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Christlieb, Theodor - Lass mich

Christlieb, Theodor - Lass mich

2. Mo. 32,2-14:
“Der Herr sprach aber zu Mose: Gehe, steig hinab, denn dein Volk, das du aus Ägyptenland geführt hast, hat's verderbt. Sie sind schnell von dem Wege getreten, den ich ihnen geboten habe. Sie haben sich ein gegossenes Kalb gemacht und haben's angebetet und ihm geopfert und gesagt: Das sind deine Götter, Israel, die dich aus Ägyptenland geführt haben. Und der Herr sprach zu Mose: Ich sehe, daß es ein halsstarriges Volk ist. Und nun laß mich, daß mein Zorn über sie ergrimme und sie vertilge: so will ich dich zum großen Volk machen. Mose aber flehte vor dem Herrn, seinem Gott, und sprach: Ach, Herr, warum will dein Zorn ergrimmen über dein Volk, das du mit großer Kraft und starker Hand hast aus Ägyptenland geführt? Warum sollen die Ägypter sagen und sprechen: Er hat sie zu Ihrem Unglück ausgeführt, daß er sie erwürgte im Gebirge und vertilgte sie von dem Erdboden? Kehre dich von dem Grimm deines Zorns und laß dich gereuen des Übels über dein Volk. Gedenke an deine Diener Abraham, Isaak und Israel, denen du bei dir selbst geschworen und verheißen hast: Ich will euren Samen mehren wie die Sterne am Himmel, und alles Land, das ich verheißen habe, will ich eurem Samen geben, und sie sollen's besitzen ewiglich. Also gereute den Herrn das Übel, das er drohte seinem Volk zu tun.“

Habt ihr es nie gesehen, daß ein Vater, der sein Söhnlein auf dem Schoß hat und mit ihm spielt und scherzt, sich von ihm zum Scherze überwältigen, sich vom Kinde etwa die Hände binden läßt und sich stellt, als ob er jetzt gänzlich in der Gewalt des Kindes wäre, daß das Kind über seinen Triumph laut zu jubeln beginnt?

Ein Wörtlein unseres Textes kann uns daran erinnern, eines der merkwürdigsten Worte der ganzen Heiligen Schrift, an dessen Größe, Tiefe und Schönheit ich immer hängenbleibe, daß ich beim Lesen gar nicht mehr über die Stelle hinwegkomme, ich meine das Wort: „Laß mich!“ Der erzürnte Gott, der sein treuloses Volk vertilgen will, ruft Mose zu: „Und nun laß mich, daß mein Zorn über sie ergrimme und sie auffresse.“ Welch ein Wort: „Laß mich!“ Gott, der Allmächtige, gibt sich in Moses Hände, er läßt sich von seiner eigenen Kreatur, von einem schwachen Menschen, gleichsam Hände und Füße binden und muß jetzt bitten und betteln: Laß mich, laß mich los, erlaube es mir - als ob Gott nicht handeln dürfte, ja nicht könnte ohne die gnädige Erlaubnis Moses!

Die Schrift erzählt uns manche Beispiele von Kämpfen, worin ein Schwacher über einen Stärkeren siegt, so David über Goliath, die arme Witwe über den ungerechten Richter, u. a. Aber was ist das gegen den Ringkampf, auf den der heutige Text unsere Blicke lenkt, da ein Mensch Gott, den Herrn selbst, im Glauben, in fürbittender Liebe faßt, zwingt, überwältigt, ihn festhält, daß Gott rufen muß: Laß mich! und ihn dann erst recht nicht läßt, sondern zwingt, das zu tun, was der Mensch haben will.

Auch der Erzvater Jakob hat einst mit Gott siegreich gerungen und gerufen: „Ich lasse dich nicht“ (1. Mo. 32,26), und hat ihn auch nicht gelassen, bis er ihm seine Bitte gewährt hatte. Oh, was sind das für Worte! Wir wissen nicht, sollen wir uns mehr über die Kühnheit und Glaubenskraft dieser Menschen oder über Gottes Herablassung wundern? Mehr über Gottes Bitte oder über Moses Antwort? Mehr über den wunderbaren Kampf oder über den merkwürdigen Ausgang desselben?

