie nach der Buße, die sie getan, sich rein bewiesen in der Tat. Nun, Christen, reinigt auch ihr euer Seelenkleid in dem Wasser der täglichen Reue und Buße, und wo noch etwas Unreines sich bei euch findet, da tut es ab und. schmückt euch mit allen christlichen Tugenden als mit reinen, weißen Kleidern.

2.

Das Alles sagt Paulus, um uns das christliche, tugendhafte Leben lieb und wert zu machen. Wo Tugend ist, da ist Wahrheit, da ist Würde, da ist Rechtschaffenheit, da ist Reinheit. - Nun weist er uns, zweitens, auf das Urteil der Menschen hin und auf den Gewinn, den ein tugendhaftes Leben uns im Urteil der Menschen zu Wege bringt. - Alles, was liebenswürdig ist, darauf seid bedacht. Wer ist denn aber liebenswürdig? Ist es der reiche Mann, der alle Tage herrlich und in Freuden lebt? Ist es der Pharisäer, der hochmütig Andere verachtet? Ist es der Unbarmherzige, der dem armen Lazarus seine Tür verschließt? Ist es Ananias, der mit seiner Frau eins wird in der Bosheit? Ist es der Wollüstling, der in den Kammern der Unzucht lebt? Ist es vollends Judas, der die Unschuld verrät? Kurz, ist der Sünder, ist die Sünde liebenswürdig? Mag immerhin Jemand der Sünde anhangen und ihr folgen und von ihr sich nähren, kleiden, belustigen lassen, so muss er sie doch verabscheuen und hassen in seinem Herzen. Aber male dir das Bild eines Menschen aus, der die Tugenden in sich vereinigt, die das Evangelium uns empfiehlt, der demütig ist und sanftmütig und barmherzig und reines Herzens und friedfertig und geduldig; wir kennen ja einen Mann, der ohne Sünde war und aller Tugend teilhaftig, es ist Jesus Christus, von dem die Schrift bezeugt: er hat keine Sünde getan und ist kein Betrug in seinem Mund erfunden worden: sage doch, mein Christ, ist dieser Mensch nicht eben um des Guten willen, das in und an ihm ist, deinem Herzen lieb und wert? Es ist wahr, Christus wurde von der Welt gehasst und sogar gekreuzigt, weil er ein Gerechter war; aber wer nicht von den Kindern der Welt gehasst wird, der verdient nicht, von den Kindern Gottes geliebt zu werden. In dem Buch der Weltgeschichte glänzen nicht die Namen Kain, Herodes, Judas, aber die Namen Abel, Abraham, Johannes und aller andern Gerechten leuchten bis an's Ende der Welt. Was gut ist, zwingt uns Achtung und Liebe ab. Trachte denn danach, dass du der Liebe deiner Mitchristen wert werdest. Der Weg zur Liebenswürdigkeit ist dir von deinem Erlöser gebahnt, gehe diesen Weg; sei demütig vor Gott, bescheiden vor Menschen, habe die Brüder lieb, sei offen gegen sie und ehrlich, sanftmütig, geduldig, Böses mit Gutem vergeltend; ringe nach dem Tugendkranz, der geflochten ist aus Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glauben, Sanftmut, Keuschheit, so hast du in und an dir das, was Paulus in unserm Text liebenswürdig nennt. Beliebt kannst du dich in der Welt auch ohne Tugend machen, dazu reicht Klugheit aus und schlaue Benutzung der Schwächen Anderer; aber liebenswürdig bist du nur, wenn du tugendhaft bist. -

Wie aber Liebe, so hängt auch Ruf und guter Name an der Tugend. Alles, was wohl lautet, Alles, was einen guten Klang hat, darauf sei bedacht, spricht Paulus. Wie arm auch Jemand sei, so ist er doch reich zu nennen, so lange sein Name noch einen guten Klang unter den Menschen hat. Sei immerhin ein Tagelöhner, dessen Wohnung eine enge Kammer, dessen Speise ein Gericht Kraut, dessen Kapital ein einziger Groschen, dessen Angesicht mit Schweißtropfen, dessen Hand mit Schwielen bedeckt ist, so hast du dennoch einen großen Schatz, wenn alle, die dich kennen, von dir sagen: das ist ein gottesfürchtiger Mann, der Christum und die Brüder liebt, der eine gute Ehe führt, seine Kinder wohl erzieht, der fleißig ist, sparsam und doch sein Brot mit einem Hungrigen bricht, freundlich, dienstfertig gegen Jedermann. Wahrlich, mancher Reiche, der auf seinem Sterbebett liegt, gäbe seinen ganzen Reichtum darum, wenn er diesen Schatz eines guten Namens mit sich nehmen könnte in sein Grab. Mit der Verachtung, vielleicht gar mit dem Fluch der Menschen tritt er seine Reise an in die Totenwelt; du aber trägst in dir einen Schatz, den dir auch der Tod nicht nehmen kann, der sonst Alles nimmt. So sind wir's denn uns selbst schuldig, aber auch unserm Gott und Heiland, zu dem wir uns bekennen, danach zu trachten, dass Niemand irgend ein Böses uns nachsagen könne, oder, wenn er's tut, dass er daran lüge, vielmehr, dass wir guten Namen und Ruf haben, wie bei unsern Freunden, so sogar auch bei unseren Widersachern. Nicht, als sollten wir eitler Ehre geizig sein, - nein, zu einem tugendhaften Leben gehört vor allem auch die Demut, deren linke Hand nicht weiß, was die rechte tut, und die, wenn sie vor Gott steht, bittet: Vergib mir meine Schuld; die stille, fleißige, vor Gott demütige, vor den Menschen bescheidene Tugend ist es, die Paulus uns empfiehlt, wenn er spricht: was wohl lautet, darauf seid bedacht.

Und nun fasst er das Gesagte noch einmal kurz zusammen und bringt es unter zwei Namen; das Wahre, das Ehrwürdige, das Rechte, das Reine bringt er unter den Namen „Tugend“, ein Name, der sonst selten vorkommt in der Schrift, wenn von Menschen die Rede ist. Petrus braucht ihn (2 Petri 1,5): Reicht dar in eurem Glauben Tugend. In unserm Text wird er gebraucht, um das Gute zu bezeichnen nach seinem hohen, unschätzbaren Wert, den es in sich selber hat. Das Gute aber als das Liebenswürdige und Wohllautende nennt er „Lob“: jedwede Tugend, jedwedes Lob, darauf seid bedacht.

3.

Ist's das nicht auch, was uns vorgehalten wird im Evangelium? - Nun, so lasst uns nach einem tugendhaften Leben trachten auch um des Evangeliums willen. Paulus beruft sich auf seinen Unterricht, den er, mündlich und schriftlich, den Philippern erteilt hat. Was ihr auch gelernt und empfangen habt, das tut: damit weist er auf seine Lehre hin. Haben denn aber wir Brügger nicht ebendasselbe gelernt und empfangen? Woher wissen wir, was gut und der Wille unsers Vaters im Himmel ist? Die Heiden, obwohl das Gesetz in ihre Herzen geschrieben ist, tappen doch in Finsternis, weil die Sünde das natürliche Licht der Wahrheit mit Wolken des Irrtums bedeckt hat; von unsern Augen aber hat Gott die Wolken der inneren Verblendung weggenommen, und einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben (2 Kor. 4), durch das prophetische, durch das apostolische Wort. Von Kindheit auf sind wir unterwiesen in alle dem, was Tugend und Lob zu heißen verdient, und haben diesen Unterricht als eine teure Gabe empfangen aus der Eltern, aus der Lehrer, aus der Seelsorger Hand. Wer auch wenig wüsste, der weiß doch, dass er Buße tun, dass er von Herzen an Christum glauben, und dass er seinem Glauben gemäß göttlich gesinnt sein und leben soll; weiß doch, was Sünde ist und was er meiden, weiß, was Tugend ist und wonach er trachten soll; weiß, dass er Gott fürchten und lieben, dass er Vater und Mutter nicht betrüben, dass er Liebe gegen den Nächsten üben, dass er keusch und züchtig leben, jedem, was sein ist, lassen und geben, dass er wandeln soll in der Wahrheit Schein und sein Herz halten von Lüsten und Begierden rein. Tut das, spricht der Apostel, denn auch das ist euch gelehrt, dass ein Glauben und Wissen ohne Tun tot und eitel ist. Ihr wärt ja ärger als die Heiden, wenn, nachdem der Tag für euch angebrochen ist, ihr dennoch leben und wandeln wolltet, als wäre es noch Mitternacht; es würde so den Leuten aus Sodom und Ninive erträglicher gehen am jüngsten Tag, als euch. Die Propheten, die Apostel, die eure Lehrer gewesen sind, würden euch verklagen, und der Herr selbst, der euch den Weg zum ewigen Leben gewiesen hat, würde euch hineinweisen in die äußerste Finsternis. -

Nicht aber habt ihr bloß den Unterricht empfangen, sondern zu dem Unterricht auch das Beispiel. Was ihr gehört und gesehen an mir, gehört aus der Ferne, gesehen in der Nähe; das tut, spricht Paulus, und weist damit auf sein Beispiel hin. Es ist keine Selbstüberhebung und kein Selbstruhm, wenn er sein eignes Beispiel uns vorhält. Denn für's Erste spricht er keine Lüge aus. Paulus war nicht ein Mann, auf den das Wort passte: Tut nach meinen Worten, aber nicht nach meinen Werken. Was er lehrte, darauf setzte er das Siegel der Tat, denn hat es je einen Heiligen gegeben, der gelebt hat, wie er gelehrt, so war es Paulus. Darf denn ein Heiliger, wenn er sein früheres und späteres Leben vergleicht, nicht des Unterschiedes sich freuen und die Seinigen hinweisen auf das große Werk, das Gott an ihm getan, und das so lautet: Das Alte ist vergangen, es ist Alles neu geworden? darf er es nicht, zumal wenn er, wie Paulus, unser Lehrer und geistlicher Vater ist? darf er es nicht, wenn er, wie Paulus, in seiner Tugend nicht sein eigenes Werk und Verdienst, sondern allein das Werk der göttlichen Gnade preist, sagend, bekennend: Aus Gnade bin ich, was ich bin? darf er es nicht, wenn er, wie hell auch seine Tugend glänze, doch immer noch der Demütige ist, welcher spricht: Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich nach dem, das vorne ist? darf er es nicht, wenn er aus seinem Beispiel eine Leuchte machen will, die uns den Weg zeige, auf dem wir gehen und wandeln sollen? Nun, Christen, lasst uns denn diesen Weg gehen. Das Evangelium ist nicht ein totes Licht, es ist auch leuchtende Tat. Es zeigt uns hundert Heilige und unter diesen Heiligen ist der heiligste unser Erlöser selbst, der an sich sehen lässt, was irgend Tugend und Lob zu heißen verdient. Sind wir so reich an Lehre und Vorbild, so lasst uns dies teure Pfund nicht vergraben, sondern also anlegen, dass es gute Zinsen trage.

4.

Zu diesen Zinsen gehört namentlich der Friede Gottes, der uns zu Teil wird, wenn wir die Tugendbahn wandeln. Auch um dieses Friedens willen lasst uns nach einem tugendhaften Leben trachten. Die Verheißung in unserm Text lautet so: Der Gott des Friedens wird mit euch sein. Es ist hier der Friede gemeint, der, wenn er unser Herz regiert, alle Unruhe und Qual aus dem Herzen nimmt, und die Seele mit Ruhe, Freude und Trost erfüllt, - derselbe Friede, von dem kurz zuvor gesagt ist, dass er unsere Herzen und Sinne bewahre in der Gemeinschaft Jesu Christi. Denn das ist sein zwiefaches Werk, dass er uns nicht nur zum Glauben und christlichen Leben stärkt, sondern auch, wenn wir in Beidem treu sind, wie ein Engel vom Himmel uns labt und erquickt. Er ist nicht nur die Wurzel, sondern auch die Krone eines tugendhaften, christlichen Lebens. Paulus aber trennt den Frieden nicht von Gott, sondern, anstatt zu sagen „der Friede Gottes“, spricht er: „der Gott des Friedens“, weil, wo dieser Friede ist, da Gott selbst zugegen ist. Der Apostel beschreibt und den Frieden als ein „Gott mit euch.“ Schöneres, Köstlicheres gibt es in dieser Welt nicht, als wenn ein Mensch in voller Zuversicht sagen kann: Gott mit mir. Da hat er nicht bloß eine Gabe von Gott, sondern mit der Gabe auch den Geber, dessen segensvolle Nähe er bei jedem Schritt und Tritt in seinem Leben spürt; denn immer ist ihm, als hielte ihn Gott an seiner Hand, und auch die kleinsten, unscheinbarsten Fügungen in seinem Leben gehören zu den Fäden, woraus Gott sein Leben so wunderbar zusammenwebt, dass er wohl zehnmal am Tage sich herzlich über seinen Begleiter von Oben freuen und sprechen muss: du lieber, treuer Vater! Und wie still und friedlich ist's in seinem Herzen! Die ein böses Leben führen, wissen von dieser Friedens-Macht im Herzen nichts. Mögen sie immerhin frech und schamlos genug sein, um allem Sturm des Gewissens und der Trübsal Trotz zu bieten, so können sie doch nicht wie die Kinder Gottes fröhlich sprechen: Gott mit uns. Ihre Seelenruhe ist wie das stille Wetter in der Nähe eines Sturms. Der Sturm wird bald genug ausbrechen in ihrem Herzen, wenn's nur zu harter Trübsal oder gar zum Sterben mit ihnen kommt; oft aber bricht er schon viel früher aus. Denn wo ist Weh? wo ist Leid? wo ist Klagen? wo sind Wunden? wo sind rote Augen? Antwort: da, wo die Sünde haust und regiert. Christen, wollt ihr dieser Qual euch unterwerfen? Ach, ihr werdet es ja schon aus Erfahrung wissen, wie schwer das Joch der Sünde ist. Christi Joch dagegen ist sanft und seine Last ist leicht. Er fordert wohl Kampf und Arbeit von euch, aber der Groschen zum Tagelohn, den er euch gibt, ist der Friede, ist das Gott mit euch. Ist Gott mit euch, wer will wider euch sein? Die Sünde, die sonst das Herz so unruhig macht, ist vergeben, die Gerechtigkeit Gottes an ihre Stelle getreten. Trübsal, Not, Tod, es hat seinen Stachel verloren, wenn der Gott des Friedens mit euch ist. Und er ist es, wenn ihr euch auf dem Wege eines tugendhaften Lebens finden lasst: Wollen wir nun noch fragen, warum wir eines solchen Lebens uns befleißigen sollen? O, wenn irgend etwas, so hat die Tugend einen göttlichen Wert in sich selbst. Unter den Dingen der Welt hat das eine einen größeren Wert, als das andere, aber keins von allen hat den Wert der Tugend, die das alles befasst, was irgend wahr, ehrwürdig, recht und rein zu heißen verdient; die uns liebenswürdig macht und unserm Namen einen guten Klang verleiht; deren Licht zusammenfällt mit dem Himmelslicht des Evangeliums; die unser Herz mit Ruhe, Trost und Freudigkeit erfüllt, so dass wir sprechen können: Gott mit uns!

Nun, führe mich, mein Gott!
Und lass es nicht geschehen,
Dass ich auch einen Schritt
Nur ohne dich sollt' gehen;
Denn wo ich selbst mich führ',
So stürz' ich mich in Tod,
Führst du mich aber, Herr,
So hat es keine Not!

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