Ahlfeld, Johann Friedrich - Das Leben im Licht des Wortes Gottes - Der erste Unterricht der Kinder.
2. Epistel St. Pauli an Timotheum, Kap. 3, V. 14 u. 15:
Du aber bleibe in dem, das du gelernt hast und dir vertrauet ist, sintemal du weißt, von wem du gelernt hast. Und weil du von Kind auf die heilige Schrift weißt, kann dich dieselbige unterweisen zur Seligkeit durch den Glauben an Christo Jesu.
O Herr, der du angehoben hast, dein Volk zu erwecken, der du immer noch Gedanken des Friedens mit uns hast, der du noch einmal Wasserströme ausgießest auf die Einöde, erbarme dich des verwüsteten Hauses. Treibe die Väter durch deinen heiligen Geist, dass sie ihr Vateramt wieder erkennen, am Abend zu Hause bleiben, in ihre Kinder den Eckstein des Heils legen helfen und tätig seien an ihrem Aufbau auf demselben. Tilge in ihnen den gottlosen Hochmut, dem dies zu Nein ist, und dem der Welt Geschwätz und Genuss eine wichtigere Beschäftigung zu sein scheint. Treibe in deinem heiligen Geist die Mütter, dass sie es für das süßeste Mutteramt achten, den Kleinen die lautere Milch des Evangeliums einzuschenken. Tilge in ihnen die elende Eitelkeit, welche andere Gesellschaft dem Kreise dieser Unmündigen vorzieht und meint: sie können von einer Magd auch erzogen und gepflegt werden. Herr, siehe die Kinder an, wie sie meist so gar arm aus dem Elternhause heraustreten. O hilf, dass ein neues Geschlecht aufkomme, welches dich von frühe an mitnimmt, welches den goldenen Schatz im irdischen Gefäße trägt, ihn aber so fest trägt, dass er ihm von der Welt nimmer entrissen werden kann. Amen. Die Fußtapfen, welche im Frühjahr, wenn das Land unter dem Tauwetter weich geworden ist, in den Acker getreten werden, bleiben stehen. Sie verhärten und bleiben den ganzen Sommer stehen, wenn der Pflug nicht wieder darüber geht. Die Eindrücke, welche der Mensch in seiner Kindheit, wo das Herz so weich ist wie Siegelton, empfängt, bleiben gleichfalls stehen. Der Pflug der Trübsal muss später recht scharf über diesen Acker gehen, oder die Sonne des Glücks muss recht warm auf diesen Boden scheinen, wenn die ersten Gestalten von demselben weggebröckelt werden sollen. Diese ersten Eindrücke wirken hernach bildend und bauend auf das ganze Leben ein. Ei, was ist das für ein armes Kind, dem beim ersten Wachwerden der Erkenntnis eine keifende, tobende Mutter begegnet! Was ist das für ein armes Kind, dem sich ans die wächserne Tafel der ersten Wahrnehmung ein polternder, fluchender oder gar trunkener Vater einprägt, der weder dem Geiste noch dem Leibe nach seiner Schritte mächtig ist! Wäre die heilige Taufe nicht vorangegangen, wäre in ihr nicht der Titel in das Lebensbuch des Kindes gedruckt, so müssten wir sagen: „Was für ein jämmerlich Titelblatt hat das Lebensbuch dieses Kindes bekommen.“ Aber jedenfalls steht doch dieses Bild gleich hinter dem Titelblatte. - Doch weg mit solchen Bildern. Ich wünsche von Herzen, dass Keinem von euch Allen ein solches am Eingange des Lebens gestanden habe, und dass euern Kindern kein solches am Portale seines Lebens stehe. - Wir haben neulich der ersten Gebete der Kinder gedacht, wir kommen heute an den ersten Unterricht. O möchten aus dieser Zeit und aus dieser gottseligen Beschäftigung allen Kindern Bilder in der Seele stehen! Sie werden dastehen, unauslöschlich dastehen, wenn dieser Unterricht von den rechten Leuten und in der rechten Weise angegriffen wird. Oftmals habe ich im Leben ein Bild aus der Jugend des Timotheus gesehen. Da sitzt seine Großmutter Lois, hat die aufgeschlagene Schrift auf den Knieen, und der Knabe steht daneben. Die Mutter Eunike aber steht dahinter und freuet sich, wie das Herz des Kindes offen ist für das offene Wort des Herrn.
Das ist ein seliges fruchtbares Bild aus der Jugend. O möchten die Tage wiederkommen, wo kein Kind der evangelischen Kirche in das Leben hineinginge, ohne solche Morgengabe der Gnade und Elterntreue mitzunehmen! Das Bild kann etwas anders aussehen, daran liegt es nicht. Es kann genommen sein aus einem Winterabend im deutschen Lande. Der Vater oder die Mutter sitzt am Tische, die Urkunde der Gnade liegt vor ihnen aufgeschlagen, die Kinder sitzen rings herum und wollen, nachdem sie satt geworden sind, nun auch das Himmelsbrot für ihre Seele haben. Mit einem Worte, wir möchten in dem Herzen jedes Kindes ein Bild von Vater und Mutter wissen, wie sie ihm aus dem Schatze des göttlichen Wortes nach seiner Kraft geben, was dem Kinde Not ist.
Unser Text sagt: „Du aber bleibe in dem, das du gelernt hast, sintemal du weißt, von wem du gelernt hast.“ Wir haben schon gehört, von wem Timotheus gelernt hatte: von seiner Mutter Eunike und von seiner Großmutter Lois. An einer andern Stelle schreibt Paulus an ihn: „Ich erinnere dich des ungefärbten Glaubens in dir, welcher zuvor gewohnt hat in deiner Großmutter Lois, in deiner Mutter Eunike, bin aber gewiss, dass auch in dir.“ Also Mutter und Großmutter sind die ersten Lehrerinnen gewesen. Ihnen liegt es so nahe. Sie haben den meisten Verkehr mit den Kleinen, während der Vater durch seinen Beruf meist ferner gehalten ist. Doch soll sich kein Vater mit dem Vater des Timotheus entschuldigen und sagen: „So wenig der sein Kind im Wort Gottes unterwiesen hat, so wenig brauche ich es auch.“ Timotheus Vater war ein Heide, welcher sich vom heiligen Geiste noch nicht hatte in die Zucht nehmen lassen. Wenn ihn der in seinem Glauben hätte mit unterrichten wollen, wäre es nur zum Verderben des Kindes gewesen. Darum war es eine gnädige Lenkung Gottes, dass der Mann, dessen Namen wir übrigens gar nicht wissen, die Mutter und Großmutter mit dem Kinde gewähren ließ. Du aber bist ein Christ. Und wenn auch der Mutter durch ihre Stellung zu den Kleinen der erste Unterricht meist zunächst zugewiesen ist, so kommt er doch beiden Eltern gemeinsam zu, und vielen Vätern bietet ihr Beruf im Hause Gelegenheit genug dazu dar. - Den Eltern liegt aber diese Heilsarbeit am Kinde aufs Bestimmteste ob Die das Kind im leiblichen Leben ihr Kind nennen, sollen die nicht auch Vater und Mutter des geistlichen Lebens in ihm werden wollen? Wir wissen zwar, dass kein Kind durch Unterricht, Ermahnung und treue Erziehung von Neuem geboren werden kann, sondern allein durch die Gnadentat des barmherzigen Gottes im heiligen Geist. Aber wie Paulus vom Timotheus sagt: „Ich habe dich gezeugt durch das Wort der Wahrheit“, so können alle Eltern die Erwecker und Bekehrer ihrer Kinder werden. Dann sind sie, so weit dies menschlicher Weise wahr werden kann, in jedem Sinne Eltern dieser Kinder. - Ferner liegt es den Eltern, die das Kind leiblich ernähren, so nahe, ihm auch die geistliche Nahrung zu reichen. Der Mensch lebt einmal nicht von Brot allein, sondern von einem jeglichen Wort, das durch den Mund Gottes gehet. Dann sind sie wieder, so weit dies von menschlicher Seite geschehen kann, die ganzen Ernährer und Versorger. des Kindes. Ihnen aber liegt gerade solche Erweckung und Ernährung ob. Sie haben das Kind einst zur Taufe tragen lassen; sie haben gewollt, dass es ein Kind Gottes werde, sie haben dies Kind Gottes auch mit seinem himmlischen Vater bekannt zu machen, sie haben ihm das Brot seines rechten Lebens zu reichen. Sie bekennen dabei in Demut: „Herr, wir sind nur die Pflegeeltern, du bist der rechte Vater.