Arndt, Friedrich - Das Leben Jesu - Elfte Predigt. Aussendung der Apostel. (Fortsetzung.)

Arndt, Friedrich - Das Leben Jesu - Elfte Predigt. Aussendung der Apostel. (Fortsetzung.)

Text: Matth. X., V. 16-25.
Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wolfe: darum seid klug, wie die Schlangen, und ohne Falsch, wie die Tauben. Hütet euch aber vor den Menschen; denn sie werden euch überantworten vor ihre Rathhäuser, und werden euch geißeln in ihren Schulen. Und man wird euch vor Fürsten und Könige führen um meinetwillen, zum Zeugniß über sie, und über die Heiden. Wenn sie euch nun überantworten werden, so sorget nicht, wie oder was ihr reden sollt; denn es soll euch zu der Stunde gegeben werden, was ihr reden sollt, Denn ihr seid es nicht, die da reden; sondern eures Vaters Geist ist es, der durch euch redet. Es wird aber ein Bruder den andern zum Tode überantworten, und der Vater den Sohn, und die Kinder werden sich empören wider ihre Eltern, und ihnen zum Tode helfen. Und müsset gehasset werden von Jedermann, um meines Namens willen. Wer aber bis an's Ende beharret, der wird selig. Wenn sie euch aber in einer Stadt verfolgen, so fliehet in eine andere. Wahrlich, ich sage euch: ihr werdet die Städte Israels nicht ausrichten, bis des Menschen Sohn kommt. Der Jünger ist nicht über seinen Meister, noch der Knecht über den Herrn. Es ist dem Jünger genug, daß er sei wie sein Meister, und der Knecht wie sein Herr. Haben sie den Hausvater Beelzebub geheißen, wie vielmehr werden sie seine Hausgenossen also heißen?

Wir haben in der vergangenen Woche in diesem Heiligthum das herzerhebende Missionsfest gefeiert. An dieses Fest schließen sich die verlesenen Worte unmittelbar an; denn die ersten Missionare der Christenheit sind die Apostel. Freilich rollen diese Worte ein ernstes, düsteres Gemälde vor uns auf. Es ist, als ob sie in weiter Ferne ein schweres Gewitter anmeldeten, das schweigend am Horizont aufsteigt und mit unheilvollen Entladungen die weite Umgebung bedroht. Es ist, als ob an einem kranken Leibe eine lebensgefährliche Operation vorgenommen werden soll, und die gefürchtete Stunde immer näher heranrückt und das Gemüth in Spannung erhält. In der That, wie liebevoll und schonend der Herr ist, Er ist nicht minder wahr und offen, und läßt Seine Jünger keinen Augenblick im Zweifel über ihre Zukunft in Seinem Dienste. - Gewiß war den Aposteln beklommen zu Muthe, als ihnen diese Aussichten eröffnet wurden; sie wurden durch sie erinnert an Daniel in der Löwengrube, an Sadrach im Feuerofen, an David auf seiner Flucht in die öde Wüste, an die Märtyrer ihres Volks zur Makkabäerzeit; dennoch bebten sie nicht zurück, gingen fest und muthig, wohin der Herr sie sandte, legten entschlossen Hand an's große Werk, zeugten unter unvergleichlichen Beweisungen des Geistes und der Kraft von ihrem Herrn und Heilande, und gewannen Ihm große Schaaren zur Beute. - Nachdem wir den Wirkungskreis, die Botschaft, die Ausrüstung und das Verfahren der Apostel besprochen haben, machen wir uns heute mit ihren Gefahren bekannt in der Ausrichtung ihres apostolischen Berufs, und erwägen l) die Art dieser Gefahren nebst ihrem Verhalten unter denselbigen, und 2) ihren großen Segen.

1.

Bei der ersten Aussendung der Apostel trat wahrscheinlich noch wenig von dem ein, was Jesus ihnen im Texte als bevorstehend verkündigte. Nichts desto weniger macht sie Jesus schon bekannt mit allen Gefahren und Drangsalen, welche in ihrem eigentlichen späteren, apostolischen Beruf nach Seiner Himmelfahrt ihrer harren würden; nicht etwa, um sie einzuschüchtern und abzuschrecken, wohl aber, um sie zur Selbstprüfung und Befestigung in ihrem neuen Berufe zu veranlassen. „Siehe,“ spricht Er, „ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe,“ täuscht euch demnach nicht über eure Zukunft, denkt euch die Welt und die Menschen, unter welche ihr eintretet, nicht zu gutgesinnt und zu zuvorkommend; reiniget euch vielmehr von allen überspannten irdischen Welthoffnungen; nicht glänzende Tage voll Beifall und Anerkennung warten euer; Tage des Kampfes, der Leiden, der Thränen und Gebete stehen euch bevor; und diese Trübsale werden etwa keine Ausnahme bloß bilden in eurem Lebensgange, sie werden die Regel ausmachen. Es ist wahr, ihr tretet in die Welt ein wie die Schafe und wie die Lämmer (Luc. 10,3.); aber die Welt tritt Wolfsmäßig euch gegenüber. Somit werdet ihr dastehen wie die Wehrlosen unter den Starken, wie die Blöden unter den Zudringlichen, wie die Sanften unter den Wüthenden, wie die Arglosen unter den Listigen, wie die Nützlichen unter den schädlichen und Verderben bringenden Feinden. Zwar sie werden nicht immer ihre Wolfsnatur enthüllen, sondern vielmehr im Anfang oft Schafskleider anlegen und sich euch freundlich und wohlwollend bezeugen, um euch zu täuschen; aber trauet ihnen nicht, es ist nur Verstellung; inwendig sind sie doch reißende Wölfe, die euch hassen, beleidigen, tödten und zerfleischen wollen. Darum waffnet euch mit den rechten Waffen, diesen wüthenden Feinden gegenüber.

Mit welchen Waffen? Gewiß nicht mit den Waffen der Welt, als ob ihr Gleiches mit Gleichem vergelten wolltet; wie Christi Reich nicht von dieser Welt ist, so dürfen auch die Waffen Seiner Diener nicht von dieser Welt sein. „Seid klug wie die Schlangen, und ohne Falsch wie die Tauben,“ oder, wie Paulus schreibt (Röm. 16,19.), seid weise auf's Gute und einfältig auf's Böse. Nicht das Eine oder das Andere, sondern Beides zusammen: Schlangenklugheit und Taubeneinfalt; Klugheit des Geistes und Einfalt des Herzens; eine Klugheit, die klar sieht und sich nichts Falsches einbildet, die die drohenden Gefahren und Schwierigkeiten kennt, die Geister prüft und sich nicht bethören läßt, des Feindes List durchschaut und wie die Schlange ihn schon von fern in's Auge faßt, und die Herzenseinfalt, die ohne Arg in frommer Treuherzigkeit und bestem Vertrauen auch dem Feinde entgegenkommt und auch ihm dienen möchte in Liebe; die Schlangenklugheit in der Wahl der Mittel, um Satans List zu entkräften, die Taubeneinfalt in dem Zweck der göttlichen Liebe, um das Böse mit Gutem zu überwinden; die Schlangenklugheit, die sich nicht betrügen und schaden läßt, und die Taubeneinfalt, welche Anderen nicht schaden und betrügen will; die Schlangenklugheit, die, auf dem einen Wege abgewiesen, auf einem andern wiederkommt und dasselbe versucht, und die Taubeneinfalt, die niemals einen unerlaubten einschlägt; die Schlangenklugheit, die, wie Paulus, den Juden ein Jude und den Griechen ein Grieche wird, um sie Alle zu gewinnen, und die Taubeneinfalt, die dabei die Wahrheit niemals verläugnet; die Schlangenklugheit, die die Gefahr um des Evangeliums willen nicht muthwillig aufsucht, noch unvorsichtig sich hineinstürzt, und die Taubeneinfalt, die sie aber auch nicht scheut und, wo es gilt, Gut und Blut mit Freuden für den Herrn wagt. Schlangenklugheit ohne Taubeneinfalt würde leicht das Herz falsch und arg, listig und schleichend machen; Taubeneinfalt ohne Schlangenklugheit würde leicht nutzlos sich selbst opfern und dem Ganzen mehr schaden, als nützen. Unstreitig ist es schwer, sehr schwer, Beides miteinander zu vereinigen; aber Er selbst, unser Herr, hat Beides an Sich vereinigt und Er kann und will auch uns die Kraft geben, diese Vereinigung zu vollziehen und zu üben.

Er zeigt uns auch gleich im Texte, wie den drohenden Gefahren gegenüber Seine Jünger beide Tugenden zu beweisen hätten, die Schlangenklugheit, indem sie sich hüteten vor den Menschen, und die Taubeneinfalt, indem sie dabei keiner Sorge Raum gäben in ihrem Herzen.

„Hütet euch aber vor den Menschen!“ spricht Er, trauet nicht Allen gleich beim ersten Blick und Wort, haltet nicht Alle für ebenso aufrichtig und gutgesinnt, wie ihr selbst seid, seid vorsichtig und bedenklich, wann ihr reden und wann ihr schweigen, wann und was ihr Einem vertrauen und was ihr verbergen, wann ihr streng und wann ihr sanft handeln, wann ihr euch unthätig verhalten und wann ihr dem Bösen scharf entgegentreten sollet; beherzigt Sirach's Wort: „Halt's mit Jedermann freundlich, vertraue aber unter Tausenden kaum Einem.“ (6,6.) Hütet euch vor den Menschen! Vorhin hatte der Herr gesagt: „Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe;“ und nun neunt Er dieselben, die Er vorher Wölfe genannt, Menschen, als ob Beides Ein und dasselbe wäre und des Menschen Natur darin bestände, wolfsartig zu beißen und zu tödten. Hätte Er, der Mund der ewigen Wahrheit, es nicht gesagt, wir würden Anstand nehmen, diese Behauptung auszusprechen. Aber Er hat's gesagt; Er hat keine vortheilhaften Vorstellungen von dem Wesen der menschlichen Natur gehabt; Er hat uns nicht gut genannt von Natur; Er hat vielmehr uns vor Unsersgleichen wie vor Wölfen gewarnt. Ach, und die Erfahrung bestätigt leider nur zu sehr die Wahrheit Seiner Behauptung. Waren es denn nicht Menschen, von menschlichem Blute abstammend, mit menschlichen Eigenschaften begabt, zu menschlicher Bestimmung berufen, die Ihm und Seinen Jüngern so viel Uebeles thaten, die der göttlichen Wahrheit widerstrebten, die den Herrn der Herrlichkeit kreuzigten, die die Apostel, als wären sie der Abschaum der Menschheit, bis in den Tod verfolgten? Und ist das nicht schrecklich, daß der Mensch unter wilden Thieren oft sicherer sein kann, als unter seinen Brüdern? Waren es nicht Menschen, von denen Jesus sagt, daß sie die Apostel als Ruhestörer überantworten würden vor ihre Rathhäuser und Gerichtshöfe, daß sie sie als Ketzer und Irrlehrer geißeln würden in ihren Schulen und Synagogen, daß sie sie als Verbrecher vor Könige und Fürsten schleppen würden um Seinetwillen, um ihr Todesurtheil zu erlangen, zum Zeugniß über sie und über die Heiden, so daß Niemand nachher eine Entschuldigung haben könne, als sei ihm das Evangelium nicht gepredigt worden? Und ist diese Vorhersagung nicht später nur zu buchstäblich und treu eingetroffen? Wer schildert all' den Jammer, all' das Elend, all' die Schmach und Schande, all' den Spott und Hohn, all' die Körper- und Seelenleiden und den qualvollen Tod, den die treuen Jünger des Herrn als Lohn für ihr liebevolles Zeugniß in der Welt erhalten haben? O es ist über alle Maßen traurig, daß Menschen gegen Menschen, daß Menschen gegen Gott selbst so handeln konnten! Man sollte meinen, jeder Mensch hätte einen angeborenen Zug zu seinem Ursprung hin; aber nein, das Himmlische zieht ihn nicht an, es stößt ihn zurück; es hebt ihn nicht empor, es läßt ihn kalt und gleichgültig; er, flieht von Natur und hat eine tiefe, tiefe Scheu vor göttlichen Dingen, vor Gottes Wort, Kirche und Gebet, vor Tod, Gericht und Ewigkeit, vor jeder Mahnung an eine unsichtbare Geisterwelt, und vor dem Amte, das die Versöhnung predigt, daß er demselben gern aus dem Wege geht, und, wenn es sich gleichwohl ihm aufdrängt, es feindlich angreift und verfolgt, als wäre es sein unerbittlicher Feind. So groß ist seine Verblendung, so tief eingewurzelt seine Neigung zur Welt und zur Sünde. O daß wir uns denn hüten lernten vor den Menschen und vor allem Wolfsartigen an ihnen und an uns selbst! Es ist ein Jammer, daß es so mit den Menschen steht; aber eben darum ist die Schlangenklugheit hier ganz an ihrer Stelle.

Doch sollen wir darum nicht ängstlich und bange werden, sondern mit der Schlangenklugheit die Taubeneinfalt verbinden, die von den Menschen weg auf Gott den Herrn sieht und in Ihm Ruhe wie Kraft, Weisheit wie Festigkeit sucht und findet. Jesus fährt fort: „Wenn sie euch nun überantworten werden, so sorget nicht, wie oder was ihr reden sollt; denn es soll euch zu der Stunde gegeben werden, was ihr reden sollt. Denn ihr seid es nicht, die da reden, sondern eures Vaters Geist ist es, der durch euch redet.“ Das war allerdings ein wichtiger und wohl zu erwägender Gegenstand, wenn sie vor die Rathhäuser, Schulen, Könige und Fürsten geführt werden sollten, ob sie, die ungelehrten Fischer und Zöllner, auch im Stande sein würden, Rede und Antwort zu geben, auf die erhobenen Anklagen ihre Person und Sache würdig und stegreich zu vertheidigen, ihre vollkommene Unschuld und Gerechtigkeit darzulegen, und auf das Seelenheil ihrer Ankläger und Richter Bedacht zu nehmen. Es war dies um so wichtiger, als sie es mit Feinden und Obrigkeiten zu thun hatten, die, im Besitz jeder List und Macht, alle Verläumdungen und Ungerechtigkeiten gegen sie in Anwendung bringen, aus jedem bösen Schein und unbedachtsamen Worte Gift saugen, ihre Worte ihnen im Munde verdrehen und zu neuen Anklagen gegen sie umstempeln würden. Hatten Jene es doch mit Christo schon so gemacht und Ihm das Einfachste und Natürlichste in's Gehässigste ausgelegt, Seinen Frohsinn geschmäht, Seine Wunder verdächtigt, Seine Sünderliebe verunglimpft, Seine Wohlthaten verhöhnt und verspottet. Was ließ sich von solchen boshaften und tückischen Gegnern nicht Alles erwarten? Selbst wenn die Apostel die Gabe der Rede oder Fürsprache, Gelehrsamkeit, Geld, Geistesgegen. wart, Gewandtheit im Verkehr mit den Menschen, den Hohen und Niedrigen, besessen hätten, wie sie sie nicht besaßen: es war keine kleine Aufgabe, immer zur rechten Zeit das Rechte zu sagen und in ihrer Rede allezeit lieblich und mit Salz gewürzet zu sein. - Da beruhigt sie nun der Herr und versichert ihnen, ein höherer Geist, der heilige Geist, würde ihnen zu Hülfe kommen und ihnen geben, was sie bedürften und von Natur nicht besäßen; sie sollten daher völlig sorgenfrei sein, rechte Taubeneinfalt üben, recht kindlich und gläubig sich dem Herrn hingeben und den stillen Sabbath der Seele sich durch nichts stören lassen; nicht sorgen, sondern beten, hoffen und Glauben halten. O und wie hat der Herr Wort gehalten! Als Stephanus vor dem hohen Rathe stand und sie die Zähne vor Wuth über ihn zusammenknirschten: ist's ihm nicht gegeben worden, zu reden gewaltig und freimüthig, und haben sie nicht Alle auf ihn sehen müssen, wie auf eines Engels Angesicht? Als Petrus und Johannes vor Gericht standen wegen der Heilung des Lahmen am Tempel und wegen ihrer Predigt vom Gekreuzigten und Auferstandenen: ist's ihnen nicht gegeben worden, zu zeugen mit großer Freudigkeit: „Es ist in keinem Andern Heil, auch kein anderer Name den Menschen gegeben, darin sie sollen selig werden, denn allein der Name Jesu Christi; und wir können es nicht lassen, daß wir nicht reden sollten, was wir gesehen und gehört haben“, so daß sie mußten sie gehen lassen und nicht fanden, wie sie sie peinigen sollten? Als Paulus vor den Pharisäern und den Sadducäern, vor dem Landpfleger Felix und dem Könige Agrippa, sich rechtfertigen mußte wegen seines Glaubens und seiner Lehre: ist's ihm nicht gegeben worden, das Schwert des Geistes zu führen mit siegreicher Kraft und unwiderleglicher Gewißheit? Als Huß vor seinen blutdürstigen Richtern zu Koßnitz und Luther zu Worms vor Kaiser und Reich Zeugniß ablegte: ist's ihnen nicht gegeben worden, die Wahrheit mit aller Glaubenszuversicht zu bekennen und selbst ihren Feinden Achtung und Bewunderung abzuzwingen? Wahrlich, der Herr hat die Seinen in keiner Gefahr verlassen; gegen alle Anklagen hat Er sie vertheidigt, über alle Feinde hat Er sie stegreich gemacht, zu den herrlichsten Triumphen des Glaubens hat Er sie geführt, die weite Welt hat Er ihnen als Schauplatz ihrer Freude zu Füßen gelegt.

Doch nun wird das Gemälde düsterer, die Donner rollen furchtbarer, das Messer, das Er in Seiner Hand hält, schneidet tiefer. Er spricht: „Es wird aber ein Bruder den andern zum Tode überantworten, und der Vater den Sohn, und die Kinder werden sich empören wider ihre Eltern und ihnen zum Tode helfen.“ Auch in das Heiligthum des Hauses wird der Haß des Unglaubens - denn der Unglaube ist allemal unduldsam - eindringen und die zartesten Bande der Familie auflösen, die angeborne Liebe der nächsten Verwandten zueinander ersticken und nichts unangetastet lassen von der Wuth des antichristlichen Wesens. Ach und das sind die bittersten Erfahrungen des Lebens, wenn im Hause jeder Blick ein Dolch, jedes Wort eine Geißel, jede Handlung ein Spieß und Schwert ist, und die hier äußerlich zusammengehen, innerlich voneinander geschieden bleiben, und die ihr Leben hindurch eine Straße ziehen, nach dem Tode sich werden trennen müssen auf ewig. Ach, wie Mancher unter uns mag bis auf diese Stunde solch Hauskreuz' zu tragen haben, und im Stillen darüber seufzen und weinen Tag und Nacht! - „Und müsset gehaßt werden von Jedermann um meines Namens willen“, von Jedermann! Entsetzliche Aussicht! Wohin der Blick sich wendet, überall Feinde, nirgends einen Freund. Flüchten sie in die Häuser: die eigenen Hausgenossen Feinde! Tuchen sie Schutz bei Gericht: die Gerichtshöfe und Rathhäuser, die Fürsten und Könige nicht minder Feinde! Nirgends ein sicheres Obdach, nirgends Gerechtigkeit und Liebe. Die ganze Welt ein Kampfplatz, das ganze Leben ein fortwährender Streit nach außen und innen. Nie Friede, nur Waffenstillstand; nie Ruhe, immer Arbeit. O wäre das Christenthum nur Menschen- und nicht Gotteswerk gewesen, es hätte diese allgemeinen Feindschaften niemals überwältigen können.

2.

Indeß diese Trübsale und Gefahren werden nicht verhängt, um den Jüngern das Leben bitter zumachen, sondern sie zu segnen für Zeit und Ewigkeit. Nicht groß genug kann uns die heilige Schrift den Segen derselben anpreisen. Wenn sie das Glück der Wohlthaten, der Gesundheit, der Freundschaft, der Liebe, des Reichthums und der Thätigkeit empfehlen wollte, sie konnte es nicht mit lebhafteren Farben thun, als sie das Glück der Trübsale im Dienste des Herrn heraushebt. Jesus führt drei Gründe an, warum sie den wahren Jüngern Christi unerläßlich und segensreich sind.

Er sagt zuerst: „Wer bis an's Ende beharrt, der wird selig.“ Gewiß eine unbestreitbare Wahrheit, die Jeder zugeben muß. Was hilft's, eine Reise nach einem Ziel unternehmen, wenn man mitten auf der Reise stille steht oder umkehrt? Was hilft's, eine Kunst oder eine Wissenschaft lernen, wenn man mitten im Lernen aufhört und anderen Sinnes wird? Ein Christ werden, ist gut; ein Christ sein, besser; ein Christ bleiben, das Allerbeste. Beharrlichkeit und Ausdauer allein macht den Helden zum Helden und den Christen zum Christen. Ohne Beharrlichkeit verlieren wir Alles wieder, was wir bereits errungen haben, und es ist ebenso gut, als hätten wir gar nicht angefangen und wären geblieben, was wir waren. Nichts ist daher nöthiger im Christenlaufe, als die Beharrlichkeit: nur wer bis an's Ende beharret, der wird selig. - Zur Beharrlichkeit aber ist wesentlich wichtig das Leiden um Christi willen. Das scheidet uns gründlich von der Welt, indem es uns sonnenklar zeigt, was wir von ihr zu erwarten haben, wie sie durchaus als Bedingung ihrer Liebe und Zuneigung den Bruch mit Christo stellt und die Hingabe des ganzen Herzens an ihre Thorheiten und Sünden verlangt und keine Halbheit uns gestaltet. Das treibt uns, wie nichts Anderes, zu dem Herrn hin, als dem einzigen Geber des Heils, dem einzigen Schirm und Schild gegen die Anläufe des Teufels und die Drohungen der Welt. Das vereint die Gläubigen eng miteinander, wie die Heerde sich aneinander drängt, wenn der Schäferhund sich zeigt oder der Wolf sie verfolget, und Einigkeit macht stark und unüberwindlich. Gesegnete Tage der Verfolgungen! Sie waren die Blüthentage der Kirche. Nie hat der Glaube größere Wunder gethan, nie hat der Heiligen Geduld glänzendere Proben bestanden, nie hat die Treue im Kleinen bewundernswürdigere Siege erfochten, nie hat die Liebe größere Opfer gebracht und heldenmüthigere Werke verrichtet, nie ist der Gehorsam herrlicher bewährt und belohnt worden, als in jenen Segenszeiten des Reiches Gottes auf Erden. Da sind die Jünger des Herrn stark geworden durch Seinen Geist an dem inwendigen Menschen, und Christus wohnte durch den Glauben in ihrem Herzen, und ihre Liebe zu Ihm wurzelte und gründete sich immer tiefer; da lernten sie begreifen mit allen Heiligen die Länge und die Breite, die Höhe und die Tiefe der Liebe Gottes, und erkennen, daß Christum lieb haben besser sei, denn alles Wissen, und wurden erfüllt mit allerlei Gottesfülle. Nehmet die Verfolgungszeiten aus der Kirche heraus, und ihr habt ihre glänzendsten Lichtseiten gestrichen.

Jesus gibt sodann einen zweiten Segen dieser Leiden an: „Wenn sie euch aber in einer Stadt verfolgen, so fliehet in eine andere“, nicht, um da zu schweigen oder euch zu verbergen, sondern vielmehr, um da auch zu zeugen und Andere zu retten. „Wahrlich, ich sage euch, ihr werdet die Städte Israel nicht ausrichten“, nicht durchkommen, nicht in allen das Evangelium predigen und fertig werden, bis des Menschen Sohn kommt und euch überholt, um Seine Macht und Herrlichkeit zu offenbaren. Jesus erlaubt Seinen Jüngern nicht nur, Er verlangt und befiehlt sogar die Flucht in den Tagen der Verfolgung von einer Stadt in die andere, nicht aus Furcht und Feigheit, nicht aus Liebe zum eigenen Leben, nicht aus Untreue im Amt, sondern die Flucht der Schlangenklugheit, und Taubeneinfalt, der Liebe und Treue, die, weil sie einsteht, daß sie an dem einen Orte nichts mehr leisten kann für das Reich Gottes und sie unnöthigerweise das Leben auf's Spiel setzt, den Wanderstab ergreift, um anderswo wirksamer aufzutreten. Verfolgung ist immer Ausbreitung. Druck von außen veranlaßt immer Gegendruck von innen. Als Stephanus den Märtyrertod starb und die Gemeinde in Jerusalem verfolgt wurde, breitete sie sich und das Christenthum aus über das ganze Land und alle umliegenden Länder. Das Blut der Märtyrer wurde der Same der Kirche. Die Geduld, die Todesfreudigkeit der Blutzeugen überzeugte die Massen von der Wahrheit und Göttlichkeit ihres Glaubens. Nehmet die Verfolgungen aus der Geschichte der Kirche hinweg, und ihr habt sie ihrer unwiderleglichsten Beglaubigungsbriefe, ihrer herrlichsten Siege beraubt.

Ist es nun nicht die größte Thorheit der Welt, wenn sie die Kinder Gottes verfolgt und damit das Evangelium auszurotten gedenkt? Sie befördert damit nur ihr inneres Wachsthum und seine äußere Ausbreitung. Und ist es nicht minder eine große Thorheit der Kinder Gottes, wenn sie leidensscheu vor solchen Zeiten zittern und sich nicht gern wollen verfolgen lassen? Sie berauben sich dadurch des größten Segens, den ihnen der Herr zugedacht hatte. Denn noch an einen dritten Segen erinnert Christus: „Der Jünger ist nicht über seinen Meister, noch der Knecht über den Herrn. Es ist dem Jünger genug, daß er sei wie sein Meister, und der Knecht wie sein Herr. Haben sie den Hausvater Beelzebub geheißen, wie vielmehr werden sie seine Hausgenossen also heißen? Wie Christus, so müssen auch Seine Jünger sein in dieser Welt. Nur so kann Er dann in ihnen eine Gestalt gewinnen, nur so Sein Bild verklären in ihrem Leben. Wollen sie dereinst Theil nehmen an Seiner Herrlichkeit, so müssen sie auch hier Theil nehmen an Seinen Leiden. Die Geschichte der Kirche und jedes einzelnen Gläubigen ist eine immer erneuerte Auflage und Fortsetzung der Geschichte Jesu Christi. Wie Er geboren ist hienieden, so müssen auch sie wiedergeboren werden. Wie Er ist getauft worden, so müssen auch sie empfangen die Taufe des heiligen Geistes. Wie Er gelehrt und gelebt hat, so muß auch ihr Wandel eine tägliche Lehre, ihr Reden eine Erklärung ihres Wandels sein. Wie Er durch Leiden vollendet worden ist, so können auch sie nur durch Leiden vollendet werden. Der Jünger ist nicht über seinen Meister, noch der Knecht über seinen Herrn. Christus für uns muß Christus in uns werden, und das wird Er nur auf dem bezeichneten Wege. Die Leiden um Christi willen sind immer Leiden mit Christo und darum die höchste Ehre und Auszeichnung der Kinder.

Seit langer Zeit hat der Herr Seine Kirche in unsern Landen mit Verfolgungen verschont. Ob sie immer ausbleiben werden? Wir zweifeln daran. Laßt den Fanatismus der Politik nur erst an seiner unausbleiblichen Auszehrung sterben, so möchte nur gar zu leicht an seiner Stelle der Fanatismus des Unglaubens und des Christushasses erwachen. Gesetzt aber auch, diese allgemeinere Verfolgung bliebe aus: die geringere in deinem engeren Lebenskreise wird niemals ausbleiben, wenn du nur den Herrn redlich bekennst und deines Christenthums, Heines Gebets, deines Kirchgangs, deines Bibellesens dich nicht schämst; denn Alle, die gottselig leben wollen, sagt der Apostel, müssen Verfolgung erleiden. Wo der lebendige Christus sich sehen läßt, da ist auch immer die alte Schlange, die Ihn in die Ferse sticht; wo kein Kreuz ist, da ist gewiß auch kein Christus, und ein Christenthum, das die Welt wohl leiden kann und mit welchem sie zufrieden ist, kann das rechte Christenthum nimmermehr sein. Aber erschrick nicht, wenn diese Tage hereinbrechen! Der Herr weiß die Seinigen überschwänglich zu trösten und zu erquicken, daß sie mit Petro und Johanne fröhlich hinweggehen von des Rathes Angesicht, wenn sie gewürdigt werden um Christi Namens willen Schmach zu leiden, daß sie mit Paulo und Sila im Kerker Psalmen singen und jauchzen: „Wir sind gutes Muthes in Schwachheiten, in Schmachen, in Nöthen, in Verfolgungen, in Aengsten um Christus willen“; daß sie einstimmen müssen in das Bekenntniß jenes Glaubensmannes, der in unseren Tagen um des Evangeliums willen gefangen saß und der aus seinem Gefängniß schrieb, er habe die schweren und die freudigen Tage aufgeschrieben und doch mehr freudige als traurige heraus gefunden; daß sie mit dem frommen Liederdichter ausrufen:

Kommt, o kommt, ihr Kreuzesbrüder,
Folget unserm Bruder nach!
Kommt und singt Ihm neue Lieder,
Mitten in der Todesschmach.

Band' und Striemen sind uns Kronen,
Unser Schmuck und Eigenthum,
Und die Kerker sind die Thronen,
Schmach und Schande unser Ruhm.

Kommet, denn die Engel bringen,
Wenn uns gleich die Welt veracht't
Und wir mit dem Tode ringen,
Kraft und Stärke, Sieg und Macht.

Laßt uns vor die Thore gehen,
Geht aus diesen Hütten aus:
Der Stern, den uns Gott läßt sehen,
Führt uns zu des Vaters Haus. Amen.

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