Burger, Carl Heinrich August von - Dreizehnte Predigt - Am zweiten Osterfeiertag 1856.

Burger, Carl Heinrich August von - Dreizehnte Predigt - Am zweiten Osterfeiertag 1856.

Text: Joh. 20, 11-18.
Maria aber stund vor dem Grabe und weinete draußen. Als sie nun weinete, guckte sie in das Grab, und siehet zween Engel in weißen Kleidern sitzen, einen zu den Häupten, und den andern zu den Füßen, da sie den Leichnam Jesu hingelegt hatten. Und dieselbigen sprachen zu ihr: Weib, was weinest du? Sie spricht zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben. Und als sie das sagte, wandte sie sich zurück, und siehet Jesum stehen und weiß nicht, daß es Jesus ist. Spricht Jesus zu ihr: Weib, was weinest du? Wen suchest du? Sie meinet, es sei der Gärtner und spricht zu ihm: Herr hast du ihn weggetragen, so sage mir, wo hast du ihn hingelegt? so will ich ihn holen. Spricht Jesus zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um, und spricht zu ihm: Rabbuni, das heißt Meister. Spricht Jesus zu ihr: Rühre mich nicht an, denn ich bin noch nicht aufgefahren zu meinem Vater. Gehe aber hin zu meinen Brüdern, und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott. Maria Magdalena kommt, und verkündigt den Jüngern: Ich habe den Herrn gesehen und solches hat er zu mir gesagt.

Die Feier des hohen Osterfestes hat uns nochmals heute hier versammelt. Dieß Freudenfest für die gesammte Christenheit, ist es auch uns ein wahres Fest der Freude? Es kann dieß nur dann sein, wenn uns der Gegenstand desselben nicht bloß äußerlich bekannt, sondern auch unserm Herzen wohl vertraut und werth ist; wenn wir den auferstandnen Herrn und Helfer aus Noth und Tod wirklich schon also angesehen haben und uns allezeit nahe wissen, wie Er den Seinigen es zu sein versprochen hat; wenn wir mit jenem frommen Sänger sprechen können: „Ich aber, dein geringster Knecht, ich sag es frei und mein es recht: Ich liebe dich, doch nicht so viel, als ich dich gerne lieben will.“ Auf welchem Schmerzenswege Er geworben hat um unsre Liebe, das haben die jüngst vergangenen Wochen mit ihrer ernsten Erinnerung aufs neue uns dargelegt. Ob Er auch bei uns den verlangten Dank der Gegenliebe findet, davon und davon ganz allein hängt für uns die wahre Osterfreude ab. Denn eines auferstandenen Heilandes mich zu freuen, den ich nicht auch als meinen Heiland weiß und fasse, das ist im Grunde ein unmöglich Ding; und wenn ich auch den Anlauf dazu nehme und will es versuchen, so wird er kraftlos bleiben, denn die Vorbedingung fehlt mir. Nur wer Ihn kennt und lieb hat, freut sich Seiner. Ein Beispiel rechter Osterfreude steht in unserm Text uns vor den Augen. Wie dort Maria an dem offenen Grab des Herrn zu ihr gelangt ist, das wollen wir zu Herzen nehmen. Gott gebe uns die Gnade in die Fußstapfen einzutreten, die sie uns gezeigt hat. Laßt uns an ihr lernen,

auf welchem Wege man dazu gelangt, des Auferstandnen froh zu werden.

Die erste Stufe dieses Weges ist die Sehnsucht, welche von dem Herrn nicht lassen will; auf die zweite hebt uns der Herr, wenn Er uns nennt mit Namen; die dritte steht in der Hoffnung, welche uns gewiß ist, daß wir Ihn noch von Angesicht zu Angesicht einst schauen werden.

Herr Jesu Christe, Du erhöhter Mittler! der Du das Sehnen Deiner Magd dort angesehen hast in Gnaden, und hast sie nicht vergeblich weinen lassen nach Dir, sondern ihr Verlangen erfüllt überschwänglich: laß uns erfahren, daß Du derselbe noch heute bist; und wo Du eine Seele siehst unter uns, die Dein begehrt in diesen Tagen heiliger Freude, da komm zu ihr und mache sie gewiß, daß Du lebst und sie kennst und sie auf Deinem Herzen trägest. Erhöre uns, daß Niemand von Dir unbeschenkt aus diesem Hause trete; Dein heiliger Geist sei mit uns und verkläre in uns Deinen Namen. Amen.

I.

Maria stand an dem leeren Grabe des Herrn und weinte draußen. Sie hatte sich frühe aufgemacht mit andern frommen Frauen, um den Leichnam ihres Herrn nochmals zu falben; doch auf dem Wege beunruhiget sie der Gedanke: Wer wälzet uns den Stein von des Grabes Thüre? denn er war sehr groß. Aber wie sie näher kommen, sieht Maria schon von weitem, daß der Stein vom Grab hinweg ist, und läuft eilend zu Petrus und Johannes, um das befremdende Ereigniß ihnen mitzutheilen. Die Jünger kommen beide und besichtigen das Grab. Es war offen und leer; die Tücher, darin der Herr war eingebunden gewesen, lagen nicht hastig hingeworfen, nicht mit den Zeichen einer eiligen Gewaltthat, sondern sorgfältig zusammen gefaltet, jegliches besonders; der Leichnam selbst war nicht zu finden. Da kehrten die beiden Jünger verwundert wieder um; nicht so Maria. Die heiße Sehnsucht nach dem hingeschiedenen Herrn, von dem nun auch die theuern Ueberreste ihr entrissen scheinen, hält sie noch an der Stätte fest, die Ihn zuletzt umschlossen hatte; sie kann von diesem Orte sich nicht trennen. Es möchte das Herz ihr brechen vor Betrübniß, daß sie Ihn nicht mehr hat. Aber da hat Er doch gelegen; da, meint sie, müsse sie doch Kunde von Ihm noch bekommen können. Als sollte der stumme Stein ihr Antwort geben, so lehnt sie an dem Grabe und durchmustert es mit ihren Blicken. Da wird das Auge ihr geöffnet, daß sie zwei Engel im Grabe sitzen sieht, einen zu den Häupten, den andern zu den Füßen, da sie den Leichnam Jesu hingelegt hatten; die sprachen zu ihr: Weib, was weinst du? Es lag ein großer Trost in diesem Gesichte und in dieser Frage. Die Erscheinung der Engel an diesem Orte konnte ihr eine Bürgschaft sein, daß keine Uebelthat von Menschen hier geschehen sei, kein Raub noch neue Unbill an dem Herrn, den sie hieher bestattet hatten; die Engel sind ja Seine Diener, und wo sie weilen, da ist Seinen Feinden keine Macht gegeben; auch würden sie nicht fragen: Weib, was weinst du? wenn nicht der Trost, der ihre Thränen stillen kann, bereits auf ihren Lippen wäre, wenn sie nicht wüßten, daß sie das Mittel haben, sie zu trocknen. Aber Maria war für Trost noch nicht empfänglich. Die Arbeit ihrer Seele läßt sie nicht einmal zum Staunen kommen über das Gesicht der Engel, vor dem die andern Frauen, welche vor ihr an das Grab gekommen waren, heftig sich entsetzt hatten. Es gibt ein Maaß der inneren Bewegung, wenn das voll ist, hat keine andere daneben Raum. Marias Seele war voll von Einem, und von dem allein; es ist ihr Herr, nach welchem sie verlangt, den sie verloren wähnt, den sie begehret wiederum zu finden. Sie denkt nicht an eine Auferstehung, sie denkt nur an die irdische Hülle des Entschlafenen. Aber immer ist Er es ja, an welchem ihre Seele hanget, und so antwortet sie den Engeln auf ihre Frage: „Sie haben meinen Herrn weggenommen und ich weiß nicht, wo sie Ihn hingelegt haben.“ In dem Augenblick steht Jesus, der Auferstandene, selbst hinter ihr; doch sie erkennt Ihn nicht. Er fragt sie, wie die Engel schon gethan: „Weib, was weinst du? Wen suchest du?“ Aber auch diese Rede des nicht Erkannten weckt nur Einen Gedanken in ihr auf, die Hoffnung, von Ihm vielleicht etwas zu erfahren über den, den ihre Seele liebet. Sie spricht: „Herr, hast du Ihn weggetragen, so sage mir, wo hast du Ihn hingelegt, so will ich Ihn holen.“ - So sehen wir das tiefe innige Gemüth der treuen Magd des Herrn ganz ihrem Schmerze hingegeben, nur Einer Empfindung fähig, nur für Eine offen: es ist die des Verlangens nach dem verloren geglaubten Herrn; es ist das Gefühl der schmerzlichsten, durch nichts als nur durch Ihn stillbaren Sehnsucht. Aber habe ich auch Recht, wenn ich solche Sehnsucht einen Weg nenne, um des Auferstandenen froh zu werden? Gewahren wir nicht an Maria eher das Gegentheil? Macht nicht viel mehr ihr Schmerz und ihre Sehnsucht sie unempfänglich für den Trost, der ihr so nahe liegt, und sogar stumpf für den Anblick, der aller Trauer sie entheben könnte? Ja, meine Lieben, es scheint wirklich, daß sie es hätte leichter haben können, wenn sie ruhiger, besonnener gewesen wäre. Ein unbefangen prüfender Blick in das Grab, ein wenig Warten auf das, was die Engel ihr zu sagen hatten, eine minder heftige Erregtheit, als der Herr zuletzt gar selbst sie fragte, was sie weine: das haue, scheint es, schneller sie zum Ziele ihrer Schmerzen führen müssen. Aber, Geliebte! dieser Schein trügt. Wahrlich nicht ohne Ursache ist der Herr unter allen den treuen Jüngern und Jüngerinnen, welche um Ihn Leid trugen, gerade der Maria Magdalena zu allererst als der Auferstandene erschienen. Petrus und Johannes mußten warten. Die andern Eilfe sahen Ihn nicht vor dem Abend jenes Tages. Maria geht allen darin vor; und warum sonst, als weil ihre Sehnsucht die tiefste, ihr Verlangen nach dem Herrn das lebendigste gewesen ist. Und ob sie Ihn auch, von der Heftigkeit des Schmerzes noch gehindert, nicht einmal alsobald erkannte, ist es darum weniger der Herr, der hinter ihr schon steht? und wenn Er einmal da steht, wird Er weg gehen ohne Sich zu offenbaren? O meine Theuern, nehmt ihr Vorbild wahr! Es ist auch heute nicht umsonst, wenn man nach Jesu ernstlich und aufrichtig weinet. Es kommen Zeiten immer noch, wo es uns dünkt, als sei Er wenigstens für uns verloren; wo wir aufgehen möchten Ihn zu suchen und gern jeden fragen möchten: Hast du Ihn weggetragen, so sage mir, wo du Ihn hingelegt hast, so will ich Ihn holen! und wo der innere Kampf der Seele uns die Augen des Geistes bindet, daß wir die Versicherung des Trostes nicht sehen, nicht fassen können, die doch nicht fern zu finden wäre. Freilich ist's besser, seines Glaubens jederzeit gewiß sein, und auch im Dunkel der Anfechtung halten an Dem, den wir nicht sehen, als sähen wir Ihn! Aber die Thränen der Maria Magdalena waren auch nicht Thränen des Unglaubens; ihre Kraft lag in der Liebe zu dem Herrn, und das Verlangen nach Ihm blieb nicht unerhört. Es kann nicht unerhört bleiben; wo käme es denn her, wenn Er es nicht erweckt hätte? Die Thränen, die vor Sehnsucht nach Ihm fließen, sie sind bereits ein Pfand von Seiner Nähe! Er ist schon da, wo Jemand nach Ihm weint! Sind auch dem Weinenden die Augen noch gehalten, Ihn zu sehen, warum wird ihm denn das gepreßte Herz erleichtert, während er noch weinet, als weil er fühlt: Er ist nicht fern, Er kommt, Er höret! als weil er im Glauben beten kann mit David: Herr zähle meine Thränen, und fasse sie in Deinen Sack. Ohne Zweifel Du zählest sie! Ps. 56,9. Ich habe gewiß nicht fälschlich euch berichtet, wenn ich die Sehnsucht nach dem Herrn als die erste Stufe nannte, um Sein froh zu werden; die letzte ist es freilich nicht; das habe ich auch nicht gesagt; aber sie verfehlt ihr Ziel nicht, wo sie aufrichtig ist und wahr. Es weiß der Herr uns auch die Schwachheit, die in unserm Schmerz liegt, zu verzeihen; denn „Er hat selber in den Tagen Seines Fleisches Gebet und Flehen mit starkem Geschrei und Thränen geopfert zu Dem, der Ihm vom Tode konnte aufhelfen, und wiewohl Er Gottes Sohn war, hat Er doch an dem, das Er litte, Gehorsam gelernet“ (Hebr. 5, 7. 8). Darum ist Er aller angefochtenen Seelen Freund und Helfer, und hoch gesegnet sind die Schmerzen, welche sich nach Ihm ausstrecken, wider die aller Menschen Trost vergeblich ist, die aber zu dem lebendigen Gott und Heiland dringen, daß Ihm Sein Herz bricht, Er muß kommen und solch einer Seele sich erbarmen.

II.

Aber wenn Er nur einmal da ist, weiß Er sich auch kenntlich zu machen. Er nennt die Weinende mit ihrem Namen: Maria! Da sie dieß Wort hört, wendet sie sich um. Nun weiß sie, wer zu ihr spricht. Sie sinkt zu Seinen Füßen, und Alles was sie sagen kann, ist wieder um Ein Wort: Rabbuni! d. h. mein Meister! Aber in diesem Wort liegt ihre ganze Seele. Er ist's! nun hat sie Ihn erkannt; nun soll sie nichts mehr von Ihm reißen! Bei Nennung ihres Namens, wie er aus Seinem Munde kommt, sind ihr die Augen aufgegangen, daß sie Sein gewiß ward. Unwillkührlich erinnert dieß Wort an ein anderes, welches Gott einst zu Seinem Knechte Moses sagte: „Was du jetzt geredet hast, will ich auch thun; denn du hast Gnade vor meinen Augen gefunden und ich kenne dich mit Namen“ (2. Mos 33, 17). Sehet, so kennt der Herr Marien auch mit Namen. Es ist mehr als ein leerer Schall, es ist ein Ausdruck der Liebe, welcher jeden Zweifel wegscheucht, vor welchem alle Angst und Anfechtung entflieht, daß wir gar nicht begreifen, wo sie nur hergekommen, wo sie hingeschwunden, wenn also der Herr unsern Namen nennt und uns damit erinnert: Du bist ja mein, und Ich bin dein! was weinest du? wie kannst du zagen? Da wird es licht in unsrer Seele, und wir erkennen, daß der Heiland lebt! Da werden wir des Auferstandenen froh, und alle Schmerzen sind dahin. Was kann uns von Ihm scheiden? Er hat es ja gesagt: „Ich bin ein guter Hirte und erkenne die Meinen, und bin bekannt den Meinen, wie mich mein Vater kennet und Ich kenne den Vater; und sie folgen mir, und Ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und Niemand wird sie mir aus meiner Hand reißen. Der Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer denn Alles und Niemand wird sie aus meines Vaters Hand reißen. Ich und der Vater sind Eins!“ Joh. 10,14.15. 27. 30. Aber, Geliebte in dem Herrn! kennt Er auch uns mit Namen? Eine ernste Frage! Lasset sie euch beantworten von der Maria unseres Textes. Von ihr könnet ihr wenigstens lernen, wie man dazu gelangt. Von ihrem früheren Zustande wissen wir nur Eins, was Lucas uns berichtet (8, 2.); aber dieß ist genug. Sie war nicht immer eine Jüngerin des Herrn gewesen, auch nicht einmal, so viel an ihr lag, auf dem Wege es zu werden, wie man das wohl von einem Simeon und einer Hanna sagen konnte. Sie war krank und besessen, ja es waren sieben Teufel von ihr ausgefahren; aber diese Wohlthat hat sie bewahrt, und der Herr, der ihre Bande zerrissen hatte, hat von Stund an mit neuen Banden sie gefesselt, die stärker als die ersten waren, mit den Banden der Liebe, deren Zeugniß unser Text uns vorlegt. So frage dich: bist du auch durch des Herrn Wundermacht genesen? Es bedarf keiner äußeren Krankheit dazu, keiner Besessenheit, wie sie Maria hat erdulden müssen. Ein schlimmerer Feind hat uns allesammt verstrickt: es ist die Sünde. Hast du von ihr dich heilen lassen? Hast du ihrethalben schon mit deinem Herrn gerungen, wie das cananäische Weiblein, wie die Sünderin, die Jesu Füße badete mit ihren Thränen, wie Zachäus, bei dem der Herr sich selbst zum Gaste einlud? Kennst du den Schmerz, den die Erfahrung unseres tiefen Unvermögens, unserer abgründlichen Verkehrtheit, unserer schweren Gottentfremdung weckt, wenn sie uns aufgeht? Weißt und bekennest du mit dem Apostel, daß in unserm Fleische nichts Gutes wohnet, und daß dafür kein Arzt ist in der weiten Welt und keine Salbe, wenn wir uns nicht dem Arzte übergeben, der uns gepredigt wird im Evangelium, der für uns geblutet hat am Kreuz, der Seine Seele dargegeben hat zum Lösegelde für die unsre, und nun Er vollendet ist, eine Ursache der ewigen Seligkeit geworden ist Allen, die Ihm gehorsam sind (Hebr. 5, 9)? O sei gewiß, wenn du von solchen Schmerzen um deine Sünde noch nicht weißt, so kann der Herr dich auch noch nicht mit Namen nennen. Die Er geheilt hat, kennt Er alle, und die lieben Ihn wie jenes Weib, von dem Er sagte: „Ihr sind viele Sünden vergeben, denn sie hat viel geliebt; welchem aber wenig vergeben ist, der liebet wenig.“ Verschließe dich nicht gegen diese Wahrheit mit dem nichtigen Vorgeben: Also weil ich weniger gesündiget habe, darum soll ich vom Herrn weniger genießen? Vom Maaße deiner Sünde ist hier nicht die Rede; du brauchst sie nicht zu messen, wirst es gar nicht können. Aber ob du nur überhaupt sie wirklich einsiehst, ob du dich selbst erkennst, darauf kommt viel, ja wie die Sachen stehen, jetzt Alles an. Ein Pharisäer dünkt sich gerecht und schließt sein Herz zu. Was soll der Herr mit ihm? Er ruft die Sünder zur Buße und nicht die Gerechten, Ein Zöllner beugt sein Knie und spricht: Gott sei mir Sünder gnädig! Meinst du, er habe deß mehr Ursache gehabt als jener? Wahrhaftig nicht! Aber seine Seele hatte Lust zur Wahrheit; darum demüthigte er sich vor dem heiligen gerechten Gott und sank im tiefen Gefühle seiner Unwürdigkeit in den Staub vor Ihm, nicht daß er darin liegen bleibe, sondern damit ihn der Herr zu Ehren machen könne. So wird Er auch dich gnädig ansehen, wenn du Ihm Recht gibst, und in dem Maaße als du dich selbst erkennst, wird dein Bedürfniß, deine Sehnsucht nach Ihm steigen, und wird in deiner Seele Raum, das Wort zu fassen: Sei getrost, deine Sünden sind dir vergeben! Damit bekommst du deinen neuen Namen von dem Herrn, bei dem Er dich und du Ihn ewiglich erkennest. Wen Er so angeredet hat, den läßt Er nicht mehr und der läßt nicht von Ihm. Und wenn sich je Sein Trost verdunkeln will in deiner Seele, so braucht es nur ein Wort von Ihm, nur einen Zuruf, nur einen Ton der wohlbekannten Stimme, die dein Herz schon vernommen hat, und nimmermehr vergessen kann, und du bist wieder aufgerichtet. Jesus der Auferstandene steht vor deiner Seele groß und herrlich, ein König der Ehren, und doch ein Erbarmer, dein Heiland und dein Friedefürst. O meine Lieben, wollen wir doch nicht vergessen: das Osterfest folgt auf die Passionszeit. An Seinem Kreuze müssen wir den Herren Jesum kennen lernen, an dem Kreuze, welches Er für uns getragen, an welchem Er für uns gestorben ist. Dann ist auch der Auferstandene unser Leben, und Sein Sieg unser Trost, und Seine Vollendung unsre Herrlichkeit und Freude; dann gilt auch uns das Wort: „Kann auch ein Weib ihres Kindleins vergessen, daß sie sich nicht erbarmete über den Sohn ihres Leibes? Und ob sie sein vergäße, so will Ich doch deiner nicht vergessen. Siehe in meine Hände habe Ich dich gezeichnet“ (Jes. 49, 15. 16). In Seinen Nägelmalen stehen auch unsre Namen eingegraben, und weil Er uns geliebet hat bis in den Tod, so hält uns Seine Liebe fest. Wen Er begnadigt hat, der kennt Ihn; den kennt auch Er, und kennet ihn mit Namen; dem ist Sein Gnadenruf ein Pfand und Siegel der ewigen Seligkeit, der Freude, welche nicht mehr aufhört.

III.

Zwar vollendet ist die Freude damit noch nicht; sie soll es aber werden. Daß führet uns zum dritten Theile unseres Textes und meiner Predigt. Wir werden des Auferstandenen froh in der Hoffnung, welche uns gewiß ist, daß wir Ihn einst noch schauen werden von Angesicht zu Angesicht. Von Freude übernommen fällt Maria zu des Herren Füßen, um sie zu umschlingen und sie an ihr Herz zu pressen. Das wehret ihr der Herr. Er spricht zu ihr: „Rühre mich nicht an, denn Ich bin noch nicht aufgefahren zu meinem Vater. Gehe aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.“ Was Maria wollte, den tief innigen Austausch persönlicher Vertrautheit und die leibliche Umschließung und Umarmung, dazu war noch nicht Zeit. Die bis dahin gepflogene Weise des Verkehrs, wie sitz der Herr mit Seinen Jüngern hatte, so lange Er im Fleisch bei ihnen weilte, konnte ferner nicht mehr so bestehen. Schon jetzt ist Er verwandelt und verklärt, obgleich Er noch die frühere Gestalt des Leibes an Sich träget, in der sie Ihn zu sehen gewohnt gewesen; denn sie sollen vor allen Dingen deß gewiß sein, daß der Auferstandene derselbe ist, den sie vorher so wohl gekannt, mit welchem sie geredet und gewandelt, den sie am Kreuze haben sterben sehen, der in's Grab gelegt war. Aber in's Fleisch war Er drum nicht zurückgekehrt, und die Gestalt des Umgangs mit den Seinen, die im Fleische statt gefunden, ist fürderhin nicht mehr am Platz. Zur vollen innigen Gemeinschaft aber, wie der Stand des neuen Lebens sie erfordert, war die Stunde für sie noch nicht angebrochen. Darum weist der Herr die Berührung der Maria zwar zurück, doch nicht auf immer. In Seinen Worten: „Rühre mich nicht an, denn ich bin noch nicht aufgefahren zu meinem Vater;“ - in diesem „noch nicht!“ lag schon die Verheißung, daß Alles, was Maria jetzt begehrt, ihr noch gegeben werden solle, aber später, in einer Weise, wie der spätere Zustand sie bedingt, wie sie des Aufgefahrenen würdig sein wird, wenn Er die Seinigen zu sich genommen haben wird, dahin, wo Er die Stätte ihnen vorerst zubereitet. Denn daß Er dieß thun will, das hat Er nicht bloß vor dem Antritt Seines Todesleidens ihnen zugesagt; Er bekräftigt es auch in unserm Texte mit einem Ausdruck, wie Er ihn vorher noch nicht gebraucht hat. „Gehe hin zu meinen Brüdern,“ sagt Er. - So hat Er Seine Jünger vordem noch nicht angeredet. Er nennt sie Seine Freunde; Er erkennt in Gnaden an, was sie beschämen muß, wenn sie damit sich selbst vergleichen, daß sie beharret haben mit Ihm in Seinen Anfechtungen; das Wort „Brüder“ hat Er gegen Sie noch nicht ausgesprochen; das ist ein neuer Name; der bedeutet die Mittheilung eines neuen Lebens. Denn sind sie Seine Brüder, so müssen sie auch sein wie Er; so muß in ihnen und in Ihm dieselbe Kraft des Lebens sich erweisen, so müssen sie Ein Fleisch sein und Ein Geist mit Ihm, wie sie es noch nicht waren, aber werden sollten, und das so sicher und gewiß, daß Er das Recht dazu ihnen jetzt schon zuspricht und sie benennt nach dieser neuen Stellung zu Ihm. Denn das bekräftiget auch Seine weitere Rede: „Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.“ In diesen Worten liegt die Gleichheit, zu der Er sie erheben wollte, bereits bezeugt. Sein Vater ist ihr Vater, und ihr Gott Sein Gott. Denn gleichwie der Vater Ihn geliebt hat, so liebt Er sie, und hat von ihnen schon gesagt zu Seinem Vater: „Ich habe ihnen gegeben die Herrlichkeit, die Du mir gegeben hast, daß sie Eins seien gleichwie wir Eins sind, Ich in ihnen und Du in Mir, auf daß sie vollkommen seien in Eins, daß die Welt erkenne, daß Du mich gesandt hast und liebest sie, gleichwie Du mich liebest“ (Joh. 17,22.23). Die Wahrheit dieses Wortes soll nun bald erscheinen; sie in das Werk zu setzen fährt Er auf zu Seinem Vater und zu ihrem Gott, und kommt einst wieder sie zu Sich zu nehmen. Dann soll Maria dem Drang ihres Herzens völlige Genüge geben können; dann soll ihr nichts mehr verwehrt sein, was sie wünschen kann; dann werden Ihn die Seinigen schauen wie Er ist, und ihre Freude wird vollendet sein auf ewig. Jetzt aber ist die Zeit, in der das Wort gilt: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“ (Joh. 20,29). Der Kraft, dem Rechte nach ist der alte Zustand überwunden; der That und der Erfahrung nach noch nicht; doch wird's geschehen. Deßhalb kann der Apostel schreiben (2. Cor. 5,16.17.) in gewisser Zuversicht des Glaubens: „Darum von nun an kennen wir Niemand nach dem Fleische, und ob wir auch Christum gekannt haben nach dem Fleisch, so kennen wir Ihn doch jetzt nicht mehr; darum ist Jemand in Christo, so ist er eine neue Creatur; das Alte ist vergangen, siehe es ist Alles neu geworden.“ Geliebte in dem Herrn, ist das Alte auch bei euch vergangen? Ist unser Herz ein Eigenthum des Herrn geworden? Ist unsre Seele Seiner Liebe voll? Ist Sein h. Geist ausgegossen in unsere Herzen? Wohlan dann freut euch des Osterfestes! Dann wisset ihr, der Auferstandene ist euer Heiland; der Brudername ist von Ihm auch euch gegeben. Dann könnt ihr das Wort Petri (1. Pet. 1,7-8) auch auf euch beziehen, daß „euer Glaube rechtschaffen und viel köstlicher erfunden werde denn das vergängliche Gold, das durch's Feuer bewährt wird, zu Lob, Preis und Ehre, wenn nun geoffenbaret wird Jesus Christus, welchen ihr nicht gesehen und doch lieb habt und nun an Ihn glaubet, wiewohl ihr Ihn nicht sehet, dann aber Sein euch freuen werdet mit unaussprechlicher herrlicher Freude.“ Dann stehet ihr in Wahrheit auch nicht ärmer da, als dort Maria. Denn was sie hatte, ist nicht minder euch gewiß: die sieghafte Zuversicht, daß euer Herr vom Tod erstanden ist und lebet; - und was ihr hoffet, damit wird auch sie noch auf den Weg der Hoffnung hingewiesen: die völlige Vereinigung mit Ihm, die ewige und unauflösliche Gemeinschaft, wo wir nach Leib und Geist uns Seiner freuen und Ihn umfangen, um nimmermehr von Ihm getrennt zu werden. Denn Seine Auferstehung ist für uns geschehen so völlig wie für Ihn. Er will mit Seinen Brüdern Alles theilen, auch das Leben der Auferstehung, auch den neuen Leib, den noch Maria nicht berühren soll, bis sie Ihm gleich geworden ist in ihrer Auferstehung. Deß freuet euch und seid stark in dem Herrn und unbeweglich in Zuversicht. Was Paulus schreibt Röm. 6,24.25, gilt allen Jüngern Christi, Seiner ganzen gläubigen Gemeinde: „Denn wir sind wohl selig,“ sagt er, „doch in Hoffnung. Die Hoffnung aber, die man siehet, ist nicht Hoffnung; denn wie kann man deß hoffen, das man sieht. So wir aber deß hoffen, das wir nicht sehen, so warten wir sein in Geduld.“ Dieß Warten sollte uns nicht schwer und sauer werden; ist doch sein Ziel gewiß. Einstweilen haben wir auf Erden noch vieles Nöthige zu thun. Jetzt sollen wir gedenken an das Wort Johannis: „Wer solche Hoffnung hat, der reinigt sich, gleichwie Er rein ist.“ Jetzt sollen wir Seine Geduld achten für unsre Seligkeit, und Seinem Geiste Raum geben uns zu heilen und abzuscheiden von der Sünde und all ihren bösen Werken; jetzt sollen wir ringen um die Krone des Lebens und in Geduld laufen den Kampf, der uns verordnet ist. Sind wir doch zum Voraus als Sieger schon gekrönet durch die Gerechtigkeit, die Er uns schenkt, durch die Kraft, die Er verleiht zum Siegen, durch die Verheißung, welche Er uns in das Herz drückt. Wenn einst der große neue Ostermorgen aufgeht, da alle Frucht der Auferstehung Christi öffentlich erscheinet, dann werden wir mit Jauchzen Ihm zu Füßen sinken und Er wird nicht mehr sagen: Rühre mich nicht an! Denn keine Schranke des Fleisches trennt uns dann mehr von Ihm, sondern das Bild des himmlischen Adam erscheint an uns Allen. Amen!

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