Calvin, Jean - Der Brief an die Philipper - Kapitel 2.

Calvin, Jean - Der Brief an die Philipper - Kapitel 2.

V. 1. Ist nun bei euch Ermahnung. Mit nachdrücklichstem Ernst mahnt der Apostel die Philipper auf alle Weise, unter sich die Einigkeit zu pflegen, damit sie nicht, durch innere Zwistigkeiten getrennt, den Betrügereien der falschen Apostel einen Angriffspunkt bieten möchten. Denn wenn Zwietracht herrscht, so findet Satan immer eine offene Tür, um gottlose Lehren zu verbreiten. Das beste Mittel, um diese fern zu halten, ist innere Einigkeit. Dazu hofft Paulus seine Leser zu bewegen, wenn überhaupt bei ihnen eine Ermahnung etwas gilt, die in Christo, d. h. in Christi Namen und Auftrag ergeht. Freilich würde es wohl noch besser in den Zusammenhang passen, wenn wir nicht „Ermahnung“, sondern „Tröstung“ übersetzen. Dann ist der Sinn dieser: Wenn ihr eine Tröstung Christi habt, durch die ihr meine Schmerzen mildern könnt, und wenn ihr mir Trost und Erleichterung spenden wollt, was ihr gewiss als eine Pflicht eurer Liebe erkennen müsst, wenn ihr an die Gemeinschaft des Geistes denkt, die uns alle eins machen muss; wenn noch etwas menschliches und mitleidiges Gefühl bei euch vorhanden ist, das euch treibt, mein Elend zu erleichtern, so erfüllt meine Freude usw. Aus dieser Rede können wir abnehmen, wie viel in der Gemeinde das Gut der Einigkeit bedeutet, und mit welchem Eifer alle Hirten demselben nachjagen müssen. Wie tief beugt sich hier zudem Paulus, indem er die Philipper gewissermaßen um ihr Mitleid anfleht, während doch der geistliche Vater von seinen Kindern vielmehr hätte ehrfürchtige Unterwerfung beanspruchen können! Sicherlich wusste Paulus seine Macht zu gebrauchen, wenn es nötig war: aber jetzt will er lieber Bitten anwenden, weil er überzeugt ist, dass diese größeren Eindruck machen, und weil er weiß, dass er zu Leuten redet, die sich gerne belehren und leiten lassen. In dieser Weise darf ja ein Seelenhirte sich nicht weigern, zum Besten der Gemeinde seine Stimme zu wandeln.

V. 2. So erfüllt meine Freude. Auch hier lässt sich ersehen, wie wenig Paulus für sich selbst sorgt, wenn nur die Kirche in rechtem Stand ist. Er liegt im Kerker mit Ketten gebunden, auf den Tod angeklagt, die Folter hat er vor Augen, der Henker steht vor der Tür, - aber alles dieses hindert ihn nicht daran, sich mit ganzer Freude zu freuen, wenn er sieht, dass es den Gemeinden wohl geht. Ferner hält er für den guten Stand der Gemeinde das für die Hauptsache, dass in ihr gegenseitige Übereinstimmung und brüderliche Eintracht herrschen. So lehrt uns ja auch der Psalm (Ps. 137, 6), dass es ein Hauptstück unserer Freude ist, wenn wir Jerusalems gedenken. War aber dies des Paulus größte Freude, so hätten die Philipper mehr als grausam sein müssen, wenn sie durch ihre Zwietracht das Herz des heiligen Mannes mit doppelter Trauer gequält hätten.

Dass ihr Eines Sinnes seid. Ein ganz wesentliches Stück der Einigkeit ist, dass man in der Gesinnung und im Willen miteinander verbunden ist. Darum deutet der Apostel auf Einstimmigkeit in der Lehre und gegenseitige Liebe. Dasselbe wiederholt er noch einmal, wenn er die Philipper ermahnt, einmütig und einhellig zu sein. „Eines Sinnes“ wird man, wenn der eine dem Sinne des anderen sich anpasst. So ist Zusammenstimmung der Meinungen der Anfang der Liebe: freilich wird sie so lange nicht genügen, bis die Herzen zu wahrer innerer Gemeinschaft zusammenwachsen.

V. 3. Nichts tut durch Zank oder eitle Ehre. Das sind zwei verderbliche Krankheiten, die den Frieden der Gemeinde stören. Es entsteht Streit, wenn ein jeder hartnäckig seine Meinung festhalten will. Ist aber der Streit entstanden, so gibt es auf dem einmal betretenen Wege kein Einhalten mehr. Dass aber ein jeder sich in seinen eigenen Einfällen gefällt, dazu treibt eben eitle Ehrsucht die Gemüter. Daher ist es das beste Mittel, um Zwistigkeiten zu verhindern, wenn durch friedliches Raten und Handeln Eifersüchteleien gemieden werden, vor allem aber, wenn wir nicht durch den Ehrgeiz uns treiben lassen: denn der Ehrgeiz ist die Triebfeder zu allen Streitigkeiten. „Eitel“ heißt jede Ehre, die sich auf das Fleisch gründen will. Denn was ist das Rühmen des Menschen anders als Eitelkeit?

Sondern durch Demut usw. Das eine Heilmittel, welches Paulus hier nennt, soll für beide Krankheiten gelten. Denn eine sich selbst erniedrigende Demut ist die Mutter jener Selbstbescheidung, die zu Gunsten anderer auf eigenes Recht verzichtet und somit nicht leicht Streit erregt. Wir hören weiter, worin diese wahre Demut besteht: es achte einer den anderen höher denn sich selbst. Bleibt freilich irgendetwas fürs ganze Leben schwer, so ist es dies. Deshalb braucht man sich nicht darüber zu wundern, dass die Demut eine so seltene Tugend ist; denn man sagt wohl: ein jeder hat in sich den Geist eines Königs, so dass er alles für sich in Anspruch nimmt. Siehe da den Hochmut! Und aus der törichten Selbstbewunderung wird dann die Verachtung der Brüder geboren. Wir sind so weit ab von dem, was Paulus hier befiehlt, dass kaum jemand es ertragen kann, wenn andere ihm gleich stehen. Jeder will hervorragen. Doch erhebt sich in der Tat eine schwierige Frage: wie soll ein Mensch, der wirklich hoch über anderen steht, es machen, dass er Leute höher achtet als sich selbst, von denen er doch weiß, dass sie weit hinter ihm zurückstehen? Ich antworte, dass das ganz von der rechten Einschätzung der göttlichen Gaben und unserer eigenen Schwäche abhängt. Denn wenn jemand auch herrliche Gaben empfangen hat, so muss er doch bedenken, dass sie ihm nicht zu dem Zweck gegeben sind, damit er an sich selbst Gefallen habe, sich erhebe oder viel von sich halte. Wenn er dagegen sich übt in der Erforschung und Erkenntnis seiner Fehler wird er aus Liebe zudecken. Wer nach dieser Regel handelt, dem wird es nicht schwer fallen, anderen den Vorrang zu geben. Darauf zielt auch Paulus, wenn er hinzufügt (V. 4): ein jeglicher sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was des anderen ist. Mit anderen Worten: er hänge nicht mit gar zu großem Wohlgefallen an sich selbst. So kann es geschehen, dass einem frommen Menschen, wenn er sich auch seiner Vorzüge bewusst ist, doch die Rücksicht auf den Nächsten über alles geht.

V. 5. Ein jeglicher sei gesinnt usw. Die Demut, zu welcher der Apostel bisher durch Worte ermahnt hat, empfiehlt er jetzt durch das Vorbild Christi. Zwei Hauptgedanken treten uns dabei entgegen: zuerst werden wir zu Christi Nachfolge aufgefordert, welche die Regel unseres Lebens ist, dann lockt uns der Apostel mit dem Hinweis, dass dieser Weg allein zu wahrer Herrlichkeit führt. – An die allgemeine Mahnung, dass wir gesinnt sein sollen, wie Jesus Christus auch war, schließt sich eine genauere Beschreibung der Demut, für welche Christus das Beispiel gab:

