Goetz, Christoph Wilhelm - Kurze Betrachtungen über die Leidensgeschichte Jesu - Zweite Betrachtung.

Goetz, Christoph Wilhelm - Kurze Betrachtungen über die Leidensgeschichte Jesu - Zweite Betrachtung.

Durch dich nur kann ich selig seyn;
O drücke tief ins Herz mir ein,
Empfindung deiner Liebe,
Damit ich ganz dein eigen sey,
Aus Weltsinn deinen Dienst nicht scheu', -
Gern deinen Willen übe.
Nach dir, nach dir, den ich fasse, und nicht lasse,
Ewig wähle,
Dürstet meine ganze Seele!

Test: Joh. 12, V. 2,5.
Daselbst (in Bethanien, im Hause Simonis) machten sie ihm ein Abendmahl und Martha dienete, Lazarus aber war deren einer, die mit ihm zu Tische saßen. Da nahm Maria. ein Pfund Salbe von ungefälschter, köstlicher Narde und salbte die Füße Jesu und trocknete mit ihrem Haar seine Füße; das Haus aber ward voll vom Geruche der Salbe.

Wir begegnen in der Lebensgeschichte Jesu einigen Frauen, welche unsere Bewunderung in hohem Grade auf sich ziehen. Außer der Mutter des Herrn, die mit seltner Erhabenheit, eben so demüthig, als stark im Glauben vor uns steht, nimmt hauptsächlich Maria, die Schwester des von dem Herrn wieder erweckten Lazarus, unsere volle Theilnahme in Anspruch. Seit dem Augenblicke, wo ihr, der reuigen Sünderin, Jesus das Wort des Trostes: „deine Sünden sind dir vergeben“ in das Herz gerufen hatte, hing sie ihm mit reiner, unaussprechlicher Liebe an. Von Stund an faßte sie jedes Wort aus seinem Munde begierig nach ihrem Heile auf. So finden wir sie früher schon in ihrem eignen Hause zu den Füßen des Herrn sitzend und seiner Rede lauschend, während Martha, in allzuirdischer Geschäftigkeit, nur um das Gewöhnlichere sich bekümmert. Vor allem aber rührend erblicken wir sie heute. Sie scheint in ihrem zartfühlenden Herzen die manchfachen Hinweisungen Jesu auf sein zukünftiges Schicksal, tiefer als seine Jünger gefaßt zu haben. Jetzt da er in ihrem eignen Hause zu Tische saß, erfüllt noch mit den lebhaftesten Gefühlen des Dankes, für den wiedergeschenkten Bruder, sucht sie ihm, mit Nichtachtung jedes Opfers, das sie bringen müßte, ein Zeichen ihrer Liebe zu geben, sie salbt die Füße Jesu mit unverfälschter, köstlicher Narde und trocknet sodann dieselben wieder mit ihrem Haare. In dieser treuen Liebe verharrend finden wir sie auch noch unter dem Kreuze und an dem Grabe des Herrn, bis der Auferstehungs-Morgen auch ihr trauerndes Herz in Freude verkehrt.

Was, fragen wir unwillkürlich, gab denn diesen Frauen so seltene Zartheit, Festigkeit, dieß rein Weibliche ihres Wesens, mit einem Wort, diese Würde? - Gewiß war es nichts anderes, als das Licht, das durch den Herrn, auch sie erleuchtete, und ihr ganzes Wesen zur höchsten Frauenwürde verklärte. Wenn ohne wahre Frömmigkeit, christlichem Sinne, von einer rechten Menschenwürde überhaupt gar keine Rede seyn kann, und Christus Jeden erleuchten, stärken und für jegliches Verhältniß geschickt machen muß; so ist es doch gewiß nicht zu läugnen, daß das Weib, seiner ganzen Beschaffenheit nach, echt-christlichen Sinnes, wahrer Frömmigkeit und Religiosität am allerwenigsten entrathen kann, und daß es erst dadurch ganz wird, was es seyn soll; daß solcher Sinn somit die unerläßlichste Bedingung wahrer Frauenwürde ist. Christlicher Sinn, das unerläßlichste Erforderniß wahrer Frauen würde. Dieser Behauptung gelte unsere Aufmerksamkeit. Von Frauenwürde kann nur da die Rede senn, wo wir in einem weiblichen Wesen einen wahrhaft gebildeten Geist, edle Festigkeit des Willens und vollkommene Erfüllung ihrer besondern Bestimmung finden und diese hohen Eigenschaften werden nur durch einen christlichen Sinn erlangt.

1.

Allgemeine Ausbildung des Geistes kann auf verschiedene Weise errungen werden, von dem Weibe aber durch kein Mittel schneller und sicherer, als durch Religion, vor allem durch Christenthum. Dem Manne steht das ganze Reich des Wissens offen; ihm ist das Streben nach Erkenntniß, die Neigung zu forschen, zu ergründen, angeboren. Allgemeine Ausbildung seines Geistes, kann er auch auf diesem Wege erringen, wenn gleich das rechte Licht seiner Seele und die rechte Beurtheilung für alles Wissen ihm auch von dem Glauben, von dem wahrhaftigen Lichte, von Christus kommen muß.

Dem zartern Weibe, das nicht zum Forschen geboren ist, entgeht gemeiniglich dieses Mittel der Ausbildung des Geistes, ja es wird da, wo es mit männlichem Ernste von ihr ergriffen wird, oft nicht ohne Beeinträchtigung ihres weiblichen Wesens gehandhabt und doch selten mit Schärfe und Tiefe. Aber keineswegs ist deßhalb das Weib verurtheilt, ohne Ausbildung des Geistes zu leben; ihr ist das höchste Bildungsmittel, Religion, (und wir meinen hier keine andere, als christliche Religion, und es gilt auch von keiner andern) zugleich als das einzige verliehen, ja, während das Weib nicht zum Forschen geboren ist, erfaßt sie doch mit kindlichem Sinne und klarem Verstande, so schnell das Richtige und Treffende, daß sie darin nicht selten den Mann zu beschämen pflegt und durch Einfalt des Geistes schneller und sichrer zum Ziele gelangt, als der Mann auf dem Umwege der Wissenschaft und des Forschens. Weit entfernt von Afterbildung, und dem Stolze, der gewöhnlich eine Folge derselben ist, freut sich die Fromme in Demuth ihrer Erkenntniß, und im Lichte des Glaubens sieht sie das Räthselhafte des menschlichen Wesens und des Erdenlebens gelöst. Von dem religiösen Standpunkte aus, pflegt sie alle Verhältnisse zu betrachten, erblickt sie dadurch im rechten Lichte, und bringt nicht selten in das Dunkelste Klarheit und in das Verworrenste Ordnung. Religiös gebildete Frauen sind der geistvollsten Unterhaltung fähig, und ohne die einzelnen Theile der Wissenschaft zu kennen, ist ihnen durch ihre religiöse Erleuchtung, oft ein Silberblick in das Wesen derselben gegönnt. Hat doch der Herr jene Samariterin auch einer Belehrung über die heiligsten und ernstesten Angelegenheiten gewürdigt und gewiß gehören edle Frauen zu den Unmündigen, von denen er sagte, daß sie besonders geeignet seyen, die Weisheit, welche vom Himmel kommt, zu fassen, indem er spricht: Ich danke dir, daß du es den Weisen und Klugen dieser Welt verborgen und den Unmündigen geoffenbaret hast.

Mit gleicher Kraft als Religion in dem Weibe den Geist bildet, den Verstand erleuchtet,

2.

heiligt und kräftigt sie den Willen. Man wirft dem Weibe natürliche Schwäche des Willens, Kraftlosigkeit und Wankelmuth vor. Die Anklage beruht auf einem Irrthume. Es wird von dem zartern Körperbau auf schwächere Geistes- und Willenskraft geschlossen. Wie das, durch das Licht der christlichen Religion, erleuchtete Weib, der höchsten Ausbildung des Geistes fähig ist, so auch der höchsten Kraft des Willens, wenn dieser Wille durch Religion geheiligt ist. Als bleibend kräftig kann nichts gedacht werden, was nicht geordnet ist; das Ungeordnete zerstört sich selbst. Ein geordneter Wille allein kann ein kräftiger seyn. Nichts aber ordnet ihn, als was ihn auch heiliget und das ist das Christenthum, die erleuchtetste Vernunft, sie wird seine Richtschnur.

In dem Maße, als nun das Weib, freilich seines schwächern Körperbaues willen, doppelt schwach erscheint, wenn der heiligende, erleuchtende, ordnende, christliche Sinn, der religiöse Geist sie nicht durchdringt; in dem Maße gewinnt sie auch an sittlicher Kraft und Stärke des reinen Willens, wenn eben jener Geist sie belebt, weil ihr die Selbstsucht und Macht der Leidenschaft minder im Wege steht, als dem Manne; muthiger wird sie jeder Versuchung und jeder Gefahr, welche die Reinheit ihres Herzens bedrohen, widerstehn.

Es gibt fromme, verständige Frauen, außer denen, deren die biblische Geschichte erwähnt, welche uns durch die Kraft ihres edlen, reinen Willens in Erstaunen setzen und das nachgesagte, unbegründete Urtheil von weiblicher Willenslosigkeit widerlegen. Auch ist es weit weniger angeborne Fähigkeit, körperliche Leiden zu erdulden, welche auch die zartesten Frauen zahlloser Aufopferungen und körperlicher Anstrengungen fähig macht, als die Kraft ihres durch Christensinn und Frömmigkeit geheiligten reinen Willens, die Kindlichkeit ihres Gemüths sich im lebendigen Vertrauen Gottes Willen zu unterwerfen.

3.

Am unerläßlichsten ist jedoch für das Weib christlicher Sinn, soll sie zu wahrer Frauenwürde gelangen, weil sie nur mit diesem ihre eigentliche Bestimmung als Weib, ganz ausfüllen, das Verhältniß, in welches sie zu anderen zu treten hat, ganz richtig erkennen wird. Die des Weibes besondere, eigentliche Bestimmung ist zu dienen. Dienen muß sie der Natur, indem sie Kinder zu gebühren bestimmt ist; dienen muß sie dem Gatten, dienen den Kindern, dienen allen, die sich ihr nahen. Auch die Fürstin auf dem glänzendsten Throne ist neben aller Herrschaft dazu berufen. Nur die Bereitwilligkeit zu dienen, macht das Weib liebenswürdig, wo dieser Sinn nicht ist, da ist Verzerrung und Unnatur. Um aber freilich diese Bestimmung ganz zu erfüllen, dazu gehört eine reine Aufopferung seiner selbst, eine unendliche, nicht ermüdende Liebe, die nicht das Ihre sucht, eine Demuth, die im Aufblicke auf Gott, selbst bei den räthselhaftesten Fügungen, wie Maria die Mutter des Herrn spricht: ich bin des Herrn Magd, mir geschehe wie du willst; eine Demuth, welche ihre Sünde bekennt, über dieselbe trauert und dadurch zu einer Reue geführt wird, die niemand gereut. Diesen Geist der Demuth und aufopfernder Liebe, den vermag aber nichts einzuhauchen, als das Christenthum, in ihm findet er sich allenthalben. Christus selbst kam nicht, sich dienen zu lassen, sondern zu dienen und sein Leben hinzugeben für Viele, und zu einem gleichen Sinne fordern uns die erhabensten seiner Aussprüche über Liebe, Demuth und Selbstüberwindung auf. Und nur erst dann, wenn das Weib in diesem freiwilligen Dienen seine wahre Bestimmung erkannt hat und darnach thut, nur dann ist es ihr möglich, zu echter Frauenwürde aufzusteigen. Bescheidenheit, Sanftmuth, Geduld, treue Pflichterfüllung, diese erhabnen Tugenden, dieser reiche, einzig verherrlichende Schmuck eines edeln Weibes, sie stehen in unmittelbarem Gefolge mit jenem christlichen Sinne, der bereit ist zu dienen. Du magst zu Frauen treten, denen das Los gefallen ist, mit Königen der Erde die Herrschaft zu theilen, oder in der niedrigsten Hütte des Armen ein Weib finden, das solchen christlich frommen Sinn hat, der seine Bestimmung im freiwilligen Dienen findet; so hast du Frauenwürde gefunden; und du magst die seltensten Kenntnisse, den reichsten Schmuck, die blendendste Schönheit an Frauen bewundern, Frauenwürde entdeckest du ohne diesen christlichen Sinn nicht. O, daß ihr das bedächtet, die ihr in andern Dingen, als in einem frommen, anspruchslosen Sinne eure Würde suchet und durch Anderes gefallen wollt. Eine Zeit lang mag der Schein blenden, lange werdet ihr indessen nicht täuschen; denn nur die unsichtbaren Vorzüge eines geheiligten Herzens erwerben bleibendes Wohlgefallen.

O, daß wir alle, immer klarer die hohe Würde schätzen lernen möchten, die uns das Christenthum verleiht; daß wir uns wendeten von dem Vergänglichen, zu dem, was bleibt und ewig ist! Erleuchte uns, Sohn Gottes, mit deinem Lichte und schenke und deinen demüthigen, weltüberwindenden Sinn! Amen.

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