Heuser, Wilhelm - Unsere Erwartungen in der künftigen Welt.

Heuser, Wilhelm - Unsere Erwartungen in der künftigen Welt.

Predigt am Feste der Himmelfahrt über 1. Joh. 3, 2.

von Wilhelm Heuser, Pfarrer zu Wupperfeld in Barmen.

Es ist allerdings eine eben so auffallende als bedeutungsvolle Beobachtung, daß wohl kein Mensch auf Erden lebt, der nicht zuweilen von einem unüberwindlichen Ueberdruß des gegenwärtigen Lebens wäre ergriffen worden. Die Erfahrung von der Unvollkommenheit und dem Elend der gegenwärtigen Welt dringet durch alle Verhältnisse und Stände der Menschheit hindurch; in verschiedenen Zeitpunkten unserer Jahre tritt sie unwidersprechlich stark hervor und erweckt jene wehmüthige Stimmung, die oft genug in laute Klage ausbricht: ach, daß ich heraus wäre aus den Bedrängnissen, aus der Thorheit, dem Wirrwarr, der Ungerechtigkeit, dem Betrug und Verdruß dieser Welt! ach, daß der Kerker sich öffnete und ich eine reine, hellere Luft athmete, als diese dumpfe und schwere, die mich so oftmals beengt!

Am vorigen Sonntag haben wir diesem allgemein vortretenden Gefühl Klarheit zu geben gesucht, und wir sind uns unsres Standes in der gegenwärtigen Welt in seiner ganzen Unvollkommenheit, Blöße und Armuth bewußt geworden.

Eins stehet aber hiebfest. Dieses Bewußtsein unsres gegenwärtigen Elends würde ganz und gar nicht in uns vorhanden sein können, wenn nicht auch ein geheimes, tiefes Bewußtsein von etwas Besserem, das uns vorbehalten ist, in uns schliefe; wir haben Begriffe von unvergänglichen Gütern, von einer ewigen Ordnung, von etwas Vollkommnen und Herrlichen in uns; daran messen wir das Zeitliche und. nun erkennen wir seine Mängel und Gebrechen und rufen: es ist alles eitel!

Damit stehet auch ein anderes fest. Wie wir an diesen Vorstellungen das Zeitliche messen, so sollen wir uns auch an ihnen über das Zeitliche erheben und trösten. Unsere Erkenntniß der Nichtigkeit dieser eiteln Welt muß gepaart sein mit der Erkenntniß jenes unbeweglichen Reiches; unsere Wehmuth über den Druck unsers Zustandes in diesen irdischen Hütten muß mit bessern Hoffnungen Hand in Hand gehn; unserm Seufzen: wer wird mich erlösen? muß auch der Lobgesang folgen: ich danke Gott durch Jesum Christum. Sonst wäre unser Elend unerträglich. Hofften wir allein in diesem Leben, dann wären wir die unglückseligsten unter den Geschöpfen; läge uns, umhergetrieben von Stürmen von innen und außen, kein rettender Hafen im Bück, dann wehe uns!

So nur vollendet sich unsre Betrachtung, wenn wir nicht blos von unserm Leid in der Gegenwart, sondern auch von unsern Erwartungen in der zukünftigen Welt reden. Das Antlitz, das sich von dem Dunkel, dem Blendwerk und dem leeren Schein einer der Vergänglichkeit geweihten Welt hinwegwendet, sehe auch aufwärts, um von dem Licht angeglänzt zu werden, das im höhern Theile des unendlichen Reiches unsers Gottes, auf reinen Höhen uns in den ewigen Wohnungen seines Hauses aufgeht und zu welchem auch wir berufen sind.

Dahin richtet nun das heutige Fest unsere Blicke. Dahin ist der Herr eingegangen, uns die Stätte zu bereiten. In der Person Jesu Christo, unsres zur Rechten des Vaters erhöhten Mittlers und Hauptes, des Vorläufers in das Inwendige des Vorhangs für uns, ist den Erlöseten der Weg in die Stadt, die Grund hat, gebahnt, und ihr einstiger Uebergang in das Reich des Lichtes und der Verklärung verbürgt. Was wir als dunkel scheinende Ahndung der Ewigkeit in unserm Gemüthe tragen, das ist uns durch eine offene Thatsache erwiesen, beglaubigt; unser unbestimmtes, schwankendes Hoffen erfaßt einen festen und sichern Ankern, der in das himmlische Heiligthum hinüber reicht. Wir erlaben uns an hellen und gewissen Aussichten; wir wissen, was uns beschieden ist, was uns erwartet, was wir zu hoffen haben. Die geringen Worte, die ich heute von diesen großen Dingen reden werde, wolle der Herr kräftig werden lassen, zu Stimmen vom Himmel herab, zum Himmel hinauf! -

Text: 1. Joh. 3, 2.

