Calvin, Jean - Der zweite Brief des Apostels Petrus - Kapitel 1

Calvin, Jean - Der zweite Brief des Apostels Petrus - Kapitel 1

1 Simon Petrus, ein Knecht und Apostel Jesu Christi, denen, die mit uns eben denselbigen Glauben überkommen haben in der Gerechtigkeit, die unser Gott gibt, und der Heiland Jesus Christ. 2 Gott gebe euch viel Gnade und Frieden durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unsers Herrn! 3 Nachdem allerlei seiner göttlichen Kraft, was zum Leben und göttlichen Wandel dient, uns geschenkt ist durch die Erkenntnis des, der uns berufen hat durch seine Herrlichkeit und Tugend, 4 durch welche uns die teuren und allergrößesten Verheißungen geschenkt sind, nämlich, dass ihr dadurch teilhaftig werdet der göttlichen Natur, so ihr fliehet die vergängliche Lust der Welt.

V. 1. Simon Petrus. In diesem Briefe nimmt eine Bitte die erste Stelle ein. Dann folgt der Dank, um die Juden zur Dankbarkeit zu reizen, damit sie nicht vergessen, was und wie viel Gutes sie schon aus Gottes Hand empfangen hätten. Warum Petrus sich Knecht und Apostel Jesu Christi nennt, haben wir andern Orts gesagt: weil man nämlich auf niemand in der Gemeinde hören soll, er rede denn im Namen und Auftrag Christi. Weiter ist die Bezeichnung „Knecht“ umfassender. Sie umschließt nämlich alle Diener Christi, welche irgendein öffentliches Amt in der Gemeinde bekleiden. Das Apostolat ist ein höheres Ehrenamt. Der Apostel sagt also damit, er sei nicht irgendeiner aus der Schar der Diener, sondern der Herr selbst habe ihn in die Reihe der Apostel berufen, welche unter den übrigen einen Ehrenplatz einnahmen.

Denen, die mit uns eben denselbigen teuren Glauben usw. Damit soll die Gnade angepriesen werden, die Gott allein seinen Auserwählten ohne Unterschied zuteil werden lässt. Denn es war kein gewöhnliches Geschenk, dass alle zu einem und demselben Glauben berufen worden waren. Ist doch der Glaube ein hervorragendes, ja das höchste Gut des Menschen! Ferner redet Petrus von eben demselbigen teuren Glauben, nicht weil er etwa in allen gleichwertig wäre, vielmehr deshalb, weil alle eben denselben Christus mit seiner Gerechtigkeit und eben dasselbe Heil im Glauben besitzen. Ist also gleichwohl das Maß des Glaubens verschieden, so hindert das doch nicht, dass alle an der Erkenntnis Gottes und der Frucht, die daraus hervor wächst, Anteil haben. So besteht zwischen Petrus und den Aposteln einerseits und uns anderseits wahrhaftige Gemeinschaft des Glaubens.

Der Zusatz: „in der Gerechtigkeit, die unser Gott gibt,“ sagt uns, dass wir nicht durch eigenen Fleiß und Tüchtigkeit den Glauben erworben haben, sondern ihn besitzen als ein Gnadengeschenk Gottes. Gerechtigkeit Gottes in dem Sinn, wie es hier zu verstehen ist, und Menschenverdienst schließen sich ja aus. Denn Gerechtigkeit Gottes wird darum die wirksame Ursache des Glaubens genannt, weil niemand imstande ist, sich selbst dieselbe zu schaffen. Gerechtigkeit ist also nicht unter dem Gesichtspunkte aufzufassen, dass sie in Gott beschlossen bleibt, sondern sofern sie auf die Menschen ausströmt (vgl. Röm. 3, 22). Diese Gerechtigkeit wird gleicher weise Gott wie Christus zugesprochen, weil sie aus Gott fließt, aber durch Christus auf uns überströmt.

V. 2. Gott gebe euch viel (genauer: immer mehr) Gnade und Friede. Mit Gnade wird Gottes väterliche Huld uns gegenüber bezeichnet. Wir sind freilich einmal mit Gott durch Christi Tod versöhnt und gelangen durch den Glauben in den Besitz dieses großen Gutes. Aber weil wir Gottes Gnade nach dem Maß unsres Glaubens empfangen, so heißt es von ihr: sie wachse im Verhältnis zu unserer Gesinnung, da sie uns immer mehr aufgeschlossen wird. Neben die Gnade tritt der Friede. Der Anfang unserer Glückseligkeit besteht ja darin, dass Gott uns in Gnaden annimmt. Und je mehr die Liebe zu ihm in unseren Herzen an Kraft gewinnt, desto reichlicher segnet er uns, auf dass uns alles glücke und wohl gelinge. Durch die Erkenntnis. Wie einer in der Erkenntnis Gottes fortschreitet, wo wächst in ihm auch zugleich mit dem Empfinden der göttlichen Liebe alles Gute. Wer also zu dem vollen Genuss eines glücklichen Lebens zu gelangen sucht, der gedenke des von Petrus beschriebenen Weges. Gottes und Jesu Christi Erkenntnis ist nicht zu trennen. Denn Gott kann einzig und allein in Christus recht erkannt werden, wie es auch Mt. 11, 27 zu lesen ist.

V. 3. Nachdem allerlei seiner göttlichen Kraft usw. Der Apostel erinnert an die unzählbaren Erweisungen der Güte Gottes, welche die Leser schon erfahren hatten. Dadurch sollten sie für die Zukunft mehr Vertrauen gewinnen. Denn Gott hört nie auf, wohl zu tun bis ans Ende, oder vielmehr nur dann, wenn wir selbst durch unseren Unglauben ihm in den Arm fallen. Denn seine Macht ist unerschöpflich, und sein Wille, wohl zu tun, ist immer gleich. So ermuntert denn auf Grund der früheren Wohltaten Gottes der Apostel mit Recht die Gläubigen zu guter Hoffnung. Das bezweckt auch die Fülle des Wortlauts. Denn er hätte sonst einfacher sagen können: „nachdem er uns alles geschenkt hat.“ Aber indem er von der göttlichen Kraft spricht, schwingt er sich höher empor; Gott hat ja die unermessliche Fülle seiner Macht so reichlich entfaltet. Übrigens kann man dies auf Christus wie auf den Vater beziehen. Doch passt es besser zu Christus; als wenn er gesagt hätte: die Gnade, die von ihm auf uns ausgegossen ist, sei ein Abglanz der Gottheit. Denn das war kein Menschenwerk.