V. 6. Welcher, ob er wohl in göttlicher Gestalt war. Das ist freilich kein Vergleich gleichstehender Größen, sondern einer großen mit einer sehr geringen Sache. Christi Demut bestand darin, dass er von der höchsten Stufe der Ehre herabstieg zur tiefsten Erniedrigung. Unsere Demut dagegen besteht darin, dass wir uns nicht in verkehrter Selbsteinschätzung überheben. Christus verzichtet auf sein Recht, - von uns wird dagegen nur verlangt, dass wir uns nicht mehr herausnehmen, als uns zukommt. Christi Erniedrigung nahm damit ihren Anfang, dass er, da er in göttlicher Gestalt war und es nicht für etwas Unerlaubtes hielt, in dieser Gestalt aufzutreten – doch sich erniedrigte. Wie töricht ist es daher, wenn wir uns im Hochmute erheben, da der Sohn Gottes von einer solchen Höhe herabstieg! Wir, die wir nichts sind! Der Ausdruck „göttliche Gestalt“ bezeichnet hier die Majestät. Denn wie wir den Menschen an der Form seiner Erscheinung erkennen, so ist die Majestät, die uns von Gott entgegenstrahlt, seine Gestalt. Das ist ganz ebenso, wie zu eines Königs „Gestalt“ alle seine glanzvollen Abzeichen gehören: das Zepter, die Krone, der königliche Mantel, die Herolde, der Thron und die anderen Zeichen der königlichen Würde. Christus war also vor Erschaffung der Welt in göttlicher Gestalt, weil er vom Anfange an seine Herrlichkeit bei Vater hatte (vgl. Joh. 17, 5). Denn an der Weisheit Gottes war, bevor sie unser Fleisch an sich nahm, nichts Niedriges und Verächtliches, sondern eine Herrlichkeit, die Gottes Würde entspricht. Obgleich er nun ein solcher war und ohne Unrecht sich als ein solcher zeigen konnte, der Gott gleich ist, so trug er es doch nicht zur Schau, was er war, noch nahm er vor den Augen der Menschen das an, was ihm von Rechts wegen zukam.

Christus hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein. Wäre Christus in gottgleicher Erscheinung aufgetreten, so wäre dies kein Unrecht gewesen. Denn wenn der Apostel sagt: Er hielt die Gottgleichheit nicht für einen Raub, - so bringt er damit zum Ausdruck, dass Christus sich derselben als seines guten Rechtes bewusst sein durfte. Und wir entnehmen daraus, dass seine Herablassung nicht ein Werk des Zwanges, sondern des freien Willens war.

Ein jeder sieht leicht ein, dass Paulus bisher von Christi Herrlichkeit redete, um dadurch die Größe seiner Erniedrigung deutlich zu machen. Er sagt uns nicht, was Christus getan hat, sondern was ihm zu tun erlaubt gewesen wäre. Wer übrigens in diesen Worten nicht eine klare Bezeugung der Gottheit Christi sieht, muss ganz blind sein. Nur weil Gottes Wesen in Christo war, besaß er eine rechtmäßige, nicht geraubte Gottgleichheit. Denn es bleibt ewig wahr, was Gott spricht (Jes. 48, 11): „Ich will meine Ehre keinem anderen lassen.“ Allerdings ist nicht ausdrücklich von göttlichem Wesen, sondern nur von göttlicher „Gestalt“ die Rede. Aber wo sollte sich außerhalb des göttlichen Wesens eine solche „Gestalt“ finden, die weder Täuschung noch Lüge wäre? Folglich, so wie Gott aus der Offenbarung seiner Macht erkannt wird, und wie seine Werke Zeugnisse seiner ewigen Gottheit sind (Röm. 1, 20), so ist Christi Majestät und Herrlichkeit, die er mit dem Vater gemein hatte, bevor er sich erniedrigte, ein Zeugnis seines göttlichen Wesens. Mir wenigstens werden selbst alle Teufel diese Stelle nicht aus den Händen reißen: denn bei Gott darf man mit völliger Sicherheit von der herrlichen Erscheinungsweise auf sein Wesen schließen; beides hängt untrennbar zusammen.

V. 7. Christus äußerte sich selbst. Diese Entäußerung ist dasselbe wie die Erniedrigung, von der wir später handeln werden. Christus konnte seine göttliche Natur nicht ablegen, aber er hielt sie für eine Zeit verborgen, damit sie nicht offenbar werde unter der Schwachheit des Fleisches. Er legte seine Herrlichkeit vor den Augen der Menschen nicht dadurch ab, dass er sie verringerte, sondern dadurch, dass er sie verdeckte. Es fragt sich nun, ob er dieses tat insofern er Mensch war, oder insofern er Gott war. Diese Frage ist so zu beantworten: Paulus spricht hier vom ganzen Christus, wie er Gott ist, geoffenbart im Fleische, obgleich die Entäußerung eigentlich nur von seiner menschlichen Natur gilt. Das ist dieselbe Redeweise, wie wenn ich von einem Menschen sagen würde: „Weil der Mensch sterblich ist, so ist er sehr beschränkt, da er fast nur an das Irdische denkt“. Dabei meine ich den ganzen Menschen, aber die Sterblichkeit schreibe ich nur einem Teile von ihm zu, nämlich seinem Leibe. Weil daher Christi Person aus zwei Naturen besteht, so sagt Paulus mit Recht, dass der, der Gottes Sohn war und in der Tat Gott gleich, sich seiner Herrlichkeit entäußert habe, da er im Fleische sich zeigte in Knechtsgestalt. Zweitens ist die Frage, wie von ihm gesagt werden kann, dass er sich entäußert habe, da er ja immer durch seine Wunder und durch die Offenbarung seiner Macht sich als Sohn Gottes erwies, und Johannes von ihm bezeugt (Joh. 1, 14), dass seine Herrlichkeit immer sichtbar gewesen sei, als die Herrlichkeit des Eingeborenen vom Vater. Ich antworte, dass die Niedrigkeit des Fleisches nichtsdestoweniger ein Schleier war, durch den die göttliche Natur verdeckt wurde. Deshalb wollte der Herr auch nicht, dass seine Verklärung bekannt werde, bevor er auferstanden wäre. Und als er innewurde, dass die Stunde seines Todes herannahte, da sprach er (Joh. 17, 1): „Vater, verkläre deinen Sohn“. Ebenso lehrt Paulus an einer anderen Stelle (Röm. 1, 4), dass Christus kräftiglich erwiesen ward als ein Sohn Gottes durch die Auferstehung. Ebenfalls an einer anderen Stelle, dass er gelitten habe in der Schwachheit des Fleisches (2. Kor. 13, 4). Endlich leuchtete das Bild Gottes so in Christus, dass er doch verächtlich war nach dem äußeren Anblick und nach der Meinung der Menschen: denn er trug Knechtsgestalt und hatte in der Weise unsere Natur an sich genommen, dass er in ihr nicht nur ein Knecht Gottes, sondern auch ein Knecht der Menschen war. Denn Paulus nennt ihn einen Diener der Beschneidung (Röm. 15, 8), und er selbst bezeugt von sich, dass er gekommen sei, um zu dienen (Mt. 20, 28). Ja, schon lange zuvor hatte Jesaja von ihm geweissagt (Jes. 42, 1): „Siehe das ist mein Knecht.“

Ward gleich wie ein anderer Mensch, d. h. er rückte in dieselbe Stellung und in die Reihe der übrigen Menschen, so dass er sich nach dem äußeren Anschein in nichts über gemeines Menschenlos erhob. Er ward an Gebärden als ein Mensch erfunden, d. h. man konnte ihn nach seiner Erscheinung als solchen erkennen. Hatte der Apostel zuvor behauptet, dass Christus wahrhaftiger Gott war und dem Vater wesensgleich, so erinnert er jetzt daran, dass man ihn für einen verächtlichen und ganz gewöhnlichen Menschen gehalten hat. Dabei muss von neuem bemerkt werden, dass diese Erniedrigung eine freiwillige war.

V. 8. Und ward gehorsam. Es ist schon eine große Erniedrigung, wenn jemand sich aus einem Herrn zu einem Knechte macht. Paulus aber sagt, dass Christus noch weiter ging. Er, der nicht nur unsterblich war, sondern auch Herr über Leben und Tod, wurde doch seinem Vater gehorsam bis zum Tode. Das war die tiefste Erniedrigung, besonders wenn man bedenkt, welches Todes er gestorben ist! Paulus fügt ja sofort steigernd hinzu: ja zum Tode am Kreuz! Indem er so starb, ward Christus nicht bloß von den Menschen verachtet, sondern auch ein Fluch vor Gott. Dies Beispiel der Erniedrigung, das er uns gegeben, ist der Art, dass kein Menschengeist es ergründen, viel weniger, dass Worte es nach Würdigkeit beschreiben können.

V. 9. Darum hat ihn auch Gott erhöhet. Diese tröstliche Wendung soll uns jene Verachtung, vor welcher das menschliche Gefühl zurückscheut, doch höchst begehrenswert erscheinen lassen. Dass mit vollem Rechte die Nachfolge Christi uns zugemutet wird, dürfte nicht leicht jemand abstreiten. Aber das macht uns noch williger zur Nachfolge, wenn wir hören, dass es für uns nichts Besseres gibt, als dass wir uns nach seinem Bilde gestalten lassen. Christi Beispiel muss uns beweisen, dass wir nur glücklich sein können, wenn wir uns freiwillig mit ihm erniedrigen. Denn er ist aus der höchsten Verachtung zur höchsten Ehre erhoben worden. Wer daher sich erniedrigt, wird in ähnlicher Weise erhöht werden. Wer sollte nun die Erniedrigung abweisen, durch die man zur Herrlichkeit des Himmelreichs emporsteigt?

