Funcke, Otto - Tägliche Andachten – Montag nach Oculi bis Laetare

Funcke, Otto - Tägliche Andachten – Montag nach Oculi bis Laetare

Montag nach Oculi.

Judas war ein Dieb und hatte den Beutel und trug, was gegeben ward.
Johannes 12, 6.

Man hat den Judas oft so dargestellt, als ob er ein Scheusal, ein menschliches Ungeheuer gewesen wäre. Die frommen Leute sind dann durch solchen Anblick nur noch frommer geworden, haben sich die Hände gewaschen und gesagt: „Ich danke Dir, Gott, dass ich nicht so schlecht bin“. Aber wahrlich, nicht dazu wandelt die finstere Gestalt des Judas, (wie der ewige Jude,) seit 1800 Jahren durch die Christenheit, dass wir uns nur um so behaglicher und sicherer fühlen sollen. Nein, umgekehrt! Dass ein Mann, der so hoch stand, so tief fallen konnte; dass ein Mensch, der drei Jahre lang Jesu zur Seite wandelte und von seinem heiligen Odem allenthalben berührt wurde, dennoch in so furchtbaren Abgrund sank; - dass ein Mensch, der eine so hervorragende religiöse Anlage hatte, dass Jesus selbst in ihm das ganze geistige Material zu einem Apostel entdeckte, dass er dennoch der Verräter Jesu wird, das soll uns gar ernste Gedanken machen. Der Herr würde ganz gewiss den Judas nicht erwählt haben, wenn nicht ein tiefes Verlangen nach Gott, ein gewaltiges Hungern und Dürsten nach himmlischem Leben in ihm gewesen wären. Was war es aber denn, was den Judas zum verlorenen Kinder machte, das „besser nie geboren wäre,“ das glücklicher gewesen wäre, wenn es dem schönsten und heiligsten unter den Menschenkindern nie in's Auge geschaut hätte?

Mancher wird antworten: „Es war seine furchtbare Leidenschaft für Geld und Besitz“. Aber Jesus erkannte ohne Zweifel diese Gefahr und wählte ihn doch. Ohne Zweifel hoffte Jesus, dass der Jünger diesen Sinn grade in seiner Nachfolge überwinden und dadurch dann doppelt tüchtig werden solle. Die Sünde an und für sich trennt uns ja noch nicht von Jesu, im Gegenteil, sie soll uns grade zu ihm treiben, bei ihm und durch ihn überwunden werden und also, recht verstanden, das werden, wodurch wir Ihn erkennen und lieben lernen. Auch ist darum kein Mensch untüchtig zum Reich Gottes, weil irgend eine besondere Sünde oder Leidenschaft in sehr hervorragender Weise bei ihm entwickelt ist. Es gibt ja Menschen, an denen uns ein fast unwiderstehlicher Naturzug, z. B. zur Wollust, oder zum Mammon, oder zur Grausamkeit, entgegentritt. Ja, manchmal sehen wir derartige Leidenschaften wie ein entsetzliches Familienerbteil von dem Vater auf den Sohn, von dem Sohn auf den Enkel übergehen. Aber die Aufrichtigen unter Denen, bei welchen die Sünde so eine besondere Gestalt gewonnen hat, werden auch erfahren, dass da, wo die Sünde am mächtigsten ist, dass sich da auch Gottes Gnade, Gottes heilige Geistesarbeit, harrende Geduld und suchende Liebe am mächtigsten beweisen.

Die Sache ist nur die, ob wir mit allem Ernst darüber aus sind, los zu werden von unserer Sünde, ob sie uns innerlich zur Last, zur Not geworden ist, ob man die Zucht Gottes sucht und liebt, ob man seine Naturseele festhalten oder in den Tod geben will.

Hier war nun der Punkt, wo sich Judas von den andern Jüngern wesentlich unterschied. Auch diesen fehlte es nicht an sehr gefährlichen Natureigenschaften. Da begegnen wir bald einem finsteren Fanatismus (Lukas 9,54), bald einem außerordentlichen Kleinglauben; bald böse Kreuzesscheu, jetzt trotzigem Eigenwillen; hier sehen wir Eitelkeit und Ehrgeiz, dort Verzagtheit und Schläfrigkeit, dazu Torheiten, Missverständnisse, Härten und falsche Ideen die Hülle und Fülle. Aber sie kommen mit dem Allen ehrlich heraus; werden gestraft und lassen sich gerne überführen und strafen. Die himmlische Wahrheit ist ihnen lieber, als das eigne Rechtbehalten; durch Jesum etwas zu werden, Gott zu Lob und Preis, steht ihnen tausendmal höher als ihren Willen zu bekommen. So kann sie Jesus denn auch, trotz aller ihrer Torheiten, Schwächen und Sünden, zum heiligsten und seligsten Ziel führen.

Ach, dass du, lieber Leser, in dieser Schilderung auch dein Bild erkannt hättest!

Wie ganz anders aber war's bei Judas! Auch er sehnte sich nach göttlichem himmlischem Leben; auch er wollte von Jesu erleuchtet werden, aber er machte einen geheimen Vorbehalt. Eine Seite seines Naturwesens, die musste geschont werden, auf einen Punkt durfte Jesu Licht nicht scheinen; er forderte auf alle Fälle, dass seine große Sehnsucht nach Gold und irdischem Besitz ihm nicht zerstört, sondern erfüllt werde. Dieses war die Bedingung seiner Nachfolge. Nicht dass er sich klar gemacht hätte: „Nur unter der Bedingung liebe ich Jesum!“ O nein, so „dumm“ sind wir nicht; klar machen wir uns dergleichen leider selten; klar machte sich das Judas auch nicht, sonst wäre er sich ja sehr gottlos vorgekommen! Jesus aber durchschaute das bald und darum erkannte er bald seinen Verräter.

Doch ehe wir weiter gehen; begegnen wir der Frage, warum hat Jesus, bei so bewandten Dingen, grade den Judas zum „Beutelträger“ und Kassenverwalter gemacht? Wurde doch das durch, dass alles Gold durch seine Finger ging, der Goldhunger gereizt, ja die Versuchung, etwas für sich zu entwenden, (eine Versuchung, der er auch nicht widerstand,) war dadurch geschaffen. Allerdings! aber die Versuchung zur Sünde ist der einzige Weg zur Freiheit von der Sünde. Jesus will die Versuchung auch für den Judas; aber er selbst will auch die Kraft in seinen Kämpfen sein, falls anders Judas Hilfe sucht. Eltern und Pädagogen, die ihre anvertrauten Kinder absichtlich in Versuchung führen, also beispielsweise den Naschsüchtigen überall Gelegenheit zum Naschen verschaffen, ehe das nötige innere Gegengewicht da ist, spielen ein sehr gewagtes Spiel. Bei Judas aber war das stärkste Gegengewicht einmal in seinem sehr erleuchteten Gewissen, sodann und vornehmlich in der Nähe Jesu, der immer an seiner Seite war. Jeder Blick Jesu, jedes Wort, jedes Werk war eine fortwährende Predigt gegen den Geiz, ja eine stärkende Himmelsmacht, die den Judas, wenn er nur ernstlich wollte, aus seinem Geiz herausgerissen hätte.

Wenn aber Judas diese und jene Versuchung überwunden hätte, so hätte er damit keineswegs einige Proben glücklich überstanden, nein, es wäre grade so der innere Mensch gestärkt worden; das Überwinden wäre mit jeder überstandenen Versuchung leichter, das Sündigen schwerer geworden. Das kann ja Jeder in seiner Weise erfahren. So oft wir irgend einer Versuchung; z. B. zum Afterreden, zur Rache, zur Sinnenlust, nachgeben, gewinnt die betressende Sünde an Kaum und Kraft; so oft wir sie durch Wachsamkeit, Kampf und Gebet niederkämpfen, wird ihr die Lebenslust entzogen und der neue innere Mensch wird lichter, freudiger und stärker. Judas aber hat keinen guten Kampf gekämpft.

Wahre Treu führt mit der Sünde
Bis in's Grab beständig Krieg,
richtet sich nach keinem Winde,
Sucht in jedem Kampf den Sieg.

Dienstag nach Oculi.

Und Judas sprach: Was wollt ihr mir geben? Ich will ihn euch verraten. Und sie boten ihm dreißig Silberlinge.
Matth. 26, 15.

So tief war also Judas gesunken, weil er, ja, auf allen Punkten dem Willen Jesu sich fügen wollte, nur nicht verzichten auf Eins, auf zeitlichen Besitz, Reichtümer und Ehren! O wie hatte einst dieses Herz, das jetzt von Finsternisgedanken erfüllt ist, dem Herrn zugejauchzt, welch eine entzückende weite Aussicht hatte sich einst vor den Augen des Judas aufgetan, als er Jesu Worten lauschte und seine Werke voll Liebe und Herrlichkeit schaute! Aber er erwartete, dass Jesus seine Jünger nicht nur zu einer geistigen Erneuerung führen, sondern dass er auch bald schon ein sichtbares Herrlichkeitsreich, worin er dann eine große Rolle spielen könne, gründen werde. Wir wissen, auch die andern Apostel trugen sich mit diesem Wahn. Auch sie waren sehr hartnäckig darin. Was Jesus auch dagegen sagen mochte, sie schlugen es in den Wind; wie wir so geschickt sind nicht zu hören und zu behalten, was uns nicht passt. Die Folge war, dass auch die elf Apostel sich alle an dem leidenden Christus ärgerten, alle von ihm flohen, dass Petrus sogar durch schmähliche Verleugnung seinen Namen („der Fels“) schier zum Spott machte. Aber sie besannen sich bald wieder. Weinend und betend und tief beschämt kehrten sie um, und nicht erst am See Genezareth, nein, am Grabe Christi schon hätten sie, trotz allen Unglaubens sagen dürfen: „Herr, du weißt, dass wir dich lieb haben.“

Früher und schärfer wie seine Mitjünger hatte Judas durchschaut, dass seine Hoffnungen nicht erfüllt werden sollten. Wenn Jesus zu dem Schriftgelehrten sprach: „Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester, aber des Menschen Sohn hat nicht, da er sein Haupt hinlege,“ so empfand er das wie einen vernichtenden Blickschlag in das Ideal seines Lebens. So oft Jesus von den Gefahren des Reichtums sprach, so oft er - und wie oft tat er es - zeigte, dass man nicht Gott dienen könne und dem Mammon, eben so oft erkannte Judas, dass er nichts zu hoffen habe. Es war ihm schrecklich, dass Jesus mit den Reichen und Mächtigen der Erde es je länger je mehr verdarb, statt sie an sich zu ziehen; es war jedesmal eine Todeserklärung seiner Wünsche, wenn Jesus die Zukunft seines Reiches aufs Harren, Warten, Dulden, Leiden, Kämpfen, Opfern und Lieben stellte.

Da war nur ein Weg zur Hilfe: Er hätte seine eigene Gesinnung verfluchen und sich die ganze gräuelhafte Hässlichkeit seiner Sünde klar machen, hätte weinend und betend zu Jesu kommen, ihm seine furchtbaren Anfechtungen entdecken, ihn um Hilfe, Licht, Kraft anflehen müssen:

„Jesu hilf siegen! Wenn in mir die Sünde,
Eigenlieb' Hoffart und Missgunst sich regt;
Wenn ich die Last der Begierden empfinde,
Und sich mein tiefes Verderben darlegt:
So hilf, dass ich vor mir selbst mag erröten,
Und durch dein Leiden mein sündlich Fleisch töten.“

Aber von solcher Aufrichtigkeit war Judas weit entfernt. Er schürte im Stillen das Feuer der Lust und so kam er mählig und mählig zu einer immer größeren Herzensentfremdung und Erkältung Jesu gegenüber, ja diese Kälte wurde der Natur der Sache nach zu einer bitteren Feindschaft. Denn wer Jesu so nahe gekommen ist, der kann ihn nur lieben oder hassen; etwas mittleres gibt es da nicht. Für Solche gilt: „Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich“. Da Jesus seinen Weg grade durch ging und Judas seinen Willen nicht lassen wollte, so blieb für ihn, dem jeder Blick und jedes Wort Jesu eine furchtbare Strafpredigt war, nichts übrig, als sich grimmig von seinem Heiland abzuwenden. Er beschloss also, den alten Weg wieder aufzusuchen. Nach Allem, was wir wissen, wundern wir uns nicht mehr. Dass er, der selbst der bitterste Feind Jesu war, in das Lager der offenen Feinde Jesu überging, um Jesum zu verraten, wundert uns nicht, auch nicht, dass er seinen Verrat zu einem kaufmännischen Geschäft stempelte, das ihm dreißig Silberlinge und große Ehre bei den Vätern der israelitischen Kirche eintrug. Etwas wollte er doch davon haben, dass er drei Jahre hinter Jesu hergelaufen war. Mochte Dieser sehen, wie Er aus der Klemme heraus kam!

Alles Weitere berühren wir nur: dass Judas sich nur selbst betrogen und verraten hatte, da er Jesum verriet; dass ihm das ersehnte Blutgeld nun doch sein Sehnen nicht stillte, sondern wie höllisches Feuer in seinen Händen wurde; - dass die Freunde aus der Welt, die ihn erst so fein gehoben und umschmeichelt hatten, den Verzweifelnden nun kalt und herzlos seiner Verzweiflung überlassen und in seiner Verzweiflung zu Grunde gehen lassen, diese ganze Geschichte ist nichts Neues, sie kommt alle Tage wieder vor. Wer die Welt kennt, könnte über dieses Thema dicke Bücher schreiben. Wer auf Dank und liebe der Welt rechnet, der ist ein Narr.

Will im Kampf die Kraft verschwinden,
Werden meine Hände matt,
So lass mich dein Herz nur finden.
Das für mich noch Kräfte hat. \\Gründe, stärke und vollende
Mich im Kämpfen bis an's Ende;
Förd're selber meinen lauf
Und hilf meiner Schwachheit auf.

Mittwoch nach Oculi.

Des Menschen Sohn geht zwar dahin, wie von ihm geschrieben steht; doch wehe dem Menschen, durch welchen des Menschen Sohn verraten wird! Es wäre ihm besser, dass derselbige Mensch noch nie geboren wäre.
Matthäi 26,24.

„Ob nicht doch auch für den Judas in fernster Ferne noch ein Licht dämmert? Ob sich nicht doch auch für ihn in der andern Welt ein Weg der Rettung geöffnet hat?“ so haben Viele gefragt. Ach, wie gerne möchte man darauf antworten: „Wir hoffen es!“ Aber die stärksten Zeugnisse sprechen ein entschiedenes „Nein“. Wenn Jesus ihn das „verlorene Kind“ nennt, ja gradezu ausspricht, „es wäre ihm besser gewesen, nie geboren zu sein“ - so verstehen wir das nur zu gut. „Es war Nacht“, schreibt Johannes in seiner großartigen Zweideutigkeit, da Judas vom Abendmahlstisch zum Verrat schreitet (Kap. 13,30); „er ging an seinen Ort“, sagt mit schaurigem Ton Petrus, ein anderer Mitjünger des Judas, da er von seinem schrecklichen Ende berichtet (Apostelg. 1,25). Der Unglückliche ist dem ewigen Tod, daraus kein Auferstehen ist, anheimgefallen.

Wodurch hätte denn auch sein Herz noch können erleuchtet und erneuert werden, da er an dem Heiland grade das Heilands mäßigste, das, was den Heiland macht, hasste, nämlich die hingebende Liebe, die nicht an sich selber denkt? Welche Macht des Himmels hätte Den erschüttern können, der dieser Liebe, die dem Verräter noch die Füße wusch, dem Verräter noch den Heuchlerischen Kuss erlaubte, ein eiskaltes Herz entgegensetzte?

So verstehen wir auch, was die Evangelisten berichten: „Satanas sei in ihn gefahren.“ Satan kann in keinen Menschen fahren, der ihm nicht das Haus seines Herzens geöffnet, geschmückt und zugerichtet hat. So wenig wie der heilige Geist Jesu zu einem Menschen kommt, es sei denn, dass dieser Mensch nach ihm dürstet, verlangt, ja innerlich mit ihm sympathisiert, ebenso wenig kann Satan von einem Menschen Besitz ergreifen, es sei denn, dass vorher dieser Unselige sich mit seinem ganzen Sinn dem Reich der Finsternis zugewendet und alle Antriebe zu dem, was heilig und göttlich und himmlisch ist, von sich abgewiesen hat. Erst wird ein Mensch durch eigene Schuld verstockt und, wenn man so sagen kann, satanisiert, - dann erst fährt der Satan in ihn.

An dem Beispiel des Judas mag das Wort Jesu von der „Sünde wider den heiligen Geist“ verstanden werden: „Alle Sünde wird den Menschen vergeben, aber die Lästerung wider den Geist wird den Menschen nicht vergeben, weder in dieser, noch in jener Welt.“ Dies Wort ist keineswegs nur ein Schreckenswort, wie Manche es auffassen. Es geht daraus, dass (für diejenigen wohl, denen hier das Heil in Christo nicht genügend vor Augen trat,) auch in der andern Welt noch eine Annahme zur Gnade stattfindet, hervor, dass keine Sünde (außer der genannten,) so furchtbar sein kann, dass sie nicht könnte vergeben werden. Aber andrerseits gibt es doch auch einen Sündenzustand, wo alle Hoffnung zur Rettung total abgeschnitten ist. Und welcher Zustand ist das? Es hat sehr viele Menschen gegeben, die sich bis zur Verzweiflung und bis zum Wahnsinn damit gequält haben, ob sie etwa die Sünde wider den heiligen Geist begangen hätten und also rettungslos verloren seien? Aber alle Die, denen überhaupt die Sünde noch etwas Verabscheuungswürdiges ist, - alle Die, die noch Sehnsucht und Verlangen haben nach Vereinigung und Versöhnung mit Gott, dem Heiligen in der Höhe, alle Die können diese Sünde noch nicht begangen haben. Denn so lange ein Mensch noch nach Gott verlangt und nach ihm verlangen kann, so lange neigt sich Gott auch diesem Menschen gnadenreich zu. Seine Gnade hat gar keine Grenzen, sie will überall hindringen, wie das Licht Alles erleuchten will. Aber wie man dem Strahl der Sonne den Eingang vermehren kann, so kann man auch gegen das Licht der ewigen Gnadensonne sich absperren, ja sich unfähig machen für die Aufnahme dieses Lichtes.

Die Hohenpriester und Schriftgelehrten näherten sich in bedenklicher Weise diesem Zustand; Judas Ischarioth aber war wohl bis an diesen Punkt gekommen. Aller Ernst Gottes, alle Arbeit der Geduld und Liebe Gottes hatte sich an seinem Herzen bewiesen und war doch alle schnöde abgewiesen. Indem der Mann sich nicht beugen und fügen wollte unter die Zucht Gottes, indem er auf seinem Willen und seiner Lust bestand, hatte er fort und fort den „heiligen Geist betrübt“, bis dieser traurig von dannen schied, Judas selbst aber in einen Zustand kam, da er an Gottes Liebe und Macht gar nicht mehr glauben konnte. Es kann mit einem Menschen durch sein Widerstreben gegen den heiligen Geist dahin kommen, dass er alle die geheimen feinen Würzelchen, vermöge deren er fähig ist, in Gott hineinzuwachsen, ausgerissen und verdorben hat. In diesen Weg aber geht Jeder ein, der auf irgend einem Punkt mit der Sünde spielt, auf irgend einem Punkt dem strafenden Licht Gottes den Eingang verwehrt. Da gilt's wachen, dass wir nur aufrichtig bleiben, oder vielmehr, dass wir nur immer mehr aufrichtig werden. Wer aber in Wahrheit sagen kann, dass er durch Jesum von aller und jeder Sünde frei werden und mit seinem ganzen Ich in die Schule Gottes eingehen will, der soll trotz aller Sünde, Schwäche und Gebrechlichkeit, die ihm noch anhaften, dennoch wissen, dass Jesus treu ist und nicht ruhen wird, bis Er ihn, als ein freies Kind und einen Zeugen der Herrlichkeit Gottes, vor des Vaters Angesicht gestellt hat.

Geh' aus und ein,
O Lebensschein,
Mit mir, und lass mich wallen
Wie dein Geist
Uns unterweist
Nach deinem Wohlgefallen.

So soll mein Mund
Und tiefster Grund
Des Herzens dich erheben. \\Du edler Hort,
Allhier und dort
In jenem Freudenleben.

Donnerstag nach Oculi.

Ich will die müden Seelen erquicken, und die hungernden Seelen sättigen.
Jeremias 31,25.

Da, wie's auch billig ist, in dieser Passionszeit die meisten Jünger Christi zum Tisch des Herrn treten, so soll auch hier (in vier aufeinanderfolgenden Andachten) vom heiligen Mahl gehandelt werden. Keiner Kirchengemeinschaft weder zu lieb noch zu Leid wollen wir reden, sondern als liebende Jünger Christi verstehen lernen, wie er selbst es gemeint hat. Ach, wie mangelt es grade hier an der Einfalt, die doch nirgends nötiger wäre, wie hier! Fleischessinn und übergeistliches Wesen, Menschenmeinungen und Wirrwarr, Parteigezänke und Rechthaberei, Unglauben, Aberglauben und Gleichgültigkeit begegnen uns auf diesem Gebiet aller Enden. Einer der alten Rationalisten hat in seiner gutmütigen Torheit gesagt: „Jesus würde sich, wenn er heute wiederkäme, gewaltig darüber wundern, wie viel aus seinen Stiftungen geworden sei?“ - Nein, verwundern kann sich der nicht, der Alles weiß. Aber traurig würden wir Ihn darüber sehen, wie seine Worte und Stiftungen missverstanden und verzerrt worden sind! Das gilt aber am meisten vom heiligen Abendmahl. Ach, des Teufels List und der Menschen Hochmut, Rechthaberei und Heuchelei sind nirgends auf Erden trauriger offenbar geworden, als grade in dem Streiten über das heilige Abendmahl. Das Mahl der Einigung ist zu einem Zeichen der Trennung, das Mahl der Liebe eine Quelle des verketzernden Hasses und der Lieblosigkeit geworden.

Die einen haben aus dem heiligen Mahl ein schauerliches Mysterium gemacht, Andere ein bloßes Gedächtnismahl, dessen geförderte Christen wohl entraten könnten. Diese hier streiten über die Spendeformel; Andere behaupten, dass Niemand das Mahl des Herrn würdig genieße, der nicht überzeugt sei, dass hier auch die Ungläubigen Leib und Blut des Herrn empfingen; wieder Andere legen alles Gewicht auf Zeremonien und Formen, ob Brot gebrochen wird oder ob Hostien gereicht, Lichter angezündet, Kelch und Brot angefasst werden, oder aber nicht.

Wer aber so gesinnt ist, der zeigt damit, dass er noch nicht im Mittelpunkt der Sache steht, sondern in den Elementen dieser Welt verstrickt ist. Welch eine kleinliche Anschauung von der Majestät unseres verklärten Heilands und Königs muss der haben, der da wähnt, Jesus mache seine Segnungen davon abhängig, ob wir diese oder jene Zeremonien und theologischen Formeln angenommen haben! In diesen Stücken halten's ja doch die allermeisten Menschen so, wie's in ihrer kirchlichen Gemeinschaft, der sie durch die natürliche Geburt angehören, Brauch und Sitte ist. Was gehen den Heiland, der für alle ist, diese Dinge an? Nicht wie ein Polizeibeamter, der mit strenger Miene die Pässe der Reisenden untersucht, sondern wie der holdseligste Wirt steht er an seinem Tisch und fragt: „Kinder, habt ihr Lust zu essen? Siehe, es ist alles bereit. Ich will die müden Seelen erquicken und die hungernden Herzen sättigen.“

Sagen wir uns das zuerst: Jesus will, dass seine Jünger essen und nicht hungern. „Esst, trinkt,“ - das sind die Worte im heiligen Abendmahl, die wir zuerst verstehen. Jesus will uns also speisen. Wir meinen das zunächst leiblich. Ihn jammerte des Volkes auch wegen ihres leiblichen Hungers und darum wandelte Er die dürre Wüste in eine Speisetafel für Tausende. Er kennt unsere Bedürfnisse und weiß, dass wir zu nichts, auch nicht zum Gebet, fähig sind, so lange wir hungern. Da hilft alle Willenskraft nicht und alle Poesie, Philosophie, Wissenschaft, Kunst und Herrlichkeit der Welt können uns nicht über den Hunger trösten. Darum hat auch Jesus die Bitte um's tägliche Brot mitten inne gestellt zwischen die Bitten um das Kommen des Gottesreiches und um die Vergebung unserer Sünden.

Aber der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Viel tiefere Bedürfnisse schlummern in uns, als die auf Speise und Trank gerichtet sind. Dies Begehren finden wir auch bei den unvernünftigen Tieren. Unsere Seele dürstet und hungert nach Gott, nach dem lebendigen Gott, nach himmlischer Speisung aus Ihm. Und wie wir viel höhere Bedürfnisse haben, als die leiblichen, so hat auch Jesus viel höhere Absichten mit uns, als die. leiblichen Bedürfnisse zu stillen. An jedem Morgen, da wir aufstehen, dürfen wir uns sagen: „Gott will, dass wir essen, dass wir innerlich empfangen, was uns Not tut, und sollen uns nur immer klar machen, was uns Not tut. Durch alle Reden Gottes von Anfang her klingt's hindurch: „Ich will die müden Seelen erquicken und die hungernden Herzen sättigen!““

Solche alte Gottesverheißung aber ist in Jesu erfüllt und zwar so, dass Er Wirt und Speise in einer Person ist. Jesus will nicht nur der Lehrer, nein, Er will der Sündentilger und Lebensspender der Menschheit sein. Darum nennt er sich das „Brot des Lebens,“ ohne dessen Genuss kein Sterblicher zum Leben durchdringe. - Darum sagt Er auch: „Wer mein Fleisch isst und trinkt mein Blut, der hat das ewige Leben.“ Ihn selbst müssen wir haben, nicht nur als Vorbild und Meister, auch nicht nur als König und Herr, ja, auch nicht nur als den Tilger unserer Schuld, der die Sünde in des Meeres Tiefe wirft, sondern auch als Den, der unseres neuen Lebens Inhalt, Kraft, Speise, Licht und Wesen ist, alle Tage, wie der Rebe alle Tage Saft und Kraft aus dem Weinstocke ziehen muss, falls er nicht hinwelken soll.

So sollen wir nun auch das heilige Mahl anschauen. Als arme hungrige Kinder kommen wir zu seinem Tisch, himmlische Speise begehrend: „Du, Herr Jesu, willst sie geben, willst sie allen Abendmahlsgästen, die ihre Armut und ihren Hunger schmerzlich empfinden und nach Deinem Reichtum sich sehnen, willig geben. So komme nun auch ich, wie ich bin, dass ich bei Dir werde, wie ich sein soll und wie Du allein mich machen kannst. Gib dich mir und nimm mich hin!“

Zeus mich hin, erhöhter Freund,
Zeuch mich an dein Herz der Liebe!
Deine Triebe
Führen mich, du Siegesheld,
Durch die Welt,
Dass ich deine Seele bleibe,
Und so lange an dich glaube,
Bis ich lieb' im innern Zelt.

Freitag nach Oculi.

Und am ersten Lage der süßen Brote, da man das Osterlamm opferte, sprachen seine Jünger zu ihm: Wo willst du, dass wir hingehen und bereiten, dass du das Osterlamm isst?
Markus 14,12.

Aus dem Passahmahl, also aus einem wirklichen Mahl, ist das Sakrament des Altars entsprungen, ja es wurde auch von allem Anfang her als ein rechtes Mahl gefeiert. Jesus will also nicht nur, dass der einzelne Jünger esse, sondern, dass er mit Anderen bei einem gemeinschaftlichen Mahl esse. Wir wissen, dass unser Heiland von der traulichen Tischgenossenschaft sehr hoch gehalten und die Einladung zu einem Mahl, selbst bei den Feinden, niemals ausgeschlagen hat. Wir sollen von ihm lernen, das Mahl nicht als eine bloße Befriedigung unserer sinnlichen Bedürfnisse anzusehen, sondern es zu einem Akt der trautesten Gemeinschaft, zu einem Gottesdienst, zu erheben. Die Menschen, die vor- und nachher durch ihre Geschäfte in allerlei Werken und Wegen zerstreut waren, sie finden sich beim Mahl und rücken dicht zusammen. Hier ist Einer gleich dem Andern und alle Unterschiede hören auf. Alle freuen sich derselben Erquickungen, die ihnen für Leib und Seele bereitet sind. Sie wischen vorher den Schweiß von der Stirn und den Staub von ihren Füßen und schmücken sich mit dem Besten, was sie haben. Ein jeder bringt mit und teilt mit, was sein Herz bewegt und was ihm in seinen Wegen vorgekommen ist. Jeder gibt zum Besten, was er hat; Sang und Klang sind die Würze des Mahles. Einer schaut dem Andern in's Auge und freut sich der reichen Genossenschaft. Die Herzen werden warm und schließen sich einander leicht auf. Des Lebens Mühe und Leid werden vergessen und Alle genießen der Frucht ihrer Arbeiten und Kämpfe. Kurzum: die Gemeinschaft des Mahles ist ein Abbild des himmlischen Lebens.

So hat denn auch unser Heiland oftmals und immer wieder das Leben im Himmelreich mit einem großen Abendmahl oder mit einer königlichen Hochzeit verglichen. Auch die Heimkehr des verlorenen Sohnes - darin die bußfertige Menschheit abgebildet ist - schließt mit einem nimmer endenden Freudenmahl, da Musik und Reigen ertönen in vollen Klängen. „Selig sind, die zu dem Abendmahl des Lammes berufen sind!“ so tönt es durch die neutestamentlichen Schriften. Mit Abraham, Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch zu sitzen, ist die Verheißung, die Christus den Seinen gibt. Dass Er mit ihnen „neu trinken werde vom Gewächs des Weinstockes in seines Vaters Reich,“ ist eines seiner letzten Worte, ehe er vom Abendmahlstisch aufbricht und in die Nacht seiner Leiden hineinschreitet.

Sage nicht: „Ja, das ist aber ja doch des bildlich gemeint!“ Hüte dich mit dem „bildlich! bildlich!“ so schnell bei der Hand zu sein, sonst wandeln sich dir schließlich alle Verheißungen Gottes in blauen Dunst! Freilich haben ja jene Gleichnisse auch eine bildliche Seite. Aber das Bild ist doch nicht das Gegenteil, sondern grade die Abschattung des Wesentlichen, vollends ist es nicht mehr wie die Wirklichkeit, sondern weniger. Nicht aufzulösen und zu entleeren ist Jesus gekommen, sondern grade zu erfüllen. Alle die Freuden und Genüsse des Erdenlebens werden ja freilich ihre grobsinnliche Seite abgestreift haben, aber sie werden nicht bloß geistlich gemacht, sondern auch verleiblicht werden in einer verklärten, das ist, in einer heiligen geistigen Leiblichkeit. Ob wir uns das jetzt vorstellen können oder nicht, kann selbstverständlich in der Sache nichts verschlagen.

Auch das Passahmahl, das Jesus regelmäßig mit den Seinen feierte und das Abendmahl, das er setzte in dem Passahmahl, war nur eine Vorfeier des himmlischen Abendmahles. Jesus war bei dem Passahmahl der Wirt der Seinen. Indem er aber unter dem Passah das „Sakrament des Altars“ stiftete, zeigte Er ihnen, dass Er nicht nur Wirt, sondern auch Speise und Trank der Seinigen sei.

Schon in jener Erlösungsnacht, da Israel zum ersten Mal das Osterlamm aß, da schon war der rettende Gott die eigentliche Würze und Kraft des Mahles. Aber jenes Blut an den Türpfosten im Land Gosen wies hinaus auf ein anderes Blut, das fließen musste, wenn dem Volk Gottes wahrhaft geholfen werden sollte. Jene Erlösung aus Ägypten konnte die Menschen nicht von der Herrschaft der Sünde befreien und darum konnte sie auch das Volk Gottes noch nicht zur äußeren Glückseligkeit führen. Im heiligen Abendmahl enthüllt nun Jesus den Seinen, dass er selbst, leiblich und persönlich, das wahre Osterlamm sei, und das den Gläubigen aus der Vergießung seines Blutes die vollkommene Gottesgemeinschaft und Lebensherrlichkeit fließen würden. Wir wollen das morgen genauer in's Auge fassen. So viel aber sehen wir: das Abendmahl weist nicht nur rückwärts, sondern auch vorwärts, es weist hinaus auf das große, selige Abendmahl des Himmelskönigs. Es soll den echten Jesus-Jüngern die Versiegelung geben, dass sie zu jenem Mahl kommen werden. Aber nicht nur eine feierliche Weihe zu jenem Mahl soll es sein, sondern auch eine wesentliche Heiligung dafür, ja eine Mitteilung der Gaben und Gnaden des Geistes und der Liebe, die zu der himmlischen Abendmahls-Gemeinschaft erforderlich sind. - So schaue dir einmal das heilige Sakrament an und dann freue sich wie ein Kind.

O dass wir solche Seligkeit
Erwarten möchten allezeit
In Hoffnung und Vertrauen;
Und folgends aus dem Jammertal
Eingehen in den Himmelssaal,
Da wir Gott werden schauen;
Tröstlich, Köstlich
Uns als Gäste
Auf das Beste
Bei Ihm laben,
und ganz volle G'nüge haben.

Sonnabend nach Oculi.

Und indem sie aßen, nahm Jesus das Brot, dankte, und brach es und gab es ihnen, und sprach: Nehmt, esst; das ist mein Leib. Und nahm den Kelch, und dankte, und gab ihnen den; und sie tranken Alle daraus. Und er sprach zu ihnen: Das ist mein Blut des neuen Testaments, das für Viele vergossen wird.
Markus 14,22-24.

Ohne Zweifel enthalten die Wörtlein „für euch“ den eigentlichen Hauptschlüssel zum Verständnis des heiligen Mahles. Für euch wird mein Leib in den Tod gegeben, für euch wird mein Blut vergossen; für euch gebe ich mein ganzes Ich hin, um mich euch als Speise und Trank zum ewigen Leben wiedergeben zu können. Das ganze Leben und Wirken Jesu war ja auch nur für uns. Jeder Odemzug, jeder Gedanke, jedes Wort, all sein Tun, lassen, Lieben und Leiden, es war nur für uns. Niemals und nirgends hat er für sich etwas begehrt, weder an äußerem noch an innerem Gut. Zu dienen, uns zu dienen, das war, nach des Vaters Willen, sein Beruf und diesem Beruf blieb er allewege und unerschütterlich treu. Sein ganzes Leben ist eine große Hingabe für uns. Das Todesleiden ist nicht etwas Neues und Besonderes, sondern nur die Fortführung und Vollendung seines bisherigen Lebens. Wenn Jesus ruft: „Es ist vollbracht,“ so bezieht sich dieses Triumphwort auf sein ganzes Geschäft und Werk in dieser Welt und Zeit, also nicht nur auf sein Leiden und Sterben. Aber so gewiss das Leiden schwerer ist, als das Wirken, so gewiss der Tod für ihn das Schrecklichste aller Schrecken war, so gewiss hier sein Glaube und Gehorsam auf die bitterste Probe gestellt wurde, so gewiss kam auch hier erst sein Werk zur Vollendung. Ohne Tod und Leiden wäre sein Leben kein versöhnendes gewesen; die neue heilige Menschheit in Jesu wäre, ohne diese höchste Probe, nicht vollkommen gewesen und das Erlösungswerk wäre unvollendet geblieben. Darum spitzt sich das ganze Heilswerk Jesu zu in den Worten: „Mein Leib für euch gebrochen, mein Blut für euch vergossen“.

Zweierlei ist uns Menschen nötig, wenn wir selig sein sollen. Die Hölle unserer Schuld muss ausgelöscht, unsere Sünde muss vergeben, das heißt, gesühnt und vernichtet werden. Das würde uns aber noch nicht selig machen, wenn uns nicht zugleich ein neues Leben, ein neuer Sinn, ein neuer Geist, der zu Gottes Gemeinschaft und Herrlichkeit tüchtig macht, verliehen würde. Diesen Forderungen entsprechen genau die Worte Christi, der den Seinen Brot und Wein reicht: „Mein Leib für euch gebrochen; mein Blut für euch vergossen, zur Vergebung eurer Sünden.“

Wäre Jesus nur unser Vorbild gewesen, wahrlich, er hätte nicht so reden können, ohne Gott zu lästern. Der Vorgänger kann durch seine Tugenden nicht die Sünden des Nachfolgers tilgen, auch sonst in seiner Grundnatur nichts ändern. Wer so spricht, wie hier Jesus redet, der muss der Versöhner und zugleich der Neubeleber der Menschheit sein.

Die Aneignung der Versöhnung aber, die Christus für uns vollbracht hat, soll in der Feier des heiligen Abendmahls geschehen. Es ist wahr, sie kann auch geschehen und geschieht auch durch die Vereinigung der Seele mit dem geisterfüllten Wort des Evangeliums. Wer aber darum in selbstkluger Weise das heilige Sakrament verachtet und seiner entbehren zu können meint, der würde seinen Heiland und König meistern und darüber selbst übel zu Schanden werden. Er, der den Menschen in seinen tiefsten Tiefen kennt, hat aus unendlicher Barmherzigkeit verordnet: „Solches tut zu meinem Gedächtnis“. Es soll also diese Feier oft wiederholt werden und zwar bis an's Ende der Tage. Wir sollen dabei des Herrn und seines Todes gedenken; aber nicht nur, wie man auch sonst eines lieben Toten gedenkt, sondern so, dass wir sehnend, betend, glaubend, liebend, die Kräfte seines Todes ergreifen und uns zu eigen machen.

Die sichtbaren Elemente aber, Brot und Wein, sollen unserem schwachen Glauben zu Hilfe kommen, uns das Versöhnungswerk gleichsam vor unsere sehenden Augen stellen und uns versichern, dass eben jetzt, da wir Brot und Wein leiblich empfangen, auch Jesus Christus selbst sich mit uns vereinigt, und so gewiss wir Brot und Wein leiblich schmecken, eben so gewiss auch der Einwohnung Christi uns getrösten können, allem Gefühl, Gefühllosigkeit, Angst, Unruhe, Zweifel und Teufel zu Trotz.

Hier ist also jede Art der Gemeinschaft mit Christo auf ihrer Höhe; - die Gemeinschaft durch das glaubensvolle Gebet, durch das unsichtbare Wort, durch die sichtbaren Elemente und die Gemeinschaft durch die Schwestern und Brüder, die, als Glieder eines Leibes, in Christo, dem Haupt sind. Die irdische Gemeinschaft geht hier über in die himmlische, der zeitliche Genuss in den ewigen.

In solchen Gedanken von der Sache könnten alle wahren Jünger Christi Eins sein. Alles Andere ist Nebending und Außenwerk. Mag Jeder darüber seine Gedanken haben, wie das Wörtlein „ist“ („das ist mein Leib“) zu fassen sei; ferner, ob und wie der zukünftige Auferstehungsleib mit dem Genuss des Abendmahls in Verbindung stehe; - ferner, ob auch der Ungläubige im Abendmahl etwas wirkliches empfange usw. Halte davon jeder nach seinem Verständnis. Aber eine Torheit ist's, ja es ist ein Frevel gegen den heiligen „Leib des Herrn“, darüber zu streiten und gar Andere zu verketzern. Die Brüder lieben, sich selber richten und Christum ergreifen, das sei unser Sinn, wenn wir zur Tafel des Herrn treten.

Sei gesegnet, ew'ge Liebe,
Dass du mir aus treuem Triebe,
Da der Unglaub' mich vergiftet,
Solch ein Denkmal selbst gestiftet:
Dass ich einen Heiland habe,
Der den Gang zum Kreuz und Grabe,
Ja den Schritt in's Todes Rachen,
Gern getan, mich los zu machen.

Am Sonntag Lätare.

Der Mensch prüfe aber sich selbst, und also esse er von diesem Brot, und trinke von diesem Kelch. Denn welcher unwürdig isst und trinkt, der isst und trinkt ihm selber das Gericht, damit, dass er nicht unterscheidet den Leib des Herrn.
1. Korinther 11,28.

Die Worte lauten sehr ernst, und in der Tat, sehr ernst sind sie auch gemeint. Aber was heißt denn „würdig“ und unwürdig“? Darüber ist viel Wirrwarr. Millionen laufen in Gedankenlosigkeit zum Altar. Nichts liegt ihnen ferner wie die ernste Selbstprüfung. Sie feiern das Abendmahl, weil es einmal so mit dazu gehört. „Man will doch auch ein guter Christ sein.“

Andere denken, darin bestehe die Vorbereitung, dass sie ein wenig fasten, ein ernstes Gesicht machen und in frommen Büchern lesen, Das während im Herzensgrunde nichts erschüttert wird. Auf der entgegengesetzten Seite stehen Solche, die zerquälen sich fort und fort, ob sie auch lauter und heilig und rein genug sein möchten, und kommen darüber zu gar keinem, oder doch zu keinem freudigen Genuss des heiligen Mahles. Aber solche Gesinnung ist, auf den Grund besehen, eine Beleidigung des Heilandes, der sich ja grade uns zur Heiligung und Erlösung geschenkt hat!

Wäre das „würdig“ so gemeint, dass allein die Heiligen oder nur die Beinah-Heiligen zum Tisch des Herrn treten dürften, dann hätten ja grade diese weder Heiland noch Abendmahl nötig. Dass wir uns an und für uns selbst als Nicht-Würdige, die aber Christus zur göttlichen Würdigkeit führen will, erkennen, darin grade besteht das Hauptstück unserer Würdigkeit.

Ist's nicht so? Wo sich's um Essen und Trinken handelt, da sind allewege die hungrigsten Gäste die willkommensten und würdigsten, denn sie sind die dankbarsten. So ist's im Leiblichen, so auch im Geistlichen. Jesus ruft: „Kommt her zu mir!“ Und wann hätte Er je Einen, der mit redlichem Herzen kam, abgewiesen? Wo hätte Er gefragt, ob der Kommende auch würdig, stark und weise genug sei? Wo untersucht Er das frühere Leben oder die Anfechtungen und Versuchungen des Herzens? Nicht wahr, ihm war genug, wenn einer nur zu ihm kam, Ihn nehmen und sich ihm geben wollte! Darauf hin nur sah Jesus die Leute an, ob sie wirklich mit Ernst Ihn suchten und von sich selber lassen wollten. So waren auch die Männer, denen er zuerst sein Mahl reichte. An allerlei Schwachheit und Anfechtung des Fleisches, an Torheiten, Leidensscheu, Eitelkeit fehlte es bei ihnen nicht. Grade die Nacht, da Jesus verraten ward, machte das in trauriger Weise offenbar. Aber sie waren allen, erkannten und unerkannten, Sünden von Herzen Feind. Sie konnten dem Herrn, der da sagte: „Ich für euch,“ getrost antworten: „und wir ganz für dich“.

Bist du wirklich ein Jünger Christi, so ist dieser Sinn auch in dir: „Wie du, o Jesu, für mich, so möchte ich für dich sein“. Sollte das auch zu viel verlangt sein? Wie tief bewegt es uns, wenn wir hören, dass irgend ein Mensch, dem wir Gutes bewiesen, seine Person für uns einsetzte, indem er uns gegen harte Angriffe verteidigte und Spott und Hohn auf sich nahm, um uns vor Verleumdung und Verspottung zu retten und unsere Person zu decken! Oder, wenn so Einer im Stillen hinging und die Schulden bezahlte, wozu uns die Mittel fehlten, die uns zerdrückt hätten? Wie bewegt uns solche Aufopferung das Herz, und vollends, wenn wir jenem immer kalt und herzlos begegnet waren, und vollends, wenn auch Ihm sein Tun sehr sauer wurde! - Wie brennt uns das innerlich! Wie flammt in uns das Verlangen, dass wir uns diesem Mann, der mit seiner Person, Mitteln und Kräften für uns in den Riss trat, nun auch völlig hingeben möchten! Wende das an auf den Heiland, der sich nach Leib und Seele, unter tausend Tränen und Ängsten, Martern und Schmerzen gänzlich für dich geopfert hat, um dich auf ewig, und zwar nach Leib und Seele, aus der tiefsten Verderbtheit und Unglückseligkeit zur höchsten Lebensherrlichkeit zu führen. Glaubst du dies? Glaubst du es nicht, ringst du nicht wenigstens danach, es glauben zu können, - so kannst du freilich nicht zum Tisch des Herrn treten; das Sakrament ist dir noch ein versiegelter Brief. Glaubst du es aber, so muss auch in deinem Herzen flammen: -, Herr, so wie du für mich, so ich für dich; nicht mehr der Sünde lebe ich, ob ich auch zu meinem tiefen Leidwesen noch oft hineinsinke, sondern dir, nicht mehr für mich lebe ich, nicht mehr für die Welt, sondern für dich, der für mich gestorben und auferstanden ist. Ja, du sollst der Herr meines Lebens sein. Aber Geduld musst du haben, viel Geduld. Kraft und Gnade musst du geben, viel Gnade, denn ich bin schwach und arm. Langsam war mein Fortschritt in der Heiligung, ja, oft schien es mir, als ob Alles zurückgehe. Schwer wird es mir, deine Wege meinen Augen wohlgefallen zu lassen und schier unüberwindlich ist mein Grauen vor dem Leiden. Aber ich möchte ganz für dich sein, du mein Erretter! Und weil ich für dich sein will, so will ich auch, wie du getan, für die Menschen leben, die mit mir zu einer Herrlichkeit berufen sind. Allen Neid, Hass und Unversöhnlichkeit will ich verdammen und Liebe säen und Frieden bringen, wo ich kann; aber Gnade und Kraft dazu musst du mir geben und auch darum komme ich zu dem Tisch, den deine Hand gedeckt hat“.

Nicht wahr, das ist eine einfache, einleuchtende Sache? Du darfst nur, wie ein Kind die Mutter liebt, so an deinen Heiland dich liebend schmiegen; das ist Alles. Wo lauteres Liebesverlangen ist, da ist auch Würdigkeit; denn die Liebe stößt Alles aus, 'was die Liebe hindert. Wo lautere Liebe ist, da ist auch Freudigkeit, denn die völlige Liebe treibt die Furcht aus. So entkleide denn deine Seele von aller Selbstgerechtigkeit und Unwahrhaftigkeit und dann springe herzu sonder Wanken und Zweifel; denn dir ist des Herrn Tisch gedeckt, hier unten und dort oben.

Gott 'gab uns Allen seiner Gnaden Segen,
Dass wir gehn auf seinen Wegen
In rechter Lieb' und brüderlicher Treue,
Dass uns die Speis nicht gereue.
Kyrie eleison!

Herr, dein heiligen Geist uns immer lass,
Der uns gab zu halten rechte Maß,
Dass dein arme Christenheit
Leb' in Fried und Einigkeit.
Kyrie eleison!

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