Was zum Leben und göttlichen Wandel usw. Einige beziehen dies auf das gegenwärtige Leben, so dass der göttliche Wandel gleichsam als eine höhere Gabe zu jenem hinzutreten würde. Somit hätte Petrus an zwei Merkmalen beweisen wollen, wie wohlwollend und freigebig Gott gegen die Gläubigen sei, dass er sie ans Licht gebracht, dass er ihnen alles im Überfluss darreicht, was zur Erhaltung des irdischen Lebens dient; und dann, dass er sie wiedergeboren zu einem geistlichen Leben, während er sie selbst mit göttlichem Wandel schmückte. Aber diese Unterscheidung ist dem Petrus fremd. Dann hätte er also nicht nur das Leben erwähnt, sondern auch noch den göttlichen Wandel gleichsam als die Seele des Lebens aufgeführt. Erst dann macht uns Gott wahrhaft lebendig, wenn er uns seiner Gerechtigkeit untertan macht. Doch Petrus redet hier nicht von den natürlichen Gaben Gottes. Er preist nur die, welche er seinen Auserwählten insbesondere erteilt, sofern sie über die allgemeine Naturordnung hinausgehen. Dass wir als Menschen geboren, dass wir mit Sinnen und Verstand begabt sind, dass unser Leben nicht des notwendigen Unterhalts ermangelt, das ist freilich alles Gottes Gabe. Doch weil die Menschen in ihrer Undankbarkeit und Bösartigkeit diese, wie sie sagen, gemeinsamen Naturgüter nicht unter die Wohltaten Gottes rechnen, darum wird hier das gewöhnliche menschliche Leben nicht berührt; sondern der Apostel wählt die eigentlichen Gaben des neuen, geistlichen Lebens aus, welche ihren Ursprung im Reiche Christi haben. Wenn man aber zu den übernatürlichen Gaben Gottes alles zählt, was zu göttlichem Wandel und zum Heil führt, so mögen die Menschen lernen, sich nichts anzumaßen, sondern Gott demütig um alles zu bitten, was ihnen, wie sie sehen, fehlt; und wiederum mögen sie das, was sie Gutes haben, als von ihm empfangen betrachten lernen. Denn Petrus schreibt hier die ganze Fülle des göttlichen Wandels, alle Heilsmittel, der göttlichen Macht Christi zu und entzieht sie dem Bereich gemeiner menschlicher Natur, so dass uns auch nicht das mindeste Tröpfchen von Kraft übrig bleibt.

Durch die Erkenntnis des usw. Jetzt beschreibt der Apostel, wie Gott uns solch großer Güter teilhaftig macht: er offenbart sich uns nämlich durch das Evangelium. Denn Gotteserkenntnis ist der Anfang des Lebens und der erste Schritt zu göttlichem Wandel. Überhaupt kann keine Nießung geistlicher Gaben zum Heile dienen, solange man nicht, durch die Lehre des Evangeliums erleuchtet, Gott erkennt. Übrigens ist Gott der Urheber dieser Erkenntnis. Denn wir kommen nie zu ihm, wenn wir nicht berufen werden. Also ist nicht unsere Scharfsichtigkeit, sondern Gottes Berufung die wirksame Ursache des Glaubens. Gemeint ist aber nicht die nur äußerliche Berufung, welche an sich unwirksam ist, sondern die innerliche, welche in einer geheimen Geisteskraft besteht, darin nämlich, dass Gott nicht nur mit Menschenstimmen die Ohren trifft, sondern innerlich durch seinen Geist die Herzen zu sich zieht.

Durch seine Herrlichkeit und Tugend. Petrus will den ganzen Ruhm unserer Errettung klar und deutlich Gott zuschreiben, um uns einzuprägen, dass wir alles ihm danken. Wir sind ja ganz von Schmach bedeckt und völlig verkehrt, bis Gott uns in seine Herrlichkeit kleidet und mit seiner Tugend schmückt. Ferner ist damit gesagt: das sei die Wirkung der Berufung an den Auserwählten, dass Gottes herrliches Bild wieder an ihnen erneuert wird und sie zur Heiligkeit und Gerechtigkeit umgeschaffen werden.

V. 4. Durch welche uns die teuren usw. Alles, was Gott uns verheißen hat, muss eigentlich und billigerweise als Ausfluss seiner Tugend und Herrlichkeit betrachtet werden. Gottes Verheißungen sind sehr teuer zu halten. Aber sie werden uns anderseits als freies Geschenk dargeboten. Die Herrlichkeit der Verheißungen zeigt sich jedoch darin, dass sie uns schließlich der göttlichen Natur teilhaftig machen. Und was wäre köstlicher als das? Man darf nämlich nicht vergessen, aus welchem Abgrund uns Gott zu solch hohen Ehren emporhebt. Wir wissen ja, wie verworfen unsere Natur ist. Dass sich also Gott auf unsre Seite stellt, so dass all das Seine gewissermaßen unser ist – diese Fülle von Gnade können wir nicht genug erfassen. Darum muss uns diese eine Betrachtung reichlich genügen, um den Entschluss zu fassen, der Welt abzusagen und ganz dem Himmel zuzusteuern. Das Ziel, zu dem das Evangelium uns führen will, ist also: dereinst Gott gleich zu sein, d. h. sozusagen, vergottet werden. Übrigens bezeichnet Natur hier nicht das Wesen, sondern die Beschaffenheit. Manche Menschen bilden sich ein, sie würden so mit der Natur Gottes überkleidet werden, dass dadurch unsere Natur völlig aufgehoben würde. So erklären sie das paulinische Wort: „Gott wird alles in allem sein“ (1. Kor. 15, 18) und ebenso unsere Stelle. Aber den heiligen Aposteln sind solche Wahnvorstellungen nie in den Sinn gekommen. Sie wollten nur sagen: wir werden alle Laster des Fleisches ablegen und der göttlichen Unsterblichkeit und seligen Herrlichkeit teilhaftig werden, so dass wir gleichsam eins mit Gott werden, soweit es unsere Art zulässt. Auch die Heiden haben es für das höchste menschliche Gut gehalten, Gott gleichförmig zu werden. Wir aber wollen die unnützen Grübeleien beiseite lassen und damit zufrieden sein, dass nach dem Reichsgesetz das Bild Gottes in uns erneuert wird in Heiligkeit und Reinheit, auf dass wir endlich am ewigen Leben und an der Herrlichkeit Anteil haben, um völlige Seligkeit zu genießen.