Und hat ihm einen Namen gegeben. Name steht hier für Würde. Diese Bedeutung hat das Wort „Name“ sehr oft in der Schrift. Paulus will also sagen, dass Christo die höchste Macht gegeben und dass er zu der höchsten Stufe der Ehre erhoben worden ist, sodass auf Erden keine Würde der seinigen gleichkommt. Daraus folgt, dass sein Name ein göttlicher sein muss. Darauf deutet auch die Anspielung an ein Wort des Propheten (Jes. 45, 23), welcher in einem Zusammenhange, der von der künftigen Ausbreitung der Verehrung Gottes über die ganze Erde handelt, Gott folgendermaßen reden lässt: „Mir sollen sich alle Knie beugen und alle Zungen schwören.“ Damit ist doch sicher eine Verehrung gemeint, die Gott allein gebührt.

V. 10. Sich beugen sollen alle derer Knie usw. Wenngleich auch Menschen auf diese Weise verehrt werden, so ist es doch sicher, dass hier eine Anbetung gemeint ist, die Gott eigentümlich ist. Und das Zeichen dieser Anbetung ist eben das Beugen der Knie. Hierbei ist zu beachten, dass Gott nicht nur durch die innere Herzensgesinnung, sondern auch durch äußeres Bekenntnis zu ehren ist, wenn wir ihm das geben wollen, was ihm zukommt. Umgekehrt kann als Erkennungszeichen für die rechten Verehrer Gottes gelten, dass sie ihre Knie vor dem Bilde Baals nicht gebeugt haben (1. Kön. 19, 18). – Doch es fragt sich, ob die ganze Aussage von der göttlichen oder von der menschlichen Natur Christi gelten soll, denn in beiden Fällen zeigen sich Schwierigkeiten. Der göttlichen Natur konnte nichts Neues hinzugegeben werden. Der menschlichen Natur dagegen gebührt an und für sich, d. h. losgelöst von der göttlichen Natur, keine solche Erhöhung, dass sie göttliche verehrt werde. So werden wir denn diese und viele ähnliche Aussagen von der ganzen Person Christi zu verstehen haben, sofern er Gott ist, geoffenbart im Fleische. Denn er hat sich weder nur nach der menschlichen Natur, noch allein nach der göttlichen Natur erniedrigt, sondern seine Erniedrigung bestand darin, dass er seine göttliche Herrlichkeit unter der Schwachheit unseres Fleisches, das er an sich genommen hatte, verbarg. So hat Gott seinen Sohn auch wiederum in demselben Fleische, in dem er verachtet und niedrig hier auf Erden gelebt hatte, zu der höchsten Stufe der Ehren erhoben, sodass er jetzt zur Rechten Gottes sitzt als der Gottes- und Menschensohn. Aber Paulus scheint sich zu widersprechen, da er Röm. 14, 11 dieselbe Stelle anführt (nämlich Jes. 45, 23), um damit zu beweisen, dass Christus einst die Lebendigen und die Toten richten werde. Das scheint aber unangebracht, wenn doch nach der hier vorliegenden Wendung die Aussage schon in der Gegenwart erfüllt wäre. Die Lösung der Schwierigkeit liegt darin, dass Christus sein Königreich jetzt nicht anders besitzt, als dass es von Tag zu Tag wachsen und herrlicher werden muss, wobei doch die Vollendung jetzt noch aussteht und erst mit dem Tage des jüngsten Gerichts eintreten wird. So ist beides zugleich wahr: dass Christo jetzt alles unterworfen ist, und dass diese Unterwerfung erst am Tage des Gerichts ihr Ziel erreicht. Dann wird vollendet, was hier nur begonnen ward. Daher wird diese Weissagung nicht ohne Grund in verschiedener Weise auf verschiedene Zeiten bezogen, da ja alle Weissagungen Christi Reich nicht beschreiben, wie es zu einer bestimmten Zeit sein wird, sondern wie es sich entwickelt im Laufe der Zeit. Übrigens schließen wir aus dieser Stelle, dass Christus jener ewige Gott ist, der durch Jesaja sprach.

Die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind. Da Paulus Christo alles, vom Himmel bis zur Unterwelt, unterwürfig macht, so nehmen die Papisten in kindischer Weise diese Worte als Beweis für das Fegfeuer. Denn, so sagen sie, auf die Teufel, die vor Christo nicht die Knie beugen, sondern vielmehr sich in jeder Weise wider ihn auflehnen und andere zur Auflehnung verführen, können doch hier die Worte nicht gehen: „die unter der Erde sind“. Als ob nicht geschrieben stünde (Jak. 2, 19), dass die Teufel schon erzittern, wenn man nur Gottes Namen nennt! Wie wird es dann erst sein, wenn sie vor Christi Richterstuhl gestellt werden? Natürlich gebe ich zu, dass sie sich nie mit freiwilligem Gehorsam unterwerfen werden. Aber von einem solchen spricht Paulus auch gar nicht mit Notwendigkeit.

V. 11. Zur Ehre Gottes, des Vaters. Wie Gottes Majestät den Menschen offenbar geworden ist durch Christus, so leuchtet diese Majestät jetzt in Christo, und der Vater wird verherrlicht im Sohne (vgl. Joh. 5, 23; 17, 1 ff.).

V. 12. Also meine Liebsten. Die ganze bisherige Ermahnung empfängt jetzt ihren Abschluss mit dem allgemeinen Satze, dass man sich unter Gottes Hand demütigen soll. Denn die Menschen werden untereinander erst nachgiebig und verträglich, wenn die trotzige Selbstüberhebung weicht. Dass aber der menschliche Geist solche Beugung lerne, dazu ist das einzig geeignete Mittel, dass er in ernster Selbstprüfung sich an Gott messe: dann wird die Selbstbespiegelung und Selbstgefälligkeit alsbald schwinden.

Wie ihr allezeit seid gehorsam gewesen. Das Lob des früheren Gehorsams soll zum Fortschritt auf gleichem Wege treiben. Da sich aber nur zu leicht ein heuchlerisches Wesen mit bloßem Dienst vor Augen breit macht und außerhalb des Kreises, da man sich beobachtet weiß, ohne Furcht und Scham sich in zügellosester Weise gehen lässt, so mahnt Paulus seine Leser, sie möchten sich nicht nur in seiner Gegenwart gehorsam zeigen, sondern auch in seiner Abwesenheit, und zwar dann noch viel mehr. Denn bei persönlicher Gegenwart hätte er sie durch fortwährende Ermahnungen treiben und drängen können. Jetzt aber, da ihr Seelenführer ferne war, müssen sie selbst auf sich halten. Und zwar sollen die Philipper ihren Gehorsam durch Demut und Nachgiebigkeit bezeugen und beweisen. Der Quell wahrer Demut liegt aber in der Erkenntnis des eigenen Elends und der eigenen Hilfsbedürftigkeit. Zu dieser Erkenntnis will die Aussprache des Apostels führen. Denn hochfahrendes Wesen kommt nur aus falscher Sicherheit, und diese ergibt sich aus jenem blinden, eitlen Selbstvertrauen, welches sich viel lieber an den eigenen Vorzügen weidet, als auf Gottes Gnade stützt. Genau das Gegenteil davon ist die Furcht, zu welcher der Apostel uns mahnt. Wenn nun auch im Texte die Ermahnung zuerst kommt und dann die Lehre, so ist die Ermahnung doch der Ordnung nach das zweite, weil sie aus der Belehrung abgeleitet wird. Daher will ich mit der Lehre anfangen.

