Beecher, Henry Ward - Der Lohn der Liebe.

Beecher, Henry Ward - Der Lohn der Liebe.

Text: Röm. 8,28.
Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen müssen, die nach dem Vorsatz berufen sind.

Lasst uns, meine Freunde, zunächst die Eingangsworte dieses apostolischen Ausspruchs ins Auge fassen. „Wir wissen“ sagt der Apostel. Das ist nicht die Sprache eines Träumers oder eines Menschen, der nur Vermutungen aufstellt, der eine Sache für möglich oder wahrscheinlich hält, und „seine Ansicht“ ausspricht, wie sich gewisse religiöse „Richtungen“ heut zu Tage auszudrücken lieben. Es ist die Sprache eines Menschen, der aus der Fülle der Überzeugung redet, der etwas weiß. Was er aber weiß, ist das Wunderbarste, was es gibt. Wenn es irgendetwas auf der Welt gibt, wovor die Weisheit verstummt, und wovor das Menschenherz erzittert, so ist es die Herrschaft, welche Elend und Sünde auf Erden führen, trotz der sittlichen Weltordnung, an die wir glauben. Die Widersprüche, Kämpfe und Leiden, die wir auf Erden sehen, der scheinbare Sieg des Bösen, die Niederlage des Guten könnten uns glauben machen, die ganze Welt wäre ein Chaos voll Not und Verwirrung. Lange Zeit, bevor der Apostel die ergreifenden Worte niederschrieb, die wir soeben gelesen, hat es Menschen gegeben, welche beim Blick auf diese Verwirrung gestrauchelt sind. Sie wurden irre in ihrem Gottvertrauen; sie fingen an zu fragen, wie die unseligen Menschen, von denen die Schrift redet: „Kann der Allmächtige uns verstehen? Kennt uns Gott? Gibt es eine Allwissenheit und Allweisheit?“

Wenn nun der Apostel über all diesen Sturm und Drang der irdischen Dinge hinwegsieht, und den Ausspruch tut: „Wir wissen, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen“ so ist er entweder ein erhabener Prophet oder er ist ein elender Schwätzer. Sein Wort kann nur eines von beiden sein: entweder törichte Anmaßung oder heilige Erleuchtung.

„Wir wissen, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen.“

Um diesen Ausspruch zu verstehen, müssen wir freilich vor allem die Bedingtheit desselben ins Auge fassen. Der Apostel sagt nicht, dass alle Dinge Allen ohne Unterschied zum Besten dienen. Er sagt ferner auch nicht, wie der Zusammenhang zeigt, dass selbst für die Guten alle Dinge in jeder Hinsicht zum Besten wirken, wie es gerade in ihre Pläne passt. Nur dies will er sagen, dass jeder gute Mensch, der Gott liebt, am Ausgang und Ende seines Lebens finden wird, dass alle Dinge ihm zum Besten gedient haben. Er wird finden, dass was auch immer dazwischen gelegen haben mag, das Ende aller Dinge für ihn ein gutes geworden ist. Wenn einst in einem anderen Leben unser irdisches Schicksal vor uns ausgebreitet liegen wird, und wir es Punkt für Punkt und Abschnitt für Abschnitt durchforschen werden; wenn wir dann urteilen werden mit der höheren Einsicht des Jenseits - dann werden wir sowohl mit dem Plan, als mit der Ausführung und mit dem Endresultat zufrieden sein. Dann werden wir erkennen, dass die Dinge unendlich weise, und ebenso auch unendlich gütig eingerichtet waren. Wenn wir Ihn sehen, wie er ist, dann werden wir auch die Dinge sehen, wie sie sind. Wenn wir Gottes Ebenbild einst sehen werden, dann werden wir mehr als befriedigt sein durch das göttliche Regiment in dieser Welt!

An und für sich ist es für die Menschen gar nicht so schwer, zu leiden. Es ist gar nicht so schlimm, Schmerzen zu ertragen, getäuscht und gehemmt zu werden, den Fehlschlag aller Pläne zu erfahren und zur Anspannung aller Kräfte gezwungen zu werden! - Im Gegenteil, freudiges Ertragen von Beschwerden ist etwas, das wir von Jedem fordern, dem wir männlichen Sinn zugestehen sollen.

Einen Mann, der sich einen Soldaten nennt und über Regen, Wind und Kälte, über geringe und schlechte Nahrung ein Geschrei erhebt, verachten und verlachen wir! Ein schöner Soldat heißt es dann, der will einen Helden vorstellen; aber sein ganzes Heldentum besteht nur darin, dass er gern ein Held sein möchte. Ein wirklicher Held ist stets nur der, der sich über seine Verhältnisse erheben kann. Die Geschichte zeichnet uns auf jedem ihrer Blätter solche Menschen, die ihr Leben in Hunger und Durst und Not hinbrachten, die verfolgt und ausgestoßen wurden, weil sie größer waren als ihre Zeit. Und auch heute noch bedürfen wir solcher Menschen, die uns lehren, Kummer und Sorge in Geduld und Freudigkeit zu ertragen!