So ihr fliehet die vergängliche Lust der Welt. Wir haben schon des Apostels Meinung erkannt: die Aussicht auf die himmlische Herrlichkeit, zu der Gott uns einlädt, solle uns durch ihren Wert abziehen von der Eitelkeit dieser Zeit. Weiterhin stellt er der göttlichen Natur die Vergänglichkeit der Welt gegenüber. Aber der Apostel zeigt, dass diese nicht in den Kräften, die uns umgeben, besteht, sondern in unseren eigenen Herzen ihren Sitz hat. Dort herrschen ja die lasterhaften, bösen Regungen, deren Quelle und Wurzel in dem Wort „Lust“ oder „Begierde“ zum Ausdruck kommen.

5 So wendet allen euren Fleiß daran, und reichet dar in eurem Glauben Tugend, und in der Tugend Erkenntnis, 6 und in der Erkenntnis Mäßigkeit, und in der Mäßigkeit Geduld, und in der Geduld Gottseligkeit, 7 und in der Gottseligkeit brüderliche Liebe, und in der brüderlichen Liebe gemeine Liebe. 8 Denn wo solches reichlich bei euch ist, wird´s euch nicht faul noch unfruchtbar bleiben sein lassen in der Erkenntnis unsres Herrn Jesu Christi; 9 welcher aber solches nicht hat, der ist blind, und tappet mit der Hand, und vergisset der Reinigung seiner vorigen Sünden.

V. 5. So wendet allen euren Fleiß daran. Es ist eine harte, unendlich beschwerliche Arbeit, die Verderbnis, die in uns ist, abzulegen. Darum heißt der Apostel uns darnach streben und uns darum bemühen. Hier, so meint er, ist nicht der Platz, träge zu sein oder dem Rufe Gottes lässig und schläfrig zu folgen. Nein, eifrig und munter muss man sein: Lasst euch von keinem Versucht abschrecken und werft euch in den Kampf!

Reichet dar in eurem Glauben usw. Hier gibt der Apostel den Gläubigen die Richtung an, in der sie sich bemühen sollen. Ihren Glauben müssen sie betätigen in ehrbaren Sitten, in Klugheit, Mäßigkeit und Liebe. Der Glaube darf also nicht nackt und leer sein: er muss vielmehr von jenen Eigenschaften begleitet werden. „Im Glauben darreichen“ heißt: mit dem Glauben verbinden. Der Sinn der Worte ist: Gebt euch Mühe, dass zu eurem Glauben hinzukommen Tugend, Klugheit, Mäßigkeit usf. Unter Tugend ist ein ehrbares, wohlgeordnetes Leben, unter Erkenntnis ein verständiges Handeln zu verstehen. Nachdem Petrus nämlich im Allgemeinen geredet hat, zählt er einzelne hervorragende Gaben eines Christenmenschen auf. Die Bruderliebe besteht in der Liebe der Kinder Gottes untereinander. Die gemeine Liebe umfasst die ganze Menschheit.

Doch kann man hier die Frage aufwerfen, ob Petrus, indem er uns die Aufgabe zuweist, Tugenden zur Entfaltung zu bringen, die Kraft und Fähigkeit dazu dem freien Willen rühmend beimesse. Die, welche dem Menschen die Willensfreiheit zugestehen wollen, räumen zwar Gott den Vorrang ein: er beginne in uns zu wirken. Aber sie geben vor, wir seien zugleich mittätig, und es sei daher eigentlich unser Verdienst, wenn die Regungen, die Gott hervorruft, nicht vergeblich und unwirksam blieben. Und doch tritt die Lehre der heiligen Schrift diesem Wahn stets entgegen. Denn sie bezeugt unverhohlen: aufrichtige Regungen ruft Gott in uns hervor und führt sie zur Vollendung. Sie bezeugt auch, dass all unsere Taten und unsere Beharren allein auf Gottes Kraft beruhen. Zudem rühmt sie ausdrücklich, dass Klugheit, Liebe, Geduld Gaben Gottes und des Geistes seien. Wenn darum der Apostel hier solche Betätigung verlangt, so meint er damit keineswegs, dass sie in unserer Kraft stünde. Er zeigt vielmehr nur, was wir schuldig sind, und was geschehen muss. Für die Frommen aber bleibt, wo sie ihrer eigenen Schwäche bewusst werden und sehen müssen, wie es bei ihrer Pflichterfüllung mangelt, nichts anderes übrig, als ihre Zuflucht zur Hilfe Gottes zu nehmen.

V. 8. Denn wo solches reichlich bei euch ist usw. Dann erst, will Petrus sagen, beweist ihr, dass ihr Christus wahrhaft erkannt habt, wenn ihr mit Tugend, Mäßigkeit und anderen Gaben ausgestattet seid. Die Erkenntnis Christi ist nämlich etwas Wirksames, eine lebendige Wurzel, die in Früchten zum Vorschein kommt. Denn wenn es heißt: „wird´ s euch nicht faul noch unfruchtbar sein lassen“, so ist damit ausgesprochen, dass die Erkenntnis Christi überall da falsch und eitel ist, wo sie der Liebe, Geduld und ähnlicher Gaben ermangelt, wie auch Paulus an die Epheser schreibt (4, 20): „Ihr aber habt Christus nicht also gelernt. So ihr anders von ihm gehört habt und in ihm gelehrt seid, wie in Christus ein rechtschaffen Wesen ist. So legt nun von euch ab den alten Menschen, der sich verderbt“ usw. Denn wer Christus nicht durch einen neuen Wandel bekennt, der ist in seiner Liebe niemals recht gegründet gewesen.

Der Apostel will aber nicht nur, dass die Gläubigen mit Geduld, Gottseligkeit, Mäßigkeit und Liebe ausgerüstet seien, sondern er verlangt beständiges Fortschreiten und Wachstum dieser Gaben. Und zwar mit Recht. Denn noch stehen wir weit ab vom Ziele. Darum müssen wir immer weiter schreiten, auf dass Gottes Gaben in uns zunehmen.