V. 13. Denn Gott ist ´s, der da wirkt. Das ist das rechte Geschütz, um jede Höhe zu zerstören; das ist das Schwert, um jeden Hochmut zu töten, wenn wir hören, dass wir gar nichts sind und nichts vermögen, außer allein durch Gottes Gnade. Ich verstehe darunter die übernatürliche Gnade, die aus dem Geiste der Wiedergeburt hervorgeht. Sofern wir Menschen sind, sind wir schon in Gott und leben und weben in ihm. Aber hier redet Paulus von einer anderen Lebenskraft, als von jener allgemeinen. So wollen wir denn sehen, wie viel er Gott zuschreibt, und was er uns übrig lässt. Beim Handeln unterscheiden wir wesentlich zwei Teile: das Wollen und das Vollbringen. Beides schreibt der Apostel vollständig Gott zu. Was bleibt uns dann aber übrig, dessen wir uns rühmen könnten? Nennt Paulus die beiden Grundbestandteile unseres Handelns, so bedeutet dies ja genau so viel, als wenn er von unserem Tun insgesamt gesprochen hätte. Denn der Wille ist das Fundament, das Vollbringen das auf demselben aufgeführte Gebäude. So besagt der Ausdruck weit mehr, als wenn es nur hieße, dass Gott den Anfang und das Ende wirkt. Denn dann würden sophistische Theologen heraustüfteln, dass etwas, was zwischen beiden in der Mitte liegt, dem Menschen überlassen bliebe. Jetzt aber, was bleibt für uns übrig? Die Schulweisheit müht sich ins Endlose, den freien Willen noch neben Gottes Gnade unterzubringen. Ich meine den freien Willen, wie man ihn zu denken pflegt, der sich selbst bestimmen, selbständig wirken und also mit der göttlichen Gnade zusammen wirken soll. Über Worte will ich dabei nicht streiten: es handelt sich um die Sache selbst. Damit nun der freie Wille neben der Gnade seinen Platz behaupte, teilt man zwischen beiden und sagt etwa: Gott gibt uns die verlorene Fähigkeit wieder, frei zu wählen, sodass wir nun das Gute wollen können. So bliebe die Möglichkeit zum guten Wollen eine Gabe Gottes: der gute Wille selbst müsste auf den Menschen zurückgeführt werden. Paulus dagegen verkündigt, dass der gute Wille ganz Gottes Werk ist. Denn er sagt nicht, dass Gott unserem Herzen eine Neigung oder einen Anreiz mitteile, oder dem guten Willen in seiner Schwachheit zu Hilfe komme, sondern dass er den guten Willen ganz und gar wirkt. Sagt man aber, dass bei unserer Lehre, die alles Gute in uns auf freie Gnade zurückführt, der Mensch wie ein Steinblock vorgestellt würde, so ist das eine unverschämte Verleumdung. Wir geben ja zu, dass wir von Natur einen Willen haben. Weil dieser Wille aber infolge des Verderbens der Sünde böse ist, so beginnt er erst dann wieder gut zu werden, wenn Gott ihn wiederhergestellt hat. Wir sagen nicht, dass der Mensch ohne persönliche Willensbeteiligung irgendetwas Gutes tue: aber dies wird nur der Fall sein, wenn sein Wille vom Geiste Gottes gelenkt wird. So bleibt Gottes Ruhm ungeschmälert, und es muss wohl eine leichtfertige Ansicht sein, wenn man von einem Angebot der Gnade träumt, dessen Annahme in unserem Belieben stünde. Nur wenn Gott wahrhaftig in uns wirkt, hat Paulus ein Recht, davon zu reden, dass Er das Wollen schafft. Genau so steht es mit dem anderen Stück: Gott wirkt in uns das Vollbringen. Er führt also die guten Regungen, die er uns eingeflößt hat, zum Ziele, damit sie nicht fruchtlos bleiben, wie er durch Hesekiel verheißt (Hes. 36, 27 fgl. 11, 20): „Ich will solche Leute aus euch machen, die in meinen Geboten wandeln.“ Daraus schließen wir, dass auch die Beharrung der Gläubigen ein reines Geschenk Gottes ist.

Nach seinem Wohlgefallen. Von Gottes gnädigem Wohlgefallen ist die Rede, nicht etwa von der Menschen wohlgefälligem Entschluss. Der ganze Zusammenhang drängt ja darauf, dass dem Menschen alles genommen und Gott alles gegeben werden soll. So begnügt sich der Apostel nicht mit der Aussage, dass Gott das Wollen und das Vollbringen wirkt, sondern fügt hinzu, dass er dies „nach seinem Wohlgefallen“ tut. So muss jeder Gedanke daran schwinden, als wäre die Gnade eine Belohnung für vorangehendes Verdienst. Paulus lehrt, dass – wenn anders wir auf rechtem Weg sind – unser ganzer Lebenslauf von Gott geleitet wird, und zwar durch seine unverdiente Gnade und Güte.

Mit Furcht und Zittern. Nun knüpft der Apostel die Ermahnung an, dass wir unsere Seligkeit mit Furcht schaffen sollen. Er verbindet nach seiner Gewohnheit Furcht und Zittern, um den Begriff zu steigern. So ergibt sich der Gedanke an einen tief-ernsten und sorgsamen Eifer. Damit will der Apostel gleicherweise schläfrige Trägheit wie falsches Selbstvertrauen vertreiben. Mit dem Worte „schaffen“ trifft er die stets für den eigenen Vorteil erfinderische Bequemlichkeit, die leicht Gottes Gnade als Ruhekissen gebrauchen könnte: wenn Gott in uns wirkt, weshalb sollen wir dann nicht müßig die Hände in den Schoß legen? Aber der heilige Geist erinnert daran, dass er nur in lebendigen Organen wirken will, und wirft mit seiner Mahnung zu Furcht und Zittern jede Selbstüberhebung nieder. Dabei muss sorgfältig beachtet werden, wie die Folgerung lautet. Paulus sagt: Ihr habt alles von Gott, darum seid eifrig und demütig! Denn nichts muss uns mehr zur Bescheidenheit und Demut erziehen, als wenn wir hören, dass wir allein durch Gottes Gnade stehen, und dass wir alsbald fallen werden, wenn er auch nur für einen Augenblick seine Hand von uns abzieht. Das Vertrauen auf uns selbst erzeugt Sicherheit und Zügellosigkeit. Wir erfahren es ja, dass alle, die auf ihre eigene Kraft bauen, frech und anmaßend werden und zugleich, als wenn sie sicher sein dürften, schlafen. Das Mittel gegen beide Übel ist, dass wir uns selbst misstrauen lernen und uns ganz an den einigen Gott hängen. Und fürwahr! Der ist recht fortgeschritten in der Erkenntnis sowohl der Gnade Gottes als auch seiner eigenen Schwäche, der aufgeweckt aus der Sicherheit mit Ernst Gottes Beistand sucht. Leute dagegen, die hochmütig auf ihre eigene Kraft pochen, leben auch immer im Rausche einer falschen Sicherheit. Daher ist es eine unverschämte Beschuldigung, wenn die Papisten uns vorwerfen, dass wir mit unserem Ruhm der Gnade und der Herabsetzung des freien Willens die Menschen sorglos machen, ihnen die Furcht aus dem Herzen reißen und sie von der sittlichen Sorgfalt entbinden. Doch die Leser sehen, dass Paulus hier nicht aus der Lehre der Papisten, sondern aus der unsrigen den Stoff zur Ermahnung nimmt. Er sagt: Gott wirkt alles in euch, daher unterwerft euch ihm mit Furcht! Ich leugne zwar nicht, dass viele, wenn sie hören, dass in uns nichts Gutes ist, sich noch mehr in ihren Fehlern gehen lassen. Aber ich leugne, dass hieran eine Lehre die Schuld trage, die, recht verstanden, vielmehr sittlichen Eifer in den Herzen erzeugt. Außerdem missbrauchen die Papisten diese Stelle, um die Glaubensgewissheit zweifelhaft zu machen. Sie sagen nämlich: wer zittert, ist ungewiss. Sie fassen die Worte des Paulus so, als ob wir unser ganzes Leben hindurch in Ungewissheit über unsere Seligkeit bleiben müssten. Doch wenn wir Paulus nicht mit sich selbst in Widerspruch bringen wollen, so ermahnt er uns hier nicht zum Zweifel, da er ja überall das volle Vertrauen empfiehlt. Doch die Lösung ist leicht, wenn jemand den wahren Sinn ohne Zank sucht. Es gibt zwei Arten der Furcht; die eine, welche die Sorge und die Demut gebiert, die andere, welche den Zweifel gebiert. Die erste Art der Furcht steht im Gegensatz sowohl zur fleischlichen Sicherheit und Trägheit als auch zum Hochmut. Die andere Art der Furcht steht im Gegensatz zur Glaubensgewissheit. Dann ist ferner zu beachten, dass die Gläubigen, so wie sie einerseits sicher ruhen in Gottes Gnade, andererseits, wenn sie ihre Augen richten auf ihre eigene Unbeständigkeit und Schwäche, durchaus nicht ruhig schlafen, sondern durch die Furcht vor den Gefahren, die ihnen drohen, zum Beten angetrieben werden. Trotzdem ist diese Furcht so weit davon entfernt, die Ruhe ihres Gewissens zu stören und ihr Vertrauen zu erschüttern, dass dieselbe vielmehr zu ihrer Stärkung dient. Denn Misstrauen gegen uns selbst bewirkt, dass wir uns umso mehr auf Gottes Barmherzigkeit stützen. Und eben dies will der Apostel mit diesen Worten erreichen; denn er fordert von den Philippern nichts anderes, als dass sie sich mit wahrer Selbstverleugnung Gott unterordnen.