Oh, laßt es euch doch eine rechte Freude, einen köstlichen Genuß sein, vor ein solches Wort zu treten, einem solchen Schauspiel zusehen zu dürfen! Und der Herr gebe, daß wir uns dadurch angetrieben fühlen, mehr, öfter, ernster, kühner mit ihm zu ringen und ihn im Glauben zu überwältigen, wenn wir jetzt die zwei Worte betrachten:

Laß mich!

oder:

Der große Gott in den Händen eines Menschen.

Dabei richten wir unser Augenmerk:

  1. auf Gottes Bitte oder die Herablassung, womit sich Gott in die Hände des Menschen begibt;
  2. auf Moses Antwort oder den Glauben, der Gott faßt und überwältigt;
  3. auf den Ausgang des Kampfes oder den Sieg Gottes im Siege des Menschen.

Herr Gott! Wir erstaunen über deine unbegreifliche Herablassung! Soviel Freundlichkeit haben wir dir nicht zugetraut. Vergib uns das, vergib uns, daß wir dich immer noch lang nicht genug kennen in all deiner Liebe, und daß wir sowenig Gebrauch machten von deiner unbegreiflichen Güte! O hilf uns, ermuntere uns dazu, und damit wir dich bald überwältigen lernen, so überwältige du zuerst uns und alles in uns, was dir widerstrebt! Oh, siege du zuerst über uns und laß dann auch uns über dich siegen! Amen.

I.

2. Mo. 2,32-14: „Der Herr sprach aber zu Mose: Gehe, steig hinab, denn dein Volk, das du aus Ägyptenland geführt hast, hat's verderbt. Sie sind schnell von dem Wege getreten, den ich ihnen geboten habe. Sie haben sich ein gegossenes Kalb gemacht und haben's angebetet und ihm geopfert und gesagt: Das sind deine Götter, Israel, die dich aus Ägyptenland geführt haben.“

Welch eine Nachricht für Mose, der eben die zwei Gesetzestafeln aus Gottes Hand empfangen hatte! Dein Volk hat's verderbt! Alles, was wir geredet – verdorben! Alle meine Wunder und Gnadenführungen – verdorben! Mich, sagt der Herr, erkennen sie nicht mehr als ihren Retter, mich haben sie verworfen! Damit läßt er Mose fühlen, ohne daß er es ausspricht: So habe ich auch sie verworfen! Ja, so sehr ist schon das Band zwischen Gott und seinem Volk zerrissen, daß Gott es gar nicht mehr anerkennt als sein Volk, sondern sagt: „Dein Volk, das du aus Ägyptenland geführt“, daß er nichts mehr wissen will von dem, was er am Volke getan, sondern davon redet als von etwas ihm ganz Fremdem. Oh, welch ein erschütterndes Dein, welch ein herzbrechendes du! Da steht Mose, allein vor dem heiligen Gott, verlassen von seinem Volk, und sein Volk verlassen von Gott. Er fühlt, wie die ungeheure Sünde seines Volkes gleichsam auf seinen Rücken gelegt wird mit diesem göttlichen Dein und Du, schaut in diesem Augenblicke nur den Abgrund des göttlichen Zorns vor sich. Niedergeschlagen, erschrocken, überwältigt von Furcht und Kummer, ratlos schweigt er still vor Gott.

