Arndt, Friedrich - Das Leben Jesu - Dreizehnte Predigt. Die Jünger Jesu.

Arndt, Friedrich - Das Leben Jesu - Dreizehnte Predigt. Die Jünger Jesu.

Text. Joh. VIII., V. 31.
Da sprach nun Jesus zu den Juden, die an Ihn glaubten: So ihr bleiben werdet an meiner Rede, so seid ihr meine rechten Jünger.

Hatten wir in unseren letzten Betrachtungen es vorzugsweise mit den Aposteln zu thun, der verlesene Text erweitert unsere Blicke und läßt ihn schweifen über die große Schaar der Jünger, welche sich der Herr in allen Jahrhunderten gesammelt hat aus Seinen Menschenkindern, und zu denen auch wir uns rechnen und es für das größte Lebensglück halten, uns zu ihnen rechnen zu dürfen. Jünger Jesu Christi zu sein: kann es etwas Ehrenvolleres, etwas Beglückenderes geben? - Aber es gibt falsche und wahre Jünger; Jünger, die bloß den Namen haben, daß sie leben und doch todt sind, und Jünger, deren Herz und Leben dem Herrn angehört; Jünger, die Jesus nicht als die Seinen anerkennen wird, und Jünger, zu denen Er mit Freuden sich bekennt. Das Kennzeichen Seiner rechten Jünger gibt Er im Texte an: „So ihr bleiben werdet an meiner Rede, so seid ihr meine rechten Jünger.“ Wohlan, wir fragen: 1) wer ist ein rechter Jünger Jesu Christi? 2) wie viele gehören dazu? 3) wo haben wir sie zu suchen und zu finden?

I.

„So ihr bleiben werdet an meiner Rede!“ das setzt zunächst voraus, daß wir die Rede Christi hören; wie sollen wir glauben, von dem wir nichts gehört haben? O es ist schon viel werth, wenn wir Christi Rede hören. Denn Tausende gehen in der Heidenwelt ohne ihre Schuld, dahin, ohne sie hören zu können, und Tausende leben mitten in der Christenheit und wollen sie nicht hören, und entsagen dem Worte Gottes durch eigene Schuld. Die Lebensbäche fließen: sie mögen nicht trinken. Des Paradieses Thore sind geöffnet und Gottes Vaterarme ausgebreitet: sie kehren vor den offnen Heilsthüren wieder um. Arme Menschen, die sich selbst im Lichte stehen und den Glauben an ihr edleres Selbst wegwerfen, - wie werden sie einmal ihren Leichtsinn und ihre Gewissenlosigkeit, ihre Verachtung der göttlichen Liebe und ihren Mißbrauch der Heilsgüter bereuen, wenn es zu spät ist! Ob wir Menschenbücher lesen, Menschenrede hören, ist am Ende ziemlich gleichgültig und entbehrlich; von Christi Rede aber hängt es ab, ob wir sittlich gute oder schlechte Menschen werden, ob es uns glücklich oder unglücklich geht in dieser Welt. Es ist daher schon viel gewonnen, wenn wir kommen, um zu hören, kommen aus Gehorsam gegen Gottes Gebot und aus Achtung des von uns in feierlicher Stunde abgelegten Gelübdes. - Indeß das bloße Hören macht's freilich nicht aus; es kommt darauf an, wie wir hören. Man kann nämlich die Rede Christi hören, wie die Schriftgelehrten, um darüber zu kritteln und zu disputieren; oder wie die Pharisäer, um darüber zu spotten und Gift zu saugen; oder wie die ungläubigen Sadducäer, und bei sich denken: es ist ja doch Alles nicht wahr, Alles Lug und Trug, Einbildung und Schwärmerei; - wer sie so hört, dem wäre besser, er hätte sie gar nicht gehört, da sie ihm nur zum Fluch und Gericht dient, und seine Verdammniß um so größer wird, je größer die angebotene und verschmähte Gnade war. Man kann Christi Rede aber auch hören wie Nicodemus, der den Schlaf der Nächte opferte, um sich von dem Lehrer, von Gott gekommen, belehren zu lassen; oder wie Maria, die sich zu Seinen Füßen setzte, um den holdseligen Worten Seines Mundes zu lauschen; oder wie Zachäus, der eilig vom Baum hernieder stieg, um Christum bei sich aufzunehmen; oder wie die Samariterin, die am Jacobsbrunnen ihren Krug stehen ließ, um die Einwohner der Stadt zusammenzurufen; man kann sie hören mit wiß- und heilsbegierigem Herzen, mit der tiefen Sehnsucht nach Wahrheit, Frieden, Kraft zur Besserung, mit der Frage: „Was muß ich thun, daß ich weiser, frommer, tugendhafter, ruhiger werde? wo finde ich das wahre Heil? wie werde ich selig?“ Frage dich, ob du Christi Rede so hörest, mit dem offnen Ohre und dem offnen Herzen? ob du sie je so gehört hast? ob du sie immer so hörst? Heil dir, dein Leben ist dann reich an Gnadenstunden und dein Mund wird zeugen müssen von Eroberungen ohnegleichen, die dir widerfahren sind!

Das Bleiben an Christi Rede setzt jedoch nicht nur das Hören, sondern auch das Annehmen voraus. Ach, Tausende haben Christi Rede gehört von Kindheit an und hören sie wieder und immer wieder, und es ist so gut, als hätten sie nie ein Lebenswort von Ihm vernommen! Was half's dem Agrippa, daß er das Evangelium Christi vernahm, da es nur bis zu der Erklärung ihn führte: Du überredest mich fast, daß ich ein Christ würde? Was half's dem Felix, daß ihm Paulus verkündigte den Glauben und die Gerechtigkeit, die Keuschheit und das Gericht, da er antwortete: Gehe hin auf diesmal, wenn ich gelegenere Zeit habe, will ich dich wieder rufen lassen!? Was half's dem Volke zu Kapernaum, daß Jesus durch das Lebensbrod seinen Seelenhunger zu stillen sich bemühte, da es darauf ausrief: Das ist eine harte Rede, wer kann sie hören? und dem Feigenbaume glich, der wohl Blätter, aber keine Früchte trug? Und was hilft's uns, wenn wir alle Tage die Bibel lesen und in die Kirchen laufen, und wir wachsen weder an christlicher Erkenntniß, noch Erfahrung, wir haben vom Christenthum nur vorübergehende Gefühlseindrücke, wir können gegen Niemand Rechenschaft ablegen der Hoffnung, die in uns ist, wir dürfen nie dem Apostel nachsprechen: „Ich weiß, an wen ich glaube, und bin gewiß, daß Er mir meine Seligkeit bewahren wird bis an jenen Tag?“ Die Rede Christi wendet sich an unsern Glauben, sie will an- und aufgenommen sein, nicht nur verhallen wie ein Ton an unsern Ohren, sondern zermalmen die harten Herzen wie ein Hammer, zerschmelzen die kalten Herzen wie ein Feuer; sie will nicht bloß neben, sie will mit uns gehen; sie will nicht bloß das Herz belagern, sondern eindringen, es erobern, es sich unterwerfen. Heil Allen, die da bekennen müssen: „Herr, Du hast mich überredet, und ich habe mich überreden lassen; Du bist mir zu stark gewesen und hast gewonnen!“

Das Bleiben an Christi Rede setzt namentlich das Leben und Befolgen voraus. Es gibt Tausende, die lassen es beim bloßen Wissen bewenden; sie haben herrliche Schätze christlicher Erkenntniß gesammelt, sie wissen zu reden, wie Salomo, von der Leder an zu Libanon bis an den Ysop, der aus der Wand wächst, sie sind eingeweiht in alle Geheimnisse des Evangeliums und vertraut mit allen Lehrbestimmungen und Formeln der Kirche; sie kennen den göttlichen Plan der Weltgeschichte in seiner Breite und Tiefe; sie bleiben keine Antwort schuldig auf die vorgelegten Fragen; sie haben das Wissen, aber nicht das Wesen; sie haben die Erkenntniß von Christo, aber nicht das Leben im Herrn, und stehen da als vertrocknete Mumien, als öde, kalte Grabeszeichen; das Wort des Apostels trifft auch sie: „Etliche wissen nichts von Gott, d. h. gerathen vor lauter Weisheit, zuletzt in heidnische Unwissenheit, das sage ich euch zur Schande.“ (1 Cor. 15,34.) Es gibt andererseits Tausende, die können auch trefflich reden vom Christenthum und Zeugniß ablegen von seinen Wahrheiten und Wohlthaten, das dritte Wort in ihrem Munde ist allezeit ein gesalbtes und frommes; von den Dächern herab möchten sie es Jedermann predigen zur rechten Zeit und zur Unzeit; gewaltig fließt der Strom ihrer Rede, sobald sie diesen Gegenstand berührt haben; aber ihr Christenthum ist eben auch nur Wortchristenthum, Maulwerk, Zungendrescherei, keine That und Wahrheit, keine Beweisung des Geistes und der Kraft; es gilt von ihnen das Wort des Herrn: „Es werden nicht Alle, die zu mir sagen: Herr, Herr, in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen thun meines Vaters im Himmel; wer den Willen thut meines Vaters im Himmel, derselbige ist mein Bruder, Schwester und Mutter;“ sie bleiben nicht in der Rede Christi, weil die Rede Christi nicht in ihnen bleibt, nicht heiligend und erneuernd auf ihr Wesen einwirkt. Was leicht ist im Christenthum, das befolgen sie allenfalls; aber das Schwere lassen sie dahinten. Was dem alten Adam zusagt, nehmen sie an; was ihm den Todesstoß versetzt, bleibt bei Seite liegen. Heil Allen, die Christi Rede hören, annehmen und thun; die Thäter des Worts sind, und nicht Hörer allein; die durchgedrungen sind in das vollkommene Gesetz der Freiheit, und ihren Glauben besiegeln durch ihre guten Werke! Sie sind selig in ihrer That. Sie sind Christi Freunde, weil sie thun, was Er ihnen gebietet.

Nun gilt es nur, darinnen auch zu bleiben und zu beharren; denn zu den Juden, die schon an Ihn glaubten, sprach der Herr im Texte: „So ihr bleiben werdet an meiner Rede, so seid ihr meine rechten Jünger;“ - zu beharren im Hören, Glauben und Thun; im Hören, denn nimmt das Hören erst ab, so verliert auch unser Glaube und unser Thun; mit dem Verlust der Gnadenmittel droht auch der Verlust der Gnadenwirkungen; im Glauben und immer wieder Glauben, denn der Zweifel lauert vor der Thür auf die offene Stelle, wo er in's Herz hineinschlüpfen kann; im Thun, denn Uebung allein macht den Meister in jeglicher Kunst und Wissenschaft. Es gilt, zu bleiben an Christi Rede, auch wenn es schwer wird, in den Tagen, von denen wir sagen müssen: „Sie gefallen uns nicht!“ in den Tagen der Noth, wo uns das Wasser der Trübsal bis an die Seele geht; in den Tagen der Anfechtungen, wo der Glaube geläutert wird wie durch's Feuer; in den Tagen der Verfolgung und Schmach, wo wir gehaßt werden von Jedermann um Christi Namens willen; in der Stunde des Todes, wo es darauf ankommt, zu zeigen, daß Christus unser Leben und Sterben unser Gewinn ist. Sonst ist Alles verloren, und wir können niemals dem Apostel nachsprechen: „Ich lebe, aber doch nun nicht ich, sondern Christus lebet in mir, und was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich dargegeben hat.“

II.

Wie viele solcher rechten Jünger darf der Herr wohl zählen, Geliebte, in Seiner Gemeinschaft, in dem großen Haufen derer, die sich nach Seinem Namen nennen und nennen lassen? Wie viele gehörten Ihm an in den Tagen Seines Fleisches auf Erden? Es ist wahr, die heilige Schrift erwähnt siebenzig Jünger, ja, hundert und zwanzig Gläubige zu Jerusalem (Ap. Gesch. 1,15.); aber was sind Hundert und zwanzig gegen die Tausende von Einwohnern der heiligen Stadt? Sie erwähnt auch fünfhundert Jünger in Galiläa (1 Cor. 15,6.); aber was sind Fünfhundert gegen die Million Menschen, welche jene Provinz bewohnte? Denken wir uns die erhabene Persönlichkeit des Herrn, die Gewalt Seiner Worte, die Heiligkeit Seines Lebens, die Unvergleichlichkeit Seiner Wunderthaten, die über Ihn ertönenden Stimmen und Zeichen vom Himmel, - man hätte denken sollen: nicht hundert und zwanzig, sondern hundert und zwanzig Tausend, nicht fünfhundert, sondern fünf Millionen würden sich um Ihn geschaart und Alles verlassen haben, um Ihm nachzufolgen, die Zahl Seiner Gläubigen würde schon zu Seiner Zeit die Sterne am Himmel und den Sand am Ufer des Meeres erreicht haben, es würde keinem Menschen möglich gewesen sein, Ihm zu widerstehen. Und doch lehrt die Geschichte das Gegentheil. Die Zahl Seiner rechten Jünger ist gering auf Erden. Die Zahl der Feinde und Ungläubigen ist allezeit die Mehrzahl gewesen und geblieben bis auf diese Stunde. Er kam in Sein Eigenthum; aber die Seinen nahmen Ihn nicht auf. Er wollte Jerusalem sammeln, wie eine Henne ihre Küchlein unter ihre Flügel; aber Jerusalem hat nicht gewollt. Er mußte seufzen: „Ihr wollt nicht zu mir kommen, daß ihr das Leben haben möget! Viele sind berufen, aber Wenige sind auserwählet.“ Sonst sind die Menschen so wißbegierig und können nie genug lernen - hier wissen sie Alles schon besser, als es ihnen Jesus sagen kann. Sonst schlagen sie alle nur möglichen Wege ein und lassen sich keine Mühe verdrießen, um glücklich zu werden: hier ist ihnen der nächste Weg schon zu weit. Wo es Vergnügungen zu genießen, wo es Neues zu sehen und zu hören gibt, da ist ein Wallen und Wogen, daß man sein eigenes Wort kaum vernimmt und vor Staub und Hitze kaum es auszuhalten vermag; wo aber Christi Fahne weht, da ist es still und öde, wie ausgestorben, oder es findet höchstens ein Kommen und Gehen, kein Bleiben statt. Wenn ein menschlicher Prediger in hohen Jahren, bei abgelebtem Alter und sinkenden Kräften von seinen Zuhörern verlassen wird und jüngeren, begabteren Kräften weichen muß, so liegt das in der Natur der Sache; wenn aber der Sohn Gottes in den kurzen drei Jahren Seines öffentlichen Auftretens, in der vollen Kraft und Blüthe des Lebens, mit den geistigen Gaben, die Ihm zu Gebote standen, nur hundert und zwanzig und fünfhundert Jünger um sich sammelt, so ist das eine laute und bittere Anklage gegen das ganze menschliche Geschlecht.

Traurigste aller Erfahrungen! Der Eine mag den an ihn gestellten Forderungen der Selbstverläugnung nicht entsprechen, und Jesus muß ihm nachrufen: „Die Füchse haben Gruben und die Vögel ihre Nester; aber des Menschen Sohn hat nicht, da Er Sein Haupt hinlege,“ Ein Anderer, an den der Ruf zur Nachfolge ergangen, will erst hingehen und seinen Vater begraben, und erhält die Antwort: „Laß die Todten ihre Todten begraben, du aber gehe hin und verkündige das Reich Gottes.“ Ein Dritter will erst Abschied nehmen von den Seinen, und Christus erwidert ihm: „Wer seine Hand an den Pflug legt und siehet zurück, der ist nicht geschickt zum Reiche Gottes.“ Ein Vierter kann fragen: „Das Alles habe ich gethan von meiner Jugend auf, was fehlt mir noch?“ und geht, als Jesus ihm antwortet: „Willst du vollkommen sein, so verkaufe, was du hast, und gib's den Armen, und folge mir nach,“ betrübt von dannen; denn er hatte viele Güter, O wenn der Herr heute unter uns aufträte und sichten wollte die Bekenner Seines Namens, wenn Er jetzt schon die Aufstellung zur Rechten und zur Linken begönne, als Vorbild des Weltgerichts: wie Viele würden wohl zur Rechten stehen bleiben! Wie gering ist schon die Zahl unserer Kirchgänger gegen die Zahl unserer Einwohner, und Er würde auch noch die Kirchgänger mustern und reinigen müssen! Wie Wenige würden übrig bleiben als Seine rechten Jünger! - Wahrlich, wir können alle Sonntage im Gotteshause weilen und alle Tage stundenlang uns mit Gebet beschäftigen, und sind doch Christi rechte Jünger nicht. Wir können fünfzig, sechzig Jahre den Namen des Herrn getragen und im Munde geführt haben, und haben doch kein göttlich Leben in uns. Wir können von Anderen sogar zu den Frommen und Pietisten gezählt und deßhalb verspottet werden, und Christus, der Herr, muß uns doch verwerfen und zu uns sagen: Ich kenne euch nicht! Wir können sogar viel gethan haben für die Ausbreitung des Reiches Gottes, viel gepredigt, Viele bekehrt haben, und doch selbst verwerflich erfunden werden. Nirgends liegt Selbsttäuschung näher, als auf diesem Gebiete. Die Jünger Jesu wollen nicht gezählt, sondern gewogen werden. Mögen wir denn wohl auf unserer Hut sein, es niemals mit der großen Masse halten und auf's Gerathewohl mitlaufen, wohin die Menge wogt und strömt; sondern prüfen, was das Beste sei, und nach angestellter Prüfung uns nicht lange besprechen mit Fleisch und Blut, sondern zufahren und dem Herrn die Ehre geben, und in Sachen des Heils uns nie, nie durch Menschenfurcht oder Menschengefälligkeit bestimmen lassen)sondern allein durch das Wort und den Geist des Herrn; nie fragen: Was werden die Menschen dazu sagen? sondern immer allein fragen: Was sagt Er? und was ist Sein heiliger Wille?

III.

Gottlob, daß, wenn der Herr auch nur wenig rechte Jünger hat, Er dieselben doch aus allen Lebensgebieten wählt, und es keinen Stand, kein Geschlecht und kein Alter gibt, das ausgeschlossen wäre von Seinen Gnadengütern.

Allerdings waren es zunächst Fischer und Zöllner, Sünder und Sünderinnen, Menschen aus den niedrigen und niedrigsten Ständen, fast lauter solche Leute, daß mancher von uns Predigern, wenn er keine andern Zuhörer vor sich sähe, fast lieber die Kanzel nicht betreten möchte; - aber gehörten nicht auch vornehme Rathsherren, wie Nicodemus und Joseph von Arimathia, gehörten nicht auch ausgezeichnete Hauptleute, wie der Hauptmann zu Kapernaum, der Hauptmann unter dem Kreuz, der Hauptmann Cornelius, theils zu Seinen treuesten Bekennern, theils zu Seinen wärmsten Anhängern? Wohl haben es die Armen leichter, das Evangelium zu hören; aber auch den Reichen und Vornehmen ist es nicht vorenthalten, und wenn sie erst gelernt haben heruntersteigen von ihrer Höhe, wenn sie erst arm am Geiste, hungrig und durstig nach der Gerechtigkeit, demüthig und bußfertig, zerschlagen und zerstoßen geworden sind, so sind sie oft gerade die herrlichste Siegesbeute des Herrn Jesu.

Allerdings waren es vornämlich Männer, die Jesus berief und die Ihm nachfolgten, die auch allein kräftig und geschickt waren, die Mühseligkeiten des apostolischen Berufs zu ertragen; aber wer nennte sie nicht mit Freude und Wonne, jene Frauen, die theils andächtig zu Seinen Füßen saßen und den holdseligen Worten Seines Mundes zuhörten., wie Maria zu Bethanien, theils Ihn begleiteten auf Seinen Wandergängen und Ihm Handreichung thaten von ihrem Vermögen, wie Maria Magdalena, die große Sünderin, von der Jesus sieben Teufel ausgetrieben, und Johanna, das Weib Chusa, eines Hausverwalters des Königs Herodes, Salome, die Mutter des Johannes und Jacobus, und Susanna und viele Andere, die es sich zur Lebensaufgabe machten, Seine Sache mit ihrem persönlichen Geleit und allen ihren Mitteln zu unterstützen und den ökonomischen Theil des engbefreundeten Vereins zu besorgen? die einen Bund freiwilliger Dankbarkeit gegen den Heiland, einen Bund gegenseitiger, innig vertrauter Schwesternliebe untereinander um Ihn schlössen? die sich weder durch den Haß der Hohenpriester und Schriftgelehrten, noch durch das Gerede und den Widerspruch ihrer eigenen Verwandten und Bekannten, noch durch die Beschwerden des unstäten Umherziehens, noch durch die Anhänglichkeit an ihr Hab und Gut und ihre früheren Gewohnheiten abhalten ließen, unerschrocken und freudig sich zu Christo zu bekennen, und von Ihm immer tiefer sich hineinführen zu lassen in alle Wahrheit? die vielleicht mit ihrer kunstfertigen Hand auch jenen ungenäheten Rock verfertigten, über den die Soldaten unter dem Kreuze das Loos warfen? die Ihm treu blieben bis in den Tod, und noch unter dem Kreuze bei Ihm aushielten in Seinen bittern Todesleiden, als alle Jünger Ihn verlassen hatten und geflohen waren? Sie durften freilich nicht das Evangelium predigen, denn der Apostel sagt, die Weiber sollen schweigen in der Gemeinde, und Jesus hat wohl Apostel und Evangelisten, aber keine Apostolinnen und Evangelistinnen zum Predigtamt berufen; - aber was sie thun durften: Ihm den Tisch bereiten und decken, Ihm das Haus halten und Ihn bekleiden, Ihn in Seinen armen und kranken Jüngern speisen, tränken, besuchen und anziehen, das thaten sie mit freudiger und aufopfernder Liebe.

Auch waren es allerdings mehr Erwachsene, die Jesus in Seine Jüngerschaft aufnahm und an denen Er Sein Erlösungswerk ausführte; aber doch wandte Er Sein göttliches Liebesherz zugleich den Kindern zu und bereitete sich ein Lob aus dem Munde der Unmündigen und Säuglinge; Er gebot den Aposteln, daß sie die Kinder sollten zu Ihm kommen lassen und ihnen nicht wehren; Er ermahnte sie und uns Alle, zu werden wie die Kinder und, wie sie, dem Herzen und Segnen Jesu stille zu halten und zu kommen, um zu nehmen aus Seiner Fülle Gnade um Gnade; Er ertheilte den Kindern in dreifacher Gestalt die Weihe für Sein Himmelreich, indem Er sie herzte, die Hände auf sie legte und sie segnete.

So ist Er der allgemeine Heiland aller Menschen ohne Ausnahme und Unterschied; Seine Religion eine Religion für Alle, und das apostolische Wort wahr: „So ist hier kein Jude noch Grieche, kein Mann noch Weib, kein Knecht noch Freier, keine Bevorzugung oder Ausschließung irgend eines Standes, Geschlechts, Alters oder Volks, sondern sie sind allzumal Einer in Christo Jesu.“ (Gal. 3, 28.) Wohlan, ob auch Wenige nur erwählt sind - Viele, Alle sind doch berufen. Auch wir sind es. Möchten wir dem Rufe folgen und in Jesu Rede bleiben, damit wir Seine rechten Jünger werden! Es kommt nicht darauf an, daß wir als Missionare zu den Heiden gehen, um Seinen Namen zu verkündigen: wir können Ihm auch im Hause und Berufe durch Wort, Gebet und Wandel Herzen gewinnen. Es ist nicht nöthig, daß wir hohe Gaben des Geistes und der Rede besitzen, noch Gelehrsamkeit und Wissenschaft: oft sind die schlichtesten und einfachsten, aber redlichsten Seelen Seine besten Bekenner gewesen. Es ist nicht Erforderniß, daß wir als thatkräftige Männer in Seinen Dienst treten und die Welt erfüllen mit unserm Zeugniß laut und volltönig: schwache Frauen und zarte Jungfrauen haben, wie die Helferin Phöbe im Dienst der Gemeinde zu Kenchreä, (Röm. 16,1.) im häuslichen Kreise, in den Krankenstuben, in der Fürsorge für die Armen und Gefangenen, durch ihre Liebe, ihre Geduld, ihre Fürbitte, ihren keuschen Wandel, nicht selten mächtiger gewirkt und tiefer gesegnet. Selbst durch die Erwachsenen hat sich der Herr nicht die Hände gebunden: unerfahrene, aber fromme und gottselige Kinder haben oft der Alten Herzen beschämt und gebrochen. Auf Eines allein kommt es an; darauf, daß wir in Christi Rede bleiben und Seine rechten Jünger werden. Das verleihe uns Allen je länger je mehr der Herr aus Gnaden um Seiner Liebe willen. Amen.

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