Schaffet, dass ihr selig werdet. Auch diese Wendung missbraucht man, um die Kraft und Fähigkeit der Menschen übertreibend zu rühmen. Erinnern wir an den eben besprochenen Satz, dass Gott alles wirkt, so wehrt man denselben durch einen Hinweis auf die gegenwärtige Aussage ab, dass wir doch selbst unsere Seligkeit schaffen sollen. So teilt man denn das Heilswerk zwischen Gott und dem Menschen und gibt jedem die Hälfte. Tatsächlich denkt aber der Apostel an keinerlei Verdienst, mit welchem man das ewige Leben gewinnen könnte. Spricht er vom „Seligwerden“, so meint er damit den ganzen Weg im Stande der Berufung, also kurzweg alles, womit Gott uns zu jener Vollendung führt, für welche er uns erwählt hat. Diese Seligkeit schaffen wir, wenn wir unter der Leitung des heiligen Geistes nach einem seligen Leben trachten. Gott ist es, der beruft und der das Heil anbietet. Unsere Pflicht ist es, im Glauben hinzunehmen, was er anbietet, und gehorsam seinem Rufe zu folgen. Das alles aber vermögen wir nicht aus uns selbst. Wir können es nur dann tun, wenn Gott uns selbst zum Handeln tüchtig macht. Das Wort, das mit „schaffen“ übersetzt wird, bedeutet eigentlich „zu Ende führen“. Aber man muss im Gedächtnis behalten, dass Paulus nicht etwa davon handelt, dass doch auch unsere Kräfte über ein bestimmtes Gebiet reichen. Vielmehr will er uns einfach lehren, dass Gottes Wirken uns nicht träge und müßig bleiben lässt, sondern uns mit verborgenem Triebe in steter sittlicher Übung festhält.

V. 14. Tut alles ohne Murmeln. Dies ist die Frucht der Demut, zu welcher Paulus uns ermahnte. Denn, wer sich selbst nichts zuschreibt und es gelernt hat, sorgfältig sich unter Gott zu beugen, der wird sich auch unter den Menschen friedlich verhalten. Wo dagegen die Menschen an sich selbst Gefallen haben, da herrschen zwei Sünden: Erstens, dass der Sinn des Einen sich wider den Anderen richtet, und dann, dass sie untereinander in Streit geraten. Deshalb verbietet der Apostel zuerst missgünstiges und heimliches Murren, sodann den offenen Streit. Und als Drittes fügt er hinzu (V. 15), dass Christen ohne Tadel sein sollen. Er meint dies in dem Sinne, dass sie niemandem Anlass zu Klagen und Tadel geben sollen, wie ein solcher sich gerade aus rechthaberischem Wesen ergibt. Zwar kann man dem Hass nicht immer entgehen, aber wir müssen uns Mühe geben, dass wir uns nicht durch eigene Schuld verhasst machen. Trifft uns Hass, so muss an uns das Wort erfüllt werden (Ps. 35, 19): „Sie hassen mich ohne Ursache.“ Doch habe ich auch nichts dagegen einzuwenden, wenn man den Gedanken allgemeiner fasst. Denn Murren und Streit muss sich überall einstellen, wo ein Mensch durch selbstsüchtiges Verhalten den anderen einen Anlass zum Tadel bietet. Übrigens kann das griechische Wort nicht bloß heißen: „frei von Tadel“, sondern auch: „nicht tadelsüchtig“. Und diese Bedeutung würde recht wohl in den Zusammenhang passen. Ist doch die Ursache fast aller Wortstreitereien und Zänkereien die Nörgelsucht. Ferner sollen wir lauter sein; denn ein geläutertes Herz wird niemals solchen Schmutz auswerfen.

Gottes Kinder werden als solche auch unsträflich dastehen. Diesen inneren Zusammenhang wollen die Worte des Apostels ausdrücken. Denn unsere Annahme zur Gotteskindschaft muss zum Untergrunde eines unsträflichen Lebens werden, damit wir wenigstens einigermaßen die Züge unseres Vaters an uns tragen. Wenn nun auch in der Welt niemals eine solche Vollkommenheit vorhanden war, dass nichts Tadelnswertes gefunden werden könnte, so werden die Kinder Gottes doch unsträflich genannt, weil sie mit ganzem Eifer nach Vollkommenheit streben (vgl. auch 3, 12. 15.).

Mitten unter dem unschlachtigen und verkehrten Geschlecht. Die Gläubigen leben nun einmal auf Erden mit den Ungläubigen vermischt, atmen mit ihnen dieselbe Luft, bewohnen denselben Boden. Und in damaliger Zeit lebten sie noch in höherem Maße in der Zerstreuung, da man kaum ein frommes Haus finden konnte, das nicht von allen Seiten von Ungläubigen umgeben war. Umso mehr treibt Paulus die Philipper an, dass sie sich sorgfältig vor allen Verführungen hüten. Er will ihnen sagen: ihr seid zwar von bösen Leuten umgeben; aber vergesst nicht, dass eure Annahme zur Gotteskindschaft euch von ihnen geschieden hat! Lasst also im Leben die Unterscheidungszeichen klar hervortreten! Der Gedanke daran, dass Gott euch abgeschieden hat, muss euren Eifer für ein frommes und heiliges Leben noch immer reger machen, damit ihr euch nicht von fremden Sünden anstecken lasst und ihr dabei selbst wieder ein Teil jenes „unschlachtigen und verkehrten Geschlechts“ werdet. So nennt der Apostel übrigens die Ungläubigen im Blick auf die besonderen Verhältnisse. Die Philipper empfangen damit einen Anstoß, sich umso sorgfältiger zu hüten, weil ihnen von den Ungläubigen viele Ärgernisse erwuchsen, die sie in ihrem rechten Lauf hindern konnten, und weil das ganze Leben der Ungläubigen gleichsam ein Irrgarten ist voll verschlungener Wege, auf die auch wir leicht geraten und dann den rechten Weg verfehlen können. Übrigens passen diese Beiworte auch für die Ungläubigen unter allen Völkern und zu allen Zeiten. Denn wenn das Herz des Menschen unergründlich und böse ist, wie werden dann die Früchte dieser Wurzel sein? Solche Beiworte lehren uns also, dass in dem Leben des Menschen nichts rein und nichts recht ist, bis es durch Gottes Geist wiederhergestellt wird.

Unter diesem scheint als Lichter in der Welt. Wenn auch nach dem Grundtext die Übersetzung als Aussage (unter welchem ihr scheint) sprachlich möglich ist, so passt doch die ebenfalls mögliche Befehlsform weit besser in einen Zusammenhang durchaus ermahnenden Charakters. Die Gläubigen sollen Fackeln sein, die in der Finsternis der Welt leuchten. Paulus will sagen: Die Ungläubigen sind die Kinder der Nacht, und in der Welt ist nichts als Finsternis; aber Gott hat euch zu dem Zweck erleuchtet, damit die Reinheit eures Lebens in dieser Finsternis leuchte, damit seine Gnade umso herrlicher werde. So heißt es auch bei dem Propheten (Jes. 60, 2): „Über dir wird aufgehen der Herr, und an dir seine Ehre erscheinen.“ Und bald darauf folgt: „Die Völker werden in deinem Lichte wandeln und die Könige im Glanze deines Angesichts.“ Freilich handelt Jesaja dort mehr von der Lehre, während dem Apostel das Beispiel des Lebens vorschwebt. In Bezug auf die Lehre nennt auch Christus seine Jünger das Licht der Welt (Mt. 5, 14).

V. 16. Damit dass ihr haltet ob dem Wort des Lebens. Das ist der Grund, weswegen die Christen Lichter sein müssen: sie tragen und halten das Wort des Lebens, das sie selber erleuchtet, damit es auch anderen zur Leuchte werde. Der Apostel denkt an eine Lampe, Gottes Wort der Leuchtkörper. Oder: wir sind der Leuchter, die Lehre des Evangeliums ist die Kerze, welche auf uns gesetzt wird und nun überallhin ihren Glanz verbreitet. So empfangen wir eine Erinnerung, dass es hieße, dem Worte Gottes eine Schmach antun, wollten wir nicht seinen Widerschein in einem reinen Leben spüren lassen. Hierauf bezieht sich auch das Wort Christi (Mt. 5, 15): „Niemand zündet ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel.“ Doch tragen wir das Wort in keinem anderen Sinne, als dass wir zugleich von ihm getragen werden, da wir ja auf dasselbe gegründet sind. Was aber Paulus hier einprägen will, ist wesentlich dies: wir halten auf Gottes Wort oder tragen dasselbe in rechter Weise nur dann, wenn wir sein Licht nicht bloß für uns behalten und müßig bleiben, sondern, wenn wir es für andere weiter leuchten lassen. Alles in allem: wer die Erleuchtung durch die himmlische Sonne empfangen hat, trägt ein Licht an sich, welches, wenn er nicht heilig und züchtig wandelt, alle seine bösen Werke verrät und offenbart. Angezündet ward aber dieses Licht nicht bloß deshalb, damit es uns selbst auf rechtem Wege leite, sondern, damit wir auch anderen diesen Weg zeigen können.