Da kommt Gott seiner Ratlosigkeit zu Hilfe, er hebt ohne irgendeine Antwort Moses von neuem an: „Und der Herr sprach zu Mose: Ich sehe, daß es ein halsstarriges Volk ist. Und nun - laß mich, daß mein Zorn über sie ergrimme und sie auffresse, so will ich dich zum großen Volk machen!“ Laß mich, ruft Gott und läßt mit diesem einen Wort den Mose seine große Gewalt über Gott begreifen, gibt ihm zu verstehen: Es ist noch ein Hindernis zwischen meinem Zorn und deinem Volk, der Feuerstrom meiner Gerechtigkeit ist noch aufgehalten durch ein Brett an der Schleuse. Dies Hindernis bist du, dies Brett bist du und dein Herz, das anfängt, um Gnade zu schreien, ob auch dein Mund noch stumm ist, - laß mich! räume dies Hindernis aus dem Weg, laß meinem Zorn den Lauf, dein inneres Schreien bindet mir die Arme, solange es dauert, kann ich nichts machen. Bei diesen Worten mußte Mose die schwindelnde Höhe, auf der er stand, klarwerden, er beginnt zu fühlen: Noch ist nicht alles verloren; Gott ist noch gehindert, gehalten, gebunden, und ich bin es, mein Lallen und Stammeln ist es, was ihn hindert, in meiner Macht steht es, ihn zu lassen oder zu halten - der große Gott ist in meinen Händen. Ist's denn nicht zum Erstaunen: Der große Gott ist in den Händen eines Menschen, und zwar gerade in dem Augenblick, in dem er in seiner ganzen Furchtbarkeit erscheint: in seinem Zorneseifer. Der Herr des Himmels und der Erde, der nicht wohnt in Tempeln mit Händen gemacht (Apg. 17,24), ja den aller Himmel Himmel nicht fassen mögen, vor dessen Majestät auch die Cherubim in tiefster Ehrfurcht das Angesicht bedecken, der läßt sich so weit herab, die Entscheidung seines ferneren Tuns in die Hand eines Menschen zu legen!

Und wem dies unbegreiflich ist, dem führe ich ein anderes Bild vor: Geh mit mir von der Wüste Sinai nach Kanaan, da führe ich dich in eine kleine Stadt, an allen Häusern vorbei bis zum letzten Ende des Ortes, da kommt noch ein ärmlicher Stall, in den treten wir ein. Dort sind in der Ecke, etwa auf einem Bund Stroh, eine Magd des Herrn, und ein Knäblein schlummert auf ihrem Schoße. Was sagt dir dies Bild? Nichts anders predigt es als: Der große Gott, der, in dem die Fülle der Gottheit wohnt, ist in den Händen eines Menschen! Und diesmal nicht etwa in den Händen eines starken Mannes, sondern eines schwachen Weibes, einer Jungfrau - welch eine Herablassung.

Und kannst du es noch nicht glauben, so führe ich dir ein neues Bild vor. Wir treten in einen Palast in Jerusalem, in eine große Halle. Ringsum die unheimlichen, fanatischen Gesichter des Hohen Rates, dort Diener und Kriegsknechte, in der Mitte steht ein Gebundener, ruhig, schweigend, voll Hoheit im Blick. Was dünkt euch? ruft der Vorsitzende und läßt abstimmen, und das Urteil lautet: „Er ist des Todes schuldig!“ Was sagt dies Bild? Was anders predigt es, als: Der große Gott ist in den Händen der Menschen, und diesmal nicht in denen eines gläubigen Propheten, nicht einer frommen Magd des Herrn, sondern in den Händen falscher Propheten, verstörter, heuchlerischer, ehebrecherischer Sünder! Welch eine Herablassung! Und noch ein anderes Bild: Sieh dieselbe Mitleid erregende Gestalt mit geschwollenen Wangen, geißelverwundetem Rücken, verspeitem Angesicht, Blutstropfen unter einer Dornenkrone hervorquellend, in Gabbatha vor dem Palast des Landpflegers, umgeben von römischen Soldaten, während von der Straße her ein wüstes, dämonisches Geschrei erschallt: Kreuzige ihn! Der Richter tritt vor den Gebundenen und spricht mit stolzer Miene: „Weißt du nicht, daß ich Macht habe, dich zu kreuzigen, und Macht habe, dich loszugeben?“ Was sagt dies Bild? Was anders predigt es, als: Der große Gott ist in den Händen eines Menschen! Und diesmal nicht in der Hand eines Gliedes des erwählten Volkes, sondern in der Gewalt eines Heiden! Welch eine Herablassung!

