Forstmann, Johann Gangolf Wilhelm - Zweite Betrachtung.

Forstmann, Johann Gangolf Wilhelm - Zweite Betrachtung.

Wahrlich, ich sage dir: heute wirst du mit mir im Paradiese sein.
Luc. 23, 43.

Das zweite Wort unseres Heilandes am Kreuz ist an einen Uebelthäter, einen Mörder, gerichtet. Es ist ein Mensch, der die gröbsten Schandthaten begangen, der nicht allein nach göttlichen und menschlichen Gesetzen sein zeitliches Leben verwirket, sondern auch nach jenen unter dem Urtheile des ewigen Todes lag. Aber er wendet sich zum Heiland. Und wir hören ein Bekenntniß seines Mundes, das ihm der Glaube seines Herzens auspresset. Wir hören ein Zeugniß aus dem Munde eines Sünders, das die Jünger Jesu, auch die, so auf dem Berge seine Herrlichkeit gesehen hatten, tief beschämet. Er wendet sich mit wenigen, aber beweglichen Worten zum Heiland: „Herr, gedenke an mich, wenn Du in Dein Reich kommst!“ Er verlanget seine Seligkeit aus den angenagelten Händen dessen, der in der Mitte hing. Und Jesus spricht zu ihm: Heute, noch diesen Tag, heute wirst du mit mir im Paradiese sein. Und der Schächer verstehts, und glaubt, daß er heute noch, gleich nach seinem Abschiede, an einen Ort ewiger Erquickung gelangen solle.

Und so sehen wir hier einen in seinen letzten Stunden gerechtfertigten und darauf selig entschlafenen Missethäter.

Man hat sich oft Mühe gegeben, dies Exempel der Begnadigung eines armen Sünders so außerordentlich vorzustellen, als ob es fast das einzige wäre, das man seit der Zeit davon hätte, indem man nicht begreifen könne, wie ein lasterhafter Mensch so geschwinde sollte bekehret, zum Glauben gebracht, und in so wenigen Stunden selig werden. Doch wir wollen sehen, daß der Schächer auf demselben ordentlichen Wege und auf dieselbe Art sei gerechtfertiget worden, wie wir Alle dieses göttliche Gnadengeschäft an unsern Seelen erfahren müssen.

Die Rechtfertigung ist ein auf die Zurechnung des Verdienstes Jesu sich gründender rechtlicher Ausspruch, kraft dessen ein Sünder, der nicht mit Werken umgehet, glaubet aber an den, der die Gottlosen gerecht macht, im Gerichte Gottes von aller Schuld und Strafen der Sünde absolviret, los gesprochen, für gerecht erkläret, und der ewigen Seligkeit fähig und werth erkannt wird. So ist auch der Schächer gerecht gesprochen worden. Er hat die Gestalt eines Menschen an sich, der gerechtfertiget wird.

Wer für seine Person dieser Gnade sich erfreuen will, der muß sich vom Geiste des Herrn in eine gewisse Verfassung setzen lassen, in welcher ihm diese große Barmherzigkeit widerfahren kann. Er muß zuvörderst ein Sünder sein. Das ist: Er muß seine Sünden und das tiefe Verderben seiner ganzen Natur aus dem Gesetze Gottes mit Schmerz und Wehmuth erkennen. Mit diesem Erkenntniß ist ein ernstlicher Abscheu vor der Sünde verknüpfet; dabei findet sich eine Furcht vor Gott, ein demüthiges Bekenntniß wohlverdienter Strafe. Wer einen Menschen sehen will, bei dem sich das alles wahrhaftig offenbaret, der muß seine Augen auf diesen Schächer richten. Ist der Eifer über das Böse schon eine Wirkung der göttlichen Traurigkeit, wie Paulus 2. Cor. 7, 11. bezeuget, so leuchtet ja derselbe deutlich daraus hervor, wenn er seinen Genossen so ernstlich über seinem Schmähen bestrafet. Wer vollends auf seine folgende Rede Acht giebt: „Und zwar sind wir billig darinnen, denn wir empfahen, was unsere Thaten werth sind;“ höret der nicht die Sprache eines Sünders, der sein Elend empfindet?

Wie aber war dieser Mann zur Erkenntnis; seiner Sünde gebracht worden? Wir antworten: Auf dem ordentlichen Wege, den der Apostel Röm 3, 20. anzeiget: Durch das Gesetz kommet Erkenntniß der Sünde. War er in der jüdischen Kirche geboren und erzogen, so konnte er leicht durch das geschriebene Gesetz überzeugt werden, daß er die Gebote Gottes übertreten, und der Geist des Herrn konnte ihn bei diesen groben Ausbrüchen der Sünde, um deren willen er sogar der weltlichen Obrigkeit in die Hände gerathen war, bald auf die Quelle alles Verderbens, auf sein böses Herz bringen, und ihm durch eben dies Gesetz seinen ganzen Sündengreuel, und mit demselben die Gerechtigkeit Gottes vorstellen, welche nothwendig die Uebertreter ihrer heiligen Rechte im Zorne strafen muß. Gehörte er unter die Zahl der Heiden, so hatte er zwar ohne das geoffenbarte Gesetz gesündigt, aber er hatte ein Gesetz in seinem Gewissen, welchem er hätte folgen sollen. Und wie ihn der Geist Gottes nach diesem fand, so richtete er ihn, und zog ihn zur Rechenschaft; und dadurch wurde nun in seinem Herzen eine wahre Furcht vor Gott erreget. So hatte ihn der Geist Gottes zu dem Bekenntniß geführet: „Wenn ich mich vor Gott ansehe, wer ich bin, und was ich verdienet habe, so fürchte ich mich; ich erschrecke vor seiner Heiligkeit; ich habe die Verdammniß verdienet; ich kanns nicht leugnen, ich muß es bekennen.“

Ein Sünder, der gerechtfertiget wird, muß ferner nicht mit Werken umgehen. Er muß von seinem eignen Wirken, von seinen vermeintlichen Beiträgen zur Seligkeit abstehen. Daß nun der Uebelthäter am Kreuze sich mit keinen guten Werken, weder von innen noch von außen los zu helfen gesucht, lehret seine Geschichte deutlich, welches auch um desto weniger zu bewundern ist, der keine hatte.

Ein Mensch, der für gerecht erkläret wird, muß endlich glauben an den, der die Gottlosen gerecht macht.

Er muß als ein Gottloser, den sein Verderben drücket, zu einer fremden Hülfe seine Zuflucht nehmen, bei dem Gnadenstuhle, den uns Gott vorgestellt in seinem Blute, Barmherzigkeit und Rettung suchen, und sich mit dem ganzen Vertrauen seines Herzens auf die Gnade steuern. Das ist der armen Sünder Weg. Finden wir diese Gemüthsbeschaffenheit an unserm Schächer? Wir sagen: Ja. Höret nur seinen Seufzer an: Herr, gedenke an mich, wenn Du in Dein Reich kommest! Ist das die Sprache eines Menschen, der mit Werken umgehet, der seine Sache selbst mit Gott ausmachen will, oder ist es nicht eine lautere Glaubensstimme? Ja, sein Glaube ist sogar ein starker, ein unserer Bewunderung würdiger Glaube. Er nennt Jesum einen Herrn. Niemand kann Jesum einen Herrn nennen, nämlich für sich, zu seinem Besten, ohne durch den heiligen Geist, 1. Cor. 12, 3. Dies einzige Wort zeigt an, daß er eine tiefere Einsicht gehabt, als die Gelehrtesten der damaligen Zeiten hatten. Er weiß, daß dieser Herr ein Reich hat, das ihm eigentümlich zugehöret: „Herr, gedenke an mich, wenn Du in Dein Reich kommest.“ Er lasset sich kein irdisches Reich einfallen. Der Heiland hängt erstarrt am Kreuze. Er wird bald die Welt verlassen. Der Schächer muß erkennen, daß dieser Herr ein ewiges Reich habe. Der Uebelthäter zweifelt nicht an demjenigen, was er erkennt, sondern hält sich an das, was er nicht siehet, als sähe er es. Er siehet keinen Herrn, sondern einen Menschen, der wie ein Dieb und Mörder am Holze hänget. Er ist gewiß, daß es der Herr ist. Er siehet nicht das Geringste von einem Reiche. Allein, er ist überführet, daß dieser Herr ein Reich habe, das er mit einer unumschränkten Macht beherrschen müsse. Er schreibet seinem Herrn nichts vor, und macht nichts insbesondere namhaft. „Gedenke du nur an mich! Ich bin es wohl nicht werth, den Unterthanen Deines herrlichen Reiches, in welches Du nun bald eingehen wirst, zugezählet, und mit ihrem Stadt- und Bürgerrechte beschenket zu werden; ich habe es nicht verdienet, daß ich mit Deinen Kindern zu Tische sitze; ich wäre wohl zufrieden, wenn ich nur der geringsten Brosamen genießen kann, die von ihrer Tafel fallen. Du bist aber der Herr, der Macht hat zu thun mit dem Seinen, was er will: Gedenke an mich! Laß Dir es nur einmal einfallen, daß ein armer Sünder, der gerne selig sein wollen, am Tage Deines Todes neben Dir gehangen. So habe ich genug. Mehr kann ich nicht verlangen. So wird mich doch nichts verdammen können.“

Wenn das kein zuversichtlicher Glaube ist, der seine Hoffnung ganz auf die Gnade setzet, die ihm angeboten wird, so möchte ich wissen, wie denn sonst dieser Glaube aussähe. Wir sagen noch mehr: Sein Glaube ist stark. Wer einen Heldenglauben kennen will, der muß den Glauben dieses Räubers betrachten. Wer wird uns hier in seinem Glauben vorgestellet? Ein Mensch, der nie getauft ist. Ein Sklave des Teufels, der Blutschulden auf sich geladen, und sein Leben in lauter Ruchlosigkeit zugebracht, der den Heiland jetzt zwar sahe, aber in der Gestalt eines Missethäters und ohnmächtigen Menschen, an dem nicht das Geringste von außen wahrzunehmen ist, daraus die Majestät eines Herrn konnte geschlossen werden. Ein solcher ist es, der hier glaubt, und zwar mit einer Zuversicht, die man sich kaum größer vorstellen kann. Ist das nicht ein starker Glaube in der letzten Stunde?

Aber der Geist des Herrn hatte ihn gewirket und damit fällt aller Ruhm von seiner Person weg, und wie seine Seligkeit, so bleibt auch sein Glaube sowohl als die Stärke seines Glaubens ein lauteres Gnadengeschenk, das er aus der Hand Gottes empfangen. Hätte diese hohe Hand dies arme Schlachtschaf des ewigen Todes nicht aus dem Rachen des Satans herausgerissen, so würde es von demselben verschlungen worden sein. Denn Niemand kann aus eigner Vernunft oder Kraft an Jesum Christum, seinen Herrn, glauben und zu ihm kommen.

Der Geist des Herrn wirkte durch das Wort Jesu den Glauben im Herzen des Schächers. Aus dem ganzen Bezeugen Jesu leuchtet ihm etwas in's Herz, das ihn zum Nachdenken bringet. Bald höret er das erste Wort aus dem Munde des Herrn: „Vater, vergieb ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun!“ „Was ist das für ein Mann?“ denkt er; „welch ein Wort ist das!“ Jedes gehet ihm wie ein Pfeil durchs Herz: „Niemand kann Sünde vergeben, als Gott. Und den nennet Jesus seinen Vater. Er bittet für sich um keine Vergebung. Aber er bittet um Vergebung für seine Feinde; er liebet sie; er segnet, die ihn fluchen; er flehet für die, so ihn beleidigen. Will er nicht, daß die Sünder gestraft werden, so muß er ein unendliches Mitleiden mit ihnen haben; kann er das bei seinem Vater zuwege bringen, daß seinen Feinden alle ihre Missethaten vergeben werden, so muß man sich zu ihm wenden, damit man die Kraft seiner Fürbitte erfahre. Er betet ohne Bedingung. Er muß wissen, daß ihn sein Vater unfehlbar erhöret. Er nennet zwar Niemanden mit Namen, schließet aber auch Niemanden aus. Die Absolution, die er auswirket, gehet seine Feinde ohne Unterschied an. Das gilt mir! Das ist ein Evangelium für die Gottlosen; eine Predigt für mich. Ich bin ein Sünder, ein Missethäter. Ich habe nicht gewußt, was ich gethan habe. Soll ich mich nicht auf das Wort verlassen? Wozu wäre es mir denn nütze? Ich setze meine Hoffnung ganz auf dasselbe; nun kann ich nicht verloren sein. Nein! nein! Ich werde leben. Er hat ein Reich. Er wird an mich gedenken. Das ist genug für mich. Herr, gedenke an mich, wenn Du in Dein Reich kommest.“ Seine Sünden verschwinden, die Verdammniß weichet, die Ankläger verstummen, sein Herz empfindet Frieden, er hat ein Recht zum Leben. Er gründet dasselbe auf das gnädige Andenken seines Herrn; und damit nicht der geringste Zweifel ihn beunruhigen könne, so wird er durch ein besonderes Wort davon versichert. „Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradiese sein!“ An diesen Ort kommt kein Sünder, ohne daß er den Freibrief, darin sein Recht zur Seligkeit geschrieben ist, aufweisen kann. „Mit mir!“ Was heißt das anders, als „in meiner Gemeinschaft, um meinet willen?“

Höret's, die ihr unter dem Kreuze stehet! Höret's alle an, die ihr da seid, und Ohren habt zu hören! Der wie ein verstummtes Lamm in seinem Blute und Wunden da hänget, und zu allen Schmähworten sonst nichts saget, dem dringet die Anrede eines ihm lieben Missethäters ins Herz. Höret euren Freund, Sünder, Missethäter, Lästerer, Räuber, Feinde Gottes! Höret, Tugendbilder, die ihr eure gottlosen Brüder keiner Anrede werthachtet! Freuet euch, Boten des neuen Testaments, denen das Evangelium, und mit demselben der Schlüssel anvertrauet ist, den Himmel aufzuschließen. Bringet diese frohe Nachricht, was das Wundenblut an den Sündern thut, allen verlornen verdammten Menschen! Haltet eure Hände rein von aller Seelen Blute, die nun verzagen! Ist es diesem Mörder geglückt, so muß keiner von allen, die euch hören, in Sünden sterben, noch an Leib und Seel verderben, ausgenommen, der bis an sein Ende dabei bleibt: ich will nicht selig sein. Dessen Blut sei auf seinem eigenen Kopfe! Rufe laut, Gemeine der Erstgebornen, die im Himmel angeschrieben sind, über diesen Beweis von der Kraft des Blutes, darin du deine Kleider gewaschen und dein Gewand helle gemacht hast! Es sollen noch Mehrere auch vom Galgen und Rade folgen, die mit dir in einer Harmonie das Lied singen: Eines hat uns durchgebracht, Lämmlein, daß du bist geschlacht't! Glaubt, arme Würmer, die ihr im Staube lieget, und seufzet: „O Christe, setz Deinen bittern Tod für unsre Sünd und Missethat!“ War seine Fürbitte hier nicht vergebens, sie soll an euch auch ihre Kraft beweisen. Jauchzet, Einwohner der Erden! wenn ihr das Wort höret: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradiese sein!

Der Schächer glaubt und wird selig. Was sollen wir thun, daß wir selig werden? Glaube an den Herrn Jesum, so wirst du und dein Haus selig. Apostelg. 16, 31. Und was ist denn dieser Glaube? Nichts anders, als die Gewißheit, oder das starke Vertrauen im Herzen, daß ich die Zusage Gottes für gewiß und wahr halte, durch welche mir angeboten wird, ohne mein Verdienst, Vergebung der Sünden, Gnade und alles Heil, durch den Mittler Christum. Dieser Glaube macht gerecht, nicht um unsers Thuns willen, sondern allein deshalb, daß er Barmherzigkeit suchet und empfahlt. Ist das schwer oder leicht? Ein Mensch, der aus eigner Vernunft oder Kraft sich noch so geschäftig und munter beweiset, an Jesum Christum seinen Herrn zu glauben, oder zu ihm zu kommen, der kann es nicht. Es ist ihm nicht nur schwer, sondern gar unmöglich. Lasset ihn alle Kräfte anstrengen, die er hat! Lasset ihn über die Flüche des Gesetzes, die in sein Herz dringen, in der größesten Unruhe Thränen vergießen! Lasset ihn sich zu Tode in seinen selbsterwählten Wegen martern! Er kann sich ein Bild schnitzen, das er Frömmigkeit nennet, und das er dem Heilande zur Schmach an die Seite stellet und anbetet. Er wird es aber nie dahin bringen, daß er mit wahrer Freudigkeit, ohne Widerspruch seines Herzens, sagen kann: Ich glaube! Der Weg, den diese Leute gehen sollen, ist an sich nicht schwer zu betreten. Allein, sie werfen Dornen hin, da sonst keine sind. Hingegen giebts eine andere Art von Menschen. Das sind diejenigen, die unserm Schächer ähnlich sehen. Der Geist Gottes fängt bei ihnen seine Geschäfte zu ihrer Rettung an. Das Gesetz offenbaret sich an ihren Seelen. Es zeiget ihnen eine Bahn zum Leben, die sie aber übertreten haben, und sie finden sich auch nicht im Stande, ihre geschwächten Füße auf dieselbe zu richten. Wie dies Wort des Herrn sie antrifft, so werden sie von demselben beurtheilet. Es hat seine Klarheit, und bei derselben sehen sie, daß sie unter dem Zorne, und unter einem Gerichte liegen, das unvermeidlich ist, dafern ihnen nicht anderwärts Hülfe geschaffet wird. Bei dem Schächer hieß es: Gehört! Geglaubt. Und da bei diesen Seelen die Noth da ist, der Anstrahl der Gnade aber aus den Wunden des Lammes sie kräftig anscheinet, so fänget ihr Herz denselben auf. Sie glauben, und ihr Glaube stimmet das Lied an: „Ach! wir haben Gnade funden, Gnade, Gnade, welch ein Wort! Furcht und Dunkel ist verschwunden; Muth und Klarheit füllt den Ort. Auch die Sünden müssen schwinden; denn das Wort, ins Fleisch gekommen, hat die Sünde weggenommen.“ Was haben sie gethan? Es ist wahr: man hat sie in Thränen, im Hunger und Durste nach der Gerechtigkeit gesehen; man hat Seufzer aus ihrem Munde vernommen; allein sie sind damit nicht umgegangen, daß sie sich dadurch hätten los helfen und es ausmachen wollen. Sie krochen nur in dieser Gemüthsgestalt zum Kreuze, und wollten die Thüre aus Gnaden aufgethan sehen. Und ehe sie daran gedenken, heißt es: Das Thor ist offen, gehet ein! Ihre Geschäftigkeit hat nichts dazu beigetragen. Ihr seid auferstanden durch den Glauben, den Gott wirket! Col. 2, 12.

Heißet das nicht, leicht glauben? Was ist hierbei schwer? Eigensinn, Stolz, Hochmuth, die eigne Gerechtigkeit macht es, daß wir über Last des Herrn klagen, wenn man uns zum Glauben auffordert. Lasset es nur geschehen! Williget ein! Lasset es euch gefallen, daß ihr um der Barmherzigkeit Gottes und um der Wunden Jesu willen sollt selig sein! So ist die Sache gethan. Was kostets denn einem armen Bettler, wenn ihm ein Herr, dem sein Zustand zu Herzen gehet, ein Präsent überreichet, dadurch seiner Dürftigkeit auf einmal abgeholfen wird? Er darf es nicht muthwillig ausschlagen; er muß seine Hand ausstrecken und es hinnehmen. Was würdet ihr urtheilen, wenn ihr die Worte von ihm höret: „Ach wie schwer ist mirs geworden! Wie viel Mühe hat es mir gekostet, ehe ich das Geschenk erhalten! Wie Hab' ich streiten, und welch' einen Kampf habe ich drum ausstehen müssen.“

Es ist jetzt zu allen Zeiten gut selig werden. So bald Jemand Gnade und Hülfe brauchet, so bald hat er einen offenen Weg zum Heilande. Nichts darf uns zurück halten, daß wir von unserm mitleidigen Hohenpriester weg bleiben wollten. Ja selbst wer so unvorsichtig und leichtfertig gehandelt, auf Gnade fortgesündiget, und es nicht eher bedacht, was zu seinem Frieden dienet, bis ihm das Alter, seine abnehmenden Kräfte, oder die letzte Krankheit es ankündigen, es sei hohe Zeit sein Haus zu bestellen, der kann zwar seinen Wahnwitz, da er eine so große Seligkeit, deren er längst hätte genießen können, versäumet, mit bittern Thronen beweinen, sein Elend besetzen, und sich selbst richten, allein es ist ihm nicht erlaubt zu verzagen. Er darf nur glauben an den Namen des eingebornen Sohnes Gottes. Und gewiß, ein solcher Glaube, der Glaube eines Missethäters, der aus dem Gefängnisse zum Richtplatze geführet wird; der Glaube eines jeden Sünders, der auf dem Todtenbette liegt, ist nichts Geringes, er ist etwas Köstliches, so daß die in gesunden Tagen mit Freuden dem Lamme anhangen, sich vor demselben wohl schämen müssen. Am Ende aufwachen, und sich alsdann erst in seiner rechten Gestalt sehen, nichts als ein Leben voller Missethaten erblicken, sein Verdammniß-Urtheil anhören, wenig Tage oder Stunden mehr vor sich haben, an keine Besserung dessen, was man in so vielen Jahren verdorben hat, weiter denken können und so ins Lammes Wunden kriechen, beim Heilande Gnade suchen, mit dem ganzen Vertrauen seines Herzens darauf hinsinken, daß Jesus mit seinem Blute alle unsere Sünden getilget: das ist etwas Großes.

Wir wollen nur Etwas dabei erinnern: Ob ihr die Jahre erleben werdet, die ihr euch vorstellet, das wissen wir nicht. Und wo ist die Versicherung, die ihr davon aufweisen könnt? Sind nicht eure Tage gezählet, wie wenig oder viel derselben werden sollen? Wie wenn ihr hingerafft würdet, ehe ihr es euch versehet! Wie wenn unvermutheter geschwinder Zufall euch daran erinnerte: „Der Bräutigam kommt! Es kann vor Nacht leicht anders werden, als es am frühen Morgen war.“

Jedoch wir wollen den Fall setzen, ihr erreichet die Tage, die ihr zu erleben wünschet, oder eine vorhergehende Krankheit ist das Merkzeichen, daran ihr es wissen sollt, daß die Zeit eures Abschiedes vorhanden sei, so bleibt doch die große Frage übrig: Ob ihr uns, oder vielmehr dem Worte des Herrn alsdann mehr Glauben schenken werdet als jetzt? ob nicht die Schreckbilder des Todes solche Anläufe auf euch thun, die verhaßten Denkmale der Verwesung, die euch vor dem Gesichte stehen, dasselbe also benebeln werden, daß ihr auf die Stimme: „sehet auf Jesum!“ nicht merket, noch Acht gebet? ob ihr nicht ebenso unempfindlich gegen das Wort des Herrn sein werdet, als ihr ehedem waret? Was man tausend und mehrmalen in gesunden Tagen angehöret hat, aber mit Muthwillen von sich gestoßen, ja sich recht feindselig dagegen gesetzet, warum sollte man das eben am Ende seines Lebens gerade auf einmal so lieb gewinnen, und umfassen?

Der arme Schächer hatte jetzt eine erwünschte Gelegenheit zu seiner Bekehrung. Sie war ihm lieb, und er bediente sich derselben, weil er sie hatte.

Wer nun so viel Gelegenheit hat, als wir haben, uns zum Heilande zu wenden; wer unter so vielen Gnadenmitteln lebt, aber durch sein immerwährendes Widersetzen derselben Kraft an seiner Seele zernichtet, alle Überzeugungen des heiligen Geistes stets ersticket; wenn der noch am Ende ans Blut Jesu glauben kann, und wirklich glaubt, dem wollen wir es zugestehen, daß sein Glaube groß sei, und er kommt mitten ins Paradies.

Wer aber wie jetzt, also auch zu der Zeit nicht glaubt, der wird verdammet werden. Das sehen wir an dem andern Mörder. Darum ist das unser Rath an Alle: Macht euch je eher je lieber mit dem Manne bekannt, der die Schlüssel des Paradieses in Händen hat, damit ihr es bei Zeiten möget offen sehen. Jetzt ist die angenehme Zeit! Jetzt ist der Tag des Heils! Wie lange derselbe noch währet, können wir keinem Menschen sagen. Heute, so ihr des Herrn Stimme höret, verstocket eure Herzen nicht! Es ist lange genug geschlafen. Nehmet die Gnade hin, da sie euch angeboten wird, und lasset sie so in euren Herzen versiegeln, daß, wenn ihr einmal aus der Zeit gehet, und beim Eingange ins Paradies gefraget werdet: „Wo kommt ihr her? Wer seid ihr?“ die Antwort an euren Stirnen mag zu lesen sein: Absolvirte Schächer! Amen.

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