Mir zu einem Ruhm. Um ihren Mut zu beleben, bezeugt Paulus den Philippern, dass es ihm zum Ruhm gereichen werde, wenn er nicht vergeblich an ihnen gearbeitet hätte. Nicht, dass jemand um den Preis und Lohn seiner Arbeit betrogen wäre, wenn er treu, aber ohne Erfolg gearbeitet hätte. Vielmehr ist der Erfolg unseres Dienstes ein besonderer Segen Gottes; und wir brauchen uns nicht zu wundern, wenn er zu den übrigen Gaben, die er uns gibt, auch die hinzufügt, dass er unserem Erfolge seinen besonderen Lohn und seine Krone schenkt. Wie die vielen Gemeinden, die durch ihn für Christum gesammelt wurden, Pauli Apostelamt ehren, so werden sie einst sein Siegespreis und sein Ruhm sein im Reiche Christi, wie er etwas später sagt (4, 1): „Ihr seid meine Krone.“ Und es ist unzweifelhaft, dass der Triumph umso glänzender sein wird, je größere Taten vollbracht sind. Wenn nun jemand fragen würde: wie darf Paulus sich jetzt seiner Arbeit rühmen, da er ja anderwärts (1. Kor. 1, 31) verbietet, sich anders, als im Herrn zu rühmen? – so ist die Antwort leicht: Wenn wir uns und all das Unsrige Gott zu Füßen legen und unseren ganzen Ruhm in Christum setzen, so ist es auch erlaubt, durch Christum sich der Wohltaten Gottes zu rühmen, wie wir ja dies aus dem ersten Briefe an die Korinther ersehen konnten (z. B. 4, 9 ff.; 9, 14 ff.; 15, 10). Der Hinweis auf den Tag Christi ist für die Philipper ein Ansporn zum Ausharren: von dem Richterstuhle Christi dürfen sie den Lohn ihres Glaubens erwarten.

V. 17. Und ob ich geopfert werde. Wenn die Alten Verträge oder Bündnisse schlossen, so brachten sie bei dieser Gelegenheit Opfer dar. Durch diese Opfer wurden die Verträge und Bündnisse bestätigt und geheiligt. Auf diese Opfer bei Schließung von Bündnissen scheint Paulus hier anzuspielen. Würde er sterben, so würde sein Tod zu einer Bestätigung des Glaubensbundes werden, den seine Leser mit Gott geschlossen hatten. Zum genaueren Verständnis der Stelle müssen wir indessen bemerken, dass Paulus bereits das als eine Aufopferung an Gott bezeichnet, was er tat, als er die Gemeinde durch das Evangelium dem Herrn weihte. Ähnlich redet er zu den Römern, wenn er von sich sagt (15, 16), dass er ein Priester sei, welcher die Völker durch das Evangelium dem Herrn als ein Opfer darbringt. Wie nun das Evangelium das geistliche Schwert ist, um die Opfertiere zu schlachten, so ist der Glaube gleichsam die Opferung selbst: denn es gibt keinen Glauben ohne jene Abtötung, welche die Gläubigen dem Herrn weiht. Ist nun von Opfer und Gottesdienst die Rede, so bezieht sich das erstere auf die Philipper, die Gott dargebracht werden, das zweite auf Paulus, welcher den Gottesdienst oder Opferakt vollzieht. Und nun sagt Paulus, dass er froh sein werde, wenn er selbst bei dieser Opferung geopfert werde: denn dadurch würde das Opfer seine völlige Bestätigung und Wahrheit empfangen. Das heißt, das Evangelium von Herzen lehren, wenn wir bereit sind, mit unserem eigenen Blute zu bekräftigen, was wir lehren. Außerdem ergibt sich hieraus eine nützliche Lehre über die Natur des Glaubens, dass der Glaube nämlich kein leeres Ding ist, sondern etwas, wodurch der Mensch Gott geweiht wird. Zugleich empfangen die Diener des Evangeliums hier einen herzlichen Trost: denn es wird von ihnen ausgesagt, dass sie Priester Gottes sind, welche dem Herrn seine Opfer zu bringen haben. Mit welch brennendem Eifer müssen wir nun Gottes Wort predigen, wenn wir wissen, dass wir damit ein Gott wohlgefälliges Opfer bringen! Hier ist das wahre Opfer, - wogegen die an seiner Statt erdichtete Messe ein Frevel am Heiligtum ist. Weiter sagt der Apostel: ich freue mich mit euch allen. Sollte er also sterben, so können die Philipper wissen, dass dies zu ihrem Vorteil geschieht und dass sein Tod ihnen Frucht schaffen wird.

V. 18. Desselbigen sollt ihr euch auch freuen. Welche Ermunterung, tapfer dem Tode entgegen zu sehen, welcher ja für die Gläubigen kein Übel bedeutet! Hatten wir soeben vernommen, dass des Apostels Tod für ihn ein Gewinn sein würde, so trifft er jetzt Fürsorge, dass sein Tod die Philipper nicht in Ratlosigkeit stürzen möchte. Sein Tod wird keinen Anlass zur Traurigkeit bieten, sondern nur zur Freude: denn man wird erfahren, wie fruchtbar er sich erweist. Der freilich schwere Verlust, welchen das Abscheiden eines solchen Lehrers brachte, musste reichlich dadurch aufgewogen werden, dass sein Blut der Bekräftigung des Evangeliums zu gute kam. Nebenher wird Paulus auch daran denken, dass der Tod ihm persönlich ersehnt war.

V. 19. Ich hoffe aber. Der Apostel verheißt den Philippern, dass Timotheus zu ihnen kommen werde, damit sie in dieser Erwartung sich umso tapferer halten und den Betrügern nicht weichen möchten. Denn wie im Kriege die Hoffnung auf Hilfe den Mut des Kriegers aufrechterhält, dass er nicht gebrochen wird, so musste auch der Gedanke den Philippern großen Mut einflößen: bald wird jemand kommen, der den Machenschaften unserer Feinde entgegentreten kann. Wenn nun schon die Erwartung allein so viel vermochte, so musste seine Anwesenheit einen noch viel stärkeren Einfluss üben. Zu beachten ist, dass Paulus seine Hoffnung nur in dem Herrn Jesu hegt: ohne Gottes Vorsehung, der er sich ganz unterwirft, fasst er keinen Entschluss. In der Tat dürfen wir ja Pläne für die Zukunft, dass ich so sage, nur unter der Hand Gottes machen. Wenn der Apostel fortfährt, dass eine Kunde vom Ergehen seiner Gemeinde ihm Erquickung bringen wird, so erkennen wir darin ein Zeichen seiner Liebe: er ängstigt sich ob ihrer Gefahren und hat erst Ruhe, wenn es ihnen gut geht.

V. 20. Denn ich habe keinen, (nicht „der sogar meines Sinnes sei“, sondern) der gleichen Sinnes ist, d. h. welcher dem Timotheus im Eifer für eure Sache gleichsteht. Der Apostel vergleicht also den Timotheus nicht mit sich, sondern mit anderen. Dies besondere Lob spendet er ihm mit der Absicht, den Wert eines so seltenen Mannes in den Augen der Philipper möglichst zu steigern.

