Beck, Johann Tobias - Rede bei der Beerdigung eines 76jährigen Mannes.

Beck, Johann Tobias - Rede bei der Beerdigung eines 76jährigen Mannes.

Mergentheim, den 30. August 1835.

„Ich will ihn sättigen mit langem Leben“ (Ps. 91,16.)

- das ist ein Segensspruch aus Gottes Mund, geliebte Zuhörer., gegeben demjenigen, der zu dem HErrn spricht: „meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe.“ Es heißt nicht gerade: ich will ihn recht alt werden lassen - wie Viele sterben jung, die auf Gott hoffen und Ihm ihre Zuversicht schenken, und wie Viele sterben recht alt, die nach Gott Nichts fragen. „Ich will ihn sättigen mit langem Leben“ verheißt Gott seinem Freunde, und das ist's, was ihn unterscheidet vom Menschen dieser Welt. Der Weltmensch kann es zu einem hohen Alter bringen, und am Ende, wenn er sterben muß, hat er doch noch nicht lange genug gelebt, ist nicht satt geworden während der vielen Jahre, die er in der Welt zubrachte, sondern wünscht sich immer noch mehrere dazu. Dagegen wenn du deine Zuflucht nimmst zum Höchsten, nicht erst im Tode, wo du siehst, daß du nun dem übrigen Allem den Abschied mußt geben; wenn der HErr Jesus Christus deine Zuversicht geworden ist und du die heilige Schrift nicht nur gelesen hast, sondern gebraucht zu deiner Belehrung, Strafe, Besserung und Züchtigung in der Gerechtigkeit schon während deiner gesunden Tage, da noch kein Tod dir droht - siehe da wirst du ergeben in Gottes Willen, daß du sprichst: was Gott thut, das ist wohlgethan; es bleibt gerecht sein Wille; wie Er fängt meine Sachen an, harr' ich sein und bin stille!

Du lernst da, daß jede Nacht der HErr über Leben und Tod deine Seele kann von dir fordern, und jeden neuen Lebenstag, der dir zugegeben wird, nimmst du dankbar an mit dem Gefühl: Gottes Barmherzigkeit ist jeden Morgen über mir neu! und die neue Barmherzigkeit treibt dich auch, auf's Neue jeden Tag dir wieder zu nutze zu machen zur engeren Verbindung mit Gott und zur treueren Erfüllung seines Willens. Ob dann dem Tod auch frühe komme, so hast du lange gelebt, denn du hast als treuer Diener deines HErrn mehr gewirkt als mancher faule Knecht im längsten Leben; du bist gesättigt mit langem Leben, denn du hast genug gelebt, sobald Gott vom Himmel spricht: es ist genug - kehre wieder Menschenkind! du weißt, ein viel besseres, herrlicheres Leben wartet auf dich, als dasjenige, welches du verlassen mutzt, und hast in diesem irdischen Leben oft Gebet und Flehen geopfert wegen der Lasten, die es zu tragen gibt, und dich gesehnt nach der Freiheit der Kinder Gottes, die offenbar soll werden im Reich der Herrlichkeit.

Also, l. Freunde, nicht daran hängt des Menschen Gluck, ob Einer es zu hohem Alter bringe, sondern daran, ob er die Jahre, die Gott ihm zulegt, sehen es nun viele oder wenige, mit jener christlichen Gesinnung benützt, die Jesus Christus selbst ausspricht: ich muß wirken die Werke Gottes, so lange es Tag ist für mich! Wer das nicht thut, und er werde noch so alt - fällt wie eine unreife Frucht vom Baume; wer aber in die Fußstapfen Jesu Christi eintritt, der auch frühe gestorben, ein Solcher ist wie eine fruchtbare gute Saat, die zur rechten Reife gelangt ist, wie eine volle Garbe, die zur rechten Zeit eingeführt wird; ob er auch im Jünglingsalter sterbe, er ist reif für die Ewigkeit, denn er hat viel Gutes verrichtet auf Erden. Oft hat der Wunsch in seiner Seele gebrannt: wie lieblich sind deine Wohnungen, HErr Zebaoth; meine Seele verlanget und sehnet sich nach dem ewigen Leben; mein Herz dürstet nach dem lebendigen Gott - wann werde ich dahin kommen, daß ich Gottes Angesicht schaue. Dieser Wunsch wird dem Jünger des HErrn erfüllt, wenn er abscheidet - er darf daheim sein bei seinem HErrn und Heiland, und das ist ihm das Köstlichste, köstlicher als das längste Leben in dieser Welt.

Offenbar also, l. Freunde, geht es mit dem Leben bei den Menschen wie mit dem Geld - nicht ob Einer viel Geld hat, macht ihn reich und stillt ihm das Herz, sondern wer genug hat an seinem Gott und seiner Treue, der ist reich und zufrieden auch bei geringem Gut; wer aber nicht gottselig ist, will immer reicher werden und bekommt auch bei großem Gut nie satt. Derselbe Mensch will auch immer länger leben, und ob ihm Tausend auch zur Rechten fallen, die jünger sterben als er, so meynt er doch: ihn dürfe und könne es nicht treffen; dagegen der Gottselige getrost ist und mit langem Leben gesättigt, wenn er sterbend nur sprechen kann: Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist; wenn er nur an die herrliche Verheißung des Todesüberwinders sich halten kann: heute noch sollst du mit mir im Paradiese sein!

Aus dem Allem, meine Freunde, folgt freilich gar nicht, daß es nicht eine werthe Gabe sey um ein hohes Alter - man erhält ja damit nur der Zeit um so mehr, dieser Welt abzusterben, für das Reich Gottes sich tüchtig zu machen und viel Gutes unter den Menschen zu stiften. Wer aber dazu seine Jahre nicht gebraucht, den kann wahrhaftig sein hohes Alter nicht ehrwürdig und selig machen, so wenig als dieß ein großes Vermögen thut, sondern nur der gute, christliche Gebrauch, den einer davon macht; je reicher du bist, je mehr mußt du Gutes thun; je älter du wirst, je besser mußt du werden und deine Tage nützen; denn es gilt in beiderlei Hinsicht: wem viel gegeben ist, von dem wird viel gefordert. Nur wer gearbeitet hat, was Gott von ihm fordert, dem nur wird nach seinem Tode eine Stimme zurufen: gehe ein du treuer Knecht zu deines HErrn Ruhe - und Ruhe, Ruhe, Geliebte, gibt's ein besseres, nöthigeres Gut für uns an Leib und Seele so oft und vielfach geplagte Menschen? So lange wir jung sind, wird unsre Seele gezerrt und gejagt von allerlei Lüsten und Reizungen; Ehrsucht, Habsucht, Wollust, Neid, Zorn, Rachgier - wie werfen sie die Seele herum, von einem Tag zum andern! Und wenn es mit dem Alter auch ruhiger wird in der Seele, so fängt nun der Leib an, allerlei Kreuz und Plage dem Menschen zu bereiten: da will Essen und Trinken, Wachen und Schlafen, Sitzen und Gehen nicht mehr wohlthun, und der Leib wird immer ausgezehrter oder gebrechlicher und beschwerlicher. Jung und alt haben wir ewige Unruhe, aber nicht ewige Ruhe - und hier im Grabe und Sarge, ist da nun die ewige Ruhe? Damit, daß du begraben wirst, hast du wahrlich die Ruhe noch nicht funden, so still es auch um die Gräber her ist. Einmal deine Seele liegt nicht in's Grab, um auszuschlafen, sondern vor ihren Richter ist sie gefordert, von Ihm zu empfahen, was sie verdient hat, Erquickung oder - Plage! Dein Leib aber, der hier zur Ruhe gebracht wird, hat ohne die Seele kein Gefühl von Ruhe, und hätte er Gefühl, er fände ja nicht einmal hier in der Grabesstille Ruhe vor den Würmern, die ihn zernagen, und wenn die Stimme des Auferweckers ruft, wird er abermal hervorgehen und mit deiner Seele empfahen, was du verdient hast, ewige Ruhe oder ewige Unruhe. Darum unsrem in hohem Alter verblichenen Bruder, den wir hier zur Erde bestatten, nachdem er durch die Sorge, Furcht und Hoffnung dieses Lebens so lange gewandelt - was wünschen wir ihm Besseres als: HErr, gieb ihm die ewige Ruhe!

Uns aber, l. Freunde, die wir leben, wollen wir nicht bloß Ruhe wünschen, sondern sie uns suchen am rechten Ort, da wir noch suchen können - in der Welt finden wir sie nicht, ob wir nun kurz oder lange leben, im Grab allein auch nicht, sondern allein bei Ihm, der sagt: ich will euch Ruhe geben für eure Seelen, und eure Leiber erwecken zum ewigen Leben. Wer sein aber sich trösten und freuen will für Leben und Sterben, beherzige auch sein Wort: lernet von mir! Amen.

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