“ Sie legen damit das Kind täglich in seine Arme, sie geben es dem, welchem es gehört. - Warum muss dies aber so frühe geschehen? Wie auch junge Kinder durch den Umgang mit ihrem Gotte schon so selig sind, das haben wir neulich gehört. Wer will ihnen diese Seligkeit vorenthalten? Aber es liegen auch noch ganz andere Gründe vor. Du willst doch deine Kinder erziehen. Du räumst auch ein, dass die Erziehung gleich mit den ersten Jahren anfangen muss. Wohin willst du sie erziehen? Alle Erziehung muss doch ein Ziel haben. Erziehen heißt aus der Welt herausziehen. Unserm Gotte und Heilande sollen sie zugezogen werden. Freilich nennen es viele Eltern auch Erziehung, wenn sie ihre Kinder recht in die Welt, in ihre Genüsse und Freuden hineinziehen. Aber lassen wir diese jetzt. Soll die Erziehung dahin arbeiten, dass das Kind ein Mann werde nach dem Herzen Gottes; besteht die Bildung wesentlich darin, dass das Kind in die liebliche Art seines Heilandes hineingezogen wird: so muss es das Herz Gottes und die liebe, hochheilige Gestalt seines Heilandes auch frühe kennen lernen. Du siehst ja, wie die, welche ihre Kinder für die Welt erziehen wollen, ihnen diese Welt so früh wie möglich aufschließen. In Eitelkeit und Prunk, in Ehrgeiz, in Kinderbällen, Kindertheatern, und ich weiß nicht, in was noch für seelenverderbender Narretei - es fehlen nur die Kinderverlobungen und die Kinderbrautstände und das Kinderpharos noch - stürzen sie die armen Kleinen in den Strudel hinein, in dem sie selbst untergegangen sind. So führe du deine Kinder frühe in das Meer der Gnade hinein, in dem du selbst das Leben gefunden hast und finden willst. Tue es frühe, denn du hast keine Bürgschaft, dass das Kind das reife Lebensalter erreicht. Wenn du hinter deinem Hausteinen schönen Garten hast, durchwehet von gesunder Luft und geschmückt mit lieblichen Blumen, oder gar durchflossen von frischen Quellen, so lässt du das Kind gleich in seinen ersten Jahren da hinaustragen. Du wartest nicht bis zum reiferen Alter. Wenn das Kind auch von der Art und Natur der Blumen noch Nichts versteht, wenn es auch noch keinen Begriff hat von der Höhe und Tiefe der Berge, aus denen jene Quellen rieseln, es freuet sich doch daran. Nun hat die Barmherzigkeit Gottes hinter deinem Hause, hinter dem vergänglichen Erdenleben den schönsten Garten, das neue Eden gepflanzt. Da steht der Lebensbaum, aus der reinsten und heiligsten Höhe fließt das Wasser, an dem sich auch ein Kindlein schon laben kann, und neben dem Wasserbache stehen die grünen Bäume mit ihren Blumen und goldenen Früchten, die Heiligen des alten und neuen Testaments und der ganzen Kirche. Da kann sich das Kind auch schon in den ersten Lebensjahren freuen. O trag