Claudius, Matthias - Vom Gewissen - Sechster Brief

Claudius, Matthias - Vom Gewissen - Sechster Brief

Grade das ist auch meine Meinung, Andres. Alle Wege, die zu etwas ernsthaftem führen, sind nicht gebahnt und lustig; uns so gehe ein jeder den Weg, der ihm am meisten frommet. Ein jeder ist sich selbst der nächste und muß selbst für sich antworten, was gehen ihn andre Leute an? Darum gehe ein jeder seinen Weg und thue, was ihm am meisten frommet.

Ich für meinen Theil, andres, ich finde meine Rechnung bei dem vorläufigen Planmachen und der ängstlichen Geschäftigkeit nicht. Mir thut ein stiller gehaltener Wunsch die besten Dienste. Und darum mache ich über die Fälle, die kommen könnten, die Augen lieber zu und hasse nur immer das Böse und entsage, nach Luther's kräftiger Taufformel, dem Teufel und allen seinen Werken und allem seinem Wesen, um so in mir dem Bösen überhaupt zu wehren und Abbruch zu thun. Wenn dem großen Strom sein Wasser geschmälert wird, so vertrocknen die kleinen Bäche, die aus ihm abfließen, von selbst. Und kommen denn die einzelnen Fälle, so bestehe ich sie, so gut ich kann. Und geht es denn, wie es nicht gehen sollte, so grämt mich das. Aber ich zerreiße mich nicht und lasse fünf grade sein.

Dies ist nicht so gemeint, als ob man sich gehen lassen und nicht streiten und widerstehen solle. Man soll freilich widerstehen, „bis auf's Blut“, sagt die heilige Schrift. Nur man soll von sich nichts erwarten, keinen Gefallen an der Stärke seines Rosses haben, nicht stark sein wollen und lieber „stark sein, wenn man schwach ist“.

Wer sich vollkommen und ohne Sünde glaubt, der trotzt der Wahrheit, und „die Huren und Zöllner mögen eher ins Himmelreich kommen“. Wer aber „an seine Brust schlägt“ und auch „die Augen nicht aufheben mag gen Himmel“, der gibt ihr die Ehre und bereitet ihr den Weg.

Demuth ist der Grundstein alles Guten, und Gott bauet auf keinen andern. Wir haben gesündiget, wir sind Fleisch und Blut; das müssen wir wissen und nicht aus dem Auge verlieren. Unsere „Untugenden scheiden uns und Gott von einander“, und unser schwacher todter Wille kann, sich selbst gelassen, die Kluft, die dadurch zwischen Gott und uns befestiget ist, nicht durchbrechen und Bahn zu ihm machen. Er kann nur wünschen, nur wünschen und hoffen.

Wem Gott den Willen lebendig macht, der hat's umsonst; wir andern müssen durch innerliche Thätigkeit Rath suchen und unsern Willen stärken und üben. Denn nur im Willen ist Rath und sonst nirgends.

Ein jedweder hat wohl seine Art, den Willen zu stärken und zu üben. Doch ist allen Ernst und Entschlossenheit noth; denn die sinnliche Natur, die bei allen im Wege steht, ist schwer zu überwinden. Ihr wachsen für einen abgehauenen Kopf drei andre wieder; und der Mensch ist ihr Freund und redet ihr immer das Wort und ist behende und schlau, Künste und Auswege zu finden, um sie zu retten.

Zum Exempel, wenn eine Neigung in uns aufsteht, und man es fühlt und weiß, daß diese Neigung dem bessern Gesetz in uns Gewalt thut, und daß sie mit ihm unverträglich ist; so will man sich auf diese Unverträglichkeit nicht einlassen und sucht beide Kräfte mit Entschuldigungen und guten Worten hinzuhalten, daß sie sich nicht unmittelbar berühren und an einander kommen. Der Weichling fürchtet Entscheidung und fliehet deswegen den Kampf. Man soll aber Entscheidung wollen und in seiner Kammer, oder Nachts auf seinem Lager, die zwei feindlichen Kräfte an einander bringen und sie in seinem Herzen gleichsam cohobiren und sich so lange mit einander bewegen und mit einander ringen lassen, bis man sich aufrichtig bewußt ist, daß das bessere Gesetz die Oberhand erhalten habe und unsre wahre Meinung und unser wahrer Sinn sei.

Mit diesem ersten Sieg ist vieles, aber nicht alles gewonnen. Dieser Sinn wankt wieder und trübt sich wieder; aber er muß täglich und bei einem jeden Anlaß wieder errungen und wieder gefaßt werden, so oft und so lange, bis er in unserm Inwendigen einheimisch geworden und so fest und beständig ist, wie in dem Inwendigen einer Eiche der Trieb zu wachsen, den Wind und Wetter und andre äußerliche Zufälle und Umstände hindern und stören, aber, so lange die Eiche steht, nicht vertilgen können.

Wenn der Mensch das hat, wenn er mit Wahrheit sagen kann: „ich will mir selbst nicht leben; ich hätte gern das Hohe und Gute; wenn mir das aber nicht beschieden ist, das Niedrige und Böse will ich nicht; Knecht will ich nicht sein“ - wenn der Mensch das zu jeder Zeit mit Wahrheit sagen kann: so ist er dem guten Gewissen nahe, bis auf die im vorigen Leben begangenen Fehltritte und Vergehungen mit ihren Folgen, bis auf die geschehene Beleidigung Gottes, die nicht ungeschehen gemacht werden kann.

Wenn wir nur einen rechtlichen Menschen beleidigt haben, so ist er beleidigt, und ein zartes Gemüth kann es nicht vergessen. Reue und Zeit heilen wohl die wunde; aber die Narbe bleibt und fordert noch immer etwas von uns. Was denn jene Beleidigung! - „Für die Gesunden und Starken ist kein Rath, denn die Gerechtigkeit Gottes ist unerbittlich.“ - Aber für die Kranken hat Gott hinter ihrem Rücken Gedanken des Friedens gehabt und durch ein kündlich großes Geheimniß seine Gerechtigkeit in seine Liebe eingewickelt. - Die Ehebrecherin ward nicht verdammt, und die große Sünderin durfte seine Füße küssen.

In Summa, mit jenem Sinn im Herzen und im Glauben an den Stiller unseres Haders kann der Mensch, ohne hergestellt zu sein, ein gutes Gewissen haben und ruhig abwarten, daß ihm vom Himmel gegeben werde, was sich der Mensch nicht nehmen kann.

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