V. 9. Wer aber solches nicht hat usw. Jetzt wird es noch deutlicher, dass, wer bloß auf den Glauben Gewicht legt, von der wahren Erkenntnis sehr weit entfernt ist. Petrus sagt von einem solchen Menschen: er irre wie ein Blinder im Finstern umher. Denn er bleibt nicht auf dem Weg, den das Licht des Evangeliums weist.

Das bekräftigt er auch durch die Bemerkung: „solche haben vergessen, dass sie durch Christi Wohltat von Sünden gereinigt sind.“ Und doch ist das der Anfang unseres Christentums! Folglich kennt ein Mensch, der sich um ein reines, heiliges Leben nicht kümmert, nicht einmal das ABC des Christenglaubens. Petrus nimmt aber für gewiss, seine Reinigung habe vergessen, wer sich noch im Fleischesschmutz wälze. Das Blut Christi ist uns ja nicht zur Reinigung gemacht, dass wir es mit unserm Schmutz besudeln dürften. Darum spricht er auch von den vorigen Sünden und will damit die Einsicht erwirken: von dem Zeitpunkt der Reinigung unserer Sünden ab müsse ein anderes Leben geführt werden. Nicht, dass jemand rein von allen Fehlern sein könnte, solange er in der Welt lebt, oder aber dass die Reinigung durch Christus lediglich in der Verzeihung bestünde; - vielmehr unterscheiden wir uns notwendigerweise von den Ungläubigen, sobald Gott uns für sich ausgesondert hat. Obgleich wir also täglich sündigen und Gott uns täglich verzeiht und Christi Blut uns von Sünden reinigt, so darf die Sünde nicht in uns herrschen, sondern die Heiligung durch den Geist muss die Oberhand gewinnen. So meint es auch Paulus (1. Kor. 6, 11): „und solche sind euer etliche gewesen, aber ihr seid abgewaschen“ usw.

10 Darum, liebe Brüder, tut desto mehr Fleiß, euren Beruf und Erwählung fest zu machen; denn wo ihr solches tut, werdet ihr nicht straucheln, 11 und also wird euch reichlich dargereicht werden der Eingang zu dem ewigen Reich unsers Herrn und Heilandes Jesu Christi. 12 Darum will ich´s nicht lassen, euch allezeit solches zu erinnern, wiewohl ihr´ s wisset, und gestärkt seid in der gegenwärtigen Wahrheit. 13 Ich achte es aber billig, solange ich in dieser Hütte bin, euch zu erinnern und erwecken; 14 denn ich weiß, dass ich meine Hütte bald ablegen muss, wie mir denn auch unser Herr Jesus Christus eröffnet hat. 15 Ich will aber Fleiß tun, dass ihr allezeit habt nach meinem Abschied solches im Gedächtnis zu halten.

V. 10. Liebe Brüder, tut desto mehr Fleiß usw. Der Apostel folgert: dass wir von dem Herrn wahrhaft erwählt und nicht vergeblich berufen sind, können wir einzig dadurch beweisen, wenn dem Bekenntnis des Glaubens ein gutes Gewissen und ein reines Leben entsprechen. Darum müsse man noch mehr Eifer und Fleiß anwenden. Schon früher hatte er ja gesagt, der Glaube dürfe nicht unfruchtbar sein. Den Beruf nennt er zuerst, obwohl er der Ordnung nach die zweite Stelle einnimmt. Der Sinn ist: tut Fleiß, mit der Tat zu bezeugen, dass ihr nicht vergeblich berufen, ja erwählt seid.

Nun erhebt sich die Frage: ob der Bestand unserer Berufung und Erwählung sich auf gute Werke gründe? Wenn dem so ist, so folgt, dass er von uns abhängt. Und doch lehrt die ganze Schrift: erst sei im ewigen Vorsatz Gottes die Erwählung von Seiten Gottes gegründet; alsdann beginne die Berufung durch seine freie Güte und komme zur Ausführung. Gott beruft wirksam die, welche er vor Grundlegung der Welt nach seinem geheimen Rat zum Leben zuvor bestimmt hat. Und er lässt aus reiner Gnade beständig das Wort der Berufung erschallen. Aber weil er uns darum erwählt und beruft, dass wir rein seien und unbefleckt vor seinen Augen, so wird dieses reine Leben mit Recht ein Kennzeichen der Erwählung und ein Beweis genannt, wodurch die Gläubigen nicht nur andern gegenüber als Kinder Gottes erwiesen werden, sondern sich auch selbst in diesem Glauben stärken, doch so, dass sie anderswo fest gegründet sind. Trotzdem ist die Festigkeit, die Petrus erwähnt, nicht auf das Gewissen zu beziehen, wie wenn sich die Gläubigen vor Gott als Erwählte und Berufene erkennen würden. Es geht einfach auf die Tatsache, dass die Festigkeit der Berufung in der Heiligung des Lebens in Erscheinung tritt. Die Hauptsache ist, dass sich die Kinder Gottes durch ein frommes, heiliges Leben von den Gottlosen unterscheiden. Denn das ist der Zweck der göttlichen Erwählung. Daran wird offenbar, wie unwürdig einige unreine Hunde Gott anbellen, wenn sie seine freie Wahl zum Deckmantel jeglicher Zügellosigkeit machen; als ob man deshalb ungestraft sündigen dürfte, weil wir zur Gerechtigkeit und Heiligkeit bestimmt sind!

Denn wo ihr solches tut usw. Wieder hat es den Anschein, als ob Petrus dem Verdienst der Werke zumesse, dass Gott unseren Heilsweg fördere und auch, dass wir im Gnadenstand beharren. Aber die Lösung ist leicht: er wollte ja nur lehren, dass an den Heuchlern nichts Lauteres sei, dagegen die, welche ihre Berufung durch gute Werke als fest beweisen, nicht Gefahr liefen, zu fallen. Denn die Gnade Gottes, die uns erhält, ist unerschütterlich. So wird die Beständigkeit unseres Heils mitnichten in uns verlegt, wie auch gewisslich ihre Ursache außer uns liegt. Aber wer die Wirksamkeit des Geistes an sich spürt, den lässt Petrus gutes Muts in die Zukunft blicken. Denn der Herr hat in ihm selbst einen dauerhaften Grund der wahren, gewissen Berufung gelegt.

Die Art des Beharrens wird mit den Worten angegeben (V. 11): Es wird euch dargereicht werden der Eingang usw. Das bedeutet: Gott wird euch bis in sein Reich bringen, indem er euch immer neue Gnaden in überreichem Maße zuteil werden lässt. Das ist aber darum beigefügt, weil jener Übergang, obwohl wir ja schon aus dem Tode ins Leben hindurch gedrungen sind, doch noch ein Gegenstand der Hoffnung ist. Und bis zum vollen Genuss des Lebens bleibt uns noch ein weiter Weg, für den manches unentbehrliche Hilfsmittel uns fehlt. So begegnet denn Petrus etwas aufsteigenden Zweifeln mit den Worten: der Herr wird eurer Not in hinreichender Weise entgegen kommen, bis ihr in sein ewiges Reich eingegangen seid. Reich Jesu Christi sagt er, weil wir nur unter seiner Führung und Leitung nach dem Himmel streben. V. 12. Darum will ich´ s nicht lassen usw. Weil es den Anschein hat, als misstraue man dem Gedächtnis oder der Teilnahme eines Menschen, wenn man ihn oftmals an etwas erinnert, so entschuldigt sich der Apostel bescheidentlich, dass er den Gläubigen eine ihnen wohl bekannte, tief in ihre Herzen gegrabene Sache doch immer wieder vortrage; freilich erfordere dies die Wichtigkeit und Größe des Gegenstandes. Ihr habt zwar – so sagt er – die Wahrheit, die das Evangelium bietet, löblich gehalten. Auch suche ich euch nicht zu festigen, als wäret ihr schwankende Rohre. Aber bei einer so wichtigen Sache sind Ermahnungen niemals überflüssig. Sie dürfen darum auch nie beschwerlich fallen. Ähnlich entschuldigt sich Paulus den Römern gegenüber: 15, 14.

Gegenwärtig ist die Wahrheit, weil die Leser sich durch den gewissen Glauben schon in deren Besitz gebracht haben. Petrus empfiehlt also ihren eigenen Glauben, damit sie desto standhafter auf ihm beharren.

V. 13. Ich achte es aber billig usw. Hier steht es noch klarer, wie nützlich und notwendig solche Ermahnungen sind. Sie wollen die Gläubigen erwecken; sonst beschleicht sie des Fleisches Schlaffheit. Wenn sie also auch keine Lehre bedürfen, so hält Petrus doch den Stachel der Mahnung für nützlich, damit nicht Sorglosigkeit und Nachgiebigkeit, wie so oft, das recht Gelernte verdecken und endlich vernichten.

Noch einen andern Grund fügt der Apostel hinzu, warum er sich noch mehr zu diesen Mahnungen gedrängt fühle: er wisse, dass ihm nur noch kurze Zeit beschieden sei. Fleißig, sagt er, müsse er die Zeit auskaufen. Denn der Herr hat mir kundgetan, dass ich nicht mehr lange auf dieser Erde wandeln soll. Daraus mögen wir lernen, unsere Mahnungen so zu gestalten, dass nicht das Volk, dem wir nützen wollen, glaube, es geschehe ihm unrecht; und wiederum: den Tadel so einzukleiden, dass doch die Lehre freien Lauf hat und die Ermahnungen nicht aufhören. Solche Mäßigung aber hat da ihre Stelle, wo ein schärferer Tadel nicht am Platze ist, wo man vielmehr behutsam vorzugehen hat, da die betreffenden Menschen schon an sich ihren Pflichten Neigung entgegenbringen. Wir lernen auch an dem Beispiel des Petrus, dass wir, je kürzer unsere Lebensfrist ist, desto sorgfältiger uns der Ausübung unseres Berufs zu widmen haben. Gewöhnlich können wir ja unser Lebensende nicht im Voraus wissen. Aber wer schon bei Jahren ist oder eine wenige feste Gesundheit hat, der soll solche Anzeichen der Kürze seines Lebens beachten und desto fleißiger dafür sorgen, dass er beizeiten bestelle, was der Herr ihm aufgetragen hat. Und wer kerngesund ist und noch in der Blüte der Jahre steht, der soll sich durch das Gedenken an die Nähe des Todes zu derselben Sorge anspornen lassen, auf dass nicht die Gelegenheit, Gutes zu tun, enteile, während er faul und lässig an der Arbeit steht. Kann doch kein Mensch so anhaltend im Gehorsam gegen Gott stehen, wie es zu wünschen wäre!

Indes wollte Petrus ohne Zweifel für seine Lehre mehr Ansehen und Gewicht gewinnen, wenn er sagt, es liege ihm am Herzen, dass die Leser auch nach seinem bald bevorstehenden Tode solches im Gedächtnis hielten. Denn wenn einer zu uns spricht, der bald darauf aus diesem Leben scheidet, so betrachten wir seine Worte wie ein Vermächtnis und pflegen sie mit desto größerer Ehrfurcht aufzunehmen.

V. 14. Dass ich meine Hütte ablegen muss. Dieser Ausdruck und nachher der „Abschied“ bezeichnen den Tod. Darauf aufmerksam zu machen, ist der Mühe wert. Denn wir lernen dabei, welch ein Unterschied zwischen Tod und Untergang besteht. Ergreift uns allzu großes Entsetzen vor dem Tod, so hat dies seinen Grund darin, dass wir zu wenig daran denken, wie vergänglich und eitel dieses Leben ist und dass das künftige Leben kein Ende haben wird. Wie steht es aber bei Petrus? Den Tod nennt er einen Ausgang aus der Welt, um anderswohin zu wandern, nämlich zum Herrn. Wir brauchen also vor dem Tode keinen Schrecken zu empfinden, als wenn uns mit dem Tode die Vernichtung drohte. Er nennt ihn ein Ablegen der Hütte, die uns lediglich eine kurze Zeit birgt. Es ist somit kein Grund zur Trauer vorhanden (vgl. 2. Kor. 5, 1).

Was übrigens der Herr Jesus dem Petrus eröffnet hat, bezieht sich nicht auf die Todesart, sondern auf den Zeitpunkt seines Todes.