„Meine Lieben, wir sind nun Gottes Kinder und ist noch nicht erschienen, was wir sein werden: wir wissen aber, wenn es erscheinen wird, daß wir ihm gleich sein werden, denn wir werden ihn sehen, wie er ist“

Unter der großen Menge derjenigen Aussprüche des göttlichen Wortes, welche, wie Hände von oben, den Vorhang des Allerheiligsten lüften, in welches der Herr eingegangen, ist mir für die gegenwärtige Stunde keiner zugekommen, der reichhaltiger und klarer, einfacher und tiefer von dem Wesen der Herrlichkeit spräche, welche die künftige Welt den Kindern Gottes aufbehalten hat, als der vorgelesene. So sei uns denn dieser Spruch Fingerzeig in Canaan hinein, möge er auch Wegweiser werden! Er belehrt uns über unsere Erwartungen in der künftigen Welt, indem er alles ausschließt, was dem Druck und der Eitelkeit dieser Welt angehört, und alles einschließt, was uns die Verklärung und Erhöhung unsers Wesens, die sichtbare Gemeinschaft mit Jesu und den Mitgenuß seiner Herrlichkeit und Seligkeiten verheißt.

1.

Es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden, sprechen Gottes Kinder. Warum noch, nicht? Was muß denn erst hinweg? Noch lastet die Noth der Erde, Mangel und Schmerz auf ihnen. In der Welt haben sie Angst. Die Erste muß vergangen sein. Es wird erscheinen. Die Tage deines Leides sollen ein Ende haben, ruft der Prophet, welchen man den Evangelist des alten Testaments zu nennen pflegt, Jesaias (60, 20.) Alles Leid, inneres und äußeres, jeglich Trauern, leibliches und geistliches, soll diesseits des Grabes bleiben; jenseits wird es keine Spur mehr davon geben. Sie werden nicht mehr hungern noch dürsten: es wird nicht auf sie fallen die Sonne oder irgend eine Hitze, Gott wird abwischen alle Thränen von ihren Augen. So spricht der Prophet des neuen Testaments, Johannes. (Offenb. 7, 16.) Herrliche Verheißung! Wo sind die Thränen, diese Sinnbilder der Trauer, diese Zeugen unsres Leids, die so oft in diesem Pilgerstand unsre Wange netzen? Von Schmerzensthränen weiß man jenseits nichts, nur Freudenthränen, nur Dankesthränen zittern in den glücklichen Augen! In diesem Leben gingen sie, wie David sagt, hin und weinten und säeten, in jenem Leben kommen sie mit Freuden und bringen ihre Garben. Und noch einmal redet der Seher Gottes, Johannes, der Mitgenosse an der Trübsal und am Reiche und an der Geduld Christi, der den neuen Himmel und die neue Erde sah: Gott wird abwischen alle Thränen von ihren Augen und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerzen wird mehr sein, denn das Erste ist vergangen. (Offenb. 21, 4.) O was bleibet dann noch übrig von dem Elend dieses Lebens, wenn das alles abgestreift, worüber wir hier so oft klagen, wenn wir erlöset sind aus allem, allem Uebel, wenn es heißt: sie sind gekommen aus großer Trübsal, für immer heraus? Aber Eins ist es vor allem, worin ich mich so gern mit stiller freudiger Betrachtung versenke, neben dem äußerlichen Uebel ist auch das innere verschwunden, und das bittere, das auf Erden nie ausrottbare Leidtragen über die Sünde und ihre immer wieder auftauchende Regung hört Auf. Dies tiefe Weh giebt dem Streiter Christi nur bis an die Scheidegrenze der beiden Welten das Geleit, dann tritt es zurück, dann verstummt die schmerzliche Klage: O ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes? - Und was für ein Gefühl wird das sein, befreit sein von aller Anfechtung, allem Druck, allem Reize der Sünde! Ein Gefühl, das uns durchaus neu ist, von dem wir hienieden, umgeben von der Sünde, die uns anklebt und träge macht, keine Vorstellung fassen können, das erst dort oben ganz in unser Bewußtsein dringen wird, „dort oben, wo wir ohne Sünd ihn loben.“ O ihr frommen Herzen, die ihr so oft in aufrichtiger Buße über euren Kaltsinn, eure Glaubensträgheit, eure Untreue, euren Wankelmuth trauert, die ihr so oft wegen eurer bösartigen und krankhaften Triebe euch demüthigt vor Gott und ihm den Schaden eurer Seele offenbart, die ihr so oft euch kränkt, daß die stärksten Rührungen der Gnade so leicht verschwinden, daß die feurigsten Gelübde der Liebe und des Gehorsams so schnell vergessen und die heiligsten Entschließungen so unbeständig sind, die ihr euch so oft bitterlich darüber kümmert, daß der Geist zwar willig, aber das Fleisch so schwach ist, o ich frage euch, waren nicht die Stunden dieses hinfälligen irdischen Lebens euch die seligsten, die, welche die reinsten waren von den Regungen der Sünde? wo ihr die Liebe Jesu Christi am stärksten empfandet, wo ihr euch am willigsten ihm hingabet, wo ihr ausschließlich ihm gehörtet, wo jede Scheidewand hinweggenommen zu sein schien und er euer alles? was wird es nun dort sein, wo wir keinen Kaltsinn gegen Gott, keinen Widerwillen gegen sein Gebot mehr kennen, keine Unlust, kein hemmend Gesetz in den Gliedern, keine Macht der Sünde im Fleisch, wo der böse Schatz des Herzens von uns wird genommen sein, und der gute allein sich öffnet, wo jeder Gedanke, jeder Wunsch, jede Neigung unsres Herzens wird zu ihm gerichtet, wird heilig und unsträflich sein!

