Christoffel, Raget - Erweise christlicher Bruderliebe gegen die um ihres evangelischen Glaubens willen vertriebenen Engländer von Seite der Kirche Zürichs.

Christoffel, Raget - Erweise christlicher Bruderliebe gegen die um ihres evangelischen Glaubens willen vertriebenen Engländer von Seite der Kirche Zürichs.

Als die blutige Maria, die Katholische, die von ihrem Vater Heinrich VIII. nur den argwöhnischen und blutdürftigen Sinn geerbt, den englischen Thron (1553) bestieg, da begann für die Evangelischen dieses Landes eine Zeit schwerer Leiden. Beim Beginne ihrer Regierung ließ sie ihre Schwester Elisabeth einkerkern, und die kindlich fromme Johanna Gray, die wider ihren Willen zehn Tage nur den königlichen Titel geführt, hinrichten. Scharenweise wurden nun die Evangelischen ins Gefängniß geworfen und einem martervollen Tode überliefert. Gegen dreihundert Personen wurden auf ihren Befehl nur wegen ihres evangelischen Glaubens mit dem Tode auf dem Scheiterhaufen bestraft. Unter diesen Unglücklichen befanden sich fünf Bischöfe, ein und zwanzig Geistliche, fünf und fünfzig Frauen und vier Kinder. Auch die Bischöfe von London und Worcester, Ridley und Latimer starben den Märtyrertod. Als der ehrwürdige, achtzigjährige Latimer mit seinem Freund Ridley zum Scheiterhaufen geführt wurde, tröstete er ihn mit den Worten: „Sei getrost, Bruder! und männlichen Muthes! Der Herr ist mit Dir und mir! Wir werden heute eine helle Fackel in England anzünden, die, wie ich zu Gott hoffe, niemals auslöschen soll!“ Auch der fromme Bischof Hooper, der Freund Bullingers, starb 1455 den Märtyrertod und pries noch seinen Herrn unter den furchtbarsten Qualen der Feuergluth. „Ueber ein Kleines werde ich im Blute Christi zum Himmel gehen,“ hatte er kurz vorher noch aus dem Kerker an Bullinger geschrieben. Ein anderer Geistlicher, dem man Begnadigung anbot, wenn er seinen Glauben verleugnen wolle, umarmte den Pfahl, an den er gebunden werden sollte, und rief aus: „Willkommen, Kreuz Christi! Willkommen, ewiges Leben!“ Ein armer, alter Fischer, der seinen Sohn hatte lesen lernen lassen, damit er ihm zuweilen etwas aus der Bibel vorlese, starb dafür auch auf dem Scheiterhaufen. Scharenweise entzogen sich nun die Bedrohten durch die Flucht den Kerkern und dem Feuertode. Viele dieser Flüchtlinge kamen auch nach der Schweiz und namentlich nach Zürich. Hier hatten schon 1436 die Engländer John Buttler, Nicolaus Patrigge, Wilhelm Udroff und Bartholome Troheron unter Bullingers Leitung sich den religiösen und wissenschaftlichen Studien gewidmet und für den Dienst der evangelischen Kirche in ihrem Vaterlande herangebildet. Jetzt wandten sich diese Flüchtlinge wieder an Bullinger, der auch väterlich für sie sorgte. Oft war um diese Zeit sein Tisch mit solchen Gästen stark besetzt. Die Aermeren unter den Flüchtlingen empfahl er den Reicheren in und außer Zürich zur kräftigen Unterstützung1). Es galt, die Vertriebenen zu pflegen und sie heranzubilden für Englands Zukunft. Für zwölf derselben, größtentheils jüngere Leute, die den theologischen Studien oblagen, wurde in Zürich Fürsorge getroffen, daß sie nach ihrer heimathlichen Weise wie in einem Collegium im Hause „zur Linde“ beisammen leben konnten. Die Züricher Archive nennen von diesen Jünglingen folgende: John Parkhurst, John Jewel, Robert Horn, Richard Chambers, Thomas Leves, Laurence Humphrey, Thomas Spencer, Michael Reniger, Thomas Bentham, William Cobe u. s. w. Es war das für sie eine glückselige und höchst bildende Zeit, an die sie sich zeitlebens mit Dank und Freude erinnerten, wobei namentlich Bullingers väterliche Fürsorge und sein freundlicher Ernst ihnen unvergeßlich blieb.

Mehrere der Genannten erlangten nach ihrer Rückkehr ins Vaterland, als die Verfolgungen ihr Ende erreicht, ehrenvolle Beförderungen. Horn wurde unter der Regierung der Königin Elisabeth Bischof zu Wilton, Jewel zu Salisbury, Sandas zu Wigan, Parkhurst zu Norwich, Pilkingthon zu Durham. Mit Bullinger standen sie in Correspondenz und achteten ihn wie ihren Lehrer und Vater.

Wie dankbar diese Männer sich gegen Zürich fühlten, bezeugt das Dankschreiben, welches Horn und Chambers im Februar 1556 dahin sandten, dem wir einige Stellen entlehnen wollen2):

„Wir erinnern uns noch lebhaft der Worte, welche Euer Zwingli, seligen Andenkens, oft im Munde zu führen pflegte: Wenn die Verbreitung der Lehre des Evangeliums, sagte er, auch keine weitern gesegneten Wirkungen gehabt hätte (ihr Segen aber ist so groß, daß er sich nicht beschreiben läßt) so entstand doch wenigstens das Gute daraus, daß, wo sie ächt verkündet und herzlich angenommen worden, das Christenvolk viel christlicher, d. h. herzlicher, gefälliger, dienstfertiger, höflicher, sittsamer, gebildeter und humaner geworden ist. Wäre nur der Unvergeßliche, der in jedem Christenherzen in dankbarem Andenken zu sein verdient, noch persönlich unter uns, so würden wir gerade das zu ihm sagen, was die Bürger von Samaria zu jener Frau sagten: „Wir glauben nunmehr nicht bloß um deiner Worte willen, denn wir haben jetzt es selbst gesehen, gehört, erkannt und erfahren“.

Wie so ganz unbeschränkt und ungekränkt war während der ganzen Zeit unsers Aufenthaltes bei Euch unsere geistige Gewissensfreiheit, sowie die bürgerliche. Wie fiel man uns so gar nicht mit Zumuthungen von Abgaben, Steuern, Ansäßgebühren oder Aehnlichem beschwerlich, welche Ihr doch von Euren eigenen Bürgern, nach Recht und Brauch, einfordern konntet! Wie mildreich wurden wir hingegen durch Geschenke und Liebessteuern von Eurer Seite und von Euren wackeren Bürgern unterstützt! Wie liebreich gingen uns Eure Geistlichen mit Rath und That und Trost an die Hand! Wie brüderlich und innig war Eure allseitige Theilnahme an unserm traurigen Schicksale! Unentgeltlich hatten unsere Kranken Arzneien aus Euren Apotheken und von Euren Aerzten Besuche. Man sah uns nicht für Fremde an, sondern für Mitbürger, Freunde, Brüder. Wie sorgfältig forschtet Ihr unsern Umständen nach, damit kein Mangel uns drücke, und es uns an keiner Bequemlichkeit gebreche. Es war Euch Seelenwonne, uns unter die Arme zu greifen, ja sogar unsern Wünschen zuvorzukommen. Wie Herzensfreunde benahmt Ihr Euch bei unserm Abschied. Herzenssprache war es, wir fühlten es, als Ihr uns anbotet und sagtet: „Falls wir früher oder später nicht sicher wären im Vaterlande oder sonst gern wieder kämen, wir möchten uns doch gar kein Bedenken machen, und nur geradezu wieder einsprechen“. Auf solche Fälle habt Ihr uns Eure erste Freundschaft, ruhigen, sichern Wohnsitz und alle genossenen Freiheiten zugesichert: Für uns und für die Unsrigen ständen Eure Thore immer offen. So liebreich und herzlich handeln doch kaum Väter gegen ihre Kinder, wie Ihr gegen uns. Wir sagen es rund heraus, stärkere Proben eines edlen Sinnes, unbefangener Herzlichkeit, religiöser Gastfreundschaft, liebreicher Urbanität, könnten wir in unserm Lande selbst nicht aufweisen. Der Herr mit Euch! Bei uns ist es bald allgemein zum Sprüchworte worden: „Herr! Es ist gut, daß wir hier sind. In Zürich ist gut Hütten bauen!“

Noch sind in Zürich drei hohe, glatte, silberne Becher (sogenannte „Staufe“) vorhanden, welche drei der einstigen Flüchtlinge aus England, die Bischöfe Jewel, Horn und Parkhurst der Züricher Kirche als Zeichen der Dankbarkeit übersandten, ebenso ein kunstreich gearbeiteter Pokal, den die Königin Elisabeth um der ihnen erwiesenen Gastfreundschaft willen durch Parkhurst (1566) Bullinger zukommen ließ mit der lateinischen Inschrift des Inhalts:

„Englands Flüchtlinge hegte die Züricher Kirche so freundlich unter Maria's Scepter. Elisabeth fühlte dies dankvoll und hat Bullinger ehrend beschenkt mit diesem Pokale.“

Auch in Basel, Aarau, Bern, Genf und Vivis hielten sich während der Regierung der Königin Maria mehrere Flüchtlinge aus England auf und erfuhren vielfältige Beweise christlicher Bruderliebe.

Wie sehr namentlich Bullinger sich dieser verfolgten Glaubensbrüder aus England annahm, ersehen wir auch aus einem Schreiben von ihm vom August 1554 an die Gräfin von Ostfriesland, als Einige derselben sich in Emden niederließen: „Die frommen Leute“, schreibt er unter Anderm, wo sie hätten wollen offne Abgötterei treiben, von erkannter Wahrheit abtrünnig werden, und dem heiligen Evangelio lästern, hätten sie in ihrem Vaterlande bei Ehre und Gute bleiben mögen, und sicher gesetzt werden. Da sie aber solche große Laster und Sünd' nicht haben begehen wollen, sondern sich allein gehalten an Christum, den Herrn und an sein wahrhaftes Evangelium, haben sie keinen Platz mehr gehabt in ihrem Vaterlande. Sie haben, wie schwer dieses auch ihnen gefallen, verlassen Haus und Heimath, und sind mit Weib und Kind ins Elend gefahren; und haben es, aus wahrem Glauben, mit Abraham auf Gott gewagt, welcher auch allein auf Gottes Ruf aus seinem Vaterlande zog, und wußte nicht, wohin. Er vertröstete sich aber Gottes Gnade und Wahrheit“. Die Beziehung zwischen der evangelischen Schweiz und England war von nun stets eine sehr freundliche, begründet auf gegenseitiger Achtung und Bruderliebe. Einen schönen Beweis christlicher Bruderliebe gaben die evangelischen Schweizer gegen England und Holland, als in der Mitte des siebenzehnten Jahrhunderts zwischen diesen zwei damals mächtigen Republiken ein verderblicher Krieg sich entspann. Vernehmen wir den schweizerischen Chronikschreiber Rahn, wie die reformirten Schweizer sich dabei benahmen: „Bei den um diese Zeit (1652) schwebenden Kriegsunruhen zwischen dem Parlamente in England und den Herren der Staaten der vereinigten Niederlande, sind die evangelischen Orte der Eidgenossenschaft samt den zugewandten gemeinen drei Bünde, wie auch den Städten Genf, St. Gallen, Mühlhausen und Biel in die sorgfältigen Gedanken gerathen, ihre wohlmeinende Einschlagung, damit diese zwei vornehmen Stände einander nicht selbst aufreiben, anzuwenden. Deswegen haben sie im April des hingelegten 1652sten Jahres bewegliche Schreiben an beide Republiken abgelassen, und sie zu bäldester Hinlegung der Waffen und friedlicher Versöhnung eifrig angemahnt, welches dann auch von den Herren der Staaten bester Meinung aufgenommen und freundlich beantwortet worden. Von Seiten des Parlaments in England aber sowohl über dieses als auch das im September darauf an beide Stände abgelassene Schreiben blieb die Antwort aus, so daß erstgedachte evangelische und zugewandte Orte Ursache bekommen, ihren bestgemeinten Eifer durch eine Gesandtschaft zu wiederholen. Daher