Wenn die Leser auch nach seinem Abscheiden solches im Gedächtnis halten sollen, so will das sagen: die Nachkommen können auch von einem Toten lernen. Die Apostel haben ja nicht allein für ihre Zeit geschrieben. Sie wollten auch uns nützen. Darum lebt und wirkt ihre Lehre weiter, wenn sie auch nicht mehr am Leben sind. Und unsere Pflicht ist es, aus ihren Schriften Nutzen zu ziehen, gleich als wenn die Verfasser selbst zu uns redeten.

16 Denn wir sind nicht klugen Fabeln gefolget, da wir euch kundgetan haben die Kraft und die Zukunft unsers Herrn Jesu Christi, sondern wir haben seine Herrlichkeit selber gesehen, 17 da er empfing von Gott, dem Vater, Ehre und Preis durch eine Stimme, die zu ihm geschah von der großen Herrlichkeit: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“ 18 Und diese Stimme haben wir gehört vom Himmel geschehen, da wir mit ihm waren auf dem heiligen Berge.

V. 16. Denn wir sind nicht klugen Fabeln gefolgt. Es hebt unseren Mut außerordentlich, wenn wir das Bewusstsein haben, an einer zuverlässigen Sache zu arbeiten. Damit nun die Gläubigen bei ihrer Arbeit nicht meinen, sie schlügen in die Luft, so macht sich der Apostel jetzt daran, die Zuverlässigkeit des Evangeliums zu verkünden, und erklärt, dass er nichts weitergebe, als was er selbst erfahren habe und was unzweifelhaft glaubwürdig sei. Das soll die Leser zur Standhaftigkeit ermuntern, indem sie über den guten Fortgang ihrer Berufung sicherer gemacht werden. Zuerst führt Petrus an, dass er Augenzeuge sei: denn er habe mit eigenen Augen die Herrlichkeit Christi gesehen, die er verkündige. Dies stellt er den trügerischen Märchen gegenüber, wie sie oft verschlagene Menschen erdichten, um einfältige Seelen zu umgarnen. Wir wissen, welch großer Eifer auf nichtige Spitzfindigkeiten verwendet wird, nur weil man Gefallen daran findet. Darum muss man die Seelen mit nicht geringerem Ernst zu der ganz untrüglichen Wahrheit und der mitnichten läppischen Lehre führen, welche uns die Herrlichkeit des Sohnes Gottes in ihrer Verknüpfung mit unserem Heil offenbart.

Die Kraft und Zukunft unsers Herrn Jesu. Zweifellos will der Apostel mit diesen Worten den Inhalt des Evangeliums zusammenfassen, das ja nichts anderes enthält als Christus, in dem alle Schätze der Weisheit verborgen sind. Aber zwei Dinge hält er wohl auseinander: nämlich, dass Christus im Fleische war, und dann, worin seine Kraft und Wirksamkeit besteht. Denn das ist der Vollgehalt des Evangeliums, zu wissen, dass er, der einst als Erlöser verheißen war, aus dem Himmel gekommen, unser Fleisch angenommen, auf der Erde geweilt, den Tod erlitten hat und endlich auferstanden ist. Zum andern empfangen wir das Ziel alles dessen und seine Frucht, nämlich dass Christus „Gott mit uns“ ist, sich als ein sicheres Pfand unserer Kindschaft darbietet, uns durch die Gnade seines Geistes durchdringt und von dem Schmutz des Fleisches reinigt und Gott zu Tempeln weiht, uns aus den unteren Örtern herausreißt und in den Himmel emporhebt, durch das Opfer seines Todes die Sünden der Welt sühnt, uns mit dem Vater versöhnt und der Urheber der Gerechtigkeit und des Lebens uns zu gut ist. Wer das festhält, der hat aus dem Evangelium den richtigen Nutzen gezogen. Wir haben selber gesehen. Daraus entnehmen wir, dass diejenigen keineswegs Christi Diener oder den Aposteln ähnlich sind, welche ohne weiteres hervortreten, um von Dingen zu schwatzen, die ihnen völlig unbekannt sind. Denn der ist erst ein rechter Diener Gottes, dem die Wahrheit der von ihm gepredigten Lehre bezeugt ist. Freilich ist der Grund der Gewissheit nicht bei allen der gleiche. Denn wenn Petrus sagt, er sei zugegen gewesen, als Christus durch eine himmlische Offenbarung Gottes Sohn genannt wurde – es waren damals nur drei – so gab es nichtsdestoweniger auch andere geeignete Zeugen, die an so vielen Wundern Christi Herrlichkeit geschaut und den hehren Anblick seiner Gottheit bei der Auferstehung gehabt hatten. Wir bekommen auf andere Weise unsere Gewissheit. Denn ist auch Christus nicht vor unsern Augen auferstanden, so wissen wir doch, von wem uns die Kunde seiner Auferstehung überliefert worden ist. Dazu kommt noch das innere Zeugnis des Gewissens. Jene Versiegelung durch den Geist meine ich, die alle Beweise der Sinne weit übertrifft. Wir wollen es nimmermehr vergessen, dass das Evangelium von Anfang an nicht auf Grund leerer Gerüchte zusammengeschmiedet worden ist, sondern dass die Apostel glaubwürdige Verkündiger dessen geworden sind, was sie gesehen hatten.

V. 17. Da er empfing von Gott, dem Vater, usw. Ein Beispiel hält Petrus vor allen andern erwähnenswert, bei dem Christus, mit himmlischer Herrlichkeit geschmückt, drei Jüngern einen sichtbaren Anblick seiner göttlichen Herrlichkeit gewährte. Wenn er auch nicht alle Einzelheiten der Geschichte erzählt, so bezeichnet er sie doch mit einem einzigen Wort, wenn er sagt: „eine Stimme, die geschah von der großen Herrlichkeit“. Der Sinn davon ist nämlich: dort sah man nichts Irdisches, sondern überall strahlte göttliche Majestät. Man muss die Zeichen der Herrlichkeit sammeln, welche die Evangelisten erzählen. Dadurch müsste die Stimme, die ergangen ist, noch heiliger werden. Wir sehen ja, dass der Herr nicht nur einmal geredet hat. Denn es war nicht sein Wille, dass nur bloße Stimmen durch die Luft schwirrten, wenn er mit den Vätern redete; sondern er gab Zeichen seiner Gegenwart und bestätigte dadurch, dass es seine Offenbarungen waren, die gegeben wurden.