Noch ist das nicht erschienen. . Dieweil wir in der Hütte wohnen, sind wir beschwert. Das Fleisch gelüstet wider den Geist, und den Geist wider das Fleisch. Darum ist hienieden nöthig, daß wir in einem Kampfe laufen, der allen verordnet ist, die der Heiligung nachjagen. Der Schmerzensgang durch das Feuer der Läuterung, durch die Nacht der bewährenden Prüfung kann uns nicht erlassen werden, und die Loosung dieser Zeit heißt: ohne Anfechtung mußt du nicht bleiben. Lief doch die Sonnenbahn, auf welcher der zum Himmel aufgefahrne Hohepriester bis zur Rechten der Majestät stieg, hienieden durch viele Kämpfe, durch schwere Versuchungen, durch finstere Stunden der Verlassung hindurch: ein Weg der Ueberwindung aller argen Mächte des Feindes. Was sollte aber dort, wo keine Sünde mehr in uns wohnt, noch die Hitze der Anfechtung, der Schmelztiegel der Prüfung und die Ruthe der Zucht? Da verwickelt mich kein Fallstrick. Da blendet mich kein Scheingut. Da reizet mich kein Fleisch. Da verführt mich keine Welt. Da versucht mich kein Satan. Ich bin der Arglist meiner Feinde entzogen und vor ihren Pfeilen gesichert. Keine Schlange hat Zutritt zu diesem Paradiese meines Gottes; es giebt da keinen Baum der Versuchung, es ist allen Gefahren und Sorgen verschlossen. Wohin meine Blicke auch schweifen, es begegnet ihnen nichts, als eine Schaar vollendeter Gerechten und Heiligen, die freilich eine kleine Zeit traurig waren in mancherlei Anfechtung, die nun aber, zur Zeit der Offenbarung seiner Herrlichkeit Freude und Wonne haben. Sie sind in den stolzen Wohnungen der Sicherheit und Ruhe. In ihren Räumen klaget kein David mehr (88, 7.) Warum verstoßest du, Herr, meine Seele, und verbirgest dein Antlitz vor mir? wie lange soll ich sorgen in meiner Seele und mich ängsten in meinem Herzen täglich? Er ist aus der Angst genommen, seine Lippen und seine Seele, die der Herr erlöset hat, sind fröhlich und lobsingen ihm; sein Herz freut sich, daß er geholfen hat, und er singet dem Herrn, daß er so wohl an ihm thut. (Psalm 88, 13.) Das Erste ist vergangen, die Erben Gottes haben heiße Stunden irdischer Prüfung bestanden, „sie ist nun da, die Zeit, wo sie Garben machen, da verwandelt sich ihr Leid in ein fröhlich Lachen.“ Welche Aussicht? welche Erwartung! O meine Seele, die du hier nur, da es noch nicht erschienen ist, was dir dein Gott vorbehalten hat, in Mühe gehen sollst und in Roth und unter herber Arbeit, betrüge dich nicht um deine theuerste, größte und seligste Hoffnung! Schließe die Thore der Friedensstadt nicht muthwillig vor dir zu! Versperre dir die Grenzen jenes Eden nicht, in dessen stillem Gebiete alle Wogen der Trübsal ruhen, alle Stürme schweigen und keine Wolke die tiefe, heitere Bläue trübt und verdunkelt! Selig sind die, die im Herrn sterben, denn der Geist spricht: sie ruhen! Das ist dies noch nicht.