Und laß mich hierzu noch das letzte Bild fügen: Einem Hügel vor der Stadtmauer wälzt sich ein unabsehbarer Menschenstrom zu, Männer höhnen, lästern, Weiber weinen, die bleiche Gestalt in der Mitte trägt ein Kreuz und bricht darunter zusammen, jetzt sind sie oben, das Kreuz wird auf die Erde gelegt und die Gestalt darauf hingestreckt. Horch! was sind das für Hammerschläge, zwischen denen eine Stimme hervorklingt: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun! Sie hämmern Nägel durch die Glieder, durchgraben Hände und Füße, jetzt wird das Kreuz samt dem Körper daran aufgerichtet, und Blut rieselt reichlich hernieder von Quer- und Hauptbalken, - was sagt dies Bild? Was predigt es anders, als: Der große Gott ist in den Händen der Menschen, und diesmal nicht eines Israeliten, auch nicht eines vornehmen, gebildeten Mannes, sondern eines Henkers! - welch eine Herablassung!

Ja, Seele, wirst du es nun glauben, daß der große Gott sich in die Hände der Menschen begibt in unendlicher Herablassung? Laß es nicht allein Jakob und Mose, laß es den Schoß und die Arme Mariens, laß es jede Spur der Mißhandlung am Leib und Gesicht deines Herrn und Gottes, laß es jeden seiner Blutstropfen dir sagen: Gott hat sich in die Hände der Menschen begeben aus unbegreiflicher Herablassung! In nichts anderem besteht die ganze Erlösung als darin, daß Gott sich selbst in unsere Hände gab, daß er, der uns zu fern war, uns näher kommen, uns faßbar, greifbar werden wollte! Nichts anderes ist die in seinem Blut gestiftete Versöhnung als die freiwillige Hingabe seiner selbst in die Hände der Sünder und in die Macht der Finsternis, womit er uns zeigen wollte, daß er ganz unser, daß sein Leben, daß jeder seiner Blutstropfen uns gehöre, daß wir ihn haben und besitzen sollen. Was dort auf Golgatha geschah, war nur der letzte und tiefste Akt des göttlichen Sich-dahingebens in die Hände der Menschen, das schon dort auf dem Sinai begann, als Gott sich in die Hände Moses dahingab. Ob Gott in Mose oder Gottes Sohn in Mariens oder der Juden oder der Heiden Gewalt ist, es ist alles eine und dieselbe Herablassung, dieselbe heilige Liebe, die an keinem Seufzer vorbeigeht, ohne in ihrem Tun Rücksicht auf ihn zu nehmen, die sich die Arme binden läßt von dem menschlichen Schreien und Seufzen, und die sich endlich Arme und Füße durchbohren läßt, weil sie das Elend der Menschen nicht länger mit ansehen kann, das, wenn auch stumm, wie dort Mose, gen Himmel schreit, die sich binden und töten läßt, um für den großen ungeheuren Bundesbruch der ganzen Welt ins Mittel zu treten, dem Zorn Gottes ein für allemal in die Arme zu fallen und Gnade und Frieden auszuwirken für ein gefallenes Geschlecht.

II

Herablassung ist's von Seiten Gottes, daß er sich in die Hände der Menschen begibt, aber womit kann der Mensch ihn fassen, den der ganze Himmel nicht faßt. Der Glaube ist's, der Gott faßt und überwältigt. Das zeigt die Antwort Moses auf die Bitte Gottes.

„Laß mich“, ruft Gott, „laß meinem Zorn Raum“, und Mose antwortet, wie Jakob: „Ich lasse dich nicht!“ Welch ein Mann, dem allmächtigen Gott eine Bitte rundweg abzuschlagen!

Mose aber flehte vor dem Herrn, seinem Gott, und sprach: „Ach, Herr, warum will dein Zorn ergrimmen über dein Volk, das du mit großer Kraft und starker Hand hast aus Ägyptenland geführt?“ Sieh, die Herablassung Gottes macht ihm Herz und Mut „nein“ zu sagen. Oh, denkt er, wenn's so steht, wenn die Vollstreckung deines Zorngerichts von mir abhängt, wenn du in meiner Hand bist - da mache ich von meiner Macht Gebrauch! Sieh hier den Glauben, er verzweifelt nicht, er schöpft Hoffnung; durch die Herablassung Gottes wächst das Vertrauen, daß er kühn wird, daß er Gott seine eigenen Worte zurück gibt: Dein Volk, nicht meines, das du ausgeführt, nicht ich, daß er Gott erinnert an die bisherige Gnadenleitung des Volkes, ja daß er ihm die Bitte abschlägt. Sieh, wie hart er Gott anfaßt schon in diesem Du und Dein! Und da Gott ihn anhört, ihn nicht unterbricht, was Gott nie tut, ihm nicht Schweigen gebietet, da wird er noch kühner und fängt an, zu argumentieren: „Warum sollen die Ägypter sagen und sprechen: Er hat sie zu ihrem Unglück ausgeführt, daß er sie erwürge im Gebirge und vertilge sie vom Erdboden?“ Er erinnert Gott an seine und Israels Feinde, die triumphieren würden über die Vertilgung des Volkes, er faßt Gott an vom Punkt der Ehre und wagt es, Gott zu sagen, was er tun soll, ihn zu bitten: „Kehre dich von dem Grimm deines Zorns und Sei gnädig über die Bosheit deines Volkes“, und da Gott auch hierauf hört, so wird er noch kühner und faßt ihn endlich an vom Punkt der Treue, erinnert an den Gnadenbund mit den Erzvätern:

„Gedenke an deine Diener Abraham, Isaak und Israel, denen du bei dir selbst geschworen und ihnen verheißen hast: Ich will euren Samen mehren wie die Sterne am Himmel und alles Land, das ich verheißen habe, will ich eurem Samen geben und sollen's besitzen ewiglich!“ Und nachdem er also Gott an seine Lieblinge und an den mit ihnen geschlossenen Bund erinnert, da faßt er Gott nicht nur, da überwältigt er ihnl Gott ruft: „Laß mich!“ - Mose antwortet: „Nein!“ und Gott fügt sich dem Nein, weil er überwältigt ist! Was ist's, das Gott faßte und überwand? Antwort: Der Glaube an Gottes Gnade, an Gottes Ehre, an Gottes heilige Treue!

Und was faßte denn damals Gott, als die Zeit erfüllet ward, daß der Sohn Gottes empfangen und geboren werden sollte? Antwort: Der Glaube, der sprach: „Siehe, ich bin des Herrn Magd, mir geschehe, wie du gesagt hast!“ - Und was faßt Gott heute noch - denn er gibt sich heute noch in der Menschen Hände -, wenn er die Rute erhebt und wenn eine Seele ihm in die Arme fällt und ruft: Halt! verschone mich! sei gnädig! gedenke an das, was du schon an mir getan! gedenke an dein Kind Jesus! sieh ihn an, nicht mich, ich flüchte mich hinter ihn! - was anders als der Glaube, der Gott an seine Gnade, seine ganze bisherige Führung, seine Ehre und Treue erinnert, der zuletzt sein heiliges Kind Jesus ihm vorhält, den auf Golgatha geschlossenen Bund; da faßt der Glaube Gott bei seinem Herzen und ruft: Ich bitte im Namen Christi; was ich bitte, bittet Christus mit mir, ihm hast du nie etwas abgeschlagen, also mußt du auch mir das gewähren! Oh, was ist's für ein großes Ding um den Glauben, der in Christi Kraft mit Gott ringt und Gott überwältigt, der mit Seinem Abba Gott umschließt und ruft: Du mußt meine Bitte gewähren, ich habe und halte dich, ich lasse dich nicht, du kannst nichts mehr machen, du mußt nachgeben! Welch ein wunderbarer Kampf! Ein Mensch, ein Weib, ein Kind faßt Gott an und überwältigt ihn im Glauben! Welch eine hohe Bestimmung! Du kannst und sollst wie Mose Gott gleichsam vorschreiben, was er tun soll: Alles, was ihr bittet, so ihr glaubet, werdet ihr's empfangen! (Mat. 21,22.) Ja, sagst du, aber das, was Jesum dort auf Gabbatha und Golgatha gefaßt, das war doch nicht die Hand des Glaubens!

III

Allerdings, das war ein rohes äußeres Anfassen, aber selbst hierbei zeigte der Ausgang des Kampfes, daß der Sieg des Menschen nur der Sieg Gottes ist, d.h. daß Gott im Sieg des Menschen selber siegt, nur seine eigenen innersten Gedanken ausführt. Was war der Ausgang des Kampfes auf dem Sinai? „Also gereute den Herrn das er Übel, das er drohte seinem Volk zu tun.“ Auch dieses Reuen ist eben menschliche Ausdrucksweise, er ändert nicht seine Gesinnung, sondern er tut nur, was er von Anfang an tun wollte, nämlich sich gnädig, barmherzige geduldig und von großer Gnade und Treue erzeigen. sein heißer Wunsch war, zu verschonen, aber das kann er nicht, ohne daß Fürbitte eingelegt wird. Er wollte erst gebeten sein, um auf dies Flehen hin vergeben zu können. Daher machte er Mose Mut durch die Herablassung: Laß mich! Mut, ihn nicht zu lassen und um Erbarmen anzuflehen. Und wie Mose das tut, ihn nicht läßt, sondern um Gnade bittet, da läßt er sich überwältigen, laßt den Menschen siegen, aber in diesem Sieg siegt er selbst, vollführt er nur, was er von Anfang an haben wollte, verherrlicht nur Seme Gnade!

So siegte einst auch Jakob, der mit Gott und Menschen kämpfte und obläge aber in Jakobs Sieg siegte Gott. Es ging, wie Gott es haben wollte, er wurde in einen Israel umgewandelt. Und so siegten äußerlich die Menschen auf Golgatha, aber m ihrem Sieg siegte Gott selbst, führte seinen eigenen ewigen Ratschluß aus, seine Liebe und Gnade triumphierte. - So ist auch der Gebetssieg jeder Seele nur ein Sieg Gottes im Sieg des Menschen. Die Seele siegt im Glauben, im Namen und in der Kraft Christi. Aber eben wenn sie Gott im Glauben faßt, im Namen Christi bittet, da ist sie durch Christum Gott einverleibt, dann bittet sie nur, was Gott selbst will, spricht im Gebet nur Gottes eigenen Wunsch aus, und indem Gott alle die Bitte erfüllt, die Seele siegen läßt, tut er nur, was er selbst wünschte, feiert er seinen eigenen Sieg. Ja, Gott wünscht nichts sehnlicher, als besiegt zu werden.

O liebe Seele, sieh, wozu du berufen bist! Als Gott den Bund mit seinem Volke und mit dir in der Taufe schloß, da hat er in dem Wort: „Ich will dein Gott sein, und du sollst mein Kind sein“, dir auch versprochen, er wolle sich von dir besiegen lassen, und in Christo zeigt er dir, wie und wodurch du ihn besiegen kannst. Mehr kann er nicht tun, herablassender kann er nicht mit dir umgehen! Er lädt dich ein, ihn recht oft zu besiegen! Jede Seele, die zum Leben eingeht, zieht in den Himmel ein, nicht nur als Sieger über die Welt, über Tod und Hölle, sondern auch als Sieger über Gott, der ihren Gebeten nachgab, der tat, was sie wollte, wozu sie ihn zwang in ihrem Glauben, aber dabei doch nur vollführte, was er selbst wollte, der im Sieg der Seele seinen eigenen schönsten Sieg, den Sieg seiner Gnade und Barmherzigkeit, feiert!

Laß mich! Oh, so gehe heim, unterstreich diese Worte, mach dir ein Zeichen daran, daß sie dich erinnern mögen an die Wahrheit: Der große Gott in den Händen eines Menschen! - Es gibt mannigfache: Laß mich! Sollten dir diese Worte fremd geblieben sein? Hast du Gott nie so rufen hören? Laß mich - bei dir einziehen! Laß mich - dein steinernes Herz wegnehmen! Laß mich - dich von Sünden abwaschen! Oh, da gib du auch nach und laß dich überwältigen! Wenn er aber ruft: Laß mich dich zertreten in meinem Zorn, - da laß ihn nicht, sondern überwältige du ihn durch den Glauben an Jesum Christum, der da spricht:

„Wer überwindet, dem will ich geben, mit mir auf meinem Stuhl zu sitzen, wie ich überwunden habe und bin gesessen mit meinem Vater auf seinem Stuhl.“ (Off. 3,21). Amen.

Quelle: unbekannt - Stimmen der Väter

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