Baumgarten, Michael - David, der König ohne Gleichen - Vierter Vortrag.

Baumgarten, Michael - David, der König ohne Gleichen - Vierter Vortrag.

Von Davids Fall bis zu seiner Vollendung und bis zu dem Sohne Davids.

Haben Sie mich auch im Verdacht gehabt, verehrte Zuhörer, daß ich am Schlusse des letzten Vortrages Ihnen Gebilde der Phantasie für Thatsachen der Geschichte vorgeführt habe? Uebel nehmen könnte ich es Ihnen wenigstens nicht, denn durch Schuld der Theologen ist es geschehen und geschieht es noch fortwährend, daß die Geheimnisse der heiligen Schrift aus ihrem Zusammenhang gerissen und so in atomistischer Gestalt unter das Volk gebracht werden. Kein Wunder, daß das Heiligste dann profan erscheint und alles Große und Außerordentliche, sobald es biblisch ist, mit dem eingewurzelten Argwohn des Zweifels und Unglaubens aufgenommen wird. Nach der Disciplin der alten Mysterien war es den Eingeweihten streng verboten, irgend Etwas aus dem Bereich der Geheimnisse öffentlich zu machen. Diese Schranke existirt für unsere Geheimnisse nicht, im Gegentheil, was wir im Dunkeln und ins Ohr als leises Flüstern vernommen, das soll im Lichte und auf den Dächern geredet werden. Aber wie unsere Geheimnisse alle in geschichtlicher Wirklichkeit wurzeln, so wollen sie in diesem geschichtlichen Zusammenhange aufgefaßt und mitgetheilt werden und wer sie nach diesem strengen Gesetze veröffentlicht, der giebt niemals Anlaß zur Profanation, denn wer sich durch Spott an den richtig und rein vorgetragenen Heiligthümern der göttlichen Geschichte versündigt, der trägt jedesmal den Stachel des richtenden Wortes im Gewissen. Aber freilich derjenige, der die biblischen Mysterien aus ihrer historischen Atmosphäre herausreißt und in einen logischen Aether versetzt und sie solchergestalt mittheilt, der profanirt sie und frevelt ärger, als wenn er die Satzung der eleusinischen Geheimnisse übertrat.

Ich bin mir nun zwar bewußt, es überall und auch bei der bisher vorgetragenen Geschichte Davids mit dieser Regel gewissenhaft zu nehmen, und glaube deshalb auch, daß wenn Einer meinem Gange aufmerksam gefolgt ist, er nicht so leicht dem Zweifel verfallen wird, ob wir uns hier nicht mehr mit einer dichtenden Sage, als mit wirklicher Geschichte beschäftigen. Indessen da der Unglaube an die geschichtliche Wahrheit der heiligen Bücher gegenwärtig so weit verbreitet und in den meisten Gemüthern eine so tiefe Wurzel geschlagen hat, so ist es mir eine wahre Genugthuung, daß ich Sie heute von der Höhe, auf welcher uns Himmlisches und Irdisches, Göttliches und Menschliches in einander überzugehen schien, wieder herunterführen muß und zwar in eine solche Tiefe hinab, daß es ein Jeder in seinem eigenen Busen recht sicher wird fühlen können, die uns in den heiligen Büchern überlieferte Geschichte Davids bewege sich nicht in dem Reiche idealisirender Phantasie und Sage, sondern recht eigentlich und buchstäblich auf dem Boden dieser unserer irdischen und menschlichen Wirklichkeit.

Nicht wenige kleinere Züge giebt es in der davidischen Geschichte, welche den irdischen Staub an den Füßen des großen Königs beweisen; ich umgehe sie, weil sie meistens nicht ohne eine gewisse Weitläufigkeit, die mit den Schranken dieser Vorträge nicht vereinbar ist, erörtert werden können. Aber ein paar Thatsachen dieser Art können nicht unbesprochen bleiben, da sie recht eigentlich an der Heerstraße der davidischen Begebenheiten als Denkmäler aufgerichtet sind. Die zweifelsüchtige Kritik hat es fast als einen ausgemachten Kanon hingestellt, daß die eine unserer beiden Quellen über Davids Geschichte, die Chronik, so eingerichtet sei, daß sie auf Verschönerung der israelitischen Königsgeschichten ausgehe, indem sie das Löbliche noch etwas zu vergrößern, das Schändliche dagegen entweder zu verfeinern oder zu verschweigen suche. Nun ist es richtig daß die Chronik, obwohl sie im Allgemeinen unter Berufung auf alte Urkunden (s. 1, 29, 29) über Davids Geschichte sehr ausführlich ist, den eigentlichen Sündenfall Davids sammt Allem, was damit zusammen hängt, übergeht. Gewiß erfordert dieser Umstand eine Erklärung, und für Jemand, der mit den biblischen Urkunden nur eine oberflächliche Bekanntschaft hat, mag es recht annehmbar klingen, daß jene Schrift, welche den König David ganz besonders als Wiederhersteller des Cultus, als Ordner des Ievitischen und priesterlichen Dienstes feiert, es absichtlich darauf angelegt habe, jenen Makel von dem Namen des frommen Königs fern zu halten, ähnlich wie Eusebius von Caesarea, der Constantinus den Großen als den ersten kaiserlichen Beschützer der Kirche feiert, in seinem Leben des Constantin die Blutthaten dieses Kaisers verschwiegen hat. Mit dieser Annahme wäre dann überhaupt in Ansehung der Geschichte Davids eine idealisirende Richtung constatirt und Scharfsinn und Phantasie mögen sich sodann daran versuchen, wie weit sie in dem vorhandenen Material der Ueberlieferung die Grenzen glaubwürdiger Geschichte einzuengen für nöthig oder dienlich halten. Für unseren Zweck genügt es, zu constatiren, daß dieser vermeintliche Grund jenes Stillschweigens, abgesehen von allem Anderen, durch zwei Thatsachen ausgeschlossen wird; die Chronik berichtet nicht bloß die Volkszählung Davids mit ihrer Rüge und Strafe, sondern führt diese Sünde des Königs auf eine Eingebung des Satans zurück (s. 1. Chron. 21, 1); und zweitens ist es eben die Chronik, welche den Grund, weshalb David seinen sehnlichen Wunsch und frommen Plan, das Zelt Jehovas in ein Haus, in einen Tempel zu verwandeln, nicht ausführen darf, eben in seinem eigenen Verhalten findet. Zuvörderst berichtet die Chronik eine Rede Davids an den Sohn Salomon, in welcher David mittheilt: „es kam zu mir das Wort Jehovas also, Blut hast du in Fülle vergossen und große Kriege hast du geführt, nicht sollst du meinem Namen ein Haus bauen, denn viel Blut hast du vergossen zur Erde vor meinem Angesicht“ (s. 1, 22, 8); und aus diesem göttlichen Wort macht David nach der Chronik so wenig ein Geheimniß, daß er dasselbe in der Versammlung der israelitischen Repräsentanten wiederholt: „Gott hat mir gesagt, nicht sollst du meinem Namen ein Haus bauen, denn ein Mann der Kriege bist du und Blut hast du vergossen“ (s. 1, 28, 3). Wie, sind denn nicht die Kriege Davids die Kriege Jehovas und hat nicht Jehova selber die Hände Davids streiten gelehrt? Gewiß und ohne alle Frage hat auch die Chronik die Kriege Davids nur in diesem Sinn und aus diesem Grunde berichtet. Wenn nun desungeachtet das Blutvergießen nach dem angeführten Worte Jehovas den David hindert, den Tempel zu bauen, so wird angenommen, daß trotz der Gerechtigkeit und Nothwendigkeit jener Kriege, und trotz der heiligen und reinen Gesinnung, mit welcher David diese Kriege führte, doch auch die menschliche Leidenschaft, der Zorn, diese innere unruhige Erregtheit, welche die Gerechtigkeit Gottes nicht vollbringt (s. Jakob. 1, 20), ihren Antheil an diesen Kriegen gehabt hat. Wer merkt hier nicht die Strenge jener Heiligkeit, von welcher David bekennt: „vor dir ist kein Lebendiger gerecht“ (Ps. 143,3)? Und eben dies ist nach jenem zweimal wiederholten Worte der Standpunkt der Chronik dem amtlichen und gefeierten Verhalten Davids gegenüber! Gewiß, hier ist Nichts von beschönigendem Bedecken und Verschweigen; hier zeigt sich eine Höhe und Strenge des Urtheils, daß derjenige, der daneben auch noch jene kleinen Künste des Wegnehmens und Hinzufügens für möglich hält, wunderbar verwirrt sein muß. Und überall wird diese Annahme, so verbreitet sie auch ist, durch genaue Einsicht in die biblischen Geschichtsbücher Lügen gestraft. Die Entscheidung über die große Frage nach Wahrheit und Dichtung in den heiligen Büchern liegt der Hauptsache nach ganz wo anders, als wo sie meistens gesucht wird: die heilige Geschichte ist in einer Schrift verfaßt, deren Charaktere durch das Uralphabet der Gewissenssprache für alle Zeiten zugleich gedeutet und bewahrheitet werden. Darauf fußend können und wollen wir auch den Gang unserer Betrachtung ungestört fortsetzen, indem wir uns der Führung unserer biblischen Nachrichten unbedenklich überlassen, in der wohlbegründeten Voraussetzung, daß die Thatsachen in sich selber die Gewähr der historischen Richtigkeit tragen.

Zuvörderst müssen wir auf den Umstand wieder zurückgehen, daß es David ganz bestimmt untersagt wird, den Tempel zu bauen. David geht von dem Gedanken aus, daß es die Aufgabe des Königs von Israel sei, das Zelt Jehovas, welchem er auf dem Berge Zion eine feste State gegeben, in ein festgegründetes Haus umzubauen. Das Zelt erinnert nämlich noch immer an die Zeit der Wanderung, in welcher Israel noch keine feste State hatte und Jehova mit seinem Volke von einem Ort zum andern zog. David geht von der Voraussetzung aus, daß das Volk nach Besiegung der letzten Canaaniter und der Heiden ringsum zur Ruhe gelangt sei und diese Voraussetzung wird ihm auch durch Jehovas Wort als richtig bestätigt (s. 2. Sam. 7, 10. 11). Ferner findet es David unangemessen, daß, während er selbst im Cedernhause wohne, die Lade Jehovas unter Zeltdecken ihre Stäte habe (s. 1. Sam. 7, 2). Der Gedanke Davids, daß es ein wesentliches Stück seines königlichen Berufes sei, dem Namen Jehovas ein festes Haus, einen Tempel zu bauen, ist auch dem Propheten Natan so einleuchtend, daß er diesen Gedanken sofort gut heißt. Derselbe Natan erhält aber gleich darauf in der folgenden Nacht die göttliche Weisung, dem David die Ausführung dieses Gedankens zu untersagen und zwar so, daß er an diese Versagung jene früher besprochene Verheißung von der ewigen Bedeutung des davidischen Königthums anknüpfen soll, indem er den Tempelbau als die Aufgabe des Sohnes und Nachfolgers Davids hinstellt. Es wird also einestheils festgehalten, daß der Tempelbau ein königliches Werk sei und nicht etwa ein priesterliches oder prophetisches, anderntheils aber um so bestimmter eingeschärft, daß dem König David für dieses Werk kein Beruf zukomme. In demselben Moment also, in welchem das davidische Königthum zu seiner höchsten Höhe erhoben wird, erfährt der König David, daß seiner persönlichen Waltung Etwas versagt bleibe, was recht eigentlich als das Vollendungswerk des Königthums betont und auch von ihm selber so fortwährend betrachtet wird. Wahrlich, das sieht nach Nichts weniger aus, als nach einer phantastischen oder idealistischen Glorificirung der davidischen Persönlichkeit und Geschichte! Wer in Israel und wer, der seinem bisherigen Gange gefolgt ist, besitzt das Recht, an dem Königthum Davids Etwas zu vermissen und auf Grund eines solchen Mangels ihm Etwas abzusprechen, was zur Ausübung der königlichen Machtvollkommenheit in Israel gehört? Wahrlich, hier muß die heilige Strenge eines Geistes walten, der tiefer blickt, als Menschenaugen zu dringen vermögen. Und offenbar ist es dieser Geist, vor dessen Majestät sich David beugt, indem er auch ohne die geringste Spur von gekränktem Gefühl seinem persönlichen Wunsche entsagt und sich der reinsten Freude über die seinem Hause und seinem Sohne ertheilte Verheißung ohne Vorbehalt, wie wir gesehen haben, hingiebt. Nicht Natan ist es, der seinem Hause eine ewige Zukunft eröffnet und seiner Person dagegen eine bestimmte zeitliche und sachliche Schranke setzt, sondern der höhere Geist ist es, der aus Natans Munde zu ihm redet. Darum ist auch Davids Entsagung eben so rein und groß, als seine Freude.

Diese Kehrseite jener fast übermenschlich erscheinenden Verherrlichung des davidischen Königthums, welche wir am Schlusse des dritten Vortrages betrachtet haben, ist gleichsam die Thür, durch welche wir zu dem Berichte über Davids Fall eingehen müssen.

In der Zeit des ammonitischen Krieges, als Joab mit dem ganzen israelitischen Heere die Feste Rabba belagerte, weilte David in Jerusalem und sah eines Abends von seinem Dache die Batseba, das Weib Urias des Hetiters, im Bade. Die ungemeine Schönheit der Batseba erregt in des Königs leicht empfänglicher und reizbarer Seele die Glut der unreinen Lust. Die Lust in eines Königs Herz ist die gefährlichste Feuersbrunst, denn Niemand sagt zum Könige: was thust du (s. Pred. 8, 4)? und ein Kenner alter und neuer Zeiten, wie Wenige, Berthold Niebühr, hat gesagt: „wo die Gewalt ist, da wird sie gemißbraucht, das bezeugt jedes Blatt der Geschichte.“ Wahrhaft niederbeugend ist es, daß auch König David, der starke Held, der so viele Versuchungen der mannigfachsten Art siegreich bestanden, jetzt dem Geschick menschlicher Schwachheit unterliegt. Der Anblick eines schönen Weibes bringt den vielerprobten Mann aus der Bahn der Tugend. David hatte Weiber und Kebsweiber, er folgte darin der morgenländischen Sitte, ohne daß er mit dieser seiner Vielweiberei, wie Natan ihm ausdrücklich versichert, Jehovas Gesetz und Ordnung übertrat (s. 2. Sam. 12, 8). Wie viel leichter war es David gemacht, Keuschheit zu bewahren und nicht zu sündigen, als Joseph! Joseph, der Jüngling, der mit Absicht gereizt wurde, widerstand und David, der Ehemann, der sich einem zufälligen Reize leicht entziehen konnte, kam zu Falle. Es muß also ja wohl die gewissenbestrickende Zaubermacht der königlichen Hoheit sein, welche in Verbindung mit dem sinnlichen Reize David hier gefangen nimmt. Haben wir bisher in dem davidischen Königthum den Glanz der göttlichen Reinheit und Erhabenheit leuchten sehen, so erblicken wir nun an diesem Königthum den tiefen Schatten der Menschlichkeit.

Der Anblick der Schönheit veranlaßt David zur Nachfrage und er erfährt: die Gesehene ist nicht ledig, sondern eines Mannes Weib und zwar Urias des Hetiters, der zu den alten Kampfgefährten Davids gehörte (s. 2. Sam. 23,39) und jetzt mit dem Heere vor der ammonitischen Festung lagerte, und außerdem als Proselyt eine besondere Rücksichtnahme verdiente. Ein einziger dieser drei Momente mußte ausreichend sein, um David in seine Schranke zurückzuweisen und alle drei halten ihn nicht ab, daß er nicht mit Batseba die Ehe bricht (s. 2. Sam. 11, 4). Als nun Batseba dem David ihre Schwangerschaft anzeigt, läßt David den Uria aus dem Lager nach Hause kommen, um die Folge seiner Missethat mit dem ehrbaren Schleier des Ehebettes zuzudecken. Dann offenbaren sich uns die gefährlichen Kunststücke, welche Königen so leicht zu Gebote stehen und ihren Stand so versuchlich machen. Aber des Königs List wird zu Schanden an der strengen Disciplin des Kriegers. Obwohl der König den Uria eigens auffordert, sich in sein Haus zu begeben und ihn sogar durch Trunkenheit dazu zu reizen sucht (s. V. 13), so entfernt derselbe sich nicht aus der Nähe des Königs und schläft am königlichen Hofe mit den Knechten und als der König ihn darüber anredet, spricht dieser Hetiter: „die Lade und Israel und Juda wohnen in Zelten und Joab, mein Herr und meines Herrn Knechte lagern auf freiem Felde, und ich sollte in mein Haus gehen, zu essen und zu trinken und bei meinem Weibe zu liegen? Bei deinem Leben und deiner Seele, nimmermehr werde ich solches thun.“ Zu andern Zeiten hätte dem Könige David das Herz gelacht über ein solches Kriegerwort. Aber jetzt ist sein Herz verdüstert, Uria ärgert ihn mit seiner pedantischen Strenge und es taucht der finstere Gedanke in David auf, den wackeren Krieger zu beseitigen, damit er ihm überall nicht mehr im Wege stehe. Und auch für diese Missethat steht dem König ein Deckmantel leicht zu Gebote. Uria selbst überbringt an Joab den königlichen Befehl, daß der Hetiter beim nächsten Angriffe einem sicheren Tode ausgesetzt werden solle. Joab, im unbedingten Gehorsam gegen den König, führt den Befehl aus und obwohl bei diesem Anlaß eine Menge Kriegsvolk unnütz geopfert wurde, so tröstet David sich selbst und seinen Heerführer über diesen Unfall in der heimlichen Freude, daß Uria hinweggerafft ist durch das Schwert der Ammoniter.

O wehe, in welche Finsterniß ist Davids hohe und reine Seele versunken! Zu welch einer furchtbaren Gewalt hat sich der leise Anfang einer Uebertretung ausgebildet! In solchem Seelenzustande des Königs ist es nicht zu verwundern, daß er, sobald Batseba die Trauerzeit um ihren erschlagenen Mann hinter sich hat, dieselbe zu sich nimmt und der Zahl seiner Weiber hinzufügt. Damit ist David an das Ziel seiner Wünsche, die seit Monaten seine ganze Seele erfüllten, gelangt und Batseba gebiert ihm einen Sohn.

Das ist Davids Sündenfall. Freilich nichts Anderes, als was in den geheimen und offenkundigen Chroniken der königlichen Paläste alter und neuer Zeit unzählige Male verzeichnet steht. Doch von David hatten wir es nicht erwartet, und so oft wir auf seinen bisherigen Gang zurück schauen und dann seines mit Mord verbundenen Ehebruchs gedenken, ergreift uns im Namen der Menschheit tiefe Beschämung. Je mehr uns aber der Fall Davids demüthiget, desto ergreifender und lehrreicher wird uns der Anblick seiner Buße und Bekehrung. Königlich hat David gesündiget und die allgemein menschliche Gebrechlichkeit und Verderbtheit in einem unvergeßlichen Beispiel für alle Zeiten offenbar gemacht, aber eben so königlich ist auch seine Buße, welche er zu einem unvergänglichen Denkmal und allgemein gültigen Vorbilde für Hohe und Niedrige, wie sie von ihren Sünden frei werden sollen und können, aufgestellt hat. Wenn in den sündigen Monaten Davids alles göttliche Licht, welches seinen bisherigen Weg so wunderbar erleuchtet, erloschen scheint, so strahlt in seiner Bekehrung dieses Licht in einem ganz neuen Glänze und dieser neue göttliche Strahl leuchtet um so milder und kräftiger, als der Sündenfall Davids jeden Menschen, der im Fleische wohnet, in die Gleichheit mit diesem König Israels hineinzuziehen geeignet ist.

Nachdem der Bericht die unheilvolle Verkettung der Sünden Davids ohne jegliche Zwischenbemerkung vor Augen gestellt, fährt er fort: „und es war böse die Sache, welche David gethan hatte, in den Augen Jehovas“ (s. V. 27). Und Natan, von Jehova gesandt, kommt zu David und legt ihm Folgendes vor: „es waren zwei Männer in einer Stadt, der Eine reich, der Andere arm. Der Reiche hatte Rinder und Schafe in großer Menge, der Arme hatte Nichts außer einem einzigen kleinen Schaf, welches er gekauft hatte, und er zog es auf und es wuchs heran bei ihm und mit seinen Söhnen zusammen, von seinem Bissen aß es und aus seinem Becher trank es und an seinem Busen schlief es, und es war ihm wie eine Tochter. Und es kam ein Reisender zu dem reichen Mann und derselbe schonte seine Schafe und seine Rinder, dem Wanderer, der zu ihm gekommen war, anzurichten und er nahm das Schaf des armen Mannes und richtete es an für den, der zu ihm gekommen“ (s. 12,1-4). Obwohl nun David noch immer in der Finsterniß seiner Sünde einhergeht, so erwacht doch bei dieser Erzählung die ganze Kraft seines königlichen Gerechtigkeitssinnes. Es entbrannte Davids Zorn wider den Mann gar sehr, und er sprach zu Natan: „so wahr Jehova lebt, ein Kind des Todes ist der Mann, der das gethan, und das Schaf soll er vierfältig ersetzen, weil er solches gethan und keine Schonung geübt hat.“ Darauf erwidert Natan: „du bist der Mann,“ so spricht Jehova, der Gott Israels, „ich habe dich gesalbt zum König über Israel und ich habe dich errettet aus der Hand Sauls, und habe dir gegeben das Haus deines Herrn und die Weiber deines Herrn an deinen Busen, und habe dir gegeben das Haus Israel und Juda und wenn es zu wenig, so will ich hinzuthun noch dieses und jenes. Warum hast du verachtet das Wort Jehovas, zu thun, was böse ist in seinen Augen; Uria, den Hetiter, hast du erschlagen mit dem Schwert, und sein Weib hast du genommen dir zum Weibe und ihn hast du ermordet durch das Schwert der Söhne Ammons. Und nun soll nicht ablassen das Schwert von deinem Hause, darum weil du mich verachtet hast und hast genommen das Weib Urias, des Hetiters, daß sie dein Weib sei (s. V. 7-10).

David ist König und Natan ist Unterthan, David hat die Gewalt und Natan ist ein wehrloser Mann. Natan hat „einen faulen Schaden angerührt, der kein Betasten verträgt“, er hat es gethan ohne jegliche Schonung, ohne jegliche Rücksichtsnahme auf die Majestät des königlichen Sünders. Wie Viele, die Gewalt besitzen, haben einen unbequemen Mahner bei Seite geschafft und um so ungestümer haben sie dies gethan, als der Mahner in ihrem Gewissen ein Echo gefunden hatte. Noch einen anderen Weg giebt es, sich eines lästigen Bußpredigers zu entledigen, er sagt den weniger kräftigen Naturen zu: man giebt, was nicht zu leugnen steht, zu, sucht es aber mit allerlei Gründen zu entschuldigen. David betritt weder den einen noch den anderen Weg. Der zweite widerspricht seinem tief gewurzelten Gradsinn, der erstere, zu dem seine leicht erregbare Natur eher geneigt wäre, ist ihm dadurch verlegt, daß durch Natans Wort diejenige heilige Macht, welche, wie wir oft gesehen, alle seine geistigen und leiblichen Kräfte regierte, in seinem Herzen wiederum ihren Thron, von dem sie in der letzten Zeit entsetzt gewesen, eingenommen hat. Natan hat seinem Gewissen die Bedeutung des Namens Jehovas, welche ihm seit seinem Falle gänzlich verdunkelt ist, aus den Thatsachen seines Lebens wiederum hell und lebendig gemacht.

David entgegnet dem Natan Nichts als das kurze Wort: „gesündiget habe ich an Jehova“ (s. V. 13). Freilich hat auch Saul seine Sünde bekannt, sogar unter Thränen, und doch ist er auf seinem Sündenwege fortgegangen. Wie viele Tausende bekennen jedesmal in der Beichte ihre Sünde und niemals erfolgt eine Bekehrung, sondern die letzte Beichte ist grade so fruchtlos, wie die erste. Das Aussprechen des Sündenbekenntnisses thut es also noch nicht, und auch die Thränen sind noch keine Früchte der Buße. Und doch legt Natan auf das kurze Wort Davids ein solches Gewicht, daß er ihm sofort erklärt: „auch Jehova hat deine Sünde vorübergehen lassen, du sollst nicht sterben.“ Natan hat nämlich gemerkt, daß das Wort Davids in seinem Munde volle Wahrheit ist, weil es aus dem Herzen kommt. Und Natan hat recht gesehen, davon hat sich sofort das Haus Davids überzeugt, demnächst das ganze Volk Israel, ja allen Zeiten und Völkern ist es auf unzweifelhafte Weise kund geworden. Die Sünde Davids tritt auf in nackter Naturwahrheit, aber eben so ächt und unverfälscht ist die Gestalt und Farbe seiner Buhe. Das heilige Wort Buße ist in jüngster Zeit so verzerrt und verkehrt worden, daß es fast einen verächtlichen Beigeschmack erhalten. Es ist für unsere durch und durch ungesunde Zeit eine sehr heilsame Medicin, die Buße des Königs David anzuschauen. Es ist ein erlauchtes und seltenes Beispiel der Geschichte, daß Kaiser Theodosius sich wegen seiner Rachethat an Thessalonich der ernsten Zucht des mailändischen Bischofs unterwirft; wir erfahren aber in diesem Falle nur, was Theodosius gethan und gelassen hat, doch die Empfindungen und Gefühle seines Herzens liegen nicht vor. Anders ist es mit König David, er selber hat dafür gesorgt, daß wir in den Grund seines bußfertigen Herzens hinein schauen können, denn wenn wir es bisher noch nicht wüßten, so müßten wir es setzt merken, dieser König ist recht beflissen, vor seinem Volke kein Geheimniß zu haben. Was verbirgt sich mehr den eigenen Augen, als die Sünde, und was wird sorgfältiger, ja mit einem angeborenen Instinct der Schlauheit und Verstellung vor den Augen Anderer verdeckt, als die eigene Sünde? Hat nun Jemand eine hervorragende Stellung, ist er vielleicht sogar Monarch, wie steigert sich diese Verstellungskunst, wie sehr weiß sie sich zu rechtfertigen und zu schmücken als pflichtmäßige Weisheit und nothwendige Tugend, welche als schirmende Schutzwehr die unentbehrliche Auctorität der amtlichen Würde behüten und erhalten müsse. Nichts von Allem diesen bei David, sondern das Gegentheil von diesem Allen. Sobald er seine Sünde erkannt hat, ist ihm Alles in der Welt gleichgültig, er hat nur ein einziges Bedürfniß, dieses heißt Gnade und Vergebung bei Jehova, so lange ihm seine Sünde vor Augen schwebt, ist ihm seine königliche Würde und Auctorität zerbrochen, sie legt ihm keine Rücksicht auf, er weiß, daß Alles verloren ist und Alles nur wiederhergestellt werden kann, nicht durch menschliches Thun und Lassen, sondern allein durch Jehovas Gnade und Treue. Das ist der Charakter von Davids Buße.

Aber nicht als eine düstere Verzweiflung, nicht als ein wildes Ringen sollen wir uns Davids Buße denken. Schon der geschichtliche Bericht über Davids Leben giebt uns über die lichte Natur des davidischen Bußkampfes genügenden Aufschluß. Obwohl Natan auf Davids Bekenntniß Vergebung verkündigt hat, mußte er doch die Drohung hinzufügen, „weil David durch seine Sünde die Feinde Jehovas zum Lästern veranlaßt, so muß das Kind, das ihm von der Batseba geboren wird, sterben“ (s. V. 14). Das Kind wird sofort krank und am siebenten Tage stirbt es. Während der Krankheit des Kindes hat sich David von aller menschlichen Gemeinschaft ausgeschlossen, er fastet, liegt auf der Erde und läßt sich von seinen ältesten Dienern nicht zureden; sein Zustand und Verhalten ist so trostlos, daß als nun das Kind gestorben, die Diener nicht wagen, es zu melden, indem sie nicht wissen, was Schlimmes entstehen könnte. David aber, als er erfährt, daß das Kind gestorben, erhebt er sich von der Erde, wusch und salbte sich, wechselte seine Kleider und ging in das Haus Jehovas und betete an und kam zurück in sein Haus und that Befehl und sie setzten ihm Brod vor und er aß. Als nun die Diener, welche offenbar so sehr an ein vertrautes Verhältniß zu ihrem königlichen Herrn gewöhnt waren, daß sie selbst unter so außerordentlichen Umstanden sich frei äußerten; als sie also dem König über sein Verhalten ihre Verwunderung aussprachen, erwiderte David, so lange das Kind am Leben gewesen, habe er gehofft, vielleicht werde Jehova ihm gnädig sein und ihm das Kind erhalten; jetzt aber, da das Kind gestorben, sei die Sache entschieden, „ich kann es nicht wieder holen“, sagt David, „ich werde zu ihm gehen, der Knabe aber wird nicht zu mir zurückkehren“ (s. V. 15-23). Obwohl also Natan den Tod des Kindes vorausgesagt, läßt sich David nicht abhalten, Gott um des Knaben willen zu suchen und mit ganzem Ernst zu bitten. Dieses Suchen und Bitten konnte aber natürlich nur ruhen auf der Aneignung der von Natan verkündigten Vergebung; denn nur auf diesem Grunde des wiederhergestellten Verhältnisses zwischen Jehova und sich konnte er die Abwendung des ihm bestimmt angedrohten Sterbefalles hoffen, und konnte demnach nur unter dieser Voraussetzung sein einsames Fasten und Beten einen Sinn haben. Andererseits aber ließ sich das Gebet um das Leben dieses Kindes gar nicht trennen von der sich immer erneuernden Erinnerung an die zwiefache Sünde und eine jede solche Erinnerung war das Aufreißen der tief geschlagenen Wunde des Gewissens. Wie kindlich und stark muß der Glaube sein, der den aufgehobenen Arm der strafenden Gerechtigkeit aufhalten will! Aber der Gegenstand, dessen sich dieser Glaube in reiner Menschlichkeit annimmt, ruft immer wieder die finsteren Zeiten der Sünde ins Gedächtniß zurück und diese Erinnerungen, diese Bilder wollen mit schrecklicher Gewalt den Sünder von der Nähe und Gegenwart seines Gottes, von dem Anrecht an Erbarmen und Gnade verscheuchen. Ein Ringen zwischen Sünde und Gnade, zwischen Furcht und Hoffnung, zwischen Zorn und Erbarmen, ein gewaltiges Ringen ohne Gleichen muß in Davids Seele gewesen sein. David ist durch viele Gefahren und Nöthen hindurchgegangen, aber so erschütternd auch oft die Lage war, die spannenden Gegensätze waren doch irgendwie äußerlich begründet, jetzt ist aber der Krieg der feindlichen Gewalten, die um Sein und Nichtsein des menschlichen Wesens und Lebens streiten, nach innen verlegt. Daher ist auch der Zustand Davids dergestalt, daß seine alten Diener ihn gar nicht wieder kennen und das Aeußerste befürchten. Daß ein Mönch acht Tage fastet und auf der Erde liegt, will nicht viel besagen, er kennt oder vergönnt sich überall nicht den freien Gebrauch des menschlichen Lebens, er hat seine Sinne abgestumpft und seine natürlichen Empfindungen so viel möglich ertödtet. Aber David, eine der lebensvollsten, urkräftigsten und allseitigsten Naturen, die je und je die Menschheit erzeugt! Nur ein Orkan aller inneren Elemente, nur ein Erdbeben des ganzen Seelengrundes macht diese Erscheinung des in der Einsamkeit büßenden Davids verständlich.

Und wie genau entsprechen der Beschreibung, welche die Geschichtserzählung von dem Zustande Davids während der nächsten Tage nach Natans Botschaft macht, die Bußlieder Davids, welche das Psalmbuch enthält und unter denen sich eins findet, welches die alte Ueberlieferung in der Ueberschrift ausdrücklich auf die Versündigung mit der Batseba bezieht. In diesem Psalm, dem 51sten, läßt David sich über seine Sünde also vernehmen:

Sei mir gnädig, o Gott, nach deiner Güte,
Nach der Fülle deiner Barmherzigkeit tilge meine Uebertretungen,
Wasche mich wohl von meiner Missethat
Und von meiner Sünde reinige mich,
Denn meine Uebertretungen weiß ich,
Und meine Sünde ist immerdar vor mir;
An dir allein habe ich gesündigt,
Damit du groß bist in deinem Wort,
Rein, wenn du richtest.
Siehe, in Verschuldung bin ich erzeuget
Und in Sünde hat mich empfangen meine Mutter.
Entsündige mich mit Ysop, daß ich rein sei,
Wasche mich, daß ich weißer sei denn Schnee.

Nicht weniger als Macbeth und sein Weib fühlt David seine Unreinheit und eben so gewiß wie jenen ist es ihm, daß alle Fluten des Oceans ihn nicht weiß waschen können. Jenes blutbefleckte Königspaar aber, weil es kein anderes Reinigungsmittel kannte, als Wasser, mußte verzweifeln, David aber weiß, daß Jehovas Gnade und Erbarmen ein himmlischer Quell der Reinigung ist wider alle Befleckung der Sünde, und darum treibt und drängt ihn jedes vernichtende Gefühl sein er Unreinheit, zu jenem heiligen Brunnen zu eilen und damit so lange anzuhalten, bis das Bewußtsein der göttlichen Gnade jede Anklage des Gewissens verstummen macht. So tief, so tödtend ist das Bewußtsein der Sünde für David, daß ihm kein Zurückdrängen, kein Bedecken der Sünde genügt, nein vertilgt, ausgelöscht müssen sie werden, alle Uebertretungen, und da, wo die Flecken haften, muß es nicht bloß wieder erträglich rein werden, weißer denn Schnee muß es werden, wenn das schreiende Bedürfniß des Gewissens befriedigt werden soll. Und weil David in dem Zustande seiner tiefsten Niedergeschlagenheit diesen hohen Glaubensmuth besitzt, daß Jehovas Gnade das, was blutroth ist, schneeweiß machen kann (s. Jes. 1,18), so kann er auch in seiner einsamen und freudeleeren Bußkammer den Gedanken einer wiederkehrenden Freude fassen und einen Zustand hoffen, der die gegenwärtige traurigste Erfahrung seines Lebens zur Grundlage habend, ihn über seine bisherige Stellung emporhebt und ihm Etwas verleiht, was er vor seiner Sünde nicht besaß. Wie herrlich und wunderbar gemischt ist die traurige Gegenwart und diese Hoffnung der Zukunft in folgenden Worten: Laß mich hören Freude und Wonne,
Mögen jubeln die Gebeine, welche du geschlagen hast;
Verbirg dein Angesicht vor meiner Sünde,
Und alle meine Verschuldungen vertilge;
Ein reines Herz schaff' mir, o Gott,
Und erneure in mir den gewissen Geist;
Verwirf mich nicht vor deinem Angesicht,
Und den Geist deiner Heiligkeit nimm nicht weg von mir.
Laß mir wiederkehren Freude über deine Hülfe,
Und der freudige Geist sei meine Stütze.
Ich will lehren die Uebertreter deine Wege
Und die Sünder sollen sich zu dir bekehren -
Oeffne meine Lippen, o Herr,
Und mein Mund soll dein Lob verkündigen.

O wahrlich nur für den sinnlichen Menschen ist die büßende genußleere Einsamkeit Davids schrecklich, für den geistigen Menschen ist sie das gewisseste Heiligthum; denn das muß Jeder fühlen: alle Erhabenheit und Herrlichkeit aller Heiligthümer ist nur so weit wahr und rein, als sie auf der gediegenen Unterlage dieser Bußgesinnung ruht, ohne diese Grundlage ist aller Gottesdienst eitel und Lüge. Und wie herrlich und überschwenglich hat sich die Hoffnung Davids, daß er die Uebertreter lehren und bekehren wolle, bestätigt! Für alle Zeiten sind seine Bußpsalmen die Sprossen der Himmelsleiter, auf denen die aufrichtigen Seelen aus der Höllenangst zu Gott emporsteigen; diese Psalmen sind die Grundtöne, in denen bis auf den heutigen Tag die Bußfertigen aller Orten für ihre wahrsten und tiefsten Gefühle den reinen und unübertroffenen Ausdruck finden. Daß die einsame Buße Davids nicht eine düstere Verschlossenheit der Seele ist, sondern vielmehr der lebensvolle Tiefpunkt des schuldbewußten und gnadesuchenden Gemüthes, haben wir bereits aus Davids eigenen Worten erkannt. Wir werden uns daher auch nicht wundern, wenn wir sehen, daß David am Schlusse seines tiefsten Bußpsalmes sein Herz bis zu einer Fürbitte für Zion erweitert. Begnadige Zion mit deiner Gunst, Baue die Mauern Jerusalems.

Natan hatte David das ernste Wort vorgehalten: „du hast den Feinden Jehovas Anlaß zur Lästerung gegeben“. David hatte gesündiget als König und darum mußten die Folgen seiner Sünde auch sein Reich und sein Volk treffen. In diesem Bewußtsein ist es, daß David, indem er für sich um Gnade fleht, auch Zion und Jerusalem mit einschließen muß; denn durch des Königs Sünde ist die Heiligkeit der Königsstadt verletzt, erst wenn Jehova mit seiner Huld Zion und Jerusalem wieder anblickt, wird der heilige Dienst in Jerusalem wieder rein und gesegnet sein.

In einem anderen Bußpsalm, der auch von Solchen, welche auf die Ueberschriften wenig Gewicht legen, dem David zugeschrieben und auf seine Seelenstimmung nach Natans Bußpredigt bezogen wird, spricht sich schon eine gehobenere und freudigere Gemüthsverfassung aus. Es ist der 32. Psalm, der folgendermaßen anhebt:

Heil dem, welchem die Uebertretung vergeben ist,
Dem die Sünde bedecket ist.
Heil dem Menschen, dem Jehova die Schuld nicht anrechnet,
Und in seinem Geiste ist kein Trug.

Hier ist die Gewißheit der Vergebung nicht blos schon vorhanden, sondern es hat sich die persönliche Erfahrung der Sündenvergebung bereits zu der Ueberzeugung von einer allgemeinen und großen Wohlthat erhoben. Dabei ist wichtig und lehrreich, zu beachten, daß David als ein wesentliches Merkmal dieser Erfahrung die Freiheit von aller inneren Selbsttäuschung ausspricht; und also derjenige, welcher über diesen Punkt keine Selbstgewißheit besitzt, nach Davids Zeugniß auch seiner Sündenvergebung unmöglich sicher sein kann. Wer mit seinem eigenen inneren Seelenleben vertraut ist, muß bestätigen, daß dies völlig richtig ist, und wird aus eigener Erfahrung bezeugen können, daß David aus dem Feuer der Buße völlig geläutert muß hervorgegangen sein. Außerdem zeigt sich hier noch ein Anderes, was wiederum von der Seelenkunde aller Zeiten bestätigt wird und die Normalität der davidischen Erfahrungen von einer neuen Seite beweist. Jetzt, nachdem David die Gewißheit der Sündenvergebung bereits genießt, auf dieser sicheren Höhe angelangt, hat er sowohl die Fähigkeit als auch das Bedürfniß, in seinen früheren finsteren Zustand zurückzuschauen. Er sagt:

Als ich mich schweigend hielt, vergingen mir meine Gebeine, Weil ich stöhnte den ganzen Tag; Denn Tag und Nacht lag schwer auf mir deine Hand, Verwandelt war mein Saft in Gluten des Sommers. Der Schluß dieses Psalms lautet: Freuet euch Jehovas und jubelt ihr Gerechten, Und singet ihr Alle, die ihr aufrichtigen Herzens seid. Dieser Schluß zeigt deutlich, daß Davids Stimmung, aus der finsteren Tiefe der letzten Erfahrungen emporgehoben, zu ihrer gewohnten freudigen Kraft und Heiterkeit zurückgekehrt ist.

Freilich hat David den äußeren Gegenstand seines Bittens und Flehens nicht erreicht. Das Kind der Sünde bleibt, wie Natan vorhergesagt, ungeachtet Davids Fasten und Beten dem Tode geweiht. Wir könnten uns leicht vorstellen, daß David, da er mit seiner Seele so sehr an dem Leben dieses Kindes hing, die Erhörung dieser seiner Bitte als ein Zeichen für die gnädige Annahme seines Gebetes um Gnade und Vergebung angesehen habe. Daß das nicht der Fall ist, ersehen wir schon aus dem Berichte unseres Geschichtsbuches, denn hier erfahren wir, daß er, nachdem er den Tod des Kindes gehört, die Bußgestalt ablegt und sich in das Heiligthum Jehovas begiebt. Es ist dieser Umstand aber insofern wichtig, als wir nun um so mehr genöthigt sind, die Gewißheit Davids über seine Sündenvergebung als eine rein innerliche und geistige zu denken. Oder sollen wir denken, daß er sich lediglich auf Natans Aussage: „Jehova hat deine Sünde vorübergehen lassen,“ gestützt hat? Aber wo hat denn das Ringen nach Vergebung, wie es uns im 51. Psalm vorliegt, seine Zeit und seine State gehabt? Daß er Natans Wort mit tiefer Bewegung gehört und aufgenommen hat, daran ist kein Zweifel; indessen David weiß, daß es sich um die allereigenste und allerinnerste Angelegenheit handelt, und wie kann in solchem Fall das Wort eines Anderen, und wenn er auch ein Prophet ist, genügen, so lange für dieses Wort nicht ein inneres Zeugniß vorhanden ist? Kann denn Natan sich nicht jetzt eben so gut täuschen, wie er sich früher geirrt hat, als er Davids Entschluß, einen Tempel zu bauen, gut hieß? Das erkannte also David als das Ziel, welches er erreichen mußte, Natans Absolution sich so anzueignen, daß der äußeren Gottesstimme eine innere Gottesstimme antwortete. Und das muß David erreicht haben, er muß mit zweifelloser Selbstgewißheit erfahren haben, daß die mächtigste Stimme, die in ihm war, die rügende, verklagende, zermalmende Gewissensstimme von einer noch mächtigeren Stimme, der Versicherung der göttlichen Gnade, zum völligen Schweigen und Verstummen gebracht wurde, so daß er seine Sünde ruhig anschauen konnte, ohne daß sie ihn zu verdammen vermochte. Ich glaube, wir haben ein thatsächliches historisches Zeugniß dafür, daß es nach vollbrachter Buße in Davids Innerem grade so und nicht anders bestellt war. Die obige Erzählung fährt, nachdem sie die Aeußerung Davids über den Tod des Kindes berichtet hat, folgendermaßen fort: „und David tröstete die Batseba, sein Weib, und kam zu ihr und schlief bei ihr und sie gebar einen Sohn und er nannte seinen Namen Salomo und Jehova hatte ihn lieb, und er that ihn unter die Hand Natans des Propheten und derselbe nannte ihn Jedidja, d. h. Jehovas Geliebten, um Jehovas willen (s. 2 Sam. 12, 24. 25). Was sagen unsere modernen Eiferer in Ehesachen dazu? Was geht hier vor? Müssen sie nicht sagen: es ist die Fortsetzung des Ehebruchs, es ist der tägliche und lebenslängliche Ehebruch unter dem Deckmantel einer Scheinehe? Freilich müssen sie das sagen, sintemal ihre ganze Weisheit der Buchstabe des geschriebenen Gesetzes ist. Das göttliche Gesetz forderte den Tod Davids und der Batseba (s. 3. Mos. 20, 10). Freilich hat Natan dem David auf sein Bekenntniß gesagt: du sollst nicht sterben; aber wie kann ein Wort Gottes gegen das andere sein? Oder wird die gesetzliche Strafe durch das Bekenntniß des Verbrechens aufgehoben? Und wo ist denn die Amnestie für die Batseba verkündigt? Indessen wenn sie nun auch Beide am Leben bleiben dürfen, was jene Buchstabeneiferer niemals verstehen noch erklären können, wo ist denn die Befugniß, daß sie sogar wieder zusammenkommen dürfen? Und doch empfängt die Ehe Davids mit der Batseba ein dreifaches Siegel göttlicher Bestätigung. Von dem Sohne dieser Ehe heißt es: Jehova liebte ihn. Natan, der strenge Prophet, nahm ihn in seine Obhut und giebt ihm einen göttlichen Namen und endlich wird unter allen Söhnen Davids dieser Salomo zu seinem Nachfolger gewählt und ihm wird die große Verheißung für das davidische Haus von Gott bestätiget. Wir werden hier inne, daß bereits unter dem alten Bunde nicht bloß neben der Auctorität des Buchstabens die Macht des Geistes vorhanden ist, sondern auch die Geistesmacht die Geltung des Buchstabens überbietet; wie es denn freilich jedem Schriftgelehrten bekannt sein sollte, daß die Männer Gottes zu allen Zeiten das Verhältniß zwischen Geist und Buchstaben, welches Paulus am klarsten ausgesprochen hat, verstanden und auch besonders dann, wenn es sich in dem Reiche Gottes um neue Ansätze handelte, geltend gemacht haben. Ja so ist es, aus dem Geiste, der ihm seine Sündenvergebung versiegelt, handelt hier David und darum ist was er thut, wohlgethan, obwohl es keinen Buchstaben für sich hat, sondern sogar gegen den Buchstaben des Gesetzes ist. David weiß es gewiß, daß seine Sünde wirklich vergeben, bedeckt und vertilgt ist, er ist seiner selbst sicher, daß das Verhältniß zur Batseba nunmehr auf dieser Grundlage ruht und daher Nichts mehr gemein hat mit ehebrecherischer Lust. Diese Selbstgewißheit, diese Erfahrung einer neuen Geistesmacht ist die Sanction seiner Ehe mit der Batseba. Es ist demnach diese Ehe das thatsächliche Denkmal der vollkommenen Wahrheit der Buße Davids, sowie seines wirklichen Sieges über seine Sünde.

Ein König, der so wie David in seiner Buße sein innerstes Herz vor dem ganzen Volke ausgeschüttet, der jedes Gewissen getroffen und jedes Gemüth gerühret, der Niemandem einen Zweifel übrig gelassen, als ob in diesem Herzen noch irgend Etwas hinterstellig sein könne, ein solcher König hat in der That das Herz seines Volkes in der Hand, ein solcher König vermag sein Volk von innen heraus zu bestimmen und zu leiten. Wir werden diesen innerlich bestimmenden Einfluß des Königs David auf sein Volk noch mehrfach wahrnehmen, und besonders in dem letzten Acte seines Regimentes, denn Davids Tag geht zu Ende in dem schönsten Abendroth einer seltenen Harmonie zwischen König und Volk. Indessen beweisen die nächsten Ereignisse sehr augenscheinlich, daß wir hier nicht mit idealisirenden Sagen zu thun haben, sondern mit Thatsachen und Verhältnissen, wie sie bei der menschlichen Verderbtheit in Zeiten großer Krisen, zu denen die davidische ohne Zweifel gehört, immerdar entstehen.

Auf eine vielleicht beispiellose Weise hat David die Spuren seiner Sünde innerhalb des Bereiches seines individuellen Lebens durch die Wahrheit und den Ernst seiner Buße getilgt und kein Zweifel ist, daß das leuchtende Beispiel eines bußfertigen Königs auf viele Sünder heilsam gewirkt hat. Aber es steht nicht in Davids Macht, daß das Vorbild seiner Buße eben so kräftig wirke, als die Verführung seiner Sünde. Der Zunder der Sünde liegt in der menschlichen Natur, wie sie dermalen ist, allenthalben ausgebreitet und jede Sünde, die geschieht und gesehen wird, ist ein zündender Funke, und jedesmal ist die Frage, ob eine Macht vorhanden ist, den Brand im Entstehen zu löschen, sonst bricht das Feuer nächstens in Flammen aus. David mußte es erleben, daß seine Doppelsünde in seinem eigenen Hause sich fortpflanzte und steigerte, aus der Blutschande Amnons, des Sohnes Davids, erzeugt sich der Brudermord Absaloms, eines anderen Sohnes Davids (s. 2. Sam. 13). Diese bittere Quelle des sündlichen Unheils wird im Laufe von einigen Jahren zu einem Strom des Verderbens, der das ganze Land überflutete und sogar Davids Königthum und Leben in Gefahr brachte.

Als das Haus Davids durch Amnon und Absalom mit Schande und Blut verunreinigt worden war, trat eine tiefe Erschütterung ein: „die Söhne des Königs erhoben ihre Stimme und weineten, und auch der König und alle seine Knechte brachen aus in sehr großes Weinen“ (s. 2. Sam. 13, 16). Absalom, derjenige von den beiden Schuldigen, welcher noch übrig war, mußte den Zorn des königlichen Vaters fühlen, er entflieht auf drei Jahre nach Gesur und vergebens suchte David seiner habhaft zu werden. Auf des einflußreichen Joabs Zureden gestattete darnach David die Rückkehr Absaloms nach Jerusalem, aber erst nach zwei Jahren erreichte es Absalom, und zwar wiederum durch Vermittelung Joabs, des Königs Angesicht zu sehen. David mochte es dem blutbesteckten Sohne als Entschuldigung hingehen lassen, daß er nur deshalb den Bruder erschlagen, weil er seine Schwester geschändet und außerdem mochte er der Meinung sein, daß eine fünfjährige Bußzeit den Sünder, von dem, wie sich später zeigt, sein väterliches Herz nicht lassen konnte, zur Selbstbesinnung gebracht habe. Nachdem Absalom sich vor dem König zur Erde geworfen, gab ihm David den Versöhnungskuß (s. 2. Sam. 14, 33). Aber Absaloms Buße ist nicht aufrichtig und darum kann er auch an des Vaters Vergebung keinen rechten 'Glauben haben. Er zieht es vor, die nun einmal vorhandene Kluft des gestörten Verhältnisses bodenlos zu machen. Absalom war der schönste Mann in ganz Israel (s. 2. Sam. 14, 25), außerdem hatte er ein sehr einschmeichelndes und gewinnendes Wesen (s. 2. Sam. 15, 1-5). Mit diesen seinen Gaben legte er es darauf an, das Volk dem David abspenstig zu machen, denn ohne Zweifel hatte er bereits bemerkt, daß der Vater nicht ihn, den Weiteren, sondern Salomo, den Jüngeren, zum Nachfolger ausersehen hatte. Und wirklich gelang es Absalom, das Herz der Männer Israels zu stehlen (s. 2. Sam. 15, 6). Darauf bauend benutzt Absalom eine heuchlerische List und erhob zu Hebron die Fahne des offenen Aufruhrs, der in der That so stark sich anließ, daß David sich in Jerusalem nicht sicher hielt (s. V. 7-14). Diese Wendung muß uns billigerweise überraschen; wir fragen: wie ist es möglich, daß das Volk seinem Könige, dem es mit ganzer Seele anhing, untreu wird! Wie ist es möglich, daß David, dessen Auge so wachsam und dessen Arm so kräftig ist, dieser heillosen Verwirrung nicht zuvorkommt? Was das Letztere betrifft, so erklärt Ewalds triftige Bemerkung, daß David noch keine Polizei gekannt habe, allerdings Etwas, aber nicht Alles. Ich glaube, wir müssen hinzunehmen, daß wenn auch David, wie anzunehmen, die Keime und Anfänge der Unzufriedenheit nicht entgingen, derselbe der Meinung wird gewesen sein, daß ein solches Geschwür vielleicht am besten zu heilen sei, wenn man es reif werden laste. Ein König, der sich bewußt war, Grund und Macht seiner Krone immerdar bei sich zu haben, ist nicht ängstlich wegen etwaiger Störungen von innen oder außen, er weiß, so wie er das Königthum trotz der größten Hindernisse durch sich selbst erworben hat, daß er dasselbe allen Zufällen und Anfällen gegenüber auf dieselbe Weise zu jeder Zeit behaupten könne und werde. Was aber den allgemeinen Abfall des Volkes von David anlangt, so liegt, dünkt mich, die Annahme nahe genug, daß die strenge und allseitige Gerechtigkeit, welche David handhabt, in einem Volke, das in früheren Zeiten an große Zuchtlosigkeit gewöhnt war, eine vorübergehende Unzufriedenheit, zumal wenn dieselbe, wie es hier der Fall war, aufgestachelt wurde, erregen konnte. Wir dürfen wohl sagen, gleichwie David von Jehova abfällt, um sich desto fester und inniger mit ihm zu verbinden, so ist auch Israel von David abgefallen, um sich, wie sich namentlich am Schlusse unserer Geschichte ergeben wird, desto hingebender mit seinem König zusammenzuschließen. Das Vorspiel dieser schließlichen Läuterung des Verhältnisses zwischen König und Volk schauen wir sofort in dem Verhalten der getreuen Schaar, die auch jetzt bei der allgemeinen Auflösung standhaft bei David aushält. Mit dieser Schaar der Getreuen vereinigte sich eben jetzt in der Zeit der höchsten Gefahr und Noth Davids, wie ich schon früher erwähnt, unter der Führung Itais eine große Menge heidnischer Philister, gleichsam als Ersatz für das abtrünnige Israel. Ein bedeutsames Zeichen für die alle Gegensätze überwindende Macht der Persönlichkeit des israelitischen Königs mitten in seinem Leiden. Und in der That erscheint David bei seiner Flucht von Jerusalem nicht sowohl als König unter seinen Unterthanen, sondern vielmehr als Vater in der Mitte seiner Kinder; seine innigsten und tiefsten Gefühle theilen sich seiner ganzen Umgebung mit und es ist als ob diese nächste Umgebung Davids in aller Weise wieder gut machen wollte, was die Menge des Volkes in diesen Tagen an seinem Könige sündigte. Davids Stimmung ist eine ungemein wehmüthige, sie spricht sich deutlich aus in den Worten, die er an den Priester Zadok richtet: „führe die Lade Gottes wiederum in die Stadt zurück,“ sagt David auf seiner Flucht, „wenn ich Gnade finde in den Augen Jehovas, so wird er mich zurückführen und mich die Lade in seiner Wohnung schauen lassen; wenn er aber sagt: ich habe kein Gefallen an dir, siehe hier bin ich, er thue an mir, was gut ist in seinen Augen“ (s. 2. Sam. 15, 25. 26). Es ist ganz unverkennbar, bei dieser schrecklichen Wendung wird die tiefe Gewissenswunde Davids noch einmal wieder aufgerissen, die Worte Natans, „das Schwert wird hinfort nicht weichen von deinem Hause“, tönen abermals mit furchtbarem Widerhall in seiner Seele. Nur durch neues Ringen mit der göttlichen Gnade, nur durch demüthige Ergebung in Jehovas gerechte Züchtigung kann er es erreichen, daß er wohlbehalten durch dieses Thal des Todesschattens hinüber gelangt. Wie tief und stark seine Ergebung ist, das erprobt sich an seinem Verhalten gegen Simei, einem Mann aus dem Hause Sauls, der die schmähliche Flucht Davids benutzt, in der Nähe von Jerusalem seinen ganzen wilden Grimm mit bittern Worten, ja mit Steinen und Erdklößen an dem Feinde seines Hauses auszulassen (s. 2. Sam. 16, 5 - 13). Abiscii wollte diesem vor Wuth unsinnigen Lästerer den Garaus machen, aber der König wehrt ihm mit den Worten: „Jehova hat es ihn geheißen, fluche David, und wer darf sagen: warum thust du also? Vielleicht wird Jehova mein Elend ansehen und wird mir Gutes thun für den Fluch des heutigen Tages“ (s. V. 10. 12). Man sieht aus diesen Aeußerungen ganz deutlich, daß es keineswegs das äußere Leiden allein ist, was David niederbeugt, er erkennt in dem äußeren Geschick, das ihm von seinem Sohne bereitet wird, die gewaltige Hand seines heiligen Gottes. Und wie es überall seine Weise ist, daß er vor seinem Volke kein Hehl hat mit seinen innersten Gedanken, so auch hier; er muthet es seinen Getreuen zu, daß sie nicht bloß mit ihm seine äußere Lage, sondern auch seines verwundeten Gewissens Schmerzen theilen sollen. Freilich ist dieses sehr das Gegentheil von der gewöhnlichen Vorsicht und Klugheit königlicher Herren, aber der Wahrheitssinn Davids erheischt von ihm diese rückhaltslose Offenheit und dann muß jeder andere Gedanke schwinden, zwischen ihm und seinem Volke muß volle Wahrheit und Aufrichtigkeit walten, dieser Punkt ist für David so zart, wie das Auge, das kein Stäubchen verträgt. Dadurch eben erreicht es nun auch David, daß die ganze ihn begleitende Schaar in die volle Mitempfindung seiner gesammten äußeren und inneren Lage hineingezogen wird. „David ging über den Bach Kidron und sodann den Oelberg hinan und er weinete, und sein Haupt war verhüllet und er ging barfuß und alles Volk, das mit ihm war, hatte sein Haupt verhüllet und gingen hinan und weineten“ (s. 2. Sam. 15, 23. 30). Denke aber nur Niemand, daß ein solcher innerlich geschlagener Haufe seine Sache bereits verloren giebt und schon vor der Schlacht besiegt ist! Eben deshalb, weil der gemeinsame Schmerz auf der tiefsten Wahrheit beruht und nicht bloß in der äußeren Lage der Dinge begründet ist, so finden wir, daß David in derselben Zeit Nichts übersieht, was seine Gefahr und Noth von ihm erheischt. Während David vor seinen Getreuen sein innerstes Herz ausschüttet und sein verwundetes Gewissen nicht verhehlt, trifft er Anstalt, die Empörer zu überlisten (s. V. 27. 28. 32-37), welcher Anschlag auch vollkommen gelingt (s. 2. Sam. 17). Und als David jenseit des Jordans angelangt ist, bietet er dem Aufruhr die Stirn und läßt es auf eine Feldschlacht mit dem Rebellenheer ankommen. Es ist seine Absicht, selber den Oberbefehl zu übernehmen, aber das um sein Leben aufs Aeußerste besorgte Volk läßt es ihm nicht zu, er übergiebt sodann, der Volksstimme, wie er ausdrücklich bekennt, nachgebend, die Führung seinen drei Feldherren und die einzige Weisung, die er ihnen vor den Ohren des ganzen Volkes ertheilt, ist die Stimme seines väterlichen Herzens: „fahret mir säuberlich mit dem Knaben Absalom“ (s. 2. Sam. 18,2-5). In dem Walde Ephraim kam es zu einer mörderischen Schlacht, die Rebellen werden geschlagen und Joab, der kaltblütige Politiker, nicht achtend des Königs väterliche Warnung, ersticht den verrätherischen Absalom, den er einst begünstigt hatte. Davids Freude über den Sieg vermag gar nicht aufzukommen vor dem Schmerz über seinen Sohn, er zieht sich zurück auf das Obergemach, weinet und ruft mit lauter Stimme: „mein Sohn Absalom, mein Sohn, mein Sohn Absalom, wäre ich doch gestorben an deiner Statt, Absalom, mein Sohn, mein Sohn“; David verhüllt sein Angesicht und immer aufs Neue läßt er mit lauter Stimme seine Klage ertönen (s. 1. Sam. 19, 1 - 5. nach Luther 2. Sam. 18, 33. 19, 1-4). Wir sehen hier wieder aufs Neue, David ist immer zuerst Mensch, dann König, feine reine und volle Menschheit ist die Basis und das Werkzeug seines Königthums, diejenige politische Theorie und Praxis, welcher jede beliebige Verkümmerung der menschlichen Persönlichkeit um des Königthums willen wenig oder nichts bedeutet, ist ihm vollständig fremd. Es kann nicht fehlen, daß er durch ein solches Verhalten zuweilen auf kurze Zeit sein Volk irre macht, schließlich aber erreicht er doch durch ein so rein menschliches Bezeigen, welches zuletzt doch immer jedem Gemüth und Gewissen verständlich werden muß, daß er sich zu seinem Volke eines Verhältnisses erfreut, wie es kein König weder vor ihm noch nach ihm aufzuweisen hat. Allerdings ist das Heer, welches aus der Schlacht heimkehrt und mit Dransetzung von Gut und Blut dem flüchtigen Könige sein Reich wieder gewonnen hat, über den maßlosen Kummer Davids aufs Höchste betroffen und Joab, der sich ohne Zweifel bewußt war, nach richtiger Auffassung der öffentlichen Lage gehandelt zu haben, nimmt sich die Freiheit, den König mit einem ernsten Worte an seine Regentenpflicht zu erinnern (s. 2. Sam. 19, 5-7). Und David ist kein starrsinniger Mann, jedes berechtigte Wort und kommt es auch von dem, der ihm im Augenblick der Verhaßteste ist, findet bei ihm offenes Ohr und bereiten Willen. David zeigt sich auf Joabs Zureden dem Volk und nun entsteht ein Wetteifer unter den Stämmen, den flüchtigen König heimzuholen, und nachdem nun auch noch ein kleiner Nachtrab der großen Verschwörung unter der Führung eines Benjaminiters durch Joab geschlagen ist, war das Königthum Davids wiederum in seine Macht und Ordnung eingesetzt (s. 2. Sam. 20, 23 - 26) und in Davids Seele ist Nichts von Bitterkeit und Mißtrauen gegen sein Volk zurückgeblieben.

Da es uns nicht auf die Vollzähligkeit aller Einzelheiten ankommt, sondern auf die Anschauung des Gesammtbildes der davidischen Persönlichkeit, so wollen wir uns jetzt der Betrachtung des Schlusses der davidischen Geschichte zuwenden. Der Schluß ist die scharfe Probe für das individuelle wie für das amtliche Leben und schon Mancher, der sonst brav geschienen, hat diese Probe nicht bestanden; David geht sowohl nach seiner Persönlichkeit wie nach seinem Königthum aus dieser Probe als ächtes und geläutertes Gold hervor.

David erreichte ein Alter von siebzig Jahren (s. 2. Sam. 5, 4. 1. Chron. 29, 27), grade das Maß, welches nach dem Liede Moses dem Menschenleben für gewöhnlich gesetzt ist (s. Ps. 90, 10). Aeußeres Leiden und innerer Kummer, welches Beides in vollem Maße über dieses Leben ausgeschüttet war, hat aber Davids Körper heftig angegriffen und er kann im Alter nicht mehr warm werden (s. 1. Kön. 1,1). David hat deshalb das unmittelbare Bewußtsein, daß des Lebens Kraft und Wärme zu Ende ist, er gehöret aber nicht zu den Unglücklichen, welche, je mehr sie merken, daß das Leben ihnen entrinnt, es desto leidenschaftlicher umklammern. Davids Alter wird zweimal als ein Gesättigtsein bezeichnet, „er war satt von Leben, Reichthum und Ehre“ (s. 1. Chron. 23, 1. 29, 28). Von Allem, was die Welt bietet, hat er genossen und nun ist er befriedigt, wissend, daß die Welt ihm Nichts mehr zu geben hat; das Gastmahl des Lebens hat er genossen, er ist bereit, aufzustehen und davon zu gehen. Sättigung ist etwas Anderes, als Ueberdruß; satt zwar ist David vom Leben, aber von diesem Ueberdruß, der, nachdem er sich am Leben übernommen, es widerwillig verachtet und schmäht, weiß er Nichts. Den kalten und welken Leib Davids beseelt ein Feuer des Geistes, welcher, so wie er bereits in den Tagen der Jugend die ewigen Güter des Lebens sich erwählte, nicht minder in den Tagen des Greisenalters das, was in der Welt das Bleibende ist, mit der ganzen Glut einer ewigen Liebe umfaßt. Ein schönes Denkmal dieses nicht alternden und ermattenden Geistes unseres Königs ist das kleine Lied, welches unter der Bezeichnung „Letzte Worte Davids“ uns überliefert ist (s. 2. Sam. 23, 1-7). Hier heißt es:

Hochspruch Davids des Sohnes Isais,
Hochspruch des Mannes, der hoch gestellt,
Der Gesalbte des Gottes Jakobs,
Der holdselige Sänger Israels.
Der Geist Jehovas redet durch mich
Und sein Wort ist auf meiner Zunge.
Wenn Einer herrscht über Menschen gerecht,
Wenn Einer herrscht in Gottesfurcht,
So ist es wie Licht am Morgen, wenn aufsteigt die Sonne,
Am Morgen ohne Wolken;
Vom Sonnenglanz und vom Regen ergrünet die Erde
Ist nicht also mein Haus bei Gott?
Denn einen Bund der Ewigkeit hat er mir gestiftet,
Versehen ist es mit Allem und behütet;
Denn was mein Heil ist und mein Wohlgefallen,
Läßt er es nicht sprossen?
Und heilloser wie gemiedener Dornstrauch sind jene Alle,
Denn nicht mit der Hand faßt man sie;
Und Einer, der ihnen nahet,
Hüllt sich in Eisen und Lanzenholz,
Verbrannt mit Feuer werden sie und hin sind sie.

Als Saitenspieler trat uns der bethlehemitische Hirtenjüngling zuerst entgegen, als der gefeierte Sänger Israels, verabschiedet er sich von uns. Welch ein wildes, schauerliches, prachtvolles Hochgebirge liegt zwischen diesen beiden weit getrennten stillen Endpunkten! Und doch spricht das Feuer der Jugend, und doch schwingt sich der Flügelschlag, der lebendigsten Phantasie, und doch pulsirt die volle Lebenskraft des Gedankens in dem Schwanengesang des greisen, Königs! Ist das die Kunst und Kraft seiner dichterischen Naturgabe? Als Goethe alt geworden und das Leben um ihn her rauh und unbehaglich war, da flüchtete er sich in den Liebesgarten des fernen Hafis. Nicht also David. Gegenstand seines letzten Liedes ist das Nächste und Unmittelbare, das wirkliche volle Leben, sein eigener nun vollendeter Beruf. Das ist nicht mehr die bloße Natur, sondern die Gabe der Natur verklärt durch die Kraft des ewigen Geistes. Das milde Abendroth eines guten Gewissens bestrahlet alle Höhen und Tiefen seines vielbewegten Lebens; in solcher Ueberschau erscheint ihm als der einzige würdige Gegenstand seines Liedes das eigentliche Geschäft seines Lebens, der Beruf des gerechten Herrschers unter den Menschen; über dieses höchste und herrlichste Werk der Menschheit verbreitet er in der ungeschwächten Kraft seiner jugendlichen Kunst die frischeste und lieblichste Farbenpracht. Nur dann konnte David es wagen, am Abend seines Lebens seinen königlichen Beruf vor den Ohren seines Volkes so volltönig zu preisen, nur dann konnte dieses Lied die Ehre erhalten, als letztes feierliches Wort des königlichen Sängers in den heiligen Urkunden Israels aufbewahrt zu werden, wenn nicht bloß sein eigenes Gewissen ihm das Zeugniß seines gerechten Regimentes ertheilte, sondern das Volk auch dieses Zeugniß aus eigener Anschauung und Erfahrung bekräftigte. Und was beweist bündiger, daß David bis in seine letzten Tage hinein das Scepter der Gerechtigkeit mit kräftiger Hand geführt hat, als das stammende Wort am Schlusse seines Liedes, welches die Bösen verzehrt, wie das Feuer die Dornen? So wie er von Anfang an gegen Ungerechtigkeit und Falschheit gekämpft, so bleibt sein Bogen straff gespannt, so lange es noch Heillose giebt unter den Menschenkindern.

Wir haben auch thatsächliche Beweise dafür, daß, obwohl David in der letzten Zeit unter den Beschwerden des Alters zu leiden hatte, er sein Königthum mit voller Kraft verwaltete. So weit er entfernt war, sein Königthum als einen Raub zu hüten, so fremd es ihm war, auf seinem königlichen Stuhl „sein Herz zu erheben über seine Brüder“, so willig und neidlos er die Selbstständigkeit seines Volkes und die Persönlichkeit jedes Einzelnen im Volke gelten und walten ließ, so wenig er jemals verschmähte, guten Rath von seinem Volke und von Einzelnen anzunehmen, er ist und bleibt doch bei alledem der König bis zu Ende. Selbst Batseba, selbst Natan wagen nicht anders dem vom Alter gebeugten David zu nahen, als mit Motten und Geberden der tiefsten Ehrerbietigkeit (s. 1. Kön. 1, 11-31). Und ein festes Wort Davids genügte, um die Usurpation des älteren Sohnes Adonia, zu dem sich selbst der gewaltige Joab gesellt, mit einem Schlage in Nichts aufzulösen (s. 1. Kön. 1, 7. 41-49).

Lassen Sie uns nun betrachten, wie David das Reich seinem Sohne Salomo übergeben hat. Zuvörderst ist zu beachten, daß David den ganzen Haushalt des Königreiches wohlgeordnet hinterläßt. Eine vornehmste Sorge wandte David auf Herstellung und Besserung des Gottesdienstes. Nicht bloß ordnete er die gottesdienstliche Liturgie, eine vollständige Neuerung, sondern auch den levitischen und priesterlichen Dienst brachte er in eine bestimmte Verfassung (s. 1. Chron. 23-26). Damit hing nun auch zusammen seine Fürsorge für den künftigen Tempelbau. Nichts lag ihm eigentlich so am Herzen, wie die Erbauung des Hauses Jehovas. Im 132. Psalm heißt es: Geschworen hat David dem Jehova, Ein Gelübde hat er gethan dem Starken Jakobs: Nicht gehen will ich in das Zelt meines Hauses, Nicht steigen auf das Bett meines Lagers, Nicht geben will ich Schlaf meinen Augen, Noch Schlummer meinen Wimpern, Bis ich finde eine Stäte für Jehova, Eine Wohnung für den Starken Jakobs. Obwohl ihm nun untersagt war, selbst den Bau des Tempels zu beginnen und dieses Werk ausdrücklich seinem Sohne vorbehalten blieb, so kann es David nicht unterlassen, diesen Bau der Zukunft auf alle Weise vorzubereiten. Wie nahe lag es David, als ihm sein liebster Wunsch versagt worden war, sich nun auch um diese Sache nicht weiter zu bekümmern! Und hätte irgendwie an seinem Plane, Jehova einen Tempel zu bauen, Eitelkeit oder Werkheiligkeit einen Antheil gehabt, gewiß hätte David nach dem Worte Natans sich widerwillig von dieser Sache abgewandt. Aber es ist der willige und freudige Geist, welcher David regieret und dieser treibt ihn, Alles zu thun, was zur Vorbereitung des künftigen Werkes dienlich sein kann. David bestimmte nicht bloß den Ort für den künftigen Tempelbau, sondern schaffte Material allerlei Art für dieses Unternehmen herbei (s. 1. Chron. 22. 28, II -19. 29, 2). Meistens aber haben Männer, die für außerordentliche Werke Begabung empfangen, für das Ordentliche und Gewöhnliche keinen rechten Sinn und Geschick. So ist es nicht mit David bestellt; bei ihm ist, wie es auch immer sein soll, die Sorge für das Große und die Treue im Kleinen Eins und dasselbe. Daß seine Bemühung um den Gottesdienst und den Tempelbau seine Fürsorge für eine stehende und wohlgeordnete Kriegsverfassung seines Volkes nicht ausschließt (s. 1. Chron. 27, 1-24), werden wir freilich von unserem Heldenkönig nicht anders erwarten. Aber wir erfahren außerdem auch, daß David einen reichen Schatz hinterläßt unter den Händen eines eigenen Schatzmeisters (s. 1. Chron. 27, 25. 29, 3. 4), daß er seine Domänen in guter Ordnung hielt und für seine Prinzen einen Hofmeister bestellte (s. 1. Chron. 27, 26-32).

Die ganze Kraft und Fülle des königlichen Herzens spricht sich aber am denkwürdigsten aus in den Reden und Ermahnungen, welche der König unmittelbar vor seinem Tode an seinen Sohn Salomo und an die Aeltesten in Israel richtet. Die Chronik vornämlich hat uns diese Reden aufbewahrt und da sie einen unverkennbar davidischen Charakter haben, so ist nicht zu zweifeln, daß die Chronik sie aus ihren Urkunden über Davids Geschichte (s. 1. Chron. 29, 29) entnommen hat. Betrachten wir zuvörderst die zusammenfassende Ermahnung, welche nach den Büchern der Könige David kurz vor seinem Tode an Salomo richtete. „Und es neigten sich die Tage Davids zum Sterben,“ heißt es 1. Kön. 2, 1-3, „und er that Befehl an Salomo seinen Sohn und sprach: ich gehe den Weg der ganzen Welt, so sei stark und sei ein Mann, und warte auf die Hut Jehovas deines Gottes, daß du wandelst in allen seinen Wegen, daß du haltest seine Satzungen, Gebote, Rechte und Befehle, wie es geschrieben steht im Gesetze Moses, damit du verständig seiest in Allem, was du thust, und allenthalben, wohin du dich wendest“. David weiß es, daß Unmännlichkeit auf dem königlichen Thron ein Laster ist, darum ermahnt der starke König seinen Sohn, vor Allem stark und mannhaft zu sein. Sodann, obwohl er nicht zweifelt, daß der reiche Segen, den Jehova seinem Sohne und seinem Hause verheißen hat, sich erfüllen werde, ist er weit entfernt, sich bei solcher Aussicht zu beruhigen, ihm steht es fest, daß der Segen Gottes immerdar von dem Gehorsam des Menschen bedingt ist, und daß das Königthum von dieser strengen Ordnung nicht absolvirt; und darum schärft er seinem Sohne mit allem Ernst eben dasselbe Gesetz ein, welches er als die Richtschnur des israelitischen Königthums für alle Zeiten erkannt hat. Eben dieser Gehorsam gegen das göttliche Gebot, sagt David, das ist die wahre Klugheit in allen Werken und an allen Orten. Nach der Chronik hat David eines Tages Salomo rufen lassen und ihm Befehl gethan über die Erbauung des Tempels; und nachdem er ihm den Zusammenhang dieser Angelegenheit auseinandergesetzt und ihm dieses Werk vor allen anderen ans Herz gelegt, ermahnt er ihn: „sei stark und kräftig, fürchte dich nicht und erschrecke nicht, erhebe dich, führe es aus und Jehova sei mit dir“ (s. 1. Chron. 22,13.16). Aber wie ein Strom stießt die Rede Davids, als er seinen letzten Reichstag hielt und vor den Obersten und Hauptleuten des ganzen Volkes wie vor seinem Sohne Salomo zum letzten Mal was vornämlich sein Herz bewegte kund that.

Die Chronik bemerkt, daß David diese letzte Rede vor der großen israelitischen Volksversammlung „stehend auf seinen Füßen“ gehalten hat (s. 1. Chron. 28, 2). David war bereits vor Alter schwach geworden, während der großen Bewegung, die Adonias Usurpationsversuch vernichtete und Salomos Thronbesteigung einleitete, lag David auf seinem Lager (s. 1. Kön. 1, 47). Jetzt aber in der letzten Reichsversammlung rafft David alle seine Lebenskraft zusammen, nicht sitzend auf dem Thron, sondern auf dem gleichen Erdboden will er seine letzte Ansprache halten. Dem entspricht auch seine Anrede: „höret mich an, meine Brüder und mein Volk,“ so beginnt der König. So wie er seine Waffengenossen als Brüder anredete, als sein Königthum noch verborgen war, so ist auch jetzt, nachdem sein Königthum vor ganz Israel und vor den Heiden offenbar geworden und vollendet ist, seine Sprache die gleiche geblieben. „Sein Herz hat sich nicht erhoben über seine Brüder.“ Nachdem der König die große Angelegenheit des Tempelbaues der Versammlung dargelegt, fährt er fort: „und nun vor den Augen des ganzen Israel, der Gemeinde Jehovas und vor den Ohren unseres Gottes: haltet und erforschet alle Gebote Jehovas, unseres Gottes, auf daß ihr besitzet das gute Land und es vererbet auf eure Söhne nach auch bis in Ewigkeit, und du Salomo, mein Sohn, erkenne den Gott deines Vaters und diene ihm von ganzem Herzen und mit williger Seele, denn alle Herzen erforschet Jehova und jedes Gedankengebilde verstehet er, wenn du ihn suchest, so wird er sich von dir finden lassen, und wenn du ihn verlässest, so wird er dich verabscheuen auf immer; schaue nun, denn Jehova hat dich erwählet, ein Haus zu bauen zum Heiligthum, sei stark, führe es aus (s. 28, 6 - 10); sei stark und kräftig, fürchte dich nicht und erschrecke nicht“ (s. V. 20). Wie das ganze Leben und auch der heilige Ernst dieser Worte erwarten läßt, so kann es nicht die Meinung Davids sein, daß der äußere Tempelbau an sich etwas Großes sei, dieser Tempelbau hat dann nur für ihn einen Sinn, wenn das ganze Volk an dem Werke und Zwecke dieses Baues sich innerlich betheiligt. Und darauf hinzuwirken ist die eigentliche Absicht der Reichsversammlung und der Worte Davids.

Nachdem er der ganzen Gemeinde vorgelegt, was er selber aus seinem Vermögen für den Tempelbau niedergelegt, „weil er Freude habe an dem Hause seines Gottes“,' fordert er Jeden auf, der sich freiwillig entschließen könne, seine Hand zu füllen am heutigen Tage für Jehova, seinem Beispiele nachzufolgen (s. 1. Chron. 29, 1-5). Ohne daß David nöthig hat, daran zu erinnern, mußte es die Gemeinde Israels merken, daß der König den Wunsch hege, es möchte sich jetzt in Gemäßheit der veränderten Lage in größerem Stile wiederholen, was einst in der Wüste zur Herstellung des ersten Heiligthums durch die freudige Opferwilligkeit Israels geschehen war (s. 2. Mos. 25, 1-8. 26, 5-29). Und das leuchtende Vorbild des Königs weckt in den Obersten des Volkes den Edelmuth dieser altisraelitischen Bereitwilligkeit, für das Heiligthum Jehovas das Beste, was vorhanden ist, mit Freuden darzugeben (s. V. 6-8). Diese Thatsache der freiwilligen reichen Darbringungen von Seiten der Ersten im Volke macht diesen Reichstag, zu einem wahren Hochfest, welches über den Schluß des davidischen Königthums eine unvergleichliche Glorie verbreitet.

Denn hierin zeigt sich tatsächlich, daß der liebste Herzenswunsch des Königs auch in den Herzen der höchsten Würdenträger lebendig ist. Es wird nicht nöthig sein, der eben so ergreifenden als schlichten Erzählung der Chronik Etwas hinzuzufügen. Die Chronik fährt folgendermaßen fort: „Und es freute sich das Volk über die Willigkeit der Obersten, daß sie von ganzem Herzen sich dem Jehova freiwillig dargeboten, und auch David der König freute sich mit großer Freude. Und David preisete Jehova vor den Augen der ganzen Gemeinde und David sprach: „gelobet seist du, Jehova, Gott Israels unseres Vaters von Ewigkeit zu Ewigkeit; dein ist die Größe und die Starke und der Ruhm und die Herrlichkeit und die Ehre, denn dein ist Alles im Himmel und auf Erden; dein ist das Königreich, Jehova, und du erhebst dich über Alles zum Haupte. Und Reichthum und Ehre kommt von deinem Angesicht, und du bist der Herrscher über Alles, und in deiner Hand ist Kraft und Stärke, und in deiner Hand ist es, groß und stark zu machen einen Jeden. Und nun, unser Gott, wir sind dankend vor dir und preisen den Namen deines Ruhmes. Denn was bin ich und was ist mein Volk, daß wir Kraft haben zu solcher Freiwilligkeit? Denn von dir ist Alles und aus deiner Hand geben wir es dir. Denn Pilgrimme sind wir vor deinem Angesicht und Beisaßen waren alle unsere Väter, wie ein Schatten gehen unsere Tage über die Erde und keine Hoffnung - Jehova, unser Gott, dieser ganze Haufe, den wir aufgerichtet, dir ein Haus zu bauen für den Namen deiner Heiligkeit, von deiner Hand ist es und dir gehört es Alles. Und ich weiß, mein Gott, daß du prüfest das Herz und hast Wohlgefallen an Rechtschaffenheit, ich habe in Aufrichtigkeit meines Herzens dieses Alles freiwillig gegeben, und nun dein Volk, das sich hier findet, mit Freuden habe ich gesehen, wie es freiwillig dir giebt. Jehova, Gott Abrahams, Isaaks und Israels unserer Väter, behüte dieses ewiglich, nämlich solches Dichten und Trachten des Herzens deines Volkes und mache fest ihr Herz gegen dich; und meinem Sohne Salomo gieb ein völliges Herz, zu halten deine Gebote, Befehle und Satzungen, daß er thue dieses Alles und baue das Haus, das ich vorbereitet habe. Und David sprach zu der ganzen Gemeinde: preiset doch Jehova, euren Gott, und die ganze Gemeinde preisete Jehova den Gott ihrer Väter, und sie verneigten sich und beteten an vor Jehova und vor dem König; und sie schlachteten Jehova Opfer und brachten Brandopfer für Jehova am Morgen nach demselbigen Tage, tausend Rinder, tausend Widder und tausend Schafe mit den Trankopfern und Dankopfern in Menge für das ganze Israel. Und sie aßen und tranken vor dem Angesicht Jehovas an demselbigen Tage mit großer Freude und machten zum König zum zweiten Mal (s. 1. Kön. 1) den Salomo, den Sohn Davids, und salbten ihn dem Jehova zum Fürsten und den Zadok zum Priester“ (s. 1. Chron. 29, 9-21).

„Und David entschlief mit seinen Vätern und ward begraben in der Stadt Davids“ (s. 1. Kön. 2, 10).

Wenn schon Friedrich Barbarossas kaiserliche Persönlichkeit und Waltung sich dem deutschen Gedächtniß so tief eingeprägt hat, daß bei jeder verhängnißvollen Wendung der deutschen Geschichte dieses Bild der Vergangenheit aufgerufen wird, wie viel mehr mußte es dem israelitischen Volke mit seinem König David so ergehen? Ein König, welcher so unter und mit seinem Volke gelebt hat, wie David, dessen Tag nach manchen Stürmen so rein und wolkenlos untergegangen ist, wie Davids, ein solcher König kann dem Gedächtniß und Herzen seines Volkes niemals wieder entschwinden. Als das Volk von Samuel einen König bat, folgte es nur einem blinden Instinkt, David hat seinem Volke durch die That ein für allemal deutlich gemacht, was das Königthum Israels ist, er hat als König dem Volke einen neuen Geist eingeflößt und darnach Israel auf eine höhere Stufe des Daseins erhoben und somit diejenige Form und Gestalt der Verfassung geschaffen, welche für die Vollendung des Ganzen in Ansehung Israels sowohl wie in Rücksicht auf die Heiden das nothwendige Organ sein wird. David ist das geheiligte Vorbild, nach welchem alle späteren Könige Israels beurtheilt und abgeschätzt werden; je nachdem sie dem Vater David gefolgt sind oder nicht, galten sie für gut oder böse. Und je mehr sich das Königthum und das davidische Haus verderbte, desto stärker erwachte die Sehnsucht nach David. Einzelne Prophetenstimmen scheinen die Hoffnung der völligen Wiederherstellung Israels sogar an die Wiederkunft Davids selber zu knüpfen. „Darnach,“ schreibt Hosea, „werden die Söhne Israels sich bekehren und werden suchen Jehova ihren Gott und David ihren König“ (s. Hos. 3, 5). Ebenso sagt Jeremia von der Vollendung Israels: „und sie werden dienen Jehova ihrem Gott und David ihrem König, den ich (Jehova) ihnen erwecken werde (s. 30, 9). Beim Ezechiel spricht Jehova also: „ich Jehova will ihnen Gott sein und mein Knecht David Fürst in ihrer Mitte“ (s. 34, 24); „und mein Knecht David wird König sein über sie und der einige Hirte für sie Alle, und David, mein Knecht, wird ihnen Fürst sein ewiglich“ (s. Ez. 37. 24. 25). Die Entstehung dieser Vorstellung von einem dereinstigen und Alles abschließenden Wiederkommen Davids ist nicht schwer zu verstehen. Durch seine schöpferische Persönlichkeit und Geschichte ist Davids Name mit dem Königthum Israels so verwachsen, daß es begreiflich erscheinen muß, wenn israelitische Männer den König der vollendenden Zukunft mit keinem andern Namen zu bezeichnen wissen. Die gewöhnliche Vorstellung von der Zukunft des israelitischen Reiches ist jedoch eine etwas andere, sie schließt sich an das Wort Natans von dem ewigen Königthum des davidischen Hauses. Auf Grund dieses Wortes bildet sich in Israel der Gedanke aus, daß der Alles vollendende König Israels der wahre Sohn Davids sein werde. Auf den Sohn Davids lautete Natans Verheißung, der werde eben das vollenden, was dem Vater versagt sei, der werde das Haus Jehovas bauen, was David immer als das höchste und abschließende Werk seines königlichen Amtes vorschwebte. Nun hatte David viele Söhne und Mehrere unter ihnen führten sich recht unköniglich auf, Salomo aber, der Sohn der Batseba, war der Auserwählte. Dieser führt nun auch wirklich das von David ersehnte Werk, den Bau des Tempels, aus, aber darnach weicht er von den Wegen Jehovas ab und es wird offenbar, daß er nicht der Vollender des israelitischen Königthums sein kann, daß er also noch nicht der Idee des wahren Sohnes Davids, welcher berufen ist, auszuführen, was dem Vater nicht möglich, entspricht. Und die weitere Geschichte des davidischen Hauses ändert darin so wenig, daß sie die Aussicht auf die Zukunft nur immer mehr verfinstert. Es giebt einzelne Könige der davidischen Dynastie, welche dem Ahnherrn nachzufolgen sich beeifern, aber ohne einen offenbaren Mangel ist auch Keiner von diesen geblieben; die meisten Davididen entarteten aber je länger desto mehr von dem Geiste und Wesen des großen Königs, so daß auch das davidische Königshaus von dem Geschick der allgemeinen menschlichen Verderbtheit keine Ausnahme macht. Jedoch ein Unterschied bleibt. Das Volk Israel ist von Anfang an gegründet und gestiftet, um dem Strom des allgemeinen Verderbens einen Damm entgegenzustellen; das eben ist der göttliche Gedanke und Rathschluß innerhalb der Weltgeschichte; daher diesen göttlichen Gedanken hinweggedacht, wird alle Geschichte sinn- und ziellos, höchstens ein Progress in intinituis, ein Fortschreiten ins Unbestimmte, bei dem man sich nur beruhigen kann, so lange man mit seiner eigenen Bestimmung keinen vollen Ernst macht. Daß aber dieser Gottesgedanke, diese heilige Bestimmung Israels sich behauptet, ergiebt sich daraus, daß die allgemeine menschliche Verderbtheit, dieses Grundhemmniß aller geschichtlichen Bewegung, in Israel eingelassen wird und sich eben hier vollendet, ohne daß das endliche Ziel des Gottesvolkes dadurch unsicher und zweifelhaft wird. Ist Israel aber in sich selbst verderbt, also in seinem Volksthum zerrüttet und aufgelöst, so kann es sein Ziel nur erreichen, wenn sein Volksthum wieder hergestellt wird, was, wie wir gesehen, nur durch den wahren König geschehen kann. Deshalb ist seit Davids Tagen die Zukunft Israels bedingt durch das Königthum, welches eben das Königthum des davidischen Hauses ist. Wenn nun also, wie bemerkt, das allgemeine Verderben sich auch des davidischen Hauses bemächtiget, so kann die Zukunft dieses Hauses, mithin die Zukunft Israels, mithin der Gedanke und das Ziel aller Menschheitsgeschichte nur dadurch gesichert sein, daß die Macht des allgemeinen Verderbens eben auf dem Grund und Boden des davidischen Hauses gebrochen und überwunden wird, was offenbar nur so geschehen kann, daß die Macht des Geistes, gestützt auf sich selber, alle natürlichen und nothwendigen Folgen und Wirkungen des allgemeinen Verderbens außer Kraft setzt und vernichtet. Und das eben ist die alttestamentliche Hoffnung für die Zukunft des davidischen Hauses. Diese Hoffnung ist nicht eine fleischliche, sondern eine heilige; darum wird, sintemal die rechte Gesinnung aus dem davidischen Hause immer mehr verschwindet, die gesammte Aeußerlichkeit dieses Hauses, seine königliche Macht und Herrlichkeit, seine Vergangenheit und Gegenwart völlig preisgegeben: der prachtvolle Baum des davidischen Königreichs ist abgehauen und Nichts ist mehr übrig, als die im Erdboden verborgene Wurzel, welche daher auch nicht anders benannt werden kann, als mit dem bescheidenen Namen Isais, des Hirten von Bethlehem, der sich vom Königthum noch Nichts träumen ließ (s. Jes. 11, 10). Aber auch die ganze königliche Gewalt und Herrlichkeit auf der Davidsburg Zion ist wiederum zurückgeführt auf ihren ersten unscheinbaren Ausgangspunct, nämlich zu dem Heerdenthurm bei Bethlehem, von welchem aus David seines Vaters Schafe hütete und schützte, ehe Samuel mit seinem Oelhorn nach Bethlehem kam (s. Micha 4, 8. 5, 1). Sowie wir als die vornehmste Eigenthümlichkeit des davidischen Königthums dieses erkannt haben, daß dieser königliche Thron sich erbaut auf der Grundlage der königlichen Gesinnung und Persönlichkeit, die sich in den größten Versuchungen vor den Augen des ganzen Volkes bewährt, so soll das davidische Königthum, das bedeutet offenbar, diese prophetische Aussicht, noch einmal diesen Weg von innen nach außen betreten und zwar muß dieser Weg, da die allgemeine Verderbtheit in Israel inzwischen sich zu einem völligen Abfall gesteigert hat, zum zweiten Mal noch tiefer, innerlicher und geistiger angelegt sein, als das erste Mal. Bei aller Verherrlichung Davids bleibt doch immer die unübersteigliche Schranke, daß er den Tempel Jehovas nicht bauen darf, obwohl dieses Werk recht eigentlich ein königliches ist. Worin ist diese Schranke der Persönlichkeit Davids begründet? Ohne Zweifel darin, daß der Geist Jehovas, welcher ihn für das königliche Amt geweihet hat, erst dann seine heiligende Macht über ihn ausbreitet, als er bereits eine menschliche Persönlichkeit geworden war. Als David seine Sünde am tiefsten erfahren und erkannt hatte, da fühlte er es selber und bekannte es, daß der Keim seiner Verderbtheit zurückgehe bis zu seiner Geburt (s. Ps. 51, 7). Also lag die letzte Ursache aller Mangelhaftigkeit, welche der Persönlichkeit Davids noch anhaftet, nach seinem eigenen Geständniß in dem Naturgrunde seiner Geburt. Soll denn nun der Sohn Davids das Königthum wirklich vollenden, soll er sowohl das Verderben des davidischen Hauses, als das des israelitischen Volkes vollständig überwinden, so muß er nicht bloß mitten in seinem Leben, sondern von Geburt an geheiligt werden. Darum verweisen die Propheten für den künftigen Sohn Davids nicht nur auf eine neue Salbung, sondern auch auf eine neue und heilige Geburt.

Sie sehen, verehrte Freunde, wir sind an dem Faden unserer Geschichte wieder da angelangt, von wo wir mit einander ausgingen, und ich denke, es wird Ihnen jetzt einleuchten, warum ich Ihnen in dieser Zeit des herannahenden Weihnachtsfestes die Geschichte Davids vorgeführt habe. Lassen Sie uns aber nun noch einen Augenblick zurück und vorwärts schauen, dann wird Ihnen meine Absicht noch verständlicher werden.

Jesus von Nazareth ist der Sohn Davids im vollen und schließlichen Sinn des Wortes, denn er, dem Hause Davids durch seinen legitimen Pflegevater Joseph angehörend, ist von der Jungfrau Maria nicht in Sünde, sondern heilig geboren. Darum sagt der Engel, daß dieser den Thron seines Vaters David inne haben und seines Königreiches kein Ende sein wird. Da sich im Laufe der Jahrhunderte noch viel deutlicher gezeigt hat, daß David die Aufgabe seines Königthums, das Volk Israel herzustellen, nicht erreicht hat, andererseits aber durch die Geschichte des Königthums unter Juden wie Heiden gleichfalls klar wird, daß David wie kein anderer König in seinem Leben und Walten das wahre Ziel alles Königthums vor Augen hat und mit allen Kräften anstrebt, so vereinigt sich dieses Beides darin, daß Davids Geschichte sich als das Schema, den Typus oder das Vorbild darstellt, welches von dem Sohne Davids verwirklicht werden soll. Das ist der biblische, acht geschichtliche Gesichtspunkt, von welchem aus das Leben Christi angeschaut sein will, und auf diesem Standpunkt der Betrachtung wird das Wunder aller Wunder ein organisches und fest eingefügtes Glied in der Geschichte der Menschheit. Wie David sein Königthum dadurch erwarb und gründete, daß er vor dem Volke seine königliche Gesinnung und Persönlichkeit bewährte, indem er überall die Einheit des zerrissenen Volkes lebendig in sich trug und aus der Kraft dieser Einheit des Volkes handelte, so wandelt auch Jesus als der Sohn Davids denselben Weg der persönlichen Bewährung zu dem Throne seines ewigen Königreichs. Während aber die Geschichte Davids beweist, daß er von der allgemeinen menschlichen Verderbtheit, diesem Untergrunde aller Zerrissenheit und Zertrennung, nicht ganz frei war und daher auch den Schaden Israels gründlich und bleibend zu heilen unvermögend blieb, zeigt sich in der Geschichte Jesu, des Sohnes Davids, das Gegentheil: Jesus beweist und bewährt den Geistesgrund seines menschlichen Daseins damit, daß er alle menschliche Versuchung an sich herankommen läßt und auf dem Grunde seines inneren Lebens und Willens so überwindet, daß keine andere Spur bleibt, als das Denkmal seines Sieges und seiner sich durch alle Zeiten und Räume fortpflanzenden Siegesmacht. Jesus besteht die Probe der ewig gültigen Bewährung seiner königlichen Gesinnung, er vergießt kein Blut, wie David, sondern läßt es geschehen, daß sein Blut von den Juden und Heiden vergossen wird; er läßt die vollendete Bosheit der Menschheit über seinen Leib und seine Seele ergehen und indem er sie überwindet, hält die Kraft seiner Liebe zu seinem Volke und zu der Menschheit unerschütterlich Stand und stellt damit in demselben Augenblick, in welchem die Welt sich in ihre Atome auflöst, die zerrissene Menschheit wieder her. Darum ist für ihn das Kreuz die Vorstufe seines himmlischen Thrones, und weil er mit dem dem davidischen entgegengesetzten Blutvergießen in das Heiligthum eingeht, hat er Macht, den wahren Tempel zu bauen, nämlich die Gemeinde des Geistes.

Die weitere Ausführung dieser lehrreichen und fruchtbaren Parallele will ich Ihrem Nachdenken und Ihrer Andacht überlassen. Ich würde mich glücklich schätzen, wenn es mir gelungen wäre, den heiligen Gegenstand der bevorstehenden Festfeier durch diese alttestamentlichen Betrachtungen Ihrem Geiste verständlicher und Ihrem Gemüthe zugänglicher gemacht zu haben. Hätte ich dieses erreicht, so bin ich gewiß, daß sowohl die nächste Weihnachtsfeier als auch alle, welche Gott Ihnen noch schenken wird, nicht ohne bleibende und ewige Frucht für Ihre Seele vorübergehen wird.

Mit dem herzlichen Wunsche, daß uns Allen das nahende Fest zur bleibenden Freude gesegnet sein möge, will ich diese unsere gemeinsamen Betrachtungen schließen.

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