II.

Aber fährt Johannes fort, wir wissen, wenn es erscheint, daß wir ihm gleich sein werden. Eine. neue, große Erwartung. Wir dürfen dieses wir zuversichtlich zuallernächst auf unsere Natur beziehen und auf die neue Gestaltung unseres ganzen persönlichen Lebens. Wir warten in den himmlischen Wohnungen auf eine Erhöhung unsres ganzen Wesens nach Leib und Seele.

Was hier Johannes so kurz andeutet: wir werden ihm gleich sein, das entwickelt die heil. Schrift in der reichen Fülle, und nach dem weiten Umfange seines Inhalts, indem sie von dem Leibe spricht: der Herr werde unsern nichtigen Leib verklären, daß er ähnlich werde seinem verklarten Leibe nach der Wirkung, womit er sich alles kann unterthänig machen. (Phil. 3, 21.) und von der Seele: wir werden verklärt in dasselbige Bild von einer Klarheit zu der andern, als vom Herrn, der der Herr ist (2. Cor. 3, 18.) und von unsern ganzen Menschen: wie wir getragen haben das Bild des irdischen Menschen, also werden wir auch tragen das Bild des himmlischen Menschen. (1. Cor. 15, 49.) Welche Aussicht! Lasset uns das Glück, lasset uns die Vollkommenheit, die wir genießen werden, uns in etwa vorstellen. Ja wir haben, wenn unser irdisch Haus dieser Hütten zerbrochen wird, einen Bau von Gott erbaut, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist, im Himmel. Unverweslichkeit, blühende Kraft, unverwelkliche Jugend und himmlischer Glanz wird den neuen geistlichen Leib zieren.