Das ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Petrus führt dieses Wort an, als würde es allein genügen, dem Evangelium volles Ansehen zu sichern. Mit Recht. Denn wo man Christus erkennt, wie ihn der Vater uns gibt, da hat das Gebäude unserer Weisheit seinen Schlussstein erhalten. Dieses Wort hat zwei Teile. Denn auf „das ist“ liegt eine starke Betonung: das ist nämlich der Messias, der schon so oft verheißen worden war. Was also im Gesetz und Propheten vom Messias enthalten ist, das überträgt der Vater durch diese Erklärung auf die Person dessen, den er mit dieser Proklamation empfiehlt. In dem zweiten Teil des Wortes nennt er Christus seinen Sohn, auf dem seine ganze Liebe ruht und wohnt. Folglich kann er uns nur in ihm lieben, und sonst nirgends darf man die Liebe Gottes suchen.

V. 18. Auf dem heiligen Berge. Heilig heißt der Berg in demselben Sinn wie das Land, auf dem Gott dem Mose erschien. Denn wohin auch immer Gott kommt, der ja die Quelle aller Heiligkeit ist, da heiligt er alles durch seine Gegenwart. Aber dadurch werden wir gelehrt, nicht nur voll Ehrfurcht Gott aufzunehmen, wo er sich auch zeigt, sondern uns auch zur Heiligkeit zu bereiten, sobald er uns naht. So war es auch dem Volke befohlen, als das Gesetz auf dem Sinaigebirge veröffentlicht werden sollte. Das aber ist das wichtigste, was wir uns zu merken haben: „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig, der ich in eurer Mitte wohne.“

19 Und wir haben desto fester das prophetische Wort, und ihr tut wohl, dass ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheinet in einem dunklen Ort, bis der Tag anbreche, und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen. 20 Und das sollt ihr für das erste wissen, dass keine Weissagung in der Schrift geschieht aus eigener Auslegung. 21 Denn es ist noch nie eine Weissagung aus menschlichem Willen hervorgebracht, sondern die heiligen Menschen Gottes haben geredet, getrieben von dem heiligen Geist.

V. 19. Und wir haben usw. Der Apostel lehrt, dass die Gewissheit des Evangeliums auch schon in den Weissagungen der Propheten gegründet sei, damit die, welche sie besitzen, nicht zögerten, sich ganz Christus zu ergeben. Denn wer unschlüssig ist, der kann nicht froh werden. Wenn Petrus übrigens sagt: „wir haben“ – so kann man das auf ihn selbst und die anderen Lehrer wie auf die Schüler beziehen. An den Propheten hatten die Apostel Gewährsmänner für ihre Lehre. Auch die Gläubigen entnahmen daraus allezeit eine Bestätigung des Evangeliums. Ich neige mehr zu der Ansicht, dass er von der ganzen Gemeinde und von sich selbst als einem Gliede derselben redet. Aber warum bezeichnet er das prophetische Wort als desto fester? Dass es desto fester geworden sein sollte, weil Gott jetzt tatsächlich erfüllt hat, was er darin von seinem Sohne verhieß, dünkt mich eine gezwungene Deutung. Es leuchtet vielmehr ein, dass durch ein doppeltes Zeugnis die Wahrheit des Evangeliums bekräftigt werden soll: einmal dadurch, dass Christus durch Gottes feierliche Stimme ein so kräftiges Zeugnis empfing, zum andern weil alle Weissagungen der Propheten auf dasselbe Ziel deuten. Allerdings scheint auf den ersten Blick ungereimt, dass das prophetische Wort fester sein soll als die Stimme, die aus dem heiligen Munde Gottes selbst kommt. Denn erstlich eignet ja dem Worte Gottes zu allen Zeiten dasselbe Ansehen, sodann ist es durch Christi Kommen vollends bestätigt worden, wie man im Ebräerbrief ausführlich lesen kann. Doch ist dieser Knoten leicht zu lösen: der Apostel redet aus der Stimmung seiner jüdischen Volksgenossen, denen die Propheten wohl vertraut waren, so dass über deren Lehre keine Meinungsverschiedenheit bestand. Wenn also für die Juden alles, was die Propheten gelehrt hatten, als von Gott selbst ausgegangen galt, so ist es nicht zu verwundern, wenn Petrus sagt: das prophetische Wort sei für sie desto fester. Bringt man doch auch schon dem Alter immer eine gewisse ehrfurchtsvolle Scheu entgegen!

Außerdem hat man auf andere Umstände zu achten, dass bei Weissagungen, durch die das Reich Christi so lange zuvor angekündigt war, sich kein Argwohn erheben konnte. Es handelt sich an dieser Stelle also nicht darum, ob das prophetische Wort mehr Glauben verdiene als das Evangelium; sondern Petrus nimmt nur Rücksicht auf das Vertrauen, das seine Stammesgenossen den Propheten entgegenbrachten, welche sie unstreitig für rechtmäßige Diener Gottes hielten. Sind sie doch von klein auf in deren Schule gesessen!

Und ihr tut wohl usw. Es fragt sich: was ist dieser Tag, an dessen Anbruch Petrus erinnert? Unter dem dunkeln Ort ist nicht etwa die Zeit unschlüssigen Schwankens zu verstehen, sondern die ganze Lebensbahn. Und der Tag wird für uns erst anbrechen, wenn wir von Angesicht zu Angesicht sehen, was wir jetzt durch einen Spiegel und im Gleichnis schauen. Es leuchtet zwar im Evangelium die Sonne der Gerechtigkeit, Christus, aber so, dass die Schatten des Todes unsere Seelen immer noch teilweise bedecken, bis wir aus dem Kerker des Fleisches entführt und in den Himmel versetzt werden. Der Glanz des „Tages“ wird also darin bestehen, dass kein Nebel der Unwissenheit, kein Schleier den klaren Blick auf die Sonne hindert. Sicherlich sind wir noch so weit von jenem Tag entfernt, als unser Glaube noch seiner Vollendung mangelt. So ist´ s denn nicht verwunderlich, wenn unser gegenwärtiges Leben mit einem dunklen Ort verglichen wird. Sind wir doch noch weit entfernt von der Erkenntnis, zu der uns das Evangelium einlädt. Die Mahnung des Petrus besteht also kurz darin: solange wir auf Erden wandern, brauchen wir das prophetische Wort als eine Leuchte, die uns den Weg weist. Ist sie erloschen, so können wir nur in der Finsternis umhertappen. Der Apostel will durchaus keine Scheidewand zwischen Propheten und Evangelium aufrichten. Sagt er doch: jene leuchteten uns, um uns den Weg zu zeigen. Er will nur lehren: unser ganzer Lebensweg müsse unter der Leitung des göttlichen Wortes stehen, da wir sonst in der Nacht der Unwissenheit überallhin geworfen würden, und Gott uns nicht anders leuchte, als wenn wir auf sein Wort wie auf eine Lampe schauen. Denn das Licht, mit welchem der Apostel das Wort vergleicht, soll nicht etwa als ein schwaches, spärliches Lichtlein verstanden werden. Das Bild will nur den Gegensatz schärfer zeichnen: wir haben kein eigenes Licht und können so wenig den rechten Weg finden wie einer, den die dunkle Nacht überfallen hat. Aber der Herr hilft diesem Mangel ab, indem er eine Fackel anzündet, welche uns mitten im Dunkel den Weg weist.

Zu dieser Erklärung scheint jedoch der Morgenstern nicht zu passen. Denn die untrügliche Erkenntnis, nach der wir unser ganzes Leben lang trachten, kann doch nicht als erster Anbruch des Tages bezeichnet werden. Ich antworte: Nicht die einzelnen Zeiten des Tages werden zueinander in Beziehung gesetzt, sondern der ganze Tag mit seinen Zeiten wird der Finsternis gegenübergestellt, welche all unsere Sinnen gänzlich verdunkeln würde, wenn uns nicht der Herr mit dem Licht seines Worts zu Hilfe käme. Diese Stelle ist sehr wertvoll. Können wir doch daraus sehen, wie Gott uns regiert! Wer nicht auf die Leuchte des Wortes achtet, der ist in Finsternis versunken. Willst du also nicht freiwillig in den Abgrund stürzen, so hüte dich mit allem Fleiß, dass du auch keinen Finger breit von der Richtschnur des Wortes abweichst! Ja, die Gemeinde kann der Führung Gottes nicht anders folgen, als wenn sie bei dieser Art der Leitung ausharrt. In diesem Sinne verurteilt Petrus auch die ganze menschliche Weisheit, damit wir die wahre Richtschnur der Einsicht wo anders als kraft eigenen Sinnens, in schlichter Demut, suchen möchten.

Wichtig ist auch, dass Petrus von der Klarheit der Schrift redet. Denn das Lob wäre ganz falsch angebracht, wenn es uns nicht auf den hohen Wert und die Vortrefflichkeit der Schrift hinweisen würde. Ein jeder öffne also im Gehorsam die Augen des Glaubens und erkenne durch eigene Erfahrung, dass die Schrift nicht umsonst den Namen „Leuchte“ trägt. Den Ungläubigen ist sie zwar dunkel. Wer sich aber dem Verderben ergibt, der trübt sich selber die Augen. Es ist kein Wunder, wenn die stolzen, vom Wind verkehrten Vertrauens aufgeblähten Menschen dieses Licht nicht sehen, dessen der Herr allein die Kleinen und Niedrigen für würdig hält. In ähnlicher Weise rühmt David das Gesetz Gottes: Ps. 19 und 119.

V. 20. Das sollt ihr fürs erste wissen usw. Hier beginnt Petrus zu lehren, wie wir bereitet sein müssen, um die Schrift mit rechtem Nutzen zu gebrauchen. Um die Schrift zu lesen, sollen wir nicht unbedacht über sie herfallen, im Vertrauen auf unsere eigene Weisheit. Dann erst gereichen uns die Worte der Propheten zum Nutzen, wenn wir allen Fleischessinn ablegen und uns ohne Vorbehalt dem Lehramt des heiligen Geistes unterstellen. Gottlose Entweihung der Schrift ist es aber, wenn wir voll Anmaßung mit unserem Scharfsinn herankommen, sie zu verstehen. Denn sie birgt Gottes Geheimnisse in sich, die unserem Fleische verborgen sind, und tiefe Lebensschätze, die das Maß unseres Verständnisses weit überragen. Das Licht, das in derselben leuchtet, scheint eben nur den Demütigen. Ganz abgeschmackt ist es, wenn die Papisten hieraus entnehmen: es dürfe keine Erklärung, wie einzelne Männer sie geben, für maßgebend gehalten werden. Sie missbrauchen dieses Zeugnis des Apostels Petrus, um ihren Konzilien das alleinige Recht zuzusprechen, die Schrift auszulegen. Das ist geradezu kindisch. Denn wenn Petrus von eigener Auslegung redet, so denkt er nicht an jegliche Erläuterung, die ein einzelner Mensch gibt und die verwehrt sein sollte, sondern er erklärt alles für unheilig, was Menschen aus sich selbst beibringen. Mag also die ganze Welt zusammenkommen und aller Menschen Geister sich vereinigen, so wird es „eigene Auslegung“ sein, was sie zustande bringen, - im Gegensatz zu der göttlichen Offenbarung, mit welcher der heilige Geist die Gläubigen erleuchtet, damit sie verstehen, was Gottes Wort sagen will.

Dass nur Gottes Geist das Verständnis erschließen kann, wird mit den folgenden Sätzen begründet (V. 21): in den Weissagungen der Schrift haben die heiligen Menschen Gottes geredet, getrieben vom heiligen Geist. Nicht von sich aus oder aus eigenem Gutdünken haben sie ihre Fündlein in die Welt hinausgeschwatzt. Kurz: das ist der Anfang rechter Einsicht, wenn man den Glauben, den man Gott schuldet, auch seinen heiligen Propheten entgegenbringt. „Heilige Menschen Gottes“ heißen sie, weil sie das ihnen anvertraute Amt treulich verwaltet haben und sich bei ihrem Dienste der göttlichen Sendung stets bewusst geblieben sind. Sie waren „getrieben“, nicht in dem Sinne, als wären sie bewusstlos, so genannte „Enthusiasten“ gewesen, sondern: sie haben nichts von sich aus zu unternehmen gewagt. Sie folgten nur gehorsam der Führung des Geistes, der in ihrem Munde wie in seinem Heiligtum regierte.

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