Hofacker, Ludwig - Predigt am siebenundzwanzigsten Sonntage nach Trinitatis

Hofacker, Ludwig - Predigt am siebenundzwanzigsten Sonntage nach Trinitatis

als am Dank-Feste für Ernte und Herbst.

„Ich recke meine Hände aus den ganzen Tag, zu einem ungehorsamen Volke, da seinen Gedanken nachwandelt auf einem Wege, der nicht gut ist“ – so spricht der HErr durch den Propheten Jesajas (Jes. 65,2.) von dem Volke Israel, indem Er Seine herzliche Barmherzigkeit, Sein brünstiges Verlangen, daß ihm geholfen werden möchte, Seine überfließende väterliche Langmuth und Treue und Geduld, mit dem Betragen des Volkes Israel gegen Ihn zusammenstellt und vergleicht. Ich recke, ich breite meine Arme aus, wie eine Mutter ihre Arme gegen ihre Kinder ausbreitet, Ich warte den ganzen Tag, ja das ganze Jahr, ob sie Mir nicht möchten in die Arme laufen, mein Herz bricht mir gegen sie; aber sie thun es nicht, sie sind ein ungehorsames Volk, das nur desto unverschämter auf seinen eigenen Wegen beharrt, sie wollen nicht Buße thun.“ Liebe Zuhörer! man braucht nicht eben besonders scharfsichtig, oder besonders trübsinnig zu seyn, um bey einem flüchtigen Blick auf unsere Zeit und auf das gegenwärtige Geschlecht den prophetischen Ausspruch bis auf den heutigen Tag noch wahr zu finden; denn noch jetzt bestätigt sich es: „der HErr recket seine Hände aus den ganzen Tag, zu einem ungehorsamen Volke, das seinen eigenen Gedanken nachwandelt auf einem Wege, der nicht gut ist. Ja, höret, ihr Himmel, und du Erde, nimm es zu Ohren, denn der HErr redet: „Ich habe Kinder auferzogen und erhöhet, und sie sind von mir abgefallen; ein Ochse kennet seinen Herrn, und ein Esel die Krippe seines Herrn, aber Israel kennet es nicht, und mein Volk vernimmt es nicht.“ Solche Beobachtungen dringen sich besonders dann der Seele auf, wenn man von Tagen aus, wie der heutige ist, einen nachdenklichen Blick auf die Vergangenheit wirft, und deßhalb habe ich mir vorgenommen, unter dem göttlichen Beystande über die Worte Pauli zu euch zu reden, welche im Briefe an die Römer, im zweiten Kapitel und dessen viertem Verse geschrieben stehen, und also lauten:

„Weißest du nicht, daß dich Gottes Güte zur Buße leitet?“

Ich will

  • I. einige Worte über die Güte Gottes zu euch reden, und
  • II. zeigen, wie sie uns zur Buße leiten soll.

I.

„Weißest du nicht, daß dich Gottes Güte zur Buße leiten soll?“ so schreibt der Apostel Paulus in großem Eifer an Diejenigen, die den Reichthum der Güte, Geduld und Langmüthigkeit Gottes verachteten, die es nicht zu Herzen nehmen wollten, welch’ eine unverdiente Barmherzigkeit Gottes über ihnen walte, daß sie nicht schon längst weggerafft seyen, und die eben aus dieser Gesinnung heraus sich an Andern aufhielten, und die eigene Buße vergaßen. Diesen ruft er in großem Eifer unsere Textesworte zu, und ich wage es, an dem heutigen Tage euch dasselbe entgegen zu halten: wisset ihr nicht, daß euch Gottes Güte zur Buße leitet?

Zwar muß man beynahe fürchten, bey Manchen anzustoßen, wenn man die Güte Gottes an einem Ernte- und Dank-Fest anpreist. Zwar gibt es Manche, die nur zu klagen, nicht aber zu loben und zu danken wissen, die da reich und nimmermehr zufrieden und satt werden wollen, und darum auch in die Strickt der Undankbarkeit hineinfallen, oder solche, die es wohl leiden mögen, wenn von den Kanzeln aus die Güte Gottes angepriesen wird, die aber in ihrem eigenen Herzen mehr oder weniger todt und kalt dafür sind, welche kein herzhaftes Wörtlein zur Ehre des großen Gottes aus dem Herzen und Munde geht, oder die, wenn sie auch davon reden, es doch nicht von ganzem Herzen meinen; aber dieß Alles thut nichts zur Sache, die Güte Gottes will ich preisen, die unverdiente Güte Gottes, die sich auch in diesem Jahre an uns verherrlicht hat. Bekennet es, bekennet es, Brüder und Schwestern, daß der HErr barmherzig ist, und gnädig und geduldig, und von großer Gnade und Treue; gebt unserem Gott die Ehre!

Der heutige Tag erinnert uns an die Güte Gottes in gedoppelter Beziehung, einmal, sofern er der letzte Sonntag des entschwundenen Kirchenjahres ist, und uns also den geistlichen Segen vor Augen rückt, den uns die Gnade Gottes darin genießen ließ; für’s Andere, sofern er der öffentliche Danktag ist für die leiblichen, in diesem Jahre aus Gottes Vaterhand dahingenommenen Gaben. ich werde wohl nicht im Stande seyn, alle die Wohlthaten Gottes, die Er uns im Leiblichen und Geistlichen in diesem zu Ende eilenden Kirchenjahre bescheret hat, aufzuzählen; ich werde Solches nicht im Stande seyn, denn es ist ja Alles, Alles voll der Güte des HErrn, Seine Güte ist ja alle Morgen neu, sie umgibt uns wie die Luft, die wir einathmen, sie trägt uns, sie leitet uns, sie beschützt uns; ohne die Güte Gottes können wir keinen einzigen Tag leben; Gottes Güte ist es, daß wir da sind; Gottes Güte, daß wir gekleidet sind, Gottes Güte, daß wir heute erwacht sind, Gottes Güte ist jeder Pulsschlag, jeder Athemzug; was wir sind, haben und genießen, ist Ausfluß der Güte Gottes, es ist Alles, Alles lauter Güte Gottes. Da möchte man mit dem Psalmisten sprechen: „Du hast meine Nieren in Deiner Gewalt, Du warest über mir im Mutterleibe; ich danke Dir dafür, daß ich wunderbarlich gemacht bin, wunderbarlich sind Deine Werke, das erkennet meine Seele wohl; es war Dir mein Gebein nicht verhohlen, da ich im Verborgenen gemacht ward, da ich gebildet war unten in der Erde; Deine Augen sahen mich, da ich noch unbereitet war, und waren alle Tage auf Dein Buch geschrieben, die noch werden sollten, und derselben Keiner da war. Aber wie köstlich sind vor mir, Gott, Deine Gedanken? wie ist ihrer eine so große Summe? sollte ich sie zählen, so würde ihrer mehr seyn als des Sandes am Meer.“ Insofern, liebe Zuhörer, hat ein Christ jeden Tag einen Danktag für die Güte des HErrn; aber doch besonders dann, wenn er einen Abschnitt seiner Lebensreise zurückgelegt hat, und zurückblickt auf die Wunder der Güte Gottes, die täglich über ihm neu gewesen ist. Wer kann sie zählen? wer kann sie berechnen? wer ist im Stande, sie auch nur einigermaßen im Ueberblicke zusammen zu fassen? Es ist unmöglich. Und das Alles so unverdient! Wenn der HErr gehandelt hätte mit uns nach Verdienst und Würdigkeit, nach unsern Sünden und Uebertretungen, so wären wir wie Sodom und gleich wie Gomorrha geworden, und nun hat Er nicht bloß nicht nach unsern Sünden mit uns gehandelt, sondern dazu noch unaussprechlich viel Gutes uns erwiesen! „Gebt unserem Gott die Ehre.“

Was hat Gott nur im Leiblichen an uns gethan? Wahrlich, was Paulus zu Lystra predigte (Apostelgesch. 14,17.), darf ich heute unter euch auch verkündigen: „Er hat Sich selbst nicht unbezeugt gelassen, hat uns viel Gutes gethan, und vom Himmel Regen und fruchtbare Zeiten gegeben, unsere Herzen erfüllet mit Speise und Freude.“ Ein Jahr mit 365 Tagen liegt hinter uns, an jedem dieser Tage hat der HErr uns Speise gegeben, und wir sind satt worden. Wir haben es nicht verdient, wir sind es nicht werth gewesen; es ist wahr, was in jenem Tischgebet steht:

Jeder Tropfen, jeder Bissen,
Den mir Deine Hand beschert,
Rufet mir in mein Gewissen:
Bist du auch der Eines werth?

Wir haben es auch nicht selbst erworben durch unsern Verstand, Klugheit, Geschicklichkeit, Arbeit und Schweiß. Nein! Sein Segen ist es gewesen, und sonst nichts als Segen; denn wenn Er Seine Segenshand zurückzöge, so müßte auch der Fleißigste des Hungers sterben. Und ist’s denn allein die Speise, deren wir bedürfen? haben wir nicht noch viele andere Bedürfnisse, die der treue Gott befriedigt hat? wer hat uns unsere Gesundheit erhalten? wer hat uns aus Krankheitsnoth herausgerissen? wer hat uns, wenn wir krank waren, so mannigfaltig, so vielfach erquickt? wer hat uns unsere Kräfte wieder geschenkt? wer ist denn der Mann, der solches Alles gethan hat, der uns hindurch gebracht hat bis hieher, vielleicht unter viel Trübsal, aber dennoch durchgebracht, durcherrettet, durchgesegnet, durchgeholfen, wer ist Er denn? Das ist der Gott, den wir oft beleidigt haben, der aber, wie Er dem Vieh sein Futter gibt, den jungen Raben, die Ihn anrufen, also auch und noch vielmehr unserer gedacht hat, nach Seiner allwaltenden, Alles erquickenden, Alles ernährenden, Alles belebenden Güte! Trete Einer auf und sage, ob er, wenn auch das tägliche Brod und die täglichen Bedürfnisse nicht immer reichlich vorhanden waren, dennoch am Nothwendigsten Mangel gehabt habe? Ich frage: habt ihr auch je Mangle, wahren Mangel gehabt? O liebe Zuhörer! rechnet nur einmal zusammen, was ein einzelner Mensch Jahr aus Jahr ein für die Befriedigung seiner nothwendigsten Bedürfnisse braucht, welche Summe wird sich da anhäufen! Wenn es zu einer Summe zusammengerechnet würde, und man würde einem Hausvater am Anfange eines Jahres sagen: siehe! dieß wird deine Ausgabe seyn im kommenden Jahre, glaubet sicherlich, nach unserer ungläubigen Art, die Meisten unter euch würden verzweifeln, und sagen: es ist nicht möglich; dieß vermag ich nicht aufzubringen und aufzuwenden. Wenn unser König aus seinen eigenen Mitteln sein Volk speisen müßte, glaubet mir, in wenigen Tagen würden diese Mittel erschöpft seyn. O welch’ eine weise und herrliche Haushaltung des großen Gottes! und in dieser Haushaltung leben auch wir, auch wir sind wieder in diesem Jahre Kostgänger an dem großen Tische des reichen Gottes gewesen, und haben unseren bescheidenen Theil dahingenommen. „Gebt unserem Gott die Ehre!“

Nun denke zurück, du Volk, das der HErr gesegnet hat! Wer hat dir Regen und Sonnenschein, wer hat dir gute und gedeihliche Witterung gegeben? wer hat deinem Ackerfeld befohlen, daß es solle seine Frucht geben zu seiner Zeit? wer hat die Weinstöcke geheißen, ihre Trauben zu tragen? wer hat die Winde regiert, daß sie das eine Mal Regen, das andere Mal heiteres Wetter brachten, je nachdem das Gewächs und das Erdreich es bedurfte? wer hat dir deine Arme gestärkt, daß du in diesem Sommer das Feld bauen konntest? wer hat dem Hagel befohlen, daß er dich nur warnen, nicht aber verderben soll? Wer hat solches Alles gethan? habt ihr solches gethan mit euren Armen, mit eurem Fleiße? Nein! das hat der HErr gethan! hebet eure Augen in die Höhe und sehet! wer hat solche Dinge geschaffen? Sein Vermögen und starke Kraft ist so groß, daß es nicht an Einem fehlen kann. „Gebt unserem Gott die Ehre!“

Und ist das Alles, was Er an uns gethan hat? Kann ich die verschiedenen Verhältnisse und Errettungen und Durchhülfen anführen, die jeder Einzelne in seinem Theile erfahren hat? Was müßte ich nur erzählen, wenn ich bloß meinen Lauf durch dieses einzelne Jahr, wenn ich die Güte Gottes, die nur in diesem Jahre meines Lebens über mir gewaltet hat, euch erzählen, wenn ich Seine errettende, helfende, durchdringende, wunderbare Hand über mir euch beschreiben wollte! Ich bin aber nicht der Einzige in dieser Gemeinde, der solches erfahren hat. Ich weiß, es sind noch Viele da, die bey’m Rückblick auf das verflossene Kirchenjahr mit mir einstimmig preisen werden: „lobe den HErrn, meine Seele, und was in mir ist, Seinen heiligen Namen, lobe den HErrn, meine Seele, und vergiß nicht, was Er dir Gutes gethan hat!“

Ja, in wie viel Noth
Hat nicht der gnädige Gott
Ueber dir Flügel gebreitet!

Lobe den HErrn, der sichtbar dein Leben gesegnet,
Der aus dem Himmel mit Strömen der Liebe geregnet,
Denke daran,
Was der Allmächtige kann,
Der dir mit Liebe begegnet.

Dieß sind nur einige leibliche Wohlthaten, was soll ich aber von den geistlichen sagen? Nächsten Sonntag ist der erste Advent. Wie oft seyd ihr seit dem Advent des vorigen Jahres hier in diesem Hause zusammen gekommen! wie oft habt ihr wenigstens Gelegenheit gehabt, hieher zu kommen! wie oft haben die Glocken zusammengeläutet, um euch hieher zu rufen! Ich weiß, es ist euch in diesem Kirchenjahre von dieser Kanzel nur das reine, lautere Evangelium geprediget worden. Wie oft ist euch die Liebe Gottes in Christo JEsu verkündiget worden! wie oft seyd ihr aufgefordert worden, eure Seligkeit zu schaffen mit Furcht und Zittern! wie oft ist der Ruf an euch ergangen: lasset euch versöhnen mit Gott! Ihr könnet es nicht läugnen, ihr habt das lautere, apostolische Wort Gottes gehabt das ganze Jahr hindurch! Und Gott hat Sich auch nicht unbezeugt gelassen an euren Herzen; es ist wohl keine Seele unter uns, welcher nicht schon auf diese oder jene Weise die Kraft des Wortes Gottes an das Herz gedrungen wäre. Ihr konntet Theil haben am Leibe und Blute Christi, wenn ihr wolltet; ihr konntet euch stärken im Elend dieser Zeiten, und bey der Verzagtheit eurer Herzen, an dieser Himmelsspeise: und habt ihr nicht auch hie und da, außer der Kirche, zu Hause und auf dem Felde, unter der Arbeit und in der Ruhe Züge des Geistes Gottes an eurem Herzen erfahren? Ihr hattet die Bibel in euren Häusern und viele andere gute Bücher, die ihr gebrauchen konntet zur Erbauung und Stärkung eures inwendigen Menschen; ihr konntet euch in der Ruhe bekehren zu dem lebendigen Gott; Niemand hinderte euch daran; man darf ohne Furcht dem HErrn dienen; man darf noch predigen vom Kreuze Christi; man darf noch im Namen JEsu seine Kniee beugen; man darf noch den Heiland frey bekennen vor den Leuten, vor einem argen, unschlachtigen Geschlechte; Satan hat noch nicht so viele Macht, daß er die Kirche Christi ausrotten oder gar verderben könnte; der Abfall, obwohl er mit Riesenschritten hereingebrochen ist, hat doch noch nicht so große Fortschritte gemacht, daß die ganze Feindschaft der Menschen dieser Zeit gegen die Jünger und Zeugen JEsu hätte ausbrechen dürfen; der es aufhält, ist noch nicht hinweggethan, wir leben noch in einer Ruhezeit, wir dürfen immer noch laut rühmen:

Der HErr ist nun und nimmer nicht
Von Seinem Volk geschieden;
Er bleibet ihre Zuversicht,
Ihr Segen, Heil und Frieden,
Mit Mutterhänden leitet Er
Die Seinen stetig hin und her,
Gebt unserm Gott die Ehre!

Liebe Zuhörer! Ist das keine überschwänglich große Güte Gottes? Wir können es nicht läugnen. Doch du sprichst: ich sehe nichts Besonderes in diesen Dingen, so ist es von jeher gewesen, und wird auch wohl so bleiben. Lieber Mensch! der du so sprichst oder denkst, du weißt nicht, was du redest. Ist es denn nichts Besonderes, daß das Zeugniß von JEsu noch feste stehet, und nicht durfte angetastet werden, obgleich Einer, dessen grausame Rüstung große Macht und viel List ist, demselben von Herzen gram und feind ist, und es mit Feuer und Schwert zu zerstören trachtet? Ist es nicht etwas Besonderes, daß, da wir mit unserer Lauheit und Trägheit es schon längst verdient hätten, das Wort vom Kreuze doch noch nicht aus unserer Mitte gethan ist? Ist es nicht etwas Besonderes – und eine unverdiente Wohlthat des HErrn der Gemeinde, daß in dieser letzten betrübten Zeit, in dieser Abend-, in dieser Mitternacht-Stunde – doch eine so ernstliche Stimme des großen Hirten der Schafe aller Orten an dieser Schafe ergeht, aufzustehen vom Schlage, und sich zu rüsten, mit dem HErrn der Herrlichkeiten dort zu prangen, hier zu streiten? Siehe, in den Ländern, wo das Evangelium zuerst Wurzel gefaßt hat, wo die Apostel des HErrn zuerst Seelen für das ewige Königreich JEsu Christi geworben haben, wo das Reich Gottes geblühet hat, und sogar durch das Blut mancher Streiter Christi das Zeugniß vom Evangelium versiegelt worden ist, siehe, in jenen Ländern ist in furchtbare Erfüllung gegangen, was der HErr der Gemeinde, der die sieben Sterne in Seiner Rechten hält, und wandelt unter den sieben goldenen Leuchtern, der Herzen und Nieren erforscht, der Gemeinde zu Ephesus drohen ließ: „Thue Buße und thue die ersten Werke. Wo aber nicht, werde ich dir kommen bald, und den Leuchter wegstoßen von seiner Stätte, wo du nicht Buße thust.“ Dieß ist ja schrecklich eingetroffen; wo ist denn nun der Leuchter von Ephesus, und von den sechs andern Gemeinden des HErrn? ihre Lichter sind ja erloschen, ihre Leuchter sind weggestoßen, und ihre Stätte kennet man nicht. Und wir, liebe Brüder und Schwestern, haben noch das Evangelium, uns ist es noch gelassen, wir haben es noch zum Trost, zur Kraft, zur Speise auf dem Wege durch die Wüste dieses Lebens, wir haben es noch, obgleich es so Viele verachten; der HErr lässet Seine Gnade uns Allen noch anbieten; ja, das Himmelreich drängt sich herzu an die Seelen der Menschen, und dieß Alles in einer so bewegten Zeit, in einer Zeit, wo die Liebe in so Vielen erkaltet, wo der Eigennutz und die Genußsucht das innerste Mark der Gesellschaft anfressen; in einer solchen Zeit ruft, schreyt, locket JEsus Christus, der HErr der Herrlichkeit, weit und breit, um Jeden, der sich retten läßt, als einen Brand aus dem Feuer zu reißen: ihr müden Seelen, ihr unruhigen und unseligen Geister versäumet nicht einzukommen zu meiner Ruhe Lieblichkeit.

II.

Was soll aber diese Güte Gottes, die uns im Leiblichen und Geistlichen gesegnet hat und noch segnet, was soll sie bey uns wirken? Der Apostel antwortet uns darauf, wenn er sagt: „weißest du nicht, daß dich Gottes Güte zur Buße leitet?“ Zur Buße, zur Buße soll sie uns leiten. Gott ist ein wunderbarer Gott; Er thut allenthalben große Dinge; Er kehrt bey den Menschen ein, bald mit diesem, bald mit jenem; Er bringt in Noth und hilft heraus, Er läßt oft die Noth auf’s Höchste kommen, ehe Er heraus hilft, aber Alles soll zur Buße leiten. Dieß ist Sein letzter Zweck bey allen Seinen Wegen und Führungen.

Was hat Gott beabsichtigt mit den vielen Jahren, die aufeinander gefolgt sind, mit den Jahren der Heimsuchung, da der Herbstsegen bald zum Theil, bald aber auch ganz ausblieb, während in benachbarten Ländern und Orten die Leute sich ergiebiger Jahre zu erfreuen hatten? Was hat Gott in unserer Zeit mit den schweren Heimsuchungen gewollt, die Er über die Menschen hereinbrechen ließ, da das Kriegsfeuer gelodert hat von einem Ende Europa’s bis zum andern, da das Schwert unsere deutsche Jugend fraß, und Eltern und Geschwister in Jammer und Trauer stürzte? Was hat Er gewollt mit der Theurung und Hungersnoth, die über ganz Deutschland kam, und bald darauf mit jener Wohlfeilheit, mit jener Stockung im Handel und Gewerbe, daß die letzte Noth für Manche fast zu größerem Schaden gereichte als die erste? Was hat Gott mit Allem diesem gewollt? Antwort: das, daß die Menschen möchten Buße thun, daß sie Seine Oberherrlichkeit möchten anerkennen, sich unter Seine gewaltige Hand demüthigen, daß sie ihre Sünden erkennen, und Heil und Gnade suchen möchten. Das hat Er gewollt. Und was will Er jetzt durch die gegenwärtigen, überaus gesegneten Jahre? Weiter nichts anders, als daß wir Buße thun sollen. Er nimmt in unserer Zeit ein Werkzeug um das andere aus Seiner göttlichen Rüstkammer heraus; Er versucht es mit Verschiedenem; Er versucht es mit Lieben und mit Leiden; Er sucht die Menschen heim mit Mißwachs und Fruchtbarkeit, mit Krieg und Frieden, mit Mangel und Ueberfluß, mit Krankheit und Gesundheit, mit Tod und Leben, Alles dazu, daß sie Buße thun; ihre Sünden erkennen, und zum Heiland und Bischof ihrer Seelen fliehen sollen. Denn die Menschen wollen nicht Buße thun; sie entfernen sich immer mehr von Gott; sie hängen sich immer mehr an das Eitle und Nichtige. O mit was wird es Gott noch versuchen müssen, um uns zu beugen und zu demüthigen, auf daß wir Ihm die Ehre geben, und Ihm huldigen als unserem König und HErrn!

Sehet euch um in der Welt, wo ihr wollt, blicket in das Morgenland und in’s Abendland, o wie viele Tausende seufzen da und dort in dem gräßlichsten Elend, und haben zu kämpfen mit Krankheit, Hunger und Krieg, und leben in Kummer und beständiger Furcht des Todes, während man bey uns im Frieden sein Feld baut, im Frieden sein Brod ißt, im Frieden einschläft und aufsteht, ja während bey uns ein Jahr des Ueberflusses und des Segens auf das andere folgt. O liebe Zuhörer! was wollen wir denn hierzu sagen? Sind denn wir besser als unsere Brüder in Osten und Westen? Verdienen wir es weniger, von den strafenden Gerichten des eifrigen Gottes heimgesucht zu werden? Hätte der Heiland bey uns weniger Ursache, Seine Tenne zu fegen und die Spreu vom Waizen zu sondern? Sind wir bußfertiger als jene, gläubiger als jene? Folgen wir dem Lichte der Erkenntniß, das wir haben, treuer als jene? Sind wir auch dankbarer dafür, und eifriger als jene, weil uns Gott mit Seinen Gerichten bis jetzt verschont hat? O nein, nein! Gnade ist es, eine unverdiente Gnade und Wirkung des Blutes, das in dem innern des himmlischen Heiligthums niedergelegt ist, und das bis jetzt um Barmherzigkeit für uns geschrieen hat. „Glaubet ihr, daß die Achtzehn, auf welche der Thurm zu Siloah fiel und erschlug sie, seyen schuldig gewesen vor allen Menschen, die zu Jerusalem wohnen? ich sage nein! sondern, so ihr euch nicht bessert, werdet ihr Alle auch also umkommen.“ Solche Beispiele stellt Gott aller Welt vor Augen, damit sei Seinen heiligen Ernst darunter erkennen, und Buße thun, und sich zu Ihm wenden aus aller Welt Enden.

Und so ist es auch mit den geistlichen Wohlthaten, die wir genießen. Ihr möget euch umsehen in der Welt, wo ihr wollet, so findet ihr kein Land, wo Denen, die sich zu Christo bekehren wollen, weniger Hindernisse in den Weg gelegt werden als in unserem Vaterlande; man kann sich ruhig zu Christo bekehren, die Gemeinde kann sich im Frieden erbauen. Wir haben allgemein die Bibel, die Katholiken nicht, häufig gilt es bey ihnen für ein Verbrechen, das bestraft wird, wenn man eine Bibel in seinem Hause hat. Wir haben das lautere, biblische Evangelium; viele Protestanten und Katholiken nicht; es gibt ganze Landstriche im protestantischen Deutschland, wo das Wort von der Versöhnung durch Christum gar nicht mehr gehört wird, wo man statt etwas vom Heilande und den Thaten Seiner Liebe nur das elende Tugendgeschwätz anhören muß. Wir können und dürfen in den Häusern zusammenkommen und uns gemeinschaftlich erbauen, mit einander singen und beten, es gibt wenige Länder im protestantischen Deutschland, wo dieß obrigkeitlich mit solcher Ausdehnung erlaubt ist, häufig müssen sie es an solchen Orten heimlich thun. O wie sehnen sich solche Leute nach der Freiheit, die wie genießen! Wir können alle Wochen vier bis fünf Mal das reine, lautere Wort Gottes in dieser Kirche hören, und dürfen nicht weit gehen, um diese Wohlthat zu genießen; was meinet ihr, wie dankbar würde dieß Solche an manchen Orten machen, die vier bis acht Stunden weit gehen oder fahren müssen, bis sie nur eine Predigt hören können? Wir haben Schulanstalten, in allem Frieden können unsere Kinder in Allem, was sie als Christen und Menschen zu wissen nöthig haben, unterrichtet werden; ach, wie sind wir so undankbar, wie schätzt man solche Wohlthaten so wenig, und denkt, so verstehe es sich von selbst. Vor dreyhundert Jahren gab es noch keine solchen Schulen bey uns, wie es jetzt gibt; das lautere Wort Gottes war verdrängt, Finsterniß deckte den Erdkreis und Dunkel die Völker, und mit vieler Mühe, Sorge und Arbeit kam es zu dem, was wir jetzt im Frieden genießen; was unsere Väter gesäet haben, oft unter vielen Thränen, das ernten wir jetzt, und meinen dabey, es müsse so seyn. Und was soll ich von den Heiden sagen, von den vielen Millionen Seelen, die keine Bibel, keinen Trost haben, die nichts von einem Heiland, nichts von einem Versöhner und Bürgen, nichts von einer Ewigkeit, nichts von einer Vorsehung wissen; die dahin gehen in der Finsterniß und Blindheit ihres Herzens, und ihre Kniee beugen vor todten Götzen, die nicht helfen können? Wie gar anders ist es bey uns! das Alles aber thut Gott an uns, auf daß uns das Herz brechen möchte; - auf daß wir Seine große Güte erkennen und Buße thun möchten.

Aber wie thun wir Buße? O liebe Seelen, wie thun wir Buße? Erkennen wir denn auch die Güte Gottes an, daß wir Ihm darüber danken? Ach Wenige, Wenige! Viele, Viele unter uns lassen sich einmal über das andere rufen, lassen sich im Namen Christi zur Buße auffordern, lassen die Kraft des Wortes Gottes durch den Heiligen Geist an ihr Herz dringen und doch nicht durchwirken zur Sinnes-Aenderung, bleiben ungerührt und unbewegt, versunken und vertieft im Eiteln und Irdischen und in ihren Sünden. Was konnte Gott von uns erwarten, von uns, welchen Er Sein Wort, Seine Sacramente gibt, welchen Er Frieden schenkt, um das Heil unserer Seelen zu schaffen! Meinet ihr, Gott habe keinen Zweck dabey? Er lasse umsonst bitten und rufen und schreyen und beschwören: „lasset euch versöhnen?“ meinet ihr, das Alles sey uns von Gott nur zum Zeitvertreib gegeben? Nein, nein, so wahr der HErr lebet, diese Worte, diese Gnade wird Er einst von unsern Händen fordern; Er wird sagen: Ich habe dich gesucht, und du ließest dich nicht finden; Ich habe dir gerufen, und du wolltest nicht hören; Ich habe dich durch Mein Wort und meine Sacramente zum Genuß meiner Gnade geladen, und du bist rückwärts gegangen, und hast sie verachtet und verschmäht. O was wollen wir dann antworten? Zudem könnte die Heimsuchung über unsere Unbußfertigkeit in dieser Welt uns noch treffen. Unsere Brüder, die hie und da in der Welt in Nöthen und in Aengsten sind, sind ja auch Menschen und Christen wie wir; sie sind auch getauft auf den Namen des dreieinigen Gottes; sie sind auch mit dem Blute des Sohnes Gottes erkauft, so gut als wir, und wie gewaltig schwingt der HErr die Zuchtruthe über ihnen, ob sie etwa Buße thun und sich bekehren möchten zu Ihm, dem lebendigen Gott. Ja, ich wiederhole es, so wir uns nicht bekehren, so werden wir Alle auch also umkommen.

Und was wirken die leiblichen Gaben, was wirkt der Ueberfluß, den uns der HErr im Zeitlichen schenkt, was wirkt es, daß der HErr der Gnade über uns Unwürdige und Elende Sein Füllhorn ausgeschüttet hat und noch ausschüttet? man sollte glauben, dieß werde uns zu tiefer Demüthigung vor dem HErrn gereichen, daß, da wir so mannigfaltig von Ihm abirren, da wir Seine Wege oft so gar nicht verstehen wollen, da wir so ungehorsame und störrige Kinder sind, Seine Güte doch nicht von uns weicht, Seine Gnade doch noch die Flügel über uns ausbreitet. Aber was wirken dagegen die Segnungen des HErrn? Ist’s nicht so, daß man sie dahin nimmt als einen Raub, als etwas, was uns von Rechtswegen gehört? Ist’s nicht also, daß man oft die Gaben Gottes freventlich und schändlich mißbraucht, daß man des HErrn Tage zu Tagen des Fressens und Saufens macht, dem Satan sie weiht statt Gott, daß man häufig die Gaben des HErrn nicht mit Danksagung genießt, sondern unter faulem Geschwätz? Ist’s nicht so, daß man häufig in der Gottesvergessenheit und Thorheit unserer Zeit schwelgt, wo Andere darben, und die Armen vergißt, und um die Elenden sich nicht kümmert? O liebe Zuhörer! das sind schreckliche Sünden, die gen Himmel schreyen und die Rache herabrufen. Der HErr erbarme sich unser!

Meine Lieben! was wollen wir Ihm denn geben für alle Seine Treue und Barmherzigkeit, mit welcher Er bisher über uns gewaltet hat? Was wollen wir dem Vater der Barmherzigkeit geben, der uns gesegnet hat mit leiblichen Gaben in irdischem Segen, aber auch mit allerley geistlichem Segen in himmlischen Gütern durch Christum? Was wollen wir unserem JEsus geben, der uns nicht nur erkauft mit Seinem Blut, sondern uns auch gespeiset mit Seinem Fleisch und Blut, und bis auf diese Stunde viel Gutes erwiesen hat? O Er verlangt nichts von uns, als unser armes, elendes, unwerthes Herz. Das wollen wir Ihm geben zum unveräußerlichen, ewigen Eigenthum, so daß ein jeder Hausvater von Herzen mit Josua spreche: „Ich und mein Haus wollen dem HErrn dienen!“ Ja, so spreche auch ich. ich und meine Gemeinde wollen dem HErrn dienen! Er selbst aber spreche: Amen! Amen!

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/h/hofacker/hofacker-predigt_am_siebenundzwanzigsten_sonntage_nach_trinitatis.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain