Gerhard, Johann - Heilige Betrachtungen - Allgemeine Regeln zu einem frommen Leben.

Gerhard, Johann - Heilige Betrachtungen - Allgemeine Regeln zu einem frommen Leben.

Frömmigkeit ist die höchste Weisheit. Mit jedem Tag kommst du dem Tod, dem Gerichte und der Ewigkeit näher; denke darum auch an jedem Tag darauf, wie du in der ernsten Entscheidung des Todes und des Gerichtes bestehen, und wie du ewig leben mögest. Auf alle Gedanken, Worte und Handlungen hast du sorgfältig zu achten, weil du von allen Gedanken, Worten und Handlungen dereinst genaue Rechenschaft geben musst Matth. 12,36. Röm. 14,10.12. Der Tod kann in dieser Nacht kommen, so denke zur Zeit des Abends; der Tod kann an diesem Tag kommen, so denke zur Zeit des Morgens. Die Bekehrung und dass Schaffen des Guten verschiebe nicht auf morgen, denn der morgende Tag ist ungewiss, aber der bevorstehende Tod ist immer gewiss. Nichts ist der Frömmigkeit hinderlicher als der Aufschub. Wenn du die innere Berufung des heiligen Geistes verachtest, so wirst du nie zur wahren Bekehrung gelangen Sir. 18,22. Die Bekehrung und das Schaffen des Guten verschiebe nicht auf's Alter, sondern bringe Gott deine frische Jugend zur Gabe dar. Ungewiss ist dem Jüngling das Alter; aber gewisses Verderben ist dem unbußfertigen Jüngling bereitet. Kein Alter ist geschickter zum Dienst Gottes, als das an Kräften des Leibes und der Seele starke jugendliche Alter. Zu keines Menschen Gefallen darfst du eine böse Handlung unternehmen; denn nicht jener Mensch, sondern Gott wird einst dein Leben richten. Keine Gunst der Menschen halte daher für vorzüglicher als die Gnade Gottes. Auf dem Weg des Herrn gibt es entweder Fortschritt, oder Rückschritt: darum prüfe an jedem einzelnen Tag dein Leben, ob du in der Übung und Frömmigkeit Fortschritte oder Rückschritte machst. Stehen bleiben auf dem Weg des Herrn heißt rückwärts gehen; darum habe deine Lust nicht am Stillstehen im Laufe der Frömmigkeit, bemühe dich vielmehr immer, auf dem Wege des Herrn zu wandeln.

In deinem Umgang sei Allen angenehm, Niemandem beschwerlich, mit Wenigen vertraut. Lebe Gott in Frömmigkeit, dir in Keuschheit, dem Nächsten in Gerechtigkeit. Bediene dich des Freundes zum Wohlgefallen, des Feindes zur Geduld, Aller zum Wohlwollen, und soweit du's vermagst, zum Wohltun. Im Leben stirb dir und deinen Sünden täglich ab, so wirst du im Tod Gott leben können. Erbarmen zeige sich in der Gemütsbewegung, Freundlichkeit im Gesicht, Demut in der Haltung, Bescheidenheit im Umgang, Geduld in der Trübsal. Denke immer an dreierlei Vergangenes: an das begangene Böse, an das unterlassene Gute, an die verlorene Zeit. Denke immer an dreierlei Gegenwärtiges: an die Kürze des gegenwärtigen Lebens, an die Schwierigkeit der Erlösung, an die geringe Zahl derer, die sich erlösen lassen wollen. Denke immer an dreierlei Zukünftiges: an den Tod, der schaudervoller als alles, an das Gericht, das schrecklicher als alles, an die Strafe der Hölle, die unerträglicher als alles ist. Das Abendgebet bessere die Sünden des verflossenen Tages; der letzte Tag der Woche bessere die Vergehen der vorhergehenden Tage. Am Abend denke, wie viele an dem Tag in die Hölle gestürzt sind, und danke Gott, dass er dir noch Zeit zur Bube gelassen hat. Dreierlei ist über dir, woran zu denken dir nie aus dem Gedächtnis kommen möge: das Auge, das alles steht, das Ohr, das alles hört, und die Bücher, in die alles geschrieben wird. Gott hat sich dir ganz zu eigen gegeben, gib auch du dich ganz deinem Nächsten zu eigen: das beste Leben ist das, welches ganz in den Dienst der Andern sich stellt. Beweise dem Vorgesetzten Gehorsam und Ehrfurcht, dem Gleichgestellten Rat und Hilfe, dem Untergebenen Hut und Zucht. Der Leib werde der Seele, und die Seele Gott unterworfen. Deine früheren Sünden beweine, dein gegenwärtiges Gutes schlage gering an, nach künftigem Guten verlange mit der ganzen Inbrunst deines Herzens. Sei eingedenk deiner Sünde, damit du betrübt werdest; sei eingedenk des Todes, damit du ablässt; sei eingedenk der göttlichen Gerechtigkeit, damit du dich fürchtest; sei eingedenk der göttlichen Barmherzigkeit, damit du nicht verzweifelst.

So viel du vermagst, entziehe dich der Welt, und weihe dich ganz dem Dienst des Herrn. Bedenke immer, dass die Keuschheit im Genuss, die Demut im Reichtum, die Frömmigkeit in Geschäften in Gefahr schwebt. Wolle keinem gefallen, außer Christo; fürchte dich keinem zu missfallen, außer Christo. Bete immer zu Gott, er wolle befehlen, was er will, und geben, was er befiehlt; was geschehen ist, zudecken, was geschehen soll, regieren. Wie du scheinen willst, so musst du auch sein; denn Gott richtet nicht nach dem Schein, sondern nach der Wahrheit. In Worten hüte dich vor vielem Reden, denn von jedem unnützen Wort wird das Gericht Rechenschaft fordern Matth. 12,36. Deine Werke, welcher Art sie auch immer sein mögen, vergehen nicht, sondern werden ausgestreut gleichwie Samenkörner für die Ewigkeit. Wenn du auf das Fleisch säst, so wirst du vom Fleische das Verderben ernten; wenn du auf den Geist säst, so wirst du vom Geiste das ewige Leben ernten Gal. 6,8. Die Ehren der Welt werden dir nicht folgen nach dem Tod, und die Menge des Reichtums wird dir nach dem Tod nicht folgen; die Vergnügungen werden dir nicht folgen, und die Eitelkeiten der Welt werden dir nicht folgen, aber wenn das Leben mit allen seinen Führungen zu Ende ist, werden dir alle deine Werke nachfolgen Off. Joh. 14,13. Wie du also im Gericht sein willst, so stelle dich heute dar vor dem Angesicht Gottes. Siehe nicht auf das, was du hast, sondern sieh vielmehr auf das, was dir fehlt. Sei nicht stolz auf das, was dir gegeben ist, sondern sei vielmehr demütig um deswillen, was dir versagt ist. Lerne leben, so lange dir zu leben noch vergönnt ist. In dieser Zeit wird das ewige Leben erlangt oder verloren. Nach dem Tod ist keine Zeit mehr zum Wirken, sondern es beginnt die Zeit der Vergeltung. Im zukünftigen Leben wird nicht das Wirken, sondern die Vergeltung der Werke erwartet. Die heilige Betrachtung erzeuge in dir die Erkenntnis, die Erkenntnis die Herzenstraurigkeit, die Herzenstraurigkeit die Demut, die Demut wirke das Gebet.

Von großem Nutzen für den Frieden des Herzens ist das Schweigen des Mundes: je ferner du dich von der Welt gemacht hast, um so angenehmer wirst du Gott sein. Was du zu haben wünschst, dass erbitte dir von Gott; was du hast, das gib Gott: der ist des Empfangens nicht wert, der nicht Dank sagt für das Empfangene; der Zufluss der Gnaden hört auf, wenn dieselben nicht zurückfließen zu ihrem Ausgang. Was dir widerfährt, dass wende zum Besten; so oft dir Glück zu Teil wird, bedenke, dass dir Grund zum Segnen und Loben gegeben wird; so oft Unglück zu dir sich naht, bedenke, dass du erinnert werden sollst an Reue und Bekehrung. Die Stärke deiner Kraft beweise im Helfen, die Stärke deiner Weisheit im Erziehen, die Stärke des Reichtums im Wohltun. Das Ungemach breche deine Kraft nicht, und das Glück mache dich nicht stolz. Das Ziel deines Lebens sei Christus; dem folge auf dem Weg, damit du ihn erreichest im Vaterland. In Allem sei der Gegenstand deiner größten Sorge tiefe Demut und eifrige Liebe. Die Liebe erhebe dein Herz zu Gott, dass du ihm anhängst; die Demut halte dein Herz nieder, dass du nicht stolz wirst. Halte Gott für den Vater kraft seiner Barmherzigkeit, für den Herrn kraft seiner Zucht; für den Vater kraft seiner freundlichen Gewalt, für den Herrn kraft seiner strengen Gewalt. Liebe ihn als den Vater aus Frömmigkeit, fürchte ihn als den Herrn aus Notwendigkeit; liebe ihn, weil er die Barmherzigkeit will, fürchte ihn, weil er die Sünde nicht will. Fürchte den Herrn und hoffe auf ihn Ps. 37,5; erkenne dein Elend, und preise seine Gnade.

O Gott, der du das Wollen gegeben hat, gib auch das Vollbringen! Phil. 2,13.

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