Aber nicht bloß dies: - selbst zum irdischen Glück führen die Wege fast immer durch schwere Zeiten hindurch. Erziehen wir doch auch unsere Kinder nicht in dem Glauben, dass ein untätiges Leben ein glückliches genannt werden kann. Was erwartet ihr denn von Kindern, zu denen täglich gesagt wird: „Euer Vater ist ja reich, warum studiert Ihr denn irgend ein Fach, warum lernt Ihr denn einen Beruf? Wäre ich in Eurer Stelle, ich würde mir keine Mühe geben, mich zu irgend einem Beruf vorzubereiten; ich würde mir das Leben leicht machen und mich nicht unnütz abquälen!“ Ein Jeder von Euch weiß, dass, wer auf solchen Rat hört, sehr töricht ist! Wer nicht die Richtigkeit und Notwendigkeit einer geregelten Tätigkeit anerkennt, der ist auf dem Weg der Selbstzerstörung.

Der Grundgedanke bei der geistigen und leiblichen Entwicklung des Menschen muss der sein, dass ein Mann, der vorwärts gelangen will in dieser Welt, auch im Stande sein muss, etwas zu ertragen, etwas zu leisten und sich zu bescheiden, überhaupt so zu leben, dass seine edlere Natur stets mächtiger in ihm ist, als seine Fehler und Schwächen! -

Dies müsste das ABC einer jeden Erziehung sein! Freilich, sie darf dabei nicht stehen bleiben.

Ein junger Mensch muss nicht bloß zum standhaften Ertragen von Beschwerden angehalten werden, es muss ihm auch das Ziel gezeigt werden, welches auf diesem Weg zu erreichen ist. Wenn ein energischer junger Mensch sein Vaterhaus verlassen hat und zum ersten Mal auf eigenen Füßen steht, dann hat er eine wahre Sehnsucht nach einer Gelegenheit, in der er seine Ausdauer beweisen kann. Seht, mit welcher Freudigkeit die Menschen nach Indien, nach China gehen; wie sie sich durch eine Reihe von Jahren hindurchquälen, geplagt durch tausend Widerwärtigkeiten, durch Krankheit und Sehnsucht nach der Heimat; seht wie sie wirken und schaffen in dieser Zeit und mitten in allen diesen Leiden - und wofür? Damit sie zum Schluss im Stande sind, erfolgreich heimzukehren. Diese Aussicht hält sie aufrecht und befähigt sie, die Mühen und Entbehrungen und alle andern unangenehmen Zugaben zu dem Leben zu ertragen. Wie viele Menschen reisen nach den fernsten Zonen, nur um etwas zu tun, was sie berühmt machen kann! - Mit welcher Standhaftigkeit ertragen sie nicht die sechs Monden lange Nacht an den Polarmeeren und opfern ihre Gesundheit, die ihnen Gott als innerstes Mark ihres Lebens verliehen hat! Und warum tun sie dies alles? nicht um des Reichtums, sondern um des Ruhmes willen, der köstlicher ist als Reichtum. Sehen wir nicht wie Menschen sich abquälen und arbeiten, früh am Morgen und spät am Abend und allen Lebensgenuss sich versagen, nur um der Zukunft willen? Sie arbeiten an der Erreichung ihrer Wünsche, und so lange wie sie hoffen können, an ihr Ziel zu gelangen, so sind sie damit zufrieden, vielleicht zwanzig Jahre sich schlecht zu kleiden, wenig zu essen und viel zu arbeiten. Zeigt den Menschen, dass sie zuletzt die Ruhe oder ihre sonstigen Zwecke erreichen werden und sie werden Plagen, Not und selbst Schmerz freudig auf sich nehmen. Darum, sage ich, ist es nicht schwer für die Menschen, durch Trübsal zu gehen, Lasten zu tragen, schlaflose Nächte und Krankheiten zu ertragen, wenn sie damit mur das erreichen, was sie erreichen wollen. Den Riesen gleich kämpfen sie sich durch alles hindurch, und alles was sie brauchen ist die Hoffnung, dass es nicht umsonst gewesen sei.

Hört nun, was der Apostel im Text weiter sagt: „Denn wir sind wohl selig, doch in der Hoffnung; die Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung; denn wie kann man das hoffen, das man sieht? So wir aber das hoffen, das wir nicht sehen, so warten wir sein durch Geduld.“ - Wenn wir nur Hoffnung auf ein zukünftiges Glück haben, sind wir zufrieden. Das gilt schon für die irdischen Bestrebungen. Schon um irdischer Dinge willen sind wir bereit uns selbst zu verleugnen, und mit Ausdauer zu dulden, wenn wir nur einigermaßen eine Aussicht auf schließlichen Erfolg haben. Wie viel mehr gilt dies für das Leben im Geist! Der Apostel will sagen: der wahre Christ, der das christliche Leben aus eigener Erfahrung kennt, ist selig in Hoffnung! Er hat einen so weiten Blick, dass er gegen alle Schicksalsschläge, gegen alle Anfechtungen und Trübsale, die kommen können, gerüstet ist; er weiß es, dass alle Dinge ihm zum Besten dienen müssen.

Not und Mühsal vermögen nur dann die Kraft des Menschen zu erschöpfen, wenn sie ohne Zweck und ohne Aussicht auf Abhilfe sind. Das Peinigendste und Aufreibendste ist die Ungewissheit und Furcht, demnächst wirken diejenigen Schmerzen quälend, welche man zu tragen hat, ohne einen Zweck oder Nutzen dabei einzusehen. Dagegen erträgt sich jedes Leiden, jeder Kummer, jede Sorge leicht, wenn man nur schließlich etwas Gutes dabei herauskommen sieht. Alles was uns nottut ist die Gewissheit, oder die Hoffnung, dass das Ende gut ist.

Dass nun alle Dinge wirklich zu einem guten Ende führen, erscheint freilich auf den ersten Blick sehr zweifelhaft; am wenigsten möchte von vorneherein klar sein, dass sie gerade für die Guten zu einem guten Ende führen. Indessen wird wenigstens eines anerkannt werden. Wenigstens in ruhigen Zeiten führen die Wege der Gerechtigkeit durchschnittlich sicherer auch zu irdischer Zufriedenheit als alle andern. Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, herzliche Liebe unter einander, Wahrhaftigkeit, Fleiß und Mäßigkeit; diese Eigenschaften haben meistenteils mehr Glück gebracht, als irgendwelche andern. Es sind nur Ausnahmezustände, welche dieses Gesetz zeitweilig außer Wirkung setzen, Ausnahmezustände, welche freilich in den Kämpfen des Lebens häufig genug vorkommen, und in denen die Welt wie ein Schiff im Sturm hin und her geworfen wird, so dass die Guten nicht immer oben bleiben. Für diese Zeiten gilt es nicht, dass die Menschen im Allgemeinen so glücklich sind, als sie nach unsern Begriffen zu sein verdienen. Die reinsten und edelsten Menschen sind leider nicht immer die am meisten geachteten. Brave und rechtschaffene Menschen kommen keineswegs stets und ohne Ausnahme am weitesten in dieser Welt. Wenngleich sittlich gute Eigenschaften im Allgemeinen auch im irdischen Sinn uns zum Besten dienen; wenn wir auch im Allgemeinen auf diesem Wege in Folge der sittlichen Weltordnung am ehesten zum guten Ziel gelangen: so ist dies tatsächlich doch durchaus nicht immer der Fall. Wie oft sehen wir, dass der Gottlose alles hat, was sein Herz wünscht und wonach seine Augen schauen. „Es verdross mich auf die Ruhmredigen, da ich sah, dass es den Gottlosen so wohl ging“, heißt es im 73. Psalm. Denn sie sind in keiner Gefahr des Todes, sondern stehen fest wie ein Palast. Sie sind nicht im Unglück wie andere Leute, und werden nicht wie andere Menschen geplagt. Auf der andern Seite heißt es dann freilich: „Aber Du stellst sie auf das Schlüpfrige, und stürzt sie zu Boden. Wie werden sie so plötzlich zunichte! Sie gehen unter und nehmen ein Ende mit Schrecken. Wie ein Traum, wenn einer erwacht, so machst Du ihr Bild, Herr, in der Stadt verschmäht!“

Aber selbst innerlich scheinen die Guten nicht glücklich zu sein, wenn man nämlich außer dem Kampf um das Irdische auch noch die inneren Kämpfe, die ihrem Streben nach Gerechtigkeit entspringen, in Betracht zieht. Wenn jemand ruhig seinen Neigungen nachlebt; wenn er nicht den Wunsch nach höherer innerer Entwicklung hegt und kein Bestreben fühlt, edlere bessere Anschauungen in sich auszubilden, so ist es immer möglich, vorausgesetzt dass sein Temperament ein gleichmäßiges ist, dass er den Strom des Lebens friedlich hinabgleitet und indem er alles nimmt, wie es eben kommt, im Ganzen ein recht glückliches Leben führt!

Will aber jemand im Ernst ein Christ sein und ist ihm ein echt christliches Leben köstlicher als alles andere, dann werdet Ihr finden, wenn ihr in sein Herz schauen könnt, dass ihm das Leben nicht leicht wird, dass sein Eifer, sein Ehrgeiz in geistigen Dingen ihn beständig mit sich selbst, mit seiner Umgebung, mit allen andern Menschen in Konflikt bringt, und dass sein Lebenshorizont stets bewölkt und getrübt ist durch seine Tränen!

Deshalb heißt es 1. Kor. Kap. 15, V. 19: „Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christum, so sind wir die elendesten unter allen Menschen“ und im Brief an die Römer Kap. 5, V. 3-5: „Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Trübsale, dieweil wir wissen, dass Trübsal Geduld bringet; Geduld aber bringt Erfahrung; Erfahrung aber bringt Hoffnung; Hoffnung aber lässt nicht zu Schanden werden!“

Mit andern Worten: Nur durch Kreuz und Leiden kommen wir zur Vollendung! Wenn wir also auf das irdische Leben der Christen sehen, ist es dann wahr, dass denen die Gott lieben, wirklich alles zum Besten dient?

Wir müssen, um diese Frage zu beantworten, noch einige andere Gesichtspunkte geltend machen.

Erstens. „Denen, die Gott lieben, sollen alle Dinge zum Besten dienen!“

Diese sehen aber nicht nur irdische Dinge allein für ihr Bestes an und glauben nicht nur an diejenigen Dinge, die mit Händen zu greifen sind.

Der Reichtum des menschlichen Lebens besteht nicht im äußern Besitz, sondern in der Fülle der Liebe, die es beseelt. Im häuslichen Leben teilt die Seele nur das mit, was sie stets wieder zurückempfängt, - Frieden, Glück, das Vertrauen, das aus der Liebe entsteht und jene unsichtbare Kette der Empfindung, durch die jeder Gedanke, jede Empfindung des einen dem Herzen des andern mitgeteilt wird, wie der Klang einer Glocke, und durch die das ganze Haus mit der Fülle von Vertrauen und Liebe überflutet wird. Gibt es nun irgend eine Not des Lebens, die ein solches Haus wirklich arm machen kann? Gibt es ein Unglück, das groß genug wäre, um das Glück derjenigen zu zerstören, die sich so aufrichtig lieben, so wahrhaft achten? Wenn dies aber von menschlicher Liebe gilt, was kann diejenigen treffen, die Gott lieben und wissen, dass sie wieder von ihm geliebt werden? Was kann ihnen schaden? was kann ihre Zufriedenheit stören, wenn ihre Seelen aus dieser Quelle trinken und sich an diesem Feuer wärmen? Dies allein schließt den ganzen Streit und beantwortet unsere Frage! „Alle Dinge dienen denen, die Gott lieben, zum Besten.“ Durch die Liebe zu Gott schätzen sie das Leben nach seinem rechten Wert! Liebe ist ja überhaupt der Wein des Lebens. Hast Du diesen genossen, so hast Du den schönsten Tropfen aus dem Becher des Lebens getrunken. Hat jemand erst einmal diese Erfahrung gemacht, warum sollte er nicht ruhig sagen: Ich fürchte mich vor nichts, was da kommen könnte, denn ich habe das einzige ergriffen, das dem Leben seinen Wert verleiht, - die Liebe Gottes, die sich über meine Seele ergossen hat, und die mein Herz erfüllt. Welche Bitterkeit kann diese Süßigkeit verdrängen? Welche Furcht kann mich quälen, im Bewusstsein jener Liebe die die Furcht nicht aufkommen lässt? Welche Schwachheit kann uns betrüben, wenn Gottes Allmacht unsere unsterbliche Seele trägt? Welche Schätze kann es geben, die uns die Liebe nicht gewährt, da Gott unser Vater und wir seine Kinder sind? Alles was des Vaters ist, ist ja unser; und was jeder Einzelne hat, haben Alle. - „Alle Dinge müssen denen die Gott lieben, zum Besten dienen!“

Nun kann uns treffen, was da wolle, Schmerz oder Freude, Glück oder Unglück. Wir haben die Liebe und bleiben in ihr!

Wie viele aber kennen auch nur den Vorschmack, den fernen Schimmer dieser Wahrheit! Ein Jeder lernt wohl, glaube ich, wenn auch nur einmal im Leben, das Morgenrot der Liebe kennen, in der sich die ganze Natur zu einem großen Lobgesang zu vereinen scheint - ach dass diese Zeit, wo der Himmel eine ungeahnte Bedeutung gewinnt und die ganze Schöpfung gleich einer noch unentfalteten Schrift vor uns ausgebreitet liegt - nur wenige Jahre dauert, statt unser ganzes Leben hindurch uns zu begleiten!

Geht jemand hinaus in die Natur, da scheint ihm wohl in solcher Stimmung die ganze Welt erneut und verjüngt; die Bäume und die Blumen scheinen ihn zu grüßen, auch das Geringste gewinnt für ihn Bedeutung und er hütet seinen Fuß um auch den Wurm nicht zu zertreten. Die Seele fühlt sich erhoben in dieser neuen Empfindung, und Güte und Herzenswärme lassen ihr die Welt verschönert erscheinen! Soll dies nun nicht eine Mahnung, ein Fingerzeig für uns sein, dass die Seele, die von göttlicher Liebe erfüllt ist, sich über alle äußere Eindrücke zu erheben und aus sich selbst uns die Fülle herrlicher Erfahrungen zu zeigen im Stande sein muss?

Dies ist die wahrhafte Liebe, die auch das Dunkelste im Leben hell macht und aus ihrem eigenen Glück es wieder auf die Quelle zurückstrahlt, aus der sie geschöpft hat. „Alle Dinge müssen denen, die Gott lieben, zum Besten dienen.“ Ist dies wahr? Ja! Der, der Gottes Liebe hat, was kann die Welt ihm noch gewähren? Was kann ihm die Welt nehmen, ihn zu betrüben? Das Beste hat er ergriffen!

Ein solcher Mensch glaubt an eine göttliche Vorsehung! Er muss daran glauben und dieser Glaube wird ihm zur Quelle der tiefsten Befriedigung. Wenn er auch die Ordnung aller Dinge nicht begreift, er hat Frieden durch seine Erfahrung. In dem festen Glauben, dass alle Dinge denen zum Besten dienen, die Gott lieben, fühlt er sich glücklich nach Gottes Willen auch leiden und dulden zu müssen. Als ein. guter Soldat will er nur wissen, dass er seine Befehle auch richtig verstanden hat! Heißt es nun: „Haltet an jenem Berg, verteidigt jenen Waldrand bis auf den letzten Mann“ - so ist dies genug! Und nur derjenige, der ausharrt, ist würdig die Krone zu empfangen! Diesen Lohn empfängt nur der, welcher lieber sein Leben in die Schanze schlägt, als dass er auch nur einen Zoll breit von dem ihm angewiesenen Platz weicht.

Schon das Bewusstsein solcher Treue ist ein Lohn. Die Seele wird geduldig alle Schmerzen und Leiden ertragen in dem festen Glauben, dass alle Dinge zum Besten dienen müssen, weil sie Gott liebt! Wir sind sehr geneigt zu glauben, dass die Erfüllung des eigenen Willens das allerangenehmste auf dieser Welt ist. Und ich will nicht leugnen, dass dies wohl in mancher Weise der Fall sein mag! Die meisten Menschen gehen am liebsten ihre eigenen Wege und haben eine besondere Freude daran, wenn alles so geschieht, wie sie es gewünscht haben. Es liegt aber eine wahrhaftere Freude darin, seinen Willen aufzugeben als ihn zu haben! Diese Freude aber ist umso tiefer, je fester der Wille ist, welcher sich vor dem höheren Willen beugt. Es ist wohl schwer für einen starken, eigenwilligen Mann, sich einem schwachen Menschen zu unterwerfen und ihm Gehorsam zu zollen; eben wie es einem Elefanten schwer sein möchte, eine Ameise um Gnade zu bitten! Ist die Gesellschaft so aus den Fugen gegangen, dass Männer sich unter der Regierung und Herrschaft von Zwergen und Schwachköpfen befinden und dass der größere dem geringeren unterworfen sein soll, so ist dies beleidigend und widerwärtig! Lasst aber einen Mann erst einmal empfinden, dass er sein eigener Herr ist, und hat er die Klugheit, den Edelmut und die Wahrhaftigkeit für sich, dann gibt es nichts, was er so sehr ersehnt als jemanden, zu dem er empor sehen kann!

Man ermüdet und fühlt sich einsam ohne einen solchen Menschen. Es gibt nichts schöneres in dieser Welt als jemandem folgen, von ihm lernen, sich auf ihn stützen zu können, das heißt, wenn er uns Vertrauen, Respekt und Liebe einflößt! Und ein rechter Mann, der Gott liebt, hat die unbeschreibliche Freude zu wissen, dass Gott ihn auf die Stelle hingestellt hat auf der er steht; dass von einem Tag zum andern seine Laufbahn vorgezeichnet ist und dass er nur Gottes Willen erfüllt, wenn er kämpft, und strebt, duldet und erträgt! Es gibt kein größeres Glück als das Bewusstsein, dass wir Gottes Geboten gehorchen! Ein gehorsames Kind Gottes sagt: „Rede Herr, Dein Knecht hört!“ und sein ganzes Herz fühlt sich dadurch beglückt!

Zweitens. Die wahre Liebe zu Gott befähigt uns auch, die Dinge höher und besser zu erkennen als nach irdischem Urteil!

Niemand kann, glaube ich, wahrhaft lieben, ohne zugleich zu finden, dass Liebe der beste Lehrmeister ist. Es ist die gedeihlichste Kraft für das Wachstum aller Dinge auch in dieser Welt, es veredelt uns am meisten und macht uns am reichsten!

Und wenn nun jemand Gott wahrhaft liebt, so wird ihn dies so antreiben an sich zu arbeiten, an seinen Gedanken und Gefühlen und Trieben, es wird seine Ansicht von wahrer Menschlichkeit so ändern und erhöhen, dass er zuletzt einen gänzlich andern Standpunkt einnimmt, von dem aus er zu erkennen beginnt, dass „alle Dinge denen, die Gott lieben, zum Besten dienen“ noch in ganz anderer Weise, als er es anfangs verstanden hat. Er hat vielleicht an Häuser und Länder, an Verwandte und Freunde, an Herrscher und Beherrschte gedacht; aber in kurzer Zeit empfindet er wohl, „was in mir geschehen, ist viel höher, denn was für mich geschehen ist.“ Und dann versteht er auch jene tief bedeutungsvollen Worte des Herrn: „das Reich Gottes ist in Euch selbst.“

Der Wert, den die äußern Ereignisse und Verhältnisse für menschliches Glück und Wohlsein haben, richtet sich nach den Wirkungen, welche sie auf den inneren Menschen ausüben. Wohl dem Mann, der von sich sagen kann „Ich bin geduldiger geworden und darum bin ich glücklicher, ich bin besser und klüger geworden durch die Leiden, die ich erduldet!“ Nehmt nur einmal den Inneren Wert eines Menschen als Maßstab - mit wie anderen Augen werdet ihr dann die Welt ansehen!

Ich denke wohl, dass niemand, der einst unter der Last eines schweren Verlustes geseufzt hat, ohne einiges Staunen die Worte des Apostels vernommen haben wird: „Alle Züchtigung, wenn sie da ist, dünkt sie uns nicht Freude sondern Traurigkeit zu sein; aber danach wird sie geben eine friedsame Frucht der Gerechtigkeit, denen die dadurch geübt sind!“ Das zerschlagene Herz denkt stets: „Mein Leiden kann mich nur zur Verzweiflung treiben; ich werde es niemals ertragen oder mich damit aussöhnen können.“ Es liegt, namentlich für weiche empfindsame Naturen beinahe etwas Lähmendes im Unglück! Blickt ihr aber zurück auf Leiden und Schmerzen, die Euch vor langen Jahren trafen und die nun überwunden hinter Euch liegen, müsst Ihr da nicht sagen: „aber danach gaben sie uns eine friedsame Frucht der Gerechtigkeit, die wir dadurch geübt wurden?“ Welche Herbheit liegt nicht in jedem natürlichen Menschen; wie hart ist nicht der natürliche Stolz! Wie herrschsüchtig ist nicht jedes natürliche Gemüt und seine Kraft, sein Selbstbewusstsein, wie unbarmherzig sind sie nicht oft! Wie spreizt sich nicht die Eitelkeit in uns allen gleich einem Pfau, der sein Rad schlägt, um in allen Farben strahlen zu können! Ist aber ein Mensch erst durch Leiden geläutert und gedemütigt und hat der Schmerz ihm seine Lehren gegeben, dann lernt und begreift er auch, was er eben nur im Feuer, oder auf dem Ambos und unter dem Hammer hat lernen können! -

Es heißt allerdings nicht, dass Leiden von vornherein einen Menschen bessern, der Apostel sagt nur, dass zuletzt das Leiden einem jeden Menschen gut ist! - Und sind hier nicht viele, die von sich sagen können „es ist gut für mich gewesen, dass ich Trübsal erduldet habe?“ Und sind nicht viele hier, welche beim Rückblick auf ihr Leben bekennen müssen, dass die Worte des Apostels an ihnen erfüllt worden sind?

Ja, es war Gottes Hand, die den Meißel führte und aus dem harten Stein das Antlitz eines neuen Menschen schuf!

So lernen wir durch die Liebe zu Gott die göttliche Vorsehung nicht nur in äußerlichen Dingen verstehen, sondern auch in der inneren Erziehung des Menschen im Geiste Jesu Christi; den Geist vom Fleisch zu befreien, ist ja die eigentliche Aufgabe des Christentums.

Drittens. Zu allem diesem gesellt sich noch ein Letztes, der Gedanke an die Zukunft, der nie aus dem Sinn des Apostels gewichen ist, und der auch nie aus dem Gemüt eines Christen weichen soll während unserer Vorbereitungszeit im irdischen Leben. Der Apostel sagt: „Ich achte aber, dass die Leiden dieser Zeit nicht wert sind der Herrlichkeit die an uns soll offenbar werden.“

Hat je ein Mensch gewusst, was Leiden heißt, so war es Paulus; gab es je einen Mann, der die feinste Empfindung besaß dessen feines Gefühl das Gefühl der Leiden steigern musste und der wohl Gelegenheit hatte, in dieser Schule der Schmerzen sich durch und durch kennen zu lernen, so war es dieser Apostel. Und dennoch sagt er: „Ich achte, dass die Leiden dieser Zeit nicht wert sind der Herrlichkeit, die an uns soll offenbar werden. Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet auf die Offenbarung Gottes!“ Wir harren darauf, dass diese Schule des Lebens uns von menschlicher Schwachheit befreien und uns lehren soll, Gott als Vater und uns als Kinder Gottes immer besser zu erkennen. In diesem Warten liegt zugleich das Ringen nach der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, und nach dem ewigen Leben. - In dem allen aber muss uns immer klarer werden, das alles, was wir hier auf Erden zu dulden und zu ertragen haben, nur etwas vorübergehendes ist!

Ich bin stets ganz besonders von der Seekrankheit heimgesucht worden. Als ich mich auf meiner großen Reise befand und alle Herrlichkeiten des Kontinents meine Einbildungskraft beschäftigten, musste ich gewöhnlich in meiner Kajüte still liegen und konnte kaum einen Finger rühren, so elend fühlte ich mich. Ich wusste, dass eine zehntägige Fahrt zwischen Liverpool und New-York dazwischen lag und ich fragte mich selbst: „Bist Du willens diese zehn Tage voll Unbehagen und Krankheit zu ertragen um der drei Monate willen, die Du in höchster Annehmlichkeit auf dem Festland zubringen wirst?“ Und ich war niemals so seekrank, um nicht freudig diesen Preis dafür zu zahlen! Ich sagte mir: „Dies ist so ziemlich das Schlimmste, was mir hier passieren kann, aber um der Dinge willen, die ich damit erreiche, will ich alles auf mich nehmen!“ -

Auf der Rückreise brauchten wir siebzehn Tage zu unserer Reise! Unser Schiff war viel zu tief geladen; auch führte es geschmuggelte Waren an Bord, für Halifax, die größtenteils - als Sitze und Lagerplätze für die Passagiere benutzt wurden, wenn dieselben bei dem unausgesetzt schlechten Wetter einmal herauf kamen! Trotz all dieses Ungemachs aber fühlte ich mich glücklich, denn wir reisten ja nach meiner Heimat und ich kehrte zu meiner Familie, zu meiner Gemeinde und zu meinen Freunden zurück, die ich alle mehr liebte als mein Leben!

Alle Leiden dieser Reise wogen die Freud nicht auf, die in mir lebte! Eine jede Stunde brachte mich dem Ziel näher, wo ich alles, was mir auf Erden teuer war, finden sollte! Es war Mitternacht, als wir in Halifax einliefen und ich konnte nichts sehen oder erkennen, trotzdem verließ ich, sobald wir in ruhiges Wasser gekommen waren, meine Kajüte, und ging aufs Deck, um mich während des Ausladens neben den Dampfschornstein hinzusetzen! Da bemerkte ich denn eine Person, die gleich einem schwarzen Schatten am Ufer auf und nieder ging, und mir kam der Gedanke, ob man am Ende auf mich wartete? Zuletzt redete mich der Mensch an und fragte: sind Sie Mr. Beecher? Ich bejahte seine Frage und er übergab mir ein Telegramm für mich von meiner Frau! Bis dahin war es mir noch nicht klar geworden, dass ich endlich den Ort erreicht hatte, wo meine Familie lebte, aber ich kann Euch nicht beschreiben, welch ein Gefühl des Glücks ich empfand, als ich in Nacht und Dunkelheit eine Nachricht von den Meinigen empfing! Brüder, wir reisen alle in die Heimat; einstmals, wenn wir vielleicht gar nicht daran denken, wird auch ein solch schattenhaftes Wesen, das die Menschen Tod nennen, um Mitternacht an uns herantreten, unsern Namen nennen und uns sagen, ich habe eine Botschaft für Dich aus der Heimat: Gott ruft Dich, der Himmel wartet auf Dich! Das aber wird geschehen „in Kürze!“ Ich frage: sind das Männer, die auf stürmischer See an Leiden und Gefahren denken, wenn ihr Herz sie zieht ihre Heimat ihnen winkt? Sind diejenigen nicht höchstens nur unseres Mitleids wert, die bei ihrer Heimkehr die Unbequemlichkeiten der Reise nicht zu ertragen vermögen? Es wird nicht lange dauern, und Du und ich und wir alle werden die Boten hören, die ausgesandt sind um uns ins Himmelreich zurückzuführen! Es ist mir ein glücklicher Gedanke, dass man meiner dort bedarf, dass Gott mich so liebt, um sich nach mir zu sehnen, ja viel mehr als ich mich nach ihm. Dies ist der wahre Triumph. Und nach dieser Erklärung denke ich werden viele von uns sagen können: Da Gottes Vorsehung mich beschützt, da es besser ist unsern Inneren Menschen herauszubilden, als unsern äußeren Menschen zu pflegen, da wir Gottes Trost und seine Liebe auf unserm Weg mitnehmen, und da wir wissen, dass der Weg eben nur ein kurzer ist, so sehen wir, dass doch alle Dinge denen zum Besten dienen, die Gott lieben! Und gibt es nicht selbst viele, die im Licht dieser Erkenntnis zu einer solchen Höhe des Vertrauens sich erheben können, um mit dem Apostel zu sprechen, „wir wissen, dass alle Dinge denen, die Gott lieben, zum Besten dienen?“ Aber diese Bedingung müsst Ihr erfüllen, „dass Ihr Gott liebt!“ Eben nur solchen dienen alle Dinge zum Besten; auch Kreuz und Leiden, denn sie befreien sie immer mehr von den Schlacken in ihrer Natur!

Habt Ihr jemals einem Steinmetz zugeschaut, wie er die Figuren arbeitete, die eine Kirche schmücken sollen? Ich sah es einst in Paris. Sie haben dort einen sehr weichen Stein, und bearbeiten die einzelnen Würfel nicht an der Erde, sondern an dem Platz über Türen und Fenstern, wohin die betreffenden Ornamente gehören. Ich schaute der Arbeit zu. Es war an einem jener öffentlichen Gebäude, die durch Löwen und Adler und Blumengirlanden geziert werden sollten, und die Leute standen mit kleinen Hämmern und Meißeln und schlugen und klopften immerzu. Nun denkt Euch, man hätte zu einem dieser Steinblöcke, als man ihn an Ort und Stelle brachte, gesagt, dass er dazu bestimmt sei, einen Löwen darzustellen als Schmuck für ein glänzendes Bauwerk! Der Meister beginnt seine Arbeit und nachdem ein Tag vergangen ist, seht ihr einen roh geformten Kopf, aus dem aber noch nicht zu erkennen ist, was es werden soll! Den nächsten Tag sieht man ein Ohr; wieder den nächsten erkennt man ein Auge und so geht es weiter Tag für Tag. Der Stein beklagt sich nun und fragt, ob die Arbeit ewig dauern soll, aber dieselbe wird dadurch nicht beschleunigt, sie bleibt in ihrem ruhigen Gang, denn nur durch Millionen Schläge ist aus einem Stein etwas herauszubekommen!

Oft fragen die Leute „warum muss ich leiden?“ Zu deinem Besten! „Wie lange muss ich dulden?“ Bis du aufhörst, danach zu fragen, bis Gottes Werk an dir vollbracht ist. Gott setzt seinen Meißel an und arbeitet erst einen Teil deines Wesens an dir heraus, dann noch einen und noch einen, bis das Werk vollendet ist. Und jedes aufrichtige Herz sollte sagen: „Herr, halte deine Hand nicht zurück! schlage alles fort, bis zuletzt ein Zug nach dem andern frei wird und ein Mensch nach deinem Ebenbild da ist.“ Alle Leiden und Schmerzen, die Gott sendet, können Euch nur helfen, wenn sie Euch geduldig gegen Eure Brüder und ergeben in Euer Los finden. Darum seid überzeugt, dass Euch alle Dinge zum Besten dienen, wenn Ihr Gott liebt; helft ihnen nur an ihrer Arbeit und Gott wird Euch weiter helfen!

Dasselbe gilt auch von weltlichen Dingen; in Bezug auf unsere Tätigkeit, unsere Leistungen. Ich weiß wohl, dass es nicht leicht ist, im Leben fortzukommen und ich wundere mich oft, dass es vielen von Euch doch so gut gelingt. Ich will Niemandem unter uns wegen seinen Klagen Vorwürfe machen: ich habe vielmehr für jeden, der über die Bürden des Lebens klagt, Mitgefühl. Und das Leben ist wirklich in vielfacher Hinsicht sehr schwer. Aber wie dem auch sei, an einem müssen wir festhalten, an dem Ziel! Könnt Ihr das Ziel der vollkommenen Menschheit nicht sogleich erreichen, so könnt Ihr doch danach streben! Ich weiß, dass es nicht leicht für Euch ist, Eure Sorgen zu tragen. Ich weiß, dass jeder noch so bescheidene Lebensberuf seine Last und seine Not hat. Wie oft hört man nicht sagen: „andere haben wohl auch Sorgen, doch lange nicht so schwere als ich!“ Das kann vielleicht auch wahr sein; aber dein Nachbar und wieder der Nachbar des Nachbars denken ebenso und es ist auch richtig! Jeder hat seine eigene Last und jeder hält sie schwerer als die seines Nachbars. Das Joch, das man selbst trägt, ist immer am schwersten, und der Kummer, der einen selbst trifft ist immer der bitterste! Ich weiß, Ihr habt alle Eure Sorgen; trotzdem aber weiß ich, dass diese Sorgen und Leiden, wenn Ihr Gott liebt, und von seiner Liebe zu Euch überzeugt seid, Mittel sind, Euch zur Gnade zu führen und Euch allen Euer Erbe im himmlischen Reich zu vergrößern! Das Schwerste, was einen Menschen treffen kann, glaube ich, ist wohl, wenn man unfähig wird, etwas zu leisten, ehe man stirbt. Sehr bald überwindet ein Mann alle Sorgen, wenn er nur arbeiten kann; muss er aber zehn bis fünfzehn Jahre lang stille liegen vor seinem Tod aus Altersschwäche oder andern Gründen, so würde ich dies für die schwerste Heimsuchung halten - mir würde sie es jedenfalls sein. Ich möchte lieber sterben noch in voller Tätigkeit im Dienst des Herrn! Vielleicht will Gott dies aber nicht! Vielleicht ist es mein Los, noch lange hier zu weilen, wenn meine Fähigkeiten abgestumpft sind und meine Kräfte mich verlassen haben; wenn meine Tätigkeit geschlossen ist! Wer bin ich aber? - ich kann mir mein Schicksal nicht wählen - ebenso wenig wie Du. Es ist Gottes Hand, welche die Zügel hält, und will er mir einst so tun wie Achilles dem Hector tat, als er seinen Leib an die Räder seines Wagens band, und ihn zu seiner Schande um das Lager der Griechen schleifte, so muss ich es dulden! - und muss lernen, das selbst darin ein Segen liegen kann! Ich muss glauben, dass alles zu meinem Besten dient und dass ich dies erkennen werde in einem besseren Leben! Ich soll an diese Wahrheit glauben, nicht nach menschlichem Dafürhalten, sondern als etwas, das ich im Reich des Geistes Gottes verstehen werde! Da ja alle Dinge denen, die Gott lieben, zum Guten dienen sollen, so soll ich mich an diesem einen goldenen Wort halten und glauben, dass dies alles zum guten Ende führen wird. Meine Brüder, wir bedürfen stets solcher Wahrheiten. Wie das Sprichwort sagt, hat jedes Haus sein Gespenst; d. h. jedes Herz hat seine Bitterkeit, seine Leiden, sein Kreuz! Und wenn Ihr weiter kommt im Leben, so werden sich Eure Sorgen eher mehren als abnehmen! Darum bedürfen wir etwas, das uns eine höhere Empfindung, ein höheres Ziel des Lebens zeigt und uns eine richtigere Wertschätzung der guten und schlechten Dinge in dieser Welt gibt. Da wir alle nach und nach uns immer mehr jener andern Seite, jenem fernen Ufer nähern, so ist es unsäglich tröstlich zu wissen, dass was uns auch immer in diesem Leben begegnen mag, nur kurze Zeit dauert, dann kommen wir an einen Ort, wo keine Schwachheit uns mehr trifft! Habt Ihr wohl jemals daran gedacht, wie schwer es manchmal ist, mit den Menschen, die Gott neben Euch gestellt, auszukommen?

Und habt Ihr je daran gedacht, wie hoch sie vielleicht über Euch stehen werden, wenn Gottes Werk an ihnen vollendet ist? Glaubtest Du je, dass das Kind, das hier Dein Herz zerrissen in Kummer und Schmerz, vielleicht in einem anderen Leben Dir entgegen tritt, so herrlich wie Du es nie denken konntest? Hast Du je daran gedacht, dass diejenigen, die Dir Ärger bereitet, die Dich neidisch gemacht und gereizt haben und um derenthalben Du leiden musstest, eben auch in der Glut des Schmelzofens waren und dass Gott sie erzog; und dass zuletzt die Menschen, die Dir auf Erden am schwersten zu ertragen waren und deren Namen am schlechtesten in Deinen Ohren klang, Dir im Himmel einst begegnen könnten als die reinsten und erhabenen Spiegel göttlichen Lichtes und göttlicher Liebe? - Schaut nur etwas weiter hinaus! Wird es Euch schwer, irgendjemand zu ertragen, so denkt nur: „hat Christus nicht mich ertragen?“ Betrüben Euch Eure Kinder, so denkt daran, wie Ihr Gott betrübet! Sind Eure Freunde unerträglich, so denkt, wie Ihr selbst dem reinen und heiligen und liebevollen Herzen Jesu Christi erscheinen mögt! Scheint Euch Eure Aufgabe schwer, so denkt nur an das Jenseits! Scheinen Euch Menschen zum Zorn heraus zu fordern, denkt noch einmal nach! Habt Mitleid mit ihnen. Gibt es Menschen, die Euch unerträglich böse scheinen, hebt sie aus den Umgebungen dieser Welt heraus und betrachtet sie im Licht des himmlischen Reiches! - Wenn Ihr Euch in Euren Gedanken mit Euren Mitmenschen beschäftigt, dann lasst die Liebe Euch leiten, und sie wird Euch Eure Mitmenschen so zeigen, wie. Ihr sie einst in Zion, vor Gottes Angesicht sehen werdet! Das wird den Weg der Freundschaft leichter und bequemer machen. Euer Leben in dieser Welt wird dadurch gesegneter sein, Euer Abschied freudiger und das künftige Leben unendlich seliger! Gott gebe uns allen eine solche Offenbarung der Liebe, dass wir von Herzen sagen können, jetzt und immerdar: „Ich weiß, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen!“

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