V. 21. Denn sie suchen alle das Ihre. Dabei denkt Paulus nicht an Leute, die jeden Eifer für die Frömmigkeit verloren hatten, sondern an solche, die er unter seine Brüder zählte, ja die er in seiner näheren Gefolgschaft dulden musste. Ihnen schreibt er ein so vorwiegendes Interesse für ihre eigenen Anliegen zu, dass sie für Gottes Werk erkalten. Das Seine zu suchen, scheint an sich kein besonderer Fehler zu sein: wie unerträglich aber ein solcher Sinn für Diener Christi ist, gehet ohne weiteres daraus hervor, dass er Leute, die sich ihm gefangen geben, völlig unbrauchbar macht. Ein selbstsüchtiger Mensch vermag sich unmöglich für die Gemeinde aufzuopfern. Nun könnte man aber denken, dass Paulus unbrauchbare und scheinheilige Menschen als seine Begleiter duldete. Indessen will der Ausdruck nicht so verstanden sein, als hätten die Betreffenden nur an den eigenen Vorteil gedacht und die Sorge für die Gemeinde ganz vergessen. Immerhin zeigten sie sich derartig in ihre persönlichen Anliegen verstrickt, dass der Eifer für das öffentliche Wohl der Gemeinde stark nachließ. Denn notwendig muss eine Neigung bei uns vorherrschen; entweder, dass wir mit Hintansetzung unseres eigenen Vorteils eifrig für Christum und seine Sache sorgen – oder dass wir zu sehr auf unseren eigenen Vorteil sehen und Christo nur nebenbei dienen. Hieraus sieht man, welch ein Hindernis es für die Diener der Kirche ist, wenn sie das Ihre suchen. Dabei gelten keine Entschuldigungen, als da sind: Ich tue keinem Unrecht; ich muss auch für mich selbst sorgen; ich bin nicht so gleichgültig, dass ich mir keine Sorge wegen meiner eigenen Bequemlichkeit machte usw. Denn wer seine Pflicht erfüllen will, muss sein Recht hintansetzen. Die Rücksicht auf uns selbst darf der Sorge für Christi Ehre weder vorangehen, noch ihr gleichkommen. Wohin Christus dich ruft, dorthin musst du eilends gehen und alles andere stehen lassen. So musst du deine Berufung auffassen, dass du alle deine Gedanken von allem abwendest, was dich abziehen könnte. Vielleicht könntest du anderswo üppiger leben: aber Gott hat dich an diese Gemeinde gestellt, die dich nur kümmerlich ernährt. Anderswo würdest du mehr Ehre haben: aber diesen Platz hat Gott dir angewiesen, damit du dort ein demütiges Leben führst. Anderswo ist ein gesundes Klima oder eine anmutige Gegend: aber hier ist deine Stelle, für welche du bestimmt bist. Du möchtest vielleicht mit einer lenksameren Gemeinde zu schaffen haben; in der deinigen stößt dich manches undankbare, schwer zu zähmende, hochfahrende Wesen; du kannst dich durchaus in Sinn und Sitten des Volkes nicht schicken: aber du musst gegen dich selbst ankämpfen und gewissermaßen mit Gewalt gegen deine Wünsche angehen, um das Arbeitsfeld, das dir zugewiesen ist, treu zu bebauen; denn du bist nicht frei oder dein eigener Herr. Endlich, du musst dich selbst vergessen, wenn du Gott dienen willst. Wenn nun Paulus schon Männer, welche mehr für sich als für die Gemeinde sorgen, so kräftig tadelt, welches Urteil wird dann erst solche treffen, die durch ihr Geschäft ganz in Anspruch genommen werden und die Erbauung der Gemeinde für nichts achten! Wenn sie sich auch schmeicheln, - Gott wird ihnen nicht verzeihen. Nur insoweit ist es den Dienern der Kirche gestattet, das Ihre zu suchen, als sie dadurch nicht gehindert werden, nach Christi Reich zu trachten. Wer sich aber in dieser Schranke hält, von dem gilt es eigentlich schon nicht mehr, dass er das Seine sucht: denn das Urteil über ein Menschenleben bemisst sich nach dessen Hauptrichtung. Klagt übrigens Paulus über „alle“ seine Gehilfen, so wird dies doch nicht ohne jede Ausnahme zu verstehen sein. Denn es gab auch andere, wie zum Beispiel den Epaphroditus, aber nur wenige; und er bezieht auf alle, was im Allgemeinen der Fall war. Wenn wir nun aber hören, wie Paulus in jenem goldenen Zeitalter, in dem alle Tugenden blühten, darüber klagt, dass nur so wenige wirklich ein Herz für die Sache des Herrn hatten, so brauchen wir den Mut nicht zu verlieren, wenn es heute bei uns ebenso ist. Nur möge ein jeder sich vorsehen, damit er nicht auch mit Recht dieser Art von Leuten zugezählt werde. Beachten wollen wir noch, dass die Auferbauung der Gemeinde als das bezeichnet wird, das Christi Jesu ist: arbeiten wir also in Christi Weinberg, so treiben wir in Wahrheit seine Sache.

V. 22. Ihr aber wisst, dass er rechtschaffen ist. Diese Worte können auch als Beispiel aufgefasst werden und lauten dann: Wisst, dass er rechtschaffen ist. Und diese Form könnte sich vielleicht deshalb empfehlen, weil die Philipper möglicherweise bis dahin noch keine Gelegenheit hatten, den Timotheus kennenzulernen. Doch kommt wenig darauf an. Wichtiger zu bemerken ist, dass Timotheus ein gutes Zeugnis rechtschaffener und demütig-dienender Treue empfängt. Welches Zeichen von Glaubenstreue, dass er am Evangelium dient! So verbindet er sich mit Paulus rechtschaffen und fest. Und welches Zeichen der Demut, dass er dem Apostel gedient hat wie ein Kind dem Vater! Dass diese Tugend ihr besonderes Lob empfängt, begreift sich leicht: denn sie ist zu allen Zeiten selten gewesen. Oder, wo fände man heute einen jungen Mann, der hinter die Alten zurücktreten wollte? Stattdessen begegnet uns überall ein hochfahrendes Wesen. Aus unserer und mancher anderen Stelle sehen wir, wie eifrig Paulus bemüht war, die frommen Diener Gottes auszuzeichnen, nicht so sehr ihretwegen, als weil es der ganzen Gemeinde zum Heil gereicht, wenn solche Männer geliebt und geehrt werden und im höchsten Ansehen stehen.

V. 24. Ich vertraue aber usw. Dies fügt Paulus noch hinzu, damit niemand meine, seinem früher geäußerten Plan, die Philipper zu besuchen (1, 25), habe sich inzwischen ein Hindernis in den Weg gestellt. Er redet aber wieder nur bedingungsweise: in dem Herrn. Zwar hoffte er, dass der Herr ihn befreien werde; aber wir haben schon gesagt, dass diese Hoffnung mangels einer gewissen Verheißung bei ihm durchaus nicht feststand, sondern sich ganz in Abhängigkeit von Gottes verborgenem Ratschluss hielt.

V. 25. Epaphroditus. Nachdem der Apostel seine Gemeinde durch das Versprechen aufgerichtet hat, dass er und Timotheus kommen würden, stärkt er sie auch für die Gegenwart, indem er den Epaphroditus vorausschickt. Bis er selbst über den Ausgang seiner Sache Gewissheit erhielt, - hier lag ja der Grund, der ihn noch zurückhielt – sollten die Philipper nicht eines Hirten entraten, der imstande wäre, die einmal geschaffenen geordneten Zustände aufrecht zu erhalten. Dem Epaphroditus dient nun eine ganze Reihe von Ehrentiteln zur Empfehlung: er heißt nicht bloß Bruder, sondern auch des Apostels Gehilfe und Mitstreiter. Dieser Ausdruck erinnert daran, dass die Diener des Evangeliums in einem beständigen Kampfe stehen: denn Satan duldet es nicht, dass sie ohne Kampf das Evangelium verbreiten. Darum mögen Männer, die sich anschicken, die Gemeinde zu erbauen, wohl bedenken, dass ihnen der Krieg erklärt ist und dass er jeden Augenblick ausbrechen kann. Gilt es auch von allen Christen, dass sie in Christi Lager dienen, weil Satan gegen sie alle den Kampf rüstet, so trifft es doch ganz besonders auf die Diener am Worte zu, welche die Truppenkörper führen und die Fahne vorantragen. Paulus zumal durfte sich seiner Kriegsdienste rühmen: denn er war in jeder Kampfesart fast wunderbar geübt. So ist es für den Epaphroditus ein hohes Lob, ein Genosse seiner Kämpfe zu heißen. Dass er aber selbst ein Apostel genannt wird, will hier wie an vielen anderen Stellen nur im allgemeinen Sinne verstanden sein: er ist ein Verkündiger des Evangeliums. Möglicherweise kann man jedoch übersetzen: „euer Abgesandter und meiner Notdurft Diener“. Dann stünde der letzte Ausdruck in unmittelbarem Zusammenhange mit dem vorigen: die Philipper hätten den Epaphroditus eben zu dem Zwecke gesandt, um dem Paulus etwas zuzudienen (vgl. 4, 18). Jedenfalls gehört es auch zu seinen Ruhmestiteln, dass er dem Paulus im Gefängnis gedient hat, wovon wir bald mehr hören werden.

V. 26. Sintemal er nach euch allen Verlangen hatte. Das ist das Kennzeichen eines rechten Seelenhirten, dass, während er um einer frommen Pflicht willen freiwillig in der Ferne weilt, er doch der Sorge und der Sehnsucht nach seiner Herde nicht vergisst, und der Schmerz, den seine Schafe im Gedenken an ihm empfinden, ihm selbst Unruhe bereitet. Umgekehrt können wir hier auch einen Blick in die ängstliche Liebe der Philipper zu ihrem Hirten tun.