Es wird dieselbe Gestalt des gegenwärtigen Leibes, es werden dieselben Züge unseres Angesichts sein; du wirst deine in den Himmel vorangegangenen Lieben, deine Mutter, dein Kind an demselben liebevollen Blicke des Auges, an demselben wohlwollenden Ton der Lippen erkennen, aber die Gestalt ist verklärt, die Züge sind himmlisch, alles was gebrechlich, krankhaft und schwach war, ist abgelegt und im Staube zurückgelassen. Zu diesen Gliedern hat der Schmerz, hat Krankheit und Tod keinen Zutritt; sie sind zu neuer Kraft und Stärke des Lebens verjüngt, sie wissen von keiner Ermüdung und Ermattung, sie sind dem Leibe Christi ähnlich, mit Ehre und Schmuck gekrönt, von Licht umflossen, von Trägheit und Schwere entkleidet, mit allen den herrlichen Eigenschaften überkleidet, welche die Offenbarung die Verklärung desselben nennt. Und was darf ich erst für mein höheres Wesen hoffen! Jetzt ist unser Wissen Stückwerk und unser Weissagen ist Stückwerk, wir sehn durch einen Spiegel in einem dunkeln Wort; hat einmal der Himmelfahrtsmorgen über unsrer Seele getagt, dann wird das Vollkommene erscheinen, und das Stückwerk aufhören, und mein Innerstes wird zu einem klaren Spiegel gereinigt sein, der die Strahlen des göttlichen Lichts ungetrübt aufnimmt, ich werde erkennen, gleichwie ich erkennet bin, ich werde schauen von Angesicht zu Angesicht. Wir tragen sie füglich schon hier oft im Herzen die Bitte Mosis: Laß mich deine Herrlichkeit sehn; aber unverklärte Augen können den blendenden Sonnenglanz dieser Herrlichkeit nicht ertragen; die Hand Gottes halt über uns; wir sehn den Strahlenschein dieser Herrlichkeit wie in der Umhüllung einer Wolke gebrochen; es erscheint uns die Schrift seines Namens, der Saum seines Kleides, und überall die Spur seiner Majestät; einst werde ich nicht mehr unter Schatten und Sinnbilder wandeln, es kommt die Zeit, da ich das Wesen und die Wahrheit unmittelbar schaue! Hier wandre ich im finstern Thale, er leitet mich nach seinem Rath, aber sein Rath ist wunderbar, seine Fügung ist geheimnißvoll. Dunkel ist um seinen Stuhl herum, ich kann seinen Gang in de n hoben Wolken nicht finden, und sein Fuß in den tiefen Wassern ist mir verborgen. Wird es so bleiben? O daß wir es doch in der Stunde der Trauer nie vergäßen, wie alle diese Schleier sinken, und jeder erscheinende Mißlaut sich in den Lobgesang auflösen wird: er hat alles wohlgemacht! Dort werden sich die verworrenen Räthsel meines Lebens in Licht verwandeln; das Dunkel, das sich hier um den Gesichtskreis meiner Erkenntniß lagerte, wird verschwunden sein, ich werde alle seine Wege preisen? meine Seele wird sich in Dank und Lob ergießen; alle Empfindungen werden Anbetung und Liebe athmen; ich werde nur ihn zu verherrlichen geschäftig sein, und immer freier und ungehinderter zu seinem Licht, zu seiner Seligkeit hindurchdringen, überströmt von einer Fülle himmlischer Kräfte, deren Reichthum wir in den Schranken des gegenwärtigen Lebens nicht zu ahnden vermögen! Wir werden ihm gleich sein! Versenket euch Gel.! in die Tiefen dieses Wortes; ergründen werdet ihr sie nicht, aber immer heller wird euch der überschwänglich große Liebeswille Gottes mit seinen Kindern hervortreten. Eine, Eindruck deiner Gnade auf unser Gemüth, o Herr, daß wir von Neuem es fühlen, zu welcher Erhöhung ihrer ganzen Natur du deine Erlöseten führen willst, in deinem himmlischen Heiligthum, wo du sie theilhaftig machen willst der göttlichen Natur! So wir solche Seligkeit nicht achten, wie werden wir entfliehen? Das heiligste Ziel unserer ewigen Erwartungen stellt uns der Apostel hin, wenn er spricht: wir werden ihm gleich sein; aber auch den Grund dieser steigenden Vollendung unsers Wesens zur himmlischen Klarheit zeiget er uns, und öffnet damit in die Ferne der ewigen Höhen neue, unaussprechliche Aussichten. Laben wir uns auch daran, Geliebte!

III.

Es ist das Anschauen Jesu Christi und der Umgang, den wir mit ihm und allen Heiligen, als Genossen seines Hauses pflegen. Wir werden ihm gleich sein, denn wir werden ihn sehen, wie er ist! O was mußte dieser Jünger des Herrn empfinden, als er solche Hoffnung niederschrieb! Er hatte an des Herrn Brust gelegen, er hatte mit unendlichem Schmerz sein Sterben, das am Kreuz sich neigende Haupt, er hatte mit unendlicher Freude den Auferstandenen und sein Wiedererscheinen in den Kreis der trauernden Brüder gesehn, und als er dann in seinem Wolkenwagen vor ihren Augen weggenommen ward, da hatte er mit unaussprechlicher Sehnsucht ihm nachgesehn gen Himmel fahren. Wie ist es nun mit dieser Sehnsucht? ist sie eine leere? wird sie eine unbefriedigte bleiben? Wir wissen spricht er, wir werden ihn sehen, wie er ist. Geliebte, vermöget ihr es, das Glück der Seelen zu empfinden, in denen der Tempel dieser Hoffnung aufgebaut ist? Ihn sehn, dem sie ihre Errettung aus großer Tiefe verdanken, - den ihr Herz von der Stunde an mit Schmerzen gesucht, da ihm sein Verderben aufging, - den sie dann unter unaussprechlichen Gefühlen als ihren Mittler und Versöhner im Glauben erfaßten - an dem ihre ganze Seele hing - auf den sie sich lehnten - der ihnen täglich unentbehrlicher wurde - in dessen Verdiensten sie ihren Frieden, in dessen Liebe sie ihre Krone, in dessen) Umgang sie ihre Seligkeit fanden - aus dessen Fülle sie Gnade um Gnade und jede Tröstung nahmen, die ihnen das Leben in diesem sterbenden Geber versüßte - den sie bis zum Tode bekannten! - Ist der letzte Kampf des Todes . im Glauben überwunden, so werden sie ihn sehen in der Mitte anbetender Engel und heiliger Menschen, die strahlenden Wundenmale werden das Zeichen sein, woran sie ihren Versöhner erkennen; seine Stimme wird ihnen rufen, in seinem Antlitz wird ihnen die Herrlichkeit des Vaters und zugleich die Leutseligkeit des Erstgebornen der Brüder aufgedeckt erscheinen, ach! ohne ihn würde der Himmel selbst eine Oede, und die Schaar, die Niemand zählen konnte, eine stumme Trauerversammlung sein; nun aber ist erfüllt, was die Brust eines andern Apostels zu hohem Entzücken hob: wenn offenbaret wird Jesus Christus, welchen ihr nicht gesehn und doch lieb habt, so werdet ihr euch freuen mit unaussprechlicher und herrlicher Freude! (1. Pet. 1.) Sie werden ihn sehen, wie er ist, und nun, und dadurch ihm gleich sein! So verkettet unser Text unsre Verherrlichung an dieses Anschauen Jesu Christi, an diesen Umgang mit ihm und seinen Heiligen, wie Wirkung und Ursache. Und ist es nicht so? Empfangen wir denn nicht schon hienieden, wenn wir im Glauben mit Jesu verbunden sind und in der Liebe gewurzelt sind in ihm, Kräfte der Heiligung und des Lebens? O was wird uns dann zuströmen, wenn wir nicht mehr im Glauben, sondern im Schauen wandeln! Wurden nicht hienieden schon die in Zusammenhang mit ihm traten, und wenn sie auch nur seines Kleides Saum anrührten, gesund, und wenn sie ihm anhingen, Ein Geist mit ihm? Wie werden diese Reben nun dort grünen und blühen, wenn sie mit dem himmlischen Weinstock unzertrennlich verbunden sind! Ward uns nicht hienieden schon durch seine Erkenntniß allerlei seiner göttlichen Kraft, was zum Leben und göttlichen Wandel dient, geschenket? Mit was für staunenswerthen Gnaden wird er die Seinigen dann segnen, wenn sie unmittelbar ewig an dem lautern Quell des lebendigen Wassers verweilen, der klar wie ein Krystall vom Throne Gottes fließt! Das Angesicht Mosis leuchtete, als er mit dem Herrn auf Sinai geredet hatte, und er mußte es mit einer Decke verhüllen, welch ein Glanz wird einst in den Gerechten anbrechen, wenn der Herr selbst die Sonne der Seele und ihr Licht geworden, wenn die unmittelbare Gegenwart ihres Gottes sie erleuchtet, wenn das aufgedeckte Antlitz des Herrn sich in ihnen spiegelt! Darum wissen wir, spricht Johannes, daß wir ihm gleich sein werden.

O ihr Freunde der Welt, die ihr diese heiligen Erwartungen der Kinder Gottes preisen hört, und die ihr dennoch die Finsterniß liebt, zittert ihr nicht, daß ihr daran arbeitet, dieser Seligkeiten beraubt und vor dem Angesicht eures Gottes verworfen zu werden? entsetzet ihr euch nicht, wenn euch euer Gewissen und das ewige Gesetz der Ordnung des göttlichen Reiches sagt, daß ihr durch eure Gemüthsart, durch eure Entfernung von Christo und durch die unfruchtbaren Werke der Finsterniß euch die ewige Abgeschiedenheit von Gott vorbereitet, und den Fluch der Verwerfung und die unerträgliche Qual in jenen dunkeln Wohnungen, die der Verkehrtheit aufbehalten und von den Lichträumen der Seligen durch eine große Kluft getrennt sind? Was wünschte ich mehr, als daß endlich der Blick in die aufgeschlossene Ewigkeit ein allmächtiger Zug der Gnade an euren Herzen würde, der euch aus dieser schauervollen Entfernung von Gott in seine Nähe und aus den finstern Irrwegen der Thorheit und des Verderbens ans die stillen Pfade leitete, die in sein lichtes Vaterhaus führen! Und ihr, die ihr mit Johannes sprechen könnt, wir sind nun Kinder Gottes und wissen, daß wir ihn einst sehn werden, wie er ist, ihr Erben der Ewigkeit und Miterben der Herrlichkeit Christi, welch ein unermeßlicher Trost ist diese Aussicht für euch! was ist nun der rauhe Weg, den ihr zu wandeln berufen seid? Er ist kurz, und am Ende desselben stehet euer himmlischer Freund, am Ziel eures irdischen Laufes nimmt euch euer ewiger Hirt auf, da wo sein Thron strahlet und die Stühle der Ueberwinder um ihn herum glänzen! Sollte es euch schwer werden, der Stadt eures Gottes und den Wohnungen seiner Gerechten auch auf einem beschwerdevollen Wege entgegen zu pilgern? Den Abend lang währet das Weinen, am Morgen die Freude. Freuet euch, frohlocket und seid fröhlich, daß eure Namen im Himmel angeschrieben sind, daß ein Tag anbricht, wo ihr ihn sehn, finden und allezeit beim Herrn sein werdet.

IV.

Glaubet ihr aber, daß der Sinn der großen Worte: wir werden ihm gleich sein, damit erschöpft sei, daß wie wir sahen, in jenem Leben unser Wesen erhöht, verklärt, beseligt, ihm gleichförmig werden wird, weil wir ihn sehen, wie er ist? Es liegt noch mehr darin, und wir dürfen uns unsre Aussicht nicht verengen, nicht verkümmern. Wir erwarten auch eine Gleichförmigkeit mit seiner Herrlichkeit. Sterben wir mit, so werden wir mit leben. Dulden wir mit, so werden wir mit zur Herrlichkeit erhoben. Es wird freilich eine Seligkeit sein ohne Mangel für alle Seelen, die zum Lichte der Unvergänglichkeit hindurchdringen. Ich will schauen dein Antlitz in Gerechtigkeit, singet David, ich will satt werden, wenn ich erwache nach deinem Bilde (Ps. 17, 5,) Aber wie ein Stern den andern an Klarheit übertrifft, und die Sonne eine andere Klarheit hat als der Mond, so wird auch unter den Gefäßen in dem Hause unseres Gottes ein stufenweiser Glanz sein; so wird auch für die, die mit Thränen gesäet, eine Freudenerndte aufgehn; die im Segen gesäet, werden im Segen erndten; es wird von einem Lohn gesprochen, der sehr groß ist im Himmel, die über weniges getreu gewesen, werden über vieles gesetzet werden; die viele zur Gerechtigkeit gewiesen, werden leuchten wie die Sterne immer und ewiglich; Gott hat die Arbeit im Glauben und in der Liebe, er hat der schweren Kämpfe nicht vergessen, die seine Diener erduldet, und es harret ihrer eine unverwelkliche Krone; diejenigen, die ans Erden ganz besonders seine Schmach trugen, werden droben auch vorzüglich das Bild seiner Herrlichkeit tragen; die Schaar, die ihre Kleider nicht nur gewaschen, sondern auch helle gemacht im Blut des Lammes erblickte der Seher Gottes vor dem Stuhl, angethan mit weißen Kleidern und Palmen in den Händen; des Königs Tochter, die ganz herrlich ist inwendig, ist auch mit goldenen Stücken gekleidet. So war der Weg des Herzogs unsrer Seligkeit. Darum, daß er gehorsam war bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuz, ist er erhöhet, und ihm ein Name gegeben, der über alle Namen ist, durch das Leiden des Todes ist er gekrönt mit Preis und Ehren. Sein Weg ist der unsere. Wie ihm der Vater das Reich beschieden, so will er es auch uns bescheiden; so werden die, die wie Silber geläutert wurden, und im Ofen des Elends auserwählt gemacht, Preis, Ehre und unvergänglich Wesen erlangen; ihre Trübsal, die zeitlich und leicht war, schaffet eine ewige und über alle Maaßen wichtige Herrlichkeit, deren Genuß eine stete Feier des Lobes dessen sein wird, der sie ihnen erwarben hat, vor dessen Stichle sie rühmen: du hast uns Gott erkauft mit deinem Blut zu Erstlingen aus den Menschen und hast uns unserm Gott zu Königen und Priestern gemacht.

So öffne dich denn, künftige Welt, Welt voll Herrlichkeit und Freude, du himmlische Stadt, deren Mauern Heil und deren Thore Lob heißen, in unsern stillsten und in unsern schmerzlichsten Stunden öffne dich, und erscheine uns in deiner ganzen Schönheit, daß wir ohne Mühe jede irdische Verlockung besiegen, die Leiden dieser Zeit nicht achten, ja uns der Trübsal rühmen und im Glauben die Welt überwinden! Und wenn das Herz die letzten heißen Kämpfe besteht, wenn das Auge brechen will, dann enthülle dein Licht der scheidenden Seele, dann winke ihr mit dem Kranze der Ehren, der bald sie schmücken wird, und versüße mit dem Vorgefühl der himmlischen Wonne die Bitterkeit des Scheidens, ja wandle den Schmerz in selige Freude! Wer so stirbt, so zu einer Himmelfahrt stirbt, der stirbt wohl. Noch ist es nicht erschienen, aber an dem Morgenscheine dieses kommenden Tages wollen wir, so viele unter uns die Erscheinung ihres Herrn lieh haben, das thränende Auge in aller trüben Zeit, in jedem Abenddunkel erquicken! Können wir das unendliche Meer der frohen Ewigkeit nicht ermessen, nicht ergründen, wir sehen seine Spiegelfläche, wir hören in der Ferne sein Rauschen, wir können so viel Wasser des Lebens daraus schöpfen, als genug ist, unsre matte Seele zu laben. Können wir nur einige Blumen brechen von den grünen Auen des Paradieses, auf welchen die Einwohner des Himmels geweidet werden, sie werden uns doch ein Geruch des Lebens zum Leben sein. Können wir es noch nicht fassen, was das: selig sind, die zur Hochzeit des Lammes berufen sind, sein wird in der Erfüllung, so werden doch schon einige Brosamen, die von des Herrn Tisch fallen, uns eben so stärken, als jene Engelspeise den Elias, da er nach Horeb ging. O Berufene zu dem Kleinod eines unvergänglichen, unbefleckten und unverwelklichen Erbes, hebet eure Häupter auf! Suchet, was droben ist! Wendet allen euren Fleiß daran, einzukommen zu dieser Ruhe! Was soll uns aufmuntern, nichts zu versäumen, nicht dahinten zu bleiben, und sorgsam in den Schranken zu laufen, wenn nicht dies? wenn nicht das uns allen vorgesteckte Ziel der heiligen Stadt, des himmlischen Jerusalems? Was soll uns wecken in Trägheit, stärken in Schwachheit, trösten in Traurigkeit, Kraft geben uns zu leiden als gute Streiter Christi, uns alles Dinges zu enthalten und unverrückt auf den Stiegen der Nachfolge Jesu und der Heiligung unsres Gemüthes zu wandeln, wenn nicht dies? wenn nicht die uns allen dargebotene Hoffnung des ewigen Lebens?

O daß die Stimme der Zuversicht, die Sprache, die unser Apostel redet: wir wissen, sich auch in unsrer Brust regen möchte! daß da, wo eine gute Hoffnung durch Gnade aufgegangen ist, auch ein ewiger Trost sich gründen, und jeder schwebende Ton dieser Hoffnung sich zu einem hellen Lied der Freude erheben, zu einem Hallelujah der Versicherung anschwellen möchte, das Leib und Seele durchdringt! o daß, je näher uns der ernste Uebergang in die Ewigkeit tritt, wir desto gewisser in dieser Hoffnung versiegelt würden durch den, der das Pfand, den Geist gibt! daß wir darnach mit heiliger Bekümmerniß rängen! Und wenn wir dann uns schlafen legen, und wenn dann hinter den müden Leibesaugen sich die hellen Geistesaugen ausschließen, die den Himmel offen, und Jesum Christum zur Rechten des Vaters sehn, o wie freudig werden wir dann diese Augenlieder zum Tode senken, um hineingehend durch die offenen Thore, mehr zu sehn, als in eines Menschenherz gekommen, mehr als stammelnde Gotteskinder davon sagen, mehr als preisende Engelzungen davon rühmen können! Amen.

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