Funcke, Otto - Tägliche Andachten – 6. Montag nach Epiphanias bis 6. Sonntag nach Epiphanias

Funcke, Otto - Tägliche Andachten – 6. Montag nach Epiphanias bis 6. Sonntag nach Epiphanias

Montag nach dem 5. Sonntag nach Epiphanias.

Lasst uns halten an dem Bekenntnis der Hoffnung, und nicht wanken! Denn er ist treu, der sie verheißen hat.
Hebräer 10, 23.

So ernstlich mahnt der Apostel am Bekenntnis festzuhalten! Was ist denn das für ein Bekenntnis? Ach, mit dem Worte Bekenntnis ist je und je nach rechts und links hin viel loses Spiel getrieben worden und nie mehr, wie in unserer Zeit.

Auf der einen Seite stehen Unzählige, die schreien wie aus einem Mund: „Weg mit jedem Bekenntnis! Das ist eine Sklaverei des Geistes, das ist ein gesetzlicher, überwundener Standpunkt, eine Fessel der evangelischen Freiheit“; usw. Von einem Gefangennehmen des eigenen Verstandes oder Unverstandes unter den Gehorsam Christi will man nichts wissen. Wie die Heiden sich ihre Götzen nach ihrem Geschmack zurecht stutzten, so will sich jetzt jeder aufgeklärte Bürger sein Religiönchen selbst zurecht machen, wie's zu seinem sogenannten Entwicklungs- und Bildungsgang passt. Jeder will nur glauben, was ihm sein Herz sagt, wo's doch meist erbärmlich leer und verwirrt aussieht. „Ich denke mir die Sache so,“ sagt mit starkem Selbstbewusstsein der Nachbar X, wenn von dem Leben nach dem Tod die Rede ist. „Da bin ich ganz anderer Meinung,“ antwortet der Nachbar Y; „ich stimme mit der Gartenlaube, so und so“. Desgleichen macht sich von Christo und von dem Wege zum Frieden Jeder sein eigenes Bild und Systemlein zurecht und tut sich auf diesen Unsinn noch so recht was zu gut.

Dass aber die christliche Gemeinde und Kirche auf Erden ohne ein Bekenntnis nicht sein kann, sollte nicht erst bewiesen werden. Wie ernst mahnt der Apostel, an dem Bekenntnis festzuhalten! Er nennt es das Bekenntnis der Hoffnung, die der treue, gnadenreiche Gott verheißen hat. Was ist denn das für eine Hoffnung? Unzweifelhaft ist es die Hoffnung, dass wir in dem geoffenbarten persönlichen Jesus Christus einen offenen Zugang zum Vater und zu allen Gütern des Vaterhauses haben; es ist die Hoffnung, dass Jesus, der Heiland aller heilsverlangenden lauteren Seelen, in diesen Allen sein Wert vollenden werde, es ist die Hoffnung, die hier schon die Gläubigen beseligt, dass sie in Ihm Vergebung, Versöhnung und ewiges Leben haben, ewige Gottesherrlichkeit in Ihm finden werden und in Ihm allein. Kurzum das Bekenntnis der Hoffnung ist gleich dem Bekenntnis: „Jesus Christus allein unser Retter und Versöhner“.

Hier ist das Bekenntnis aller Derer, die je und je Frieden und Gewissheit ihres Heils gefunden haben. An diesem Bekenntnis der Apostel gilt's festzuhalten ohne Wanken, davon darf kein Titelchen fallen. Aber wo dieses Bekenntnis wirklich in lauteren Herzen lebt, da soll auch Gemeinschaft, volle christliche Gemeinschaft sein. Mag immerhin jede Sonderkirche und Sekte ihr Bekenntnis formulieren und sich über die einzelnen Punkte der christlichen Lehre ausführlicher verbreiten, dies Bekenntnis unserer Hoffnung in Christo muss aber die Seele jedes Bekenntnisses sein. Und wo es das ist, da sind alle anderen Punkte Nebenfragen. Ach, was würden die Apostel wohl gesagt haben von all' dem „Bekenntnisstreit“, womit man den Leib Christi zerrissen hat und zerreißt? Was würden sie wohl sagen, wenn Theologen und Laien auftreten und sprechen: „Wir wissen's ganz genau; so und so und so ist's mit der Gegenwart Christi im Abendmahl; so und so ist's mit der Taufe; so und so ist's mit den zwei Naturen in Christo. Das ist die reine Lehre und nur mit Denen, die so bekennen, können wir christliche Gemeinschaft haben, mit keinem Anderen können wir zum Tisch des Herrn treten“. Wie viel Unheil wird mit solchem hochmütigen Bekenntniswesen angerichtet! Zwischen Denen, die in Einem Heiland Leben und Erlösung suchen, wird Scheidewand auf Scheidewand errichtet und unzählige suchende Seelen werden abgestoßen durch diese starre, stolze Orthodoxie. Wenn der Apostel Paulus sagt, dass unser Wissen Stückwerk sei, so dürfte es uns wohl noch mehr anstehen, bescheiden zu urteilen. Wahrlich, in unserer Zeit, wo die große Welt wieder mehr und mehr in ein erklärtes Heidentum zu versinken scheint, da sollten doch alle, die auf den Einen, darin ihnen Gott erschienen, auf den Einen heiligen Gott-Menschen, der sich für sie zu Tode geblutet hat, - wir sagen, es sollten Alle, die ihr ganzes Angesicht auf Jesum gerichtet haben, Hand in Hand, Schulter an Schulter zusammenstehen, in demselben heiligen Streit, in derselben Arbeit heiliger Liebe.

Aber das Bekenntnis Christi, unseres Heilandes, gilt's festhalten, unerschütterlich. Das sollen wir durchforschen in seiner Länge, Breite, Tiefe und Höhe. Da sollen wir uns hineinleben und hineinlieben, ja auch hineinsterben. Und Jeder, der einigermaßen sein eigenes Herz und Wesen erkannt hat, wird je länger je mehr finden, dass ihm dies Bekenntnis nicht etwas Fremdes ist, noch weniger eine Fessel, sondern dass ihm grade hier die göttliche freimachende Wahrheit begegnet, die seine Seele suchte. Und Er, der treu ist und der die Hoffnung ewigen Lebens in Christo allen heilsverlangenden Herzen verheißen hat, der wird auch die freudige Gewissheit geben, dass diese selige Hoffnung deine Hoffnung ist und dass Er nicht ruhen wird, bis du ein Zeuge und Träger seiner Herrlichkeit sein wirst.

Monarche aller Ding,
Dem alle Seraphinen
Voll Ehrerbietigkeit
Und tiefster Demut dienen:
Lass dein erhab'nes Angesicht
Zu meiner Armut sein gericht't.

Dienstag nach dem 5. Sonntag nach Epiphanias.

Hoffnung lässt nicht zu Schanden werden.
Römer 5,4.

Es ist sehr tiefsinnig, dass der große Dante in seiner „Göttlichen Komödie“ über das Tor der Hölle die Überschrift gesetzt hat: „Ihr, die ihr eingeht, werft alle Hoffnung hinter euch!“ In der Tat, das sind die Unseligen, die Verdammten, die aller Hoffnung bar sein müssen; das ist Hölle, wenn alle Hoffnung hinterwärts geblieben und auf ewig vernichtet ist. In der Hölle hofft man nicht mehr, weil alle Hoffnung tot ist, im Himmel hofft man auch nicht mehr, weil alle Hoffnung erfüllt ist. Hier auf Erden aber ist die Hoffnung recht eigentlich alles Lebens Lust und Kraft. Denn was ist Hoffnung anders, als die Erwartung, dass die Zukunft Gutes bringen werde, was die Gegenwart versagt? Was ist Hoffnung anders, als das Einsenken der Seele in ein noch nicht vorhandenes Glück, Genuss oder Besitz? Darum hofft Alles, was noch nicht vollkommen und selig ist. Wo aber die Hoffnung sterben will, da senken sich die Schatten der Traurigkeit über das ganze Herz. Darum ist es ein Selbsterhaltungstrieb, der Allem, was Mensch heißt, innewohnt, dass man in sich selbst und in Anderen immer und immer wieder das Hoffnungselement stärke und belebe. Da tröstet man sich allewege mit dem Ausspruch des Apostels: „Hoffnung lässt nicht zu Schanden werden“.

Es gibt wenig Bibelworte, die mehr in Jedermanns Munde sind, wie dieses hier. Aber ist's denn auch wahr? Ich weiß nicht, welcher Dichter es ist, der die Hoffnung verflucht hat als die schlimmste Pestilenz im menschlichen Geschlecht, denn sie sei nur die Mutter der Enttäuschung; nichts aber sei bitterer als Enttäuschung. Nun, das ist übertrieben; aber allerdings, die meiste Erdenhoffnung wird doch wirklich zu Schanden.

Der Schwindsüchtige lebt recht eigentlich von der Hoffnung, obgleich seine Kräfte eilend hingehen. Aus „Liebe und Mitleid“ schürt man diese Hoffnung und das ist ein leichtes Spiel. Ob auch ein Lichtstrahl nach dem andern schwindet, dennoch bleibt zum Hoffen noch Licht genug. Bis mitten in den Tod hinein hofft das arme Herz, nichtsdestoweniger aber wird es vom Tod gebrochen. Und so ergeht es mit den meisten Hoffnungen, die auf diese Welt gestellt sind, sie erweisen sich als taube Nüsse.

Eine Hoffnung ist nur dann etwas wert und wird nur dann nicht zu Schanden, wenn sie Grund hat. Die Hoffnung, die wir uns nur so mit unserer Phantasie zurecht gemacht haben, die Hoffnung, die nur eine Abspiegelung unserer Wünsche und Gelüste ist, vergeht schnell wie ein Rauch. Wir müssen vernünftige Gründe für unsere Hoffnungen haben. Wer guten Weizen gesät hat, hat Grund zu hoffen, dass er guten Weizen ernten wird. Wer Anderen Liebe beweist, hat Grund zu der Hoffnung, dass auch er wieder Liebe empfangen wird. Wer fleißig ist, oder wer seine Kinder gut erzogen hat „halt!“ höre ich rufen, „sehr oft stimmt das nicht, ja sehr oft ist das Gegenteil der Fall!“

Ja, da haben wir's! In dieser Welt, die in ihrem Lauf unberechenbar, ja die schier einem wogenden Meer gleich ist, wird die begründetste Hoffnung gar oft zu Schanden. Nein, nicht auf die Welt, sondern auf Den, der über der Welt ist, auf Gott sollen wir bauen; das ist die Hoffnung, davon Paulus sagt, „sie lässt nicht zu Schanden werden“.

Das tut sie aber doch! höre ich Millionen Kinder unseres Geschlechtes rufen, jammern oder auch wütend brüllen, indem sie die geballte Faust gen Himmel heben. „Wir haben,“ so sagen sie, „zu Gott geschrien, auf Gott gehofft, auf Ihn uns verlassen, auf Ihn geharrt, und Er hat uns zu Schanden werden lassen, Er hat uns zu Narren gemacht.“ - Ja, wir wissen wohl, dass es ein gottloses Gottvertrauen gibt, da man Gott nur wie einen bezahlten Lohndiener ansieht, der uns unsern Willen und Gelüste erfüllen soll. Wir rufen zu Ihm, Er soll uns seine helfende Hand oder auch sein rächendes Schwert leihen, und wenn Er uns darin nicht zu Diensten ist, so sagen wir, er ist blind, taub, ohnmächtig.

Das wahre heilige Gottvertrauen besteht nicht darin, dass wir uns Hoffnungen machen und dann von Ihm erwarten, dass Er sie erfülle, sondern darin, dass wir in die Hoffnung, die Er uns gemacht, in die Verheißung, die Er uns gegeben hat, mit unerschütterlichem, kindlichem Vertrauen unsere Seele einsenken und nicht zweifeln: „Treu ist Der, der es verheißen hat“. Keiner wird zu Schanden, der seiner harrt. Und welches ist denn seine Verheißung? welches ist die Hoffnung, darin wir haften sollen? Es ist die Verheißung des ewigen Lebens in Jesu Christo, die Er allen Denen, die mit schuldbeladenem, reuevollem, demutsvollem Herzen zu Ihm nahen, gegeben hat. Wo ein Menschenherz, in sich selbst zerrissen, sehnsüchtig nach Heil und Erneuerung von Oben her durch Christum zu Gott naht, da ist ihm zugesichert, dass ihm Vergebung und himmlische Gnadengabe zu Teil werden soll. Es soll in Jesu finden, was es sucht, die Gewissheit, dass es ein Kind und Erbe Gottes sei, hier im Glauben, dort droben im Schauen, das hat Er verheißen. Es soll durch den Geist Christi zur inneren Erneuerung und Vollkommenheit gelangen und das Erbteil der Heiligen im Licht erlangen zu seiner Zeit. Es soll solch ein Menschenkind hier schon unter dem Schirm und in der Erziehung Christi erfahren, dass ihm Alles, Alles zum Heil und Leben dienen muss; das hat Er verheißen. Die in solche Verheißung Gottes die Wurzeln ihres Lebens einsenken, die leben in der Hoffnung, die nicht zu Schanden werden soll. Würde sie zu Schanden, so würde Gott selbst zu Schanden, Er selbst würde dann als ein Lügner erfunden werden. Siehe, da versuche es mit deiner Hoffnung, da ankere hinein, aber deine ganze Seele ungeteilt und du wirst die Herrlichkeit Gottes Schauen.

Sollt Er was sagen und nicht halten.
Sollt Er was reden und nicht tun?
Kann auch der Wahrheit Kraft veralten?
Kann auch sein treues Herze ruhn?
Bei Ihm ist einig Wort und Tat,
Denn treu ist, der verheißen hat.

Mittwoch nach dem 5. Sonntag nach Epiphanias.

Bei allen Lebendigen ist, „was man wünscht“, nämlich Hoffnung.
Prediger Salomo 9,4.

In unseren Zuchthäusern braucht man jetzt ein eigenes Mittel, um auch die ungebärdigsten, halsstarrigsten Verbrecher geschmeidig und mürbe zu machen. Man wendet nicht mehr Geißel und Folter an, nein, man schickt sie ganz einfach in die Dunkelhaft: das heißt in einen Raum, der so abgeschlossen ist, dass kaum ein Ton aus der Welt dahin dringen, jedenfalls aber so finster, dass, auch beim hellsten Sonnenschein, nicht der geringste Lichtstrahl hineingelangt, so dass der Gefangene kaum wissen kann, ob's Nacht oder Tag, Mittag, Morgen oder Abend ist. Es ist eine Tatsache der Erfahrung, dass auf diese Weise auch die starrsten Köpfe schnell gebeugt werden und sich in Zucht und Ordnung finden lernen.

Wie kommt das? Nun, es kommt daher, dass Licht und Leben, Licht und Freude, Licht und Tätigkeit, vor allen Dingen aber auch, dass Licht und Hoffnung im engsten Zusammenhang stehen. Mit dem kleinsten Lichtstrahl, ob er auch in einen Kerker dränge, mit dem kleinsten Lichtstrahl, ob er sich auch nur verbotener Weise in die Dunkelhaftzelle hineinstehlen möchte, - fließt dennoch eine Welt voll Hoffnung ins Herz hinein. Und tausend neue Hoffnungsschlösser baut das Menschenherz auf den schwachen Strahl und tausend neue Pläne schmiedet es daraus.

Wehe aber den Menschen, wo Licht und Hoffnung aus sind; da ist der Tod; denn „bei allen Lebendigen ist Hoffnung“. Wenn der Mensch in sich selbst und in der Welt um sich her, wenn er in der ganzen Zeit und Ewigkeit nichts mehr findet, was ihm Hoffnung macht, dann ist er verloren; Verzweiflung und Verzagen ziehen dann ein in die Seele. So ein Leben hat dann fürder keinen Zweck mehr, seine Fortdauer kann nur Qual und Jammer sein. Wer wirklich nicht mehr hofft, der lebt auch nicht mehr. Es war nur konsequent, wenn z. B. Saul und Judas, nachdem sie erst das Band, das sie mit Gott verband, freventlich zerschnitten hatten also, dass der Himmel über ihnen ganz finster war, - es war, (sagen wir,) ganz natürlich, dass sie ihrem Leben gewaltsam ein Ende machten, als auch auf Erden alle Hoffnung auf Freude und Glück geschwunden war; denn ein Leben ohne Hoffnung ist nicht wert, dass es Leben heißt. Dass in unserer Zeit, wo sich Millionen als ungläubig bekennen und andrerseits auch die Erdenhoffnung, die bei Unzähligen mit Gold und Geld gleichbedeutend ist, oft so rasend schnell zerstört wird, dass in unserer Zeit der Selbstmord so häufig vorkommt, ist nicht so verwunderlich als das, dass er nicht noch viel häufiger ist. Es ist eben doch in den Herzen der Meisten, die alles Glaubens spotten, - es ist auch da noch ein geheimes Grauen vor der Ewigkeit und sie können das Wörtlein „danach das Gericht“, trotz aller Hilfe der Naturwissenschaften nicht los werden.

Ferner aber stirbt auch in Betreff des Erdenlebens die Hoffnung nicht so leicht. Selbst da, wo der Mund das furchtbare Wort „hoffnungslos“ ausspricht, selbst da, wo wirklich jeder Grund der Hoffnung zerstört ist - selbst da sitzt im tiefsten, verborgensten Winkel des Herzens die Hoffnung versteckt. so lange Einer ein „lebendiger“ ist, so lange ist bei ihm, (wie der „Prediger“ sagt,) die Hoffnung. Wie aber, wenn der Lebendige stirbt und ein Toter wird? Gott hat den Menschen nach seiner Gnade so geschaffen, dass er hofft, so lange er lebt, und dass er an jedem Strohhalm der Hoffnung sich aufrichten kann, - aber, aber! Alles, was wir von diesem Leben hoffen können, es hört doch spätestens auf, wenn dieses Leben selbst aufhört. Das ist klar. Dann nur, wenn deine Hoffnung ist, dass dieses Leben nicht aufhört, wenn es aufzuhören scheint, - dass es vielmehr nur der Übergang und Eingang in ein neues, höheres, ewiges Leben ist, dann nur geht die Hoffnung weiter und ist mitten im Tode Leben und Licht. Aber wie willst du diese ewig-lebendige Hoffnung erlangen? Wie anders als dass du deine ganze Seele einsenkst und verlierst in Den, der ewig-lebendig ist und der allein Unsterblichkeit hat und geben kann. Nur wer weiß, was es heißt, „ein Kind des lebendigen Gottes“ zu sein, nur Der kann eine lebendige Hoffnung haben, der wird sie aber auch gewiss erlangen. „Wohl Dem, der seine Hoffnung setzt auf den Herrn.“ Der allein ist ein wahrhaft „Lebendiger“, der allein hat lebendige Hoffnung. Da erst gilt dann des Dichters Wort:

Hoffnung ist ein fester Stab
Und Geduld das Reisekleid,
Womit man durch Welt und Grab
Wandert zu der Ewigkeit.

Donnerstag nach dem 5. Sonntag nach Epiphanias.

Setzt eure Hoffnung ganz auf die Gnade, die euch angeboten wird durch die Offenbarung Jesu Christi.
1. Petri 1,13.

Heutzutage wollen die meisten Menschen sich selbst ihren Seligkeitsplan machen. Wer aber eine lebendige Hoffnung haben will, der muss nicht in seinem eigenen Herzen eine Hoffnungsfabrik anlegen, sondern seine ganze Seele einsenken in die Gnade, die in Christo erschienen ist, und zwar in dem geoffenbarten Christus. Nun höre man aber, wie jetzt die Leute, auch die besser und ernster gesinnten, reden und schreiben: „Ich habe mir mein Leben lang nichts Besonderes zu Schulden kommen lassen. Natürlich, Sünde hat ja Jeder, aber wenn es überhaupt ein seliges Jenseits gibt, so kann Gott es mir nicht verweigern“. So der Eine; und ein Anderer: „Ich weiß wohl, dass ich schauderhaft gesündigt habe, aber wie muss ich auch dafür leiden! Nun meine ich, wenn ich willig und stille leide und möglichst viel Gutes tue, so muss es mir droben gut gehen; das ist meine Hoffnung“. Dergleichen Reden kann man alle Tage hören. Aber ich bitte dich, der du so sprichst: Worauf gründest du denn diese deine Hoffnung? Dass du durch geduldiges leiden und gute Werke deine Sünden tilgen könnest, woher weißt du das? Gott selbst hat das nicht gesagt; alle seine gewaltigsten Zeugen haben es nicht gesagt und dein eigenes blutendes Gewissen hat's dir wahrlich auch nicht gesagt. Wie kommst du denn zu solcher grundlosen Hoffnung? Ist sie nicht eben so unvernünftig, als wenn du dir Hände und Füße abhacken und dann erwarten wolltest, sie würden durch geduldiges Ertragen der Leiden wieder anwachsen? Wahrlich, da müsstest du lange warten. Nun, so wie du wohl deinen Leib verstümmeln, aber nicht wieder herstellen, ja wie du wohl das zeitliche Leben total vernichten, aber nicht aufs Neue erwecken kannst, - so kannst du auch wohl durch die Sünde deinen inwendigen Menschen verberben und verwüsten, du kannst das Band mit Gott zerreißen aus eigner Kraft, - aber wiederherstellen das Verderbte und Zerrissene, das kannst du nicht. Nein, werde so ehrlich und erkenne, dass du, auf dich selbst gesehen, hoffnungslos bist, - erkenne in Demut, dass du an dir selbst, an dem Wert deines Naturlebens, deiner Tugenden und Werke total verzagen musst, - dass von deinen Verdiensten gar keine Rede sein kann, und dann tue, wie Petrus dir rät, „setze deine Hoffnung ganz auf die Gnade“.

Aber diese Gnade ist nicht so eine allgemeine, schwammige, unfassbare Vatergüte Gottes, die eigentlich selbstverständlich „droben über ‘m Sternenzelt“ wohnt. Nein, die Gnade wird uns „angeboten in der Offenbarung Jesu Christi“. In Ihm, in dem geoffenbarten Christus, nicht in einem selbsterfundenen, ist uns die Gnade erschienen.

Wenn also jetzt Viele sagen: „Christus war ein frommer Dulder und ein großer Menschenfreund; Er hat Wenige seines Gleichen; darum ist Er unser Vorbild; was man aber von seiner Gottessohnschaft, Versöhnung und dergleichen sagt, das ist dummes Zeug“. - Du, der du so sprichst, - ich gebe dir zu, dass du im Namen vieler Millionen getaufter Christen sprichst, aber ich bitte dich, woher weißt du, was du sagst? Von Jesus selbst hast du doch diese Weisheit nicht, - aus dem Mund der Apostel, die uns sein Bild gezeichnet haben, auch nicht. Sie zeigen uns, dass der Menschensohn auch der Gottessohn, dass der Mann des Vorbilds zugleich auch das Lamm Gottes ist, das die Sünde der Welt trägt. Wie weißt du nun, dass Jesus nur ein frommer Dulder war? Mit größerem Recht könntest du sagen, dass er ein Phantast, ein übermütiger Narr, ja ein wahrer Unmensch war. Aber der fromme Dulder passt dir besser, weil dir das Wörtlein Gnade unbequem ist.

Wer aber erst im eigenen Herzen gefunden hat, dass ihm nur durch Gnade geholfen werden kann, der wird in der Anschauung des wirklichen Christus auch bald entdecken, dass hier das Heil, wonach sein Herz verlangt, erschienen ist. Ob er sogleich versteht, wie das Alles seinen Zugang hat, dass in Jesu göttliche und menschliche Natur, himmlische und irdische Materie Eins geworden sind, - dass Er der Träger, Tilger und Sühner unserer Sünden ist und dass wir durch seine Wunden heil geworden sind, ob er das mit seiner Vernunft begreift, ist fürs Erste minder wichtig. Die Leute, die keine Ahnung davon haben, wie das zugehen möge, dass die Erde sich um ihre eigne Achse und zugleich in unendlichem Bogen um die Sonne bewegt, sie leben darum eben so vergnüglich auf unserem Planeten wie die großen Astronomen und Naturforscher allzumal. Sonne, Mond und Sterne kreisen seit Jahrtausenden in den Himmelssphären, ohne dass unter tausend Menschen Einer sich eine Idee machen kann, wie das seinen Zugang hat. Sie freuen sich aber des himmlischen Lichtglanzes nicht minder wie die Leute, die alles wissen, was man wissen und nicht wissen kann. So lass dir's denn auch in deinem Christentum genug sein zu verstehen: Siehe, so wie Jesus ist, so muss mein Heiland sein; so Einen, wie dieser ist, habe ich nötig, nach so Einem schreit mein Herz und Dieser bietet sich mir freundlich an; wohlan, so gebe ich mich ihm denn, wie ich's vermag, und setze meine Hoffnung ganz auf die Gnade, die in Jesu Christo erschienen ist.

Such', wer da will,
Nothelfer viel,
Die uns doch nichts erworben:
Hier ist der Mann, der helfen kann.
Bei dem nie was verdorben.
Uns wird das Heil
Durch Ihn zu Teil;
Uns macht gerecht
Der treue Knecht,
Der für uns ist gestorben.

Freitag nach dem 5. Sonntag nach Epiphanias.

Legt ab alle Heuchelei!
1. Petri 2,1.

Das Wort „Heuchelei“ heißt eigentlich „Schauspielerei“. Wenn der Mensch heuchelt, so spielt er eine Rolle, die seinem wirklichen Wesen nicht entspricht. Dass die Schauspieler auf der Theaterbühne das tun, ist wohl etwas Sittlich-gefährliches, ist aber an und für sich nichts Sittlich-verwerfliches. Denn der Schauspieler macht ganz und gar keinen Anspruch darauf, dass man ihn für das halte, was er darstellt. Anders aber ist's, wenn wir durch Worte, Gebärden und Taten Liebe zu Gott und den Menschen, wenn wir Demut und Versöhnlichkeit, Hass gegen die Sünde und Traurigkeit über die Sünde darstellen, die doch dem inneren Grunde des Herzens nicht entsprechen. Diese geistliche Schauspielerei geschieht zuerst mit mehr oder weniger Bewusstsein und Willen, dass man täuschen und Andere über sich verblenden will; allmählig kann sie auch unbewusst, gleichsam zur anderen Natur werden und dann ist sie am allerschlimmsten.

Nun will freilich Niemand den Namen eines Heuchlers auf sich nehmen. Jeder bekreuzt sich, wenn davon die Rede ist, und möchte diese schlimme Konterbande dem verkommenen Pöbel zuschieben. Aber der Apostel ermahnt in seinem Brief die Christen, die Jünger Christi, dass sie die Heuchelei ablegen möchten. Da dürften wir's doch auch wohl zu Herzen nehmen. Achten wir hier nur darauf, wie geschickt wir unsere Sünden zu bemänteln und fromm zu machen wissen! Mit berechtigter Ironie hat einer unserer Dichter gesagt:

„Uns're Welt und diese Zeit
Steckt voll Ehr- und Redlichkeit,
Weil der Sünder ganzer Stamm
Letzthin Adelsbriefe nahm.“

Ja freilich, wohin man auch geht in der Sünderwelt, man findet überall nur brave und fromme Leute. Kein Wunder! denn man hat die Sünde geadelt, hat sie fromm und brav gemacht. Zum Beispiel, obgleich die Erde voller Mammonsknechte steckt, würde man doch keinen Geizhals finden, (der es nach seinem eigenen Urteil ist,) ob man auch viele Länder mit Laternen durchsuchen wollte. Nein, der Geizhals sagt: „Ich bin sparsam, bin ein guter Hausvater, der für Weib und sind sorgt, und nicht so ein liederlicher Verschwender wie der Nachbar X oder der Vetter Z.“ Diese dagegen schreien: „Wie, ich sollte ein Verschwender sein? Da sei Gott vor! Liberal bin ich und gutmütig und gönne meinen Mitmenschen auch etwas“. - So nennt sich ferner der Feigling bescheiden und demütig; der Hochmütige aber, der von Andern so hart redet und sich selbst so groß macht, ist nach seiner Meinung nur ein aufrichtiger und grader Mensch, der Alles sagt, wie er's denkt, und nicht wie der und der Schleicher und Heuchler immer hinter dem Rücken zischelt. Oder er drückt es noch frommer aus und sagt: „Was ich bin und habe und kann, das ist ja Alles, Alles nur Gnade, da darf ich's zum Preis des Herrn ja doch wohl sagen.“

So lügt sich unser Herz was vor, bald in grober, bald in feiner Weise. Ach, wie Mancher spricht so viel und so tiefbewegt von seinem „grenzenlosen Sündenverderben“, wird aber ganz wild, wenn man ihm eine einzelne Sünde nennt, ihm zum Beispiel sagt, dass er eine böse, verleumderische Zunge habe. Darum lasst uns wohl vernehmen, was der Apostel sagt: „Legt ab alle Heuchelei“! Lasst uns wohl hüten, das hässliche Gesicht der Sünde, die in uns ist, mit allerlei frommen Schleiern zu umhüllen! - Wer nicht zu der wahren Freude der Gotteskindschaft, nicht zu der Gewissheit der lebendigen Hoffnung gelangen kann, der untersuche sich wohl, ob da drinnen nicht noch ein Rest des bösen Sauerteigs der Heuchelei liegen geblieben ist. Das Gebet Davids: „Erforsche mich Gott, und erfahre mein Herz, prüfe mich und erfahre, wie ich es meine“, müssen wir täglich aufs Neue exerzieren und täglich wieder bitten lernen:

Gib mir Augen, die was taugen,
Rühre meine Augen an!
Denn das ist die größte Plage,
Wenn am Tage
Man das Licht nicht sehen kann.

Sonnabend nach dem 5. Sonntag nach Epiphanias.

So halten wir es nun, dass der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.
Römer 3,28.

Welch' ein herrlich Ding ist's doch, wenn man so mit dem Apostel sprechen kann: „Wir sind gerecht vor Gott“, - „wir haben Frieden mit Gott“, „wir haben in Jesu Vergebung, Versöhnung und ewiges Leben“! Freilich, nicht ganz selten begegnen Einem Menschen, die solche Sprache führen, bei denen man aber unmittelbar das Gefühl hat: Die haben kein Recht so zu reden; es ist nur angelerntes Werk. - Andererseits findet man aber auch Solche, die in aller Wahrhaftigkeit auf dem Zöllnerstandpunkt stehen und die dennoch nicht zur Freudigkeit des Geistes, noch zur Gewissheit ihres Heiles kommen können. Grade Diesen, die von sich selbst innerlich los sind und sich ganz Christo bringen möchten, - die sich freuen dürften und doch noch nicht freuen können, weil sie, - ich weiß nicht auf welche besondere, innere oder äußere Offenbarungen und Stimmen Gottes, die doch nicht verheißen sind, - warten, diesen gilt, was hier gesagt werden soll. Wie können sie denn dazu kommen, dass sie sich ihres Gnadenstandes freuen? Die Apostel antworten allen, von sich selbst geschiedenen Seelen einstimmig: „Durch den Glauben wird man gerecht vor Gott“. Was heißt denn das: durch den Glauben? Nun, es heißt zunächst: „Nicht durch die Werke“. Es heißt aber weiter auch, dass man die Begnadigung und innere Erleuchtung nicht hier und daher erwarten, sondern aus dem Wort Christi selbst heraus ergreifen soll. Denn in den Marmorhallen des Tempels sowohl wie an allen Hecken und Zäunen lässt Er die wahrhaft Leidtragenden den vollen Sonnenglanz seiner Liebe genießen, ruft und lockt sie: „So greift doch zu und nehmt mich, ihr, die ihr von euch selbst nichts und von mir Alles haltet; euch gehört all' meine Gnade, euch gehört das ewige Leben“.

Wie oft geschieht's, dass liebe Menschen sagen: „Ach, ich kann Gott nichts bringen, als einen ganz armen Sünder, jedoch, es fehlt mir die Gewissheit der Seligkeit“. Aber, ich bitte dich, so bring du doch Gott den armen Sünder und nimm von Ihm den Heiland! Er steht ja da. Eben so wie du bist will der Herr die Leute haben und die so sind, die will er alle haben und Alles, Alles in ihnen vollenden. So greife doch zu, dir gehört der Herr Jesus Christus und alle seine Gnade gehört dir.

Eben dies sollst du glauben; - nicht schauen, nicht schmecken, nicht fühlen, nicht sehen, nicht von den Pastoren und anderen frommen Leuten dir bezeugen lassen, nein, glauben sollst du's! Schmeckst du's, fühlst du's auch, sind auch die Frommen der Meinung, dass du ein Kind Gottes seist, desto besser; bemängeln sie dich aber, schmeckst und fühlst du selber nichts, so ist die Sache darum nicht anders. Hier ist das Wort Christi; dahinein senke deine Seele kräftig und trotze darauf, sei's auch zuwider aller Kreatur. Und ob dir alle Sterne am Himmel deines Geistes untergehen, und wenn alle Bäche Belials um dich rauschen, und wenn Schwermut dein Herz umnachtet und so manche liebliche Erfahrungen deines früheren Lebens dir total verdunkelt werden und wenn alle Heiligen des Himmels dir den Rücken kehren, so tritt du dennoch hin vor deinen Herrn Christus und sprich: Hier ist dein Gnadenwort und hier ist ein armer Sünder, die beiden gehören zusammen; hier ist ein Mann mit einem zerrissenen Herzen, der nichts wie sich selber zu bringen hat, sich aber auch ganz bringt, und da ist dein Wort, o Jesus, dass dem armen Sünder gewiss Erbarmung widerfahren werde und dass du selbst Alles in Ihm vollenden werdest, bis hin zum seligen Ziel der Vollendung in der Herrlichkeit. Darum bin ich trotzig und froh und zweifele nicht: mir gehört das ewige Leben, mir gehört das Erbteil der Heiligen im Licht, ja du selbst, o Herr, gehörst mir. Ich muss mich ganz in deine Arme fallen lassen, aber ich weiß auch, dass ich so nicht in den Abgrund stürze, sondern in Heilandshände sinke, die weicher wie alle Mutterhände sind.

Keiner Gnade sind wir wert;
Doch hat er in seinem Worte
Eidlich sich dazu erklärt;
Sehet nur, die Gnadenpforte
Ist hier völlig aufgetan:
Jesus nimmt die Sünder an.

Am 6. Sonntag nach Epiphanias.

So Jemand will unter euch gewaltig sein, der sei euer Diener. Und wer da will der Vornehmste sein, der sei euer Knecht.
Matth. 20,26.27.

Wie unbequem ist uns diese Rede! Dass wir uns sollen unterordnen, Diener und Knechte sein, den untersten Weg gehen, wer hat darauf seinen Sinn gestellt? Nein, unsre Hoheitsrechte geltend machen, unseren Kopf durchsetzen, Recht behalten, den Andern benutzen statt ihm zu dienen, das ist der Zug unserer Natur. Das musste Jesus sogar in den lieben Jüngern immer und immer wieder bekämpfen. Das sehen wir schon an unseren Kindern, wo das ältere immer das jüngere beherrschen will, statt seiner größeren Schwachheit aufzuhelfen. Und wie der Mensch größer wird, so wächst auch die Neigung, sein Ich geltend zu machen.

Jesus aber, den wir Meister und Herr nennen, - Er, der den Abglanz göttlicher Majestät an der Stirn trug, Er, der allein auf Erden vollkommen berechtigt war zu herrschen, - Er erwählte sich „ein Diener zu sein“, obgleich man ihm Königskrone und Szepter zu Füßen legte. Bis zum legten Atemzug war Er ein Diener aller seiner Mitmenschen, und immer in der heiligsten Sanftmut, Demut und Einfalt, immer so, als wenn sich's ganz von selbst verstünde und nicht anders sein könnte. Wer die Evangelien kennt, der weiß das; der weiß aber auch, dass der Mensch Jesus so allein aller Gottesgewalt im Himmel und auf Erden fähig und wert geworden ist.

Und dieser Geist der dienenden Liebe, den Er in die Welt hineingezeugt hat, der allein kann die kalte, selbstsüchtige, hochmütige Menschheit erneuern. Dieser Sinn - nicht die Zustimmung zu den Worten Christi, nicht die Lobpreisung der Werke Christi, nicht das Pochen auf die Versöhnung in dem Blut Christi, - nein, diese Christus Lust zu dienen und zu helfen ist das eigentliche Palladium der Gemeinde Jesu auf Erden. Kein anderer Glaube ist der echte als derjenige, aus dem diese aufopfernde, demütige Liebe fließt. Nur von diesem Glauben ist es gesagt, dass er die Welt überwinden wird. Und Die nur, in welchen der Geist dieser Liebe lebt, werden Christo nachschreiten zum Thron und zur Herrlichkeit. So hat Er's gesagt.

Zwar sagt Christus: „Ich richte Niemand“. Aber er selbst ist das Maß, an dem Jedermann gemessen wird. Der beste Christ ist Der, der die Kunst des Liebens und Dienens in der glaubensvollen Hingebung an Christus am besten gelernt hat. Alles „Herr, Herr“ sagen, aller Eifer für reines Bekenntnis, alle noch so köstlichen Erfahrungen im Gebets- und Glaubensleben verschlagen nichts, wenn dieser Diene-Mut, dieser heilige, edle Knechtssinn fehlt. Und ob Einer ein großer Bischof oder ein hochbegnadigter Prediger des Evangeliums gewesen wäre, sie werden verbleichen vor der geringsten Magd, die in der christusähnlichen Dienelust weiter gekommen war.

Seiner Zeit haben die ersten Christen die Welt dadurch vor dem Untergang gerettet, dass sie mitten in diese stolze Welt voll Herrschsucht und Streit diese unscheinbare und doch so himmelsstarke Pflanze der demütigen, sanften, dienenden Liebe hineinpflanzten, die sie täglich aus der Fülle Christi schöpften. Nachher hat man das Wesen des Christentums verkehrt, indem man das Hauptgewicht auf die Zustimmung zu einem ganzen Register christlicher Lehrsätze legte. Da ist die Welt wieder in die alte Stumpfheit hineingesunken. Und aus dieser Stumpfheit wird sie nicht anders geweckt werden, als wenn vor den Augen der Nationen offenbar wird, dass in der christlichen Gemeinde diese Macht der dienenden Liebe mit Himmelkräften waltet. Dieser Geist allein, nicht neue Verfassungen, Bekenntnisse, Liturgien, Parteibildungen, kann die Kirche erneuern; dieser Geist allein kann die Welt retten, die jetzt von unheilschwangeren Wetterwolken finster umhangen ist. Rein Staat wird auf die Dauer bestehen, keine Macht der Bajonette, keine noch so treffliche Gesetzgebung, keine noch so gut organisierte Polizei werden ihn zusammenhalten, wenn nicht regierende und Regierte erkennen, dass sie einander dienen müssen. Nicht Arbeitseinstellungen, nicht Staatshilfe, nicht Revolutionen, nicht neue Gesetze werden die soziale Frage lösen. Die wird zu einem Feuer werden, das unsere Kulturstaaten verzehrt, wenn nicht jener Geist in der christlichen Gemeinde lebendig wird und sich von da aus wie ein Lebensstrom in die übrige menschliche Gesellschaft ergießt. Woher kommen so viele unglückliche Ehen, warum ist das Verhältnis zwischen Herrschaften und Dienstboten meist so böse, warum ist häufig beim Militär das Verhältnis zwischen Offizieren und Gemeinen so bitter, warum stehen unzählige Prediger ihren Gemeinden so ohnmächtig gegenüber? Ist es nicht dies, dass Einer den Andern wohl ausnutzen will, nicht aber darüber aus ist ihm zu dienen, so wie ihm gedient ist?

Man hört jetzt oft sagen: Gott der Herr muss sich seiner Gemeinde in einer besonderen Weise annehmen. Eine neue große Ausgießung seines Geistes muss kommen usw. Man fordert auf, die zu erbitten, und hält zu diesem Zweck große Versammlungen. Das ist recht und gut. Aber, wenn der Herr mit den großen Wundern seiner Gnade kommen soll, so muss die christliche Gemeinde erst das Ihrige tun, dass Er ein bereitetes Volk finde, das heißt: eine geweihte Schar, die in seiner Kraft mit den Gedanken, die Er auf die Erde gebracht hat, vollen und ganzen Ernst macht. Alsdann wird der verklärte Christus hinzutreten und das Beste tun.

Also sage dir täglich: Ich muss ein Diener sein und weil ich muss, so will ich. Sage nicht: „Ich kann nichts“. Du darfst dir schon etwas zutrauen, weil du Ihm vertraust, wirst auch das Lieben und Dienen schon lernen, wenn du Ihm recht dienst. Was für große Dinge die dienende Liebe gewirkt hat, wirst du droben erst erkennen, wo du so weit bist, dass es dich nicht mehr stolz machen kann. Da wird offenbar werden, dass vielleicht ein Teller Suppe, den du als ein Knecht Christi gebracht hast, zu einer großen Reichsgeschichte geworden ist. Denn wenn erst ein Herz dadurch zur Erkenntnis der himmlischen Liebe geführt ist, so weißt du nicht, wie's von da aus vielleicht bis an die Enden der Erbe weiter geht. - Aber Erfolg oder nicht Erfolg! Diene du, weil Christus diente! Diene du, weil Christus dich es heißt und dir darin hilft und die Wege zeigt; diene mit viel oder mit wenig, aber - diene. Und in diesem Dienen wirst du hier schon selig sein, und nach diesem Dienen wirst du droben in die Zahl der Könige und Priester eingegliedert werden.

Wer sind Die vor Gottes Throne?
Was ist das für eine Schar?
Träget Jeder eine Krone,
Glänzen wie die Sterne klar;
Halleluja singen All',
Loben Gott mit hohem Schall.

Es sind Die so stets erschienen
Hier als Priester vor dem Herrn,
Tag und Nacht bereit zu dienen,
Leib und Seel geopfert gern.
Nun sie stehen All' herum
Vor dem Thron im Heiligtum.

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