wurde zu Eingange dieses 1653sten Jahres Herr Stadtschreiber Johann Jacob Stokar von Schaffhausen mit genugsamer Instruktion, ihre schiedliche Unterhandlung beiden Parteien anzubieten, zugleich auch die Beschaffenheit der Kirchen- und Regierungssachen dieser Orte gründlich zu erkundigen, abgefertigt. Derselbe nahm seinen Weg stracks auf Hamburg, und von dort zu Lande nach den Niederlanden, und von Dünkirchen nach England hinüber. Daselbst wurde er (eben zu der Zeit, da Herr Israel Lagerfeld, Vicepräsident in Finnland, als königlich schwedischer Abgesandter um gleicher Ursache willen daselbst, Herr Appelboom aber von gedachter Krone in Haag angekommen) wohl empfangen und zur Audienz vor einen Ausschuß des Staatsrathes gelassen; auch der niederländischen Commissarien angefangene Friedenshandlung kräftigermaßen sekundiert und so weit gebracht, daß nach Langem das Parlament von der Anfangs stark begehrten Satisfaction abgestanden und die Friedenstraktate auf guten Fuß gestellt worden. Darauf hat der Abgesandte, nachdem er inzwischen, solange er in England geblieben, Alles was sich in selbigem Königreiche (damals Republik) in Standesgeschäften zugetragen, fleißig nach Hause berichtet, wiederum seinen Abschied genommen. Zuvor aber ließ er sich mit Herrn Protektor Cromwell in vertrauliche Gespräche ein, betreffend die Sicherheit des evangelischen Wesens und eine engere Verbindung zwischen den drei Ständen England, Holland und der evangelischen Eidgenossenschaft. Von dem Parlamente wurde Stokar mit einer Verehrung von 200 Pfund Sterling beschenket, von dem Admiral Monk stattlich gastiert und bei seiner Abreise mit einem Kriegsschiff von 100 Soldaten und 36 Stück Geschütz bis nach Dünkirchen geleitet. Auf seiner Heimreise hat er im Grafenhaag vor gemeiner Versammlung der Herren der Generalstaaten der vereinigten Niederlande seine obhabende Commission wegen des Friedensgeschäftes zwischen diesen kriegerischen Parteien auch abgelegt, und da der Frieden mit männigliches großem Frohlocken nunmehr völlig herausgekommen, zumal auch die evangelischen Orte der Eidgenossenschaft darin eingeschlossen worden, so begab er sich nach gehabter Abschiedsaudienz, auch erstatteter Glückwünschung wegen des wiedergebrachten Friedens, nachdem er ein Geschenk von einer goldenen Kette mit einem Gnadenpfennig von 1200 Gulden an Werth erhalten, wiederum auf die Heimreise. Aller Orten in Holland wurde Stokar freundlich empfangen und ihm viele Ehre erwiesen, und kam endlich im Junius des folgenden Jahres 1654 wieder glücklich nach Hause“.

Wohl war dieser durch die evangelische Schweiz zwischen den zwei mächtigen evangelischen Staaten vermittelte Frieden einer der schönsten Erweise christlicher Bruderliebe; denn Friede zu bringen auf Erden ist eine von den Engeln in der heiligen Nacht verkündigte Bestimmung des Evangeliums unseres Herrn, der ja darum Friedefürst genannt wird.

1)
Wein, Früchte, Lebensmittel aller Art gab die Regierung hinlänglich unentgeltlich. Die Reicheren verbaten sich mit verbindlichem Danke die Geschenke, und empfahlen die Aermeren.
2)
Da wir das Original dieses Schreibens nicht vor uns haben, so geben wir es wie es sich findet in: Salomon Heß, Ursprung, Gang und Folgen der durch Zwingli in Zürich bewirkten Reformation„. Zürich, 1819. Wir vermuthen, daß das Schreiben von Heß der Form nach überarbeitet sei.
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