V. 27. Aber Gott hat sich über ihn erbarmt. Musste von einer schweren Krankheit die Rede sein, bei der man schon am Leben des Epaphroditus verzweifelte, so enthüllt sich in seiner Wiedergenesung umso deutlicher Gottes Güte. Vielleicht aber scheint es verwunderlich, dass Paulus in dem Geschenk eines verlängerten Lebens eine Gabe der göttlichen Barmherzigkeit sieht: hatte er doch zuvor ausgesprochen, dass er für sich den Tod vorziehen würde (1, 23). Was gibt es überhaupt Besseres für uns, als befreit von den vielen Sorgen dieses Lebens in das Reich Gottes einzugehen; vor allem aber, erlöst von der Knechtschaft der Sünde, deren Elend der Apostel doch drückend empfand (Röm. 7, 24), im vollen Genuss der Freiheit des Geistes zu stehen, mit welcher wir dann dem Sohne Gottes anhängen würden? Es würde zu weit führen, alle Gründe aufzuzählen, derentwegen der Tod für die Gläubigen besser und wünschenswerter ist als das Leben. Was wäre das aber für eine Barmherzigkeit Gottes, die mit unserem Leben nur das Elend verlängert? Ich antworte, dass trotzdem dieses Leben, für sich betrachtet, eine herrliche Wohltat Gottes bleibt, besonders für Menschen, die Christo leben; denn sie stehen hier in einem glücklichen Stande der Hoffnung und der Übung für die himmlische Herrlichkeit. Darum ist für sie, wie wir sahen, das Leben ein Gewinn. Ferner bedeutet es keine geringe Ehre, wenn Gott uns dessen würdigt, dass er durch uns verherrlicht werden will: so muss man denn weniger das Leben selbst, als des Lebens Zweck und Ziel ins Auge fassen.

Nicht allein aber über ihn, sondern auch über mich usw. Paulus gesteht ein, dass des Epaphroditus Tod hart für ihn gewesen sein würde, und er sieht es als eine Verschonung Gottes an, dass er wieder gesund geworden ist. Er rühmt sich also nicht einer stoischen Gleichgültigkeit oder eines eisernen, für alle menschliche Empfindung unzugänglichen Herzens. So ließe sich fragen, wo denn seine unbesiegbare Geistesgröße und seine unermüdliche Tapferkeit bleiben? Aber christliche Geduld ist eben etwas anderes als philosophische stolze Unempfindlichkeit und unbeugsame stoische Härte. Was wäre es dann für eine Tugend, mit Geduld das Kreuz zu ertragen, wenn man dabei keinen Schmerz und keine Bitternis fühlte? Wenn dagegen Gottes Tröstung dieses Gefühl besiegt, sodass wir nicht widerstreiten, sondern vielmehr willig unseren Rücken den Rutenschlägen darbieten, so ist das ein Gott wohlgefälliges Opfer des Gehorsams. So gesteht Paulus, dass seine Bande ihm wohl lästig und schmerzlich waren, - und doch trug er sie gern um Christi willen. Er gesteht, dass des Epaphroditus Tod für ihn schwer zu tragen gewesen sein würde, - aber gegebenen Falls würde er seinen Schmerz unter den Willen Gottes gebeugt haben. Und doch ist hiermit die ganze Schwierigkeit noch nicht gehoben, denn es können ja auch sündige Gefühle sein, durch deren Zügelung wir unseren Gehorsam beweisen, indem wir der Schwachheit des Fleisches eben nicht nachgeben. Zweierlei ist hierbei zu beachten. Erstens, dass die Gefühle, die Gott von Anfang an unserer Natur anerschaffen hat, an und für sich nicht böse sind, weil sie nicht aus der verdorbenen Natur hervorgehen, sondern von Gott stammen. Ein solch reines Gefühl ist die Trauer über den Tod eines Freundes. Ferner lagen für Paulus noch andere Gründe vor, derentwegen der Tod des Epaphroditus für ihn traurige gewesen wäre, und nicht nur Gründe, die zu entschuldigen, sondern durchaus als berechtigt anzuerkennen sind. Ein solcher bei den Gläubigen in jedem Falle zutreffender Grund ist, dass jeder Todesfall uns den Zorn Gottes wider die Sünde vor Augen stellt. Paulus aber dachte noch mehr an den Verlust, welchen die Gemeinde erlitten hätte: es schmerzte ihn, wenn einer aus dem Kreise der äußerst wenigen wahrhaft guten Lehrer abscheiden sollte. Wenn man solche Gefühle gänzlich tilgen und auslöschen möchte, so wird man aus dem Menschen nicht nur einen Stein, sondern ein wildes und rohes Wesen machen. Übrigens ist bei der Verdorbenheit unserer Natur bei uns alles so verkehrt, dass die Gefühle unseres Inneren, welcher Art sie auch sein mögen, immer das rechte Maß überschreiten. Daher kommt es, dass nichts durch sich selbst so rein und richtig ist, dass es vom Bösen nicht angesteckt wäre. Ja, auch Paulus war ein Mensch, und ich leugne nicht, dass auch bei seinem Schmerz etwas Menschliches mit untergelaufen ist. Denn er hatte auch mit der Schwachheit zu kämpfen und musste Versuchungen bestehen, um durch Kämpfen und Widerstehen den Sieg zu erringen.

V. 28. Ich habe ihn aber desto eilender gesandt. Des Epaphroditus Anwesenheit war für Paulus kein geringer Trost; aber das Wohl der Philipper stellte er viel höher, als seine Bequemlichkeit. Darum sagt er, dass er sich über seine Abreise freut. Denn es hätte ihn traurig gestimmt, wenn er den Epaphroditus von seiner anvertrauten Herde hätte zurückhalten sollen. So sehr dessen Dienste ihn sonst erquickten, so wollte er doch lieber darauf verzichten, als die Philipper berauben. Paulus selbst wird der Traurigkeit weniger haben, wenn er den Philippern zur Freude verhilft.

V. 29. Nehmt ihn auf mit allen Freuden, d. h. mit ganzer, überfließender Freude. Diese erneute Empfehlung zeigt, wie viel dem Apostel daran liegt, dass man bewährten, guten und treuen Hirten ihre Ehre gibt. Denn was hier von einem gesagt wird, gilt von allen. Solche Lehrer sind kostbare Perlen aus Gottes Schatzkammer: je seltener sie sind, desto höher steigt ihr Wert. Und es ist sicher, dass Gott unsere Undankbarkeit und unseren stolzen Dünkel oft dadurch straft, dass er uns die guten Hirten nimmt, wenn er sieht, dass auch die besten, die er gegeben hat, fast verachtet werden. Wer daher wünscht, dass die Gemeinde gegen die Nachstellungen und Angriffe der Wölfe sicher sei, der sorge nach dem Vorbilde des Paulus dafür, dass das Ansehen der guten Hirten gestärkt werde. Betreiben doch auch die Werkzeuge Satans nichts eifriger, als dieses Ansehen mit allen nur mögli8chen Mitteln zu zerstören.

V. 30. Denn um des Werkes Christi willen usw. Ich beziehe das auf jene Krankheit, die Epaphroditus sich durch seine ruhelose Tätigkeit zugezogen hatte. So zählt diese Krankheit zu seinen Tugenden; denn sie war ein glänzendes Zeugnis seines brennenden Eifers. Kranksein an sich ist gewiss keine Tugend; aber eine Tugend ist es, wenn man Christo dient, ohne sich selbst zu schonen. Epaphroditus wusste wohl, dass übermäßige Anstrengungen seiner Gesundheit schaden mussten: doch wollte er lieber seine Gesundheit vernachlässigen, als seine Pflicht versäumen. Um diese Tat den Philippern vollends löblich erscheinen zu lassen, sagt der Apostel, dass Epaphroditus ihm damit an ihrer statt gedient habe. Denn da sie entfernt waren und deshalb dem Paulus in Rom keine Hilfe leisten konnten, so hatte Epaphroditus, der zu diesem Zweck gesandt war, ihre Stelle vertreten. Der griechische Wortlaut deutet darauf hin, dass der von Epaphroditus geleistete Dienst eigentlich ein Gottesdienst war. Und gewiss gibt es nichts, wodurch wir Gott besser dienen können, als wenn wir seinen Dienern in den Nöten beistehen, die sie um der Wahrheit des Evangeliums willen treffen.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/c/calvin/calvin-philipperbrief/calvin-der_philipperbrief_-_kapitel_2.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain