Brenz , Johannes - Auslegung des Vaterunser - Amen.

Brenz , Johannes - Auslegung des Vaterunser - Amen.

Obwohl dieser Ausdruck: amen, welchen man am Schluss vom Gebet des Herrn zufügt, beinahe von keinerlei Bedeutung zu sein scheint, so darf doch keineswegs gestattet werden, dass man denselben unachtsam übergehe. Denn dass nur Wenige das zu erlangen scheinen, was sie in diesem oder in anderen Gebeten aussprechen, das kommt daher, dass sie ihre Gebete nicht mit Amen schließen. Es ist hier für uns nicht von einem hörbaren Schluss die Rede; denn es ist gar leicht, mit dem Munde Amen zu sagen. Wir reden aber von dem wahrhaften Aussprechen dieses Wortes kraft unseres Glaubens. Wenn wir nämlich mit diesem Worte das Gebet des Herrn wahrhaft beschließen, so erlangen wir sowohl nach Leib als nach Seele das ewige Heil. Können wir aber nicht wahrhaft Amen sagen, so bleibt nichts Anderes übrig, als dass wir an allen Dingen Mangel leiden. Damit wir Solches recht verstehen, muss gesagt werden, was dieses Wort Amen bedeute. Es ist nämlich weder ein deutsches noch ein griechisches noch ein lateinisches Wort, sondern ein hebräisches, und bedeutet dasselbe wie: Es werde wahr, oder: Es sei gewiss und sicher, dass es geschehe. Spricht man also am Schluss vom Gebet des Herrn: Amen! so ist's dasselbe, als ob man spräche: Ich glaube fest, dass geschieht und erfüllt wird, wie ich erbeten habe.

Du zweifelst aber vielleicht, in welcher Zuversicht du hoffen dürfest, dass die Bitten gewiss geschehen und sich erfüllen, welche du in diesem Gebete ausgesprochen hast. Hier nun müssen wir uns selber und Jesum Christum, Gottes Sohn, recht erkennen; denn auf Nichts von den Wohltaten Gottes können wir in Wahrheit hoffen in der Zuversicht auf unsere eigene Gerechtigkeit und Würde. So groß nämlich ist die Macht unserer Erbsünde, dass, ob wir auch durch den Heiligen Geist wiedergeboren sind, und die guten Werke tun, welche Gott geboten hat, solche dennoch immer etwas Fehlerhaftes an sich haben, dass sie nicht vollkommen gut sind, auch Gottes Gesetz nicht schlechthin erfüllen. Darum kann Niemand in der Zuversicht auf seine eigene Gerechtigkeit gewiss hoffen, dass seine Bitten erhört werden. Was sollen wir denn nun tun? Nachdem wir unsere Ungerechtigkeit und Unwürdigkeit erkannt haben, müssen wir auch die Gerechtigkeit und Würde Jesu Christi, des Sohnes Gottes, erkennen. Da müssen wir zuerst bedenken, dass Gott mit uns versöhnt ist durch Jesum Christum, seinen Sohn und, dass er Alle erhört, die ihn im Glauben an Jesum Christum anrufen. Es heißt nämlich Joel 3,5: „Wer des Herrn Namen anrufen wird, der soll errettet werden.“ Niemand aber kann Gott wahrhaft anrufen, es sei denn, dass er an Christum glaube, weil Gott gütig und gnädig sei. Petrus spricht Ap.-Gesch. 4,12: „Es ist in keinem Anderen Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, darinnen wir sollen selig werden.“ Und Christus selber Joh. 16,23: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: So ihr den Vater etwas bitten werdet in meinem Namen, so wird er's euch geben.“ Wir müssen also wissen, dass Gott unsere Bitten dann gewiss erhört, wann wir ihn anrufen, nicht in der Zuversicht auf unsere eigene, oder anderer, ob auch noch so heiliger Menschen Gerechtigkeit, sondern in der Zuversicht auf die alleinige Gerechtigkeit unseres Herrn Jesu Christi, durch den uns der Vater gnädig geworden ist. Zweitens müssen wir bedenken, dass uns dieses Gebet des Herrn, wie wir's nennen, nicht irgendein gemeiner Schwätzer oder Träumer, nicht irgendein Priester oder Mönch, auch nicht irgendein Erzvater oder Prophet oder Apostel gelehrt hat, sondern Christus selbst, der Sohn Gottes. Dieser sagt Matth. 6,9: „Ihr sollt also beten“ - usw.; und Luk. 11,2: „Wenn ihr betet, so sprecht“ usw. Der Sohn Gottes aber hätte uns nicht also beten gelehrt, wenn er nicht bestimmt erkannt hätte, dieses sei der Sinn seines himmlischen Vaters, und der Vater wolle Alle, welche ihn auf diese Weise, im Glauben, anrufen, erhören. Die Heiden und andere gottlose Leute kennen den Willen Gottes nicht, weil sie Gottes Sohn nicht kennen und sein Wort verachten. Wo nun schwere Trübsale sie trafen, und sie Gottes Zorn empfanden, da wussten sie nicht, wie sie Gott anrufen sollten, damit er versöhnt würde, sondern schickten hin zu den Delphischen Orakeln oder zu anderen Götzendiensten, um zu erfragen, mit welchen Worten oder Bitten sie den göttlichen Zorn mildern und vom Unglück erlöst werden könnten. Das ist aber Gottlosigkeit und Abgötterei. Für uns steht es viel besser; denn wir brauchen keine Gesandten über das Meer oder in den Himmel zu schicken, damit sie erforschen, mit welchen Bitten Gott anzurufen sei, um uns gnädig zu sein; sondern das Gebet des Herrn ist bei uns, in unserem Mund und Herzen, und dieses Gebet hat uns der eingeborene Sohn Gottes gelehrt. Nichts aber ist gewisser, als dass uns die Lehre des Sohnes Gottes den allereigensten Sinn und Willen Gottes darlegt. Denn der Vater spricht zu Mose (5. Mose 18,18) von Christo, seinem Sohn: „Ich will meine Worte in seinen Mund geben.“ Und bei der Taufe (Matth. 3,17) und bei der Verklärung (Matth. 17,5) spricht der Vater von Christo: „Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören.“ Und Joh. 5,20: „Der Vater hat den Sohn lieb, und zeigt ihm Alles, was er tut.“ Darum ist's kein Zweifel, dass Gott der Vater das, was Christus uns im Gebete des Herrn bitten gelehrt hat, aufs gewisseste geben und erfüllen will, so er nur im Glauben angerufen wird.

Hier sei nun die Auslegung vom Gebete des Herrn zu Ende; für uns aber soll das Gebet nie zu Ende sein. Paulus spricht 1. Thess. 5,17: „Betet ohne Unterlass!“ Und Christus selbst sagt Luk. 18, 1: „dass man allezeit beten und nicht lax werden sollte.“ Kann man aber auch die Worte des Gebetes selbst nicht ohne Unterlass sprechen, und wird Solches auch nicht von Gott gefordert, so müssen wir uns doch alle Mühe geben, um, wenn wir die Worte zu seiner Zeit aussprechen, sie nicht unter anderen Gedanken, auch nicht unter Zweifeln an Gottes Gnade, sondern auf die Worte des Gebetes bedacht, zu sprechen, in dem unwandelbaren Glauben, dass Gott uns um seines Sohnes Jesu Christi willen gnädig sei. Also wird es nämlich geschehen, dass wir zwar nicht immer die Worte aussprechen, aber vor Gottes Augen doch immer beten, sei es, dass wir essen, oder schlafen, oder ein ander Werk tun, wenn wir nur nichts Frevelhaftes handeln, sondern in Gottes Beruf bleiben und fortfahren. Denn gleichwie eine hölzerne oder steinerne Kugel, wenn sie an den Abhang eines hohen, abschüssigen Berges gelegt und angestoßen wird, damit sie abwärts zu rollen beginne, jäh von dem Berge hinabzustürzen pflegt, ob auch der, welcher sie angestoßen hat, ihr nicht nachfolgt, und auf seinem Platz verbleibt, ohne sie weiter zu berühren: so wirkt, wenn Jemand zu seiner Zeit die Worte des Gebetes im Glauben gesprochen, und den Geist des Gebetes erweckt hat, das Gebet vor Gott immer weiter, mag auch der Beter, nachdem die Aussprache der Worte beendet ist, scheinbar etwas Anderes betreiben. „Denn der Geist selbst (sagt Paulus Röm. 8,26) vertritt uns aufs Beste mit unaussprechlichem Seufzen.“ Wenn wir also die Worte dieses Gebetes sprechen wollen, so müssen wir die allergrößte Sorgfalt darauf verwenden, dass wir nicht nur die Worte selbst recht verstehen und auf ihren Sinn achten, sondern sie auch in wahrem Glauben an Jesum Christum, Gottes Sohn, sprechen, auf dass der Geist, durch das Gebet erweckt, fortfahre, auch wenn wir schweigen und etwas Anderes tun, vor Gottes Augen zu beten.

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autoren/b/brenz/auslegung_des_vaterunser/brenz-vaterunser-8.txt · Zuletzt geändert: von aj
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