das Kind fleißig hinaus! Lass es von der Luft Edens anwehen! Lass es trinken aus den Wassern! Wie bald kann sein Stündlein kommen! Wie man die kleinen Pflanzen am Leichtesten zertritt, geht der Tod auch am Häufigsten durch den Garten der Kindheit. Und ist es dann für das Kind nicht die süßeste Erquickung, wenn es von seinem Heilande schon Etwas weiß, wenn. es ihn kennt, wenn du ihm sagen kannst: „Du gehst zu dem treuen Herrn, der dich lieber hat als Vater und Mutter; du gehst in das Paradies, gegen das die ganze Erde immer ein Jammertal und eine Notstätte bleibet; ich aber und dein Vater, oder deine Mutter und deine Geschwister kommen über ein Kleines auch nach.“ Da stirbt sich's süß, und es sind schon viele Kinder so süß gestorben. Umgekehrt hast du auch keine Bürgschaft, dass dir noch ein langes Leben übrig ist, dass du dein Kind bis in seine reiferen Jahre begleiten kannst. Es gibt ja der Waisen viele in der Welt. Nun willst du deinen Kindern gerne ein Erbteil hinterlassen. Irdisches Erbe fressen Rost und Motten, irdisches Erbe können wir an die Kinder nicht festbinden, irdisches Erbe gibt dem inneren Menschen kein Genüge und keinen Frieden. O so bringe ihnen doch ihr himmlisches, unvergängliches Erbe recht nahe! Dann weißt du gewiss, dass du deinen Kindern Etwas hinterlässt, und dass sie des heimgegangenen Vaters und der Mutter nicht vergessen können. Wo dann im Leben das Bild des Herrn vor ihnen steht, da steht auch dein Bild dahinter. „Vater und Mutter haben mich ihn zuerst kennen gelehrt!^ Wo der Lebensbaum vor ihnen stehet, da stehest du in seinem Schatten daneben. Deine Kinder können dich nicht vergessen. - Ich will nicht erwähnen, mit welchen Gedanken Kinder später oft der Eltern gedacht haben, die sie frühe in den Schmutz der Welt hineinzogen. Aber das sage ich dir noch: In der frühen Unterweisung im Heilswege hast du den roten Faden im Herzen deiner Kinder angebunden, an dem du sie nach dir ziehest, sie hinziehest in das volle Heil, welches dir der Herr im Tode ausschließt. Du hast mit daran gearbeitet, sie, die hier nur eine kleine Zeit dein waren, ewig zu den Deinen zu machen. - O das Alles ist Grund genug, weshalb schon den Kleinen der Herr ins Herz gesenkt werden soll. - „Aber“, fragst du: „Wie soll ich es denn machen? Du weißt, dass alle Kinder gern erzählen hören. Du weißt, wie oft die Deinen mit der Bitte neben dir gestanden haben: „Mutter, erzähle!“ Sie wollen schon erzählt haben, wenn sie selber das Wort „erzählen“ kaum aussprechen können. Um diesem Triebe der Kinder zu genügen, werden fast unzählige Kinderbücher geschrieben, die oft das allerunkindlichste Zeug enthalten. Es gibt aber ein großes Kinderbuch für Kleine und Große, die heilige Schrift. Sie ist das Meer, welches die Großen mit ihren tiefsten Gedanken nicht gründen können, und auch der helle Bach, in welchem die Kleinen im einfältigen Glauben Grund finden. Sie ist es, welche Timotheus von Kind auf wusste, aus welcher ihm Lois und Eunike von frühe an erzählt hatten. Wenn diese nun schon ihre Freude daran hatten, dem Kinde die Geschichten des alten Bundes, der nur in Gesetz und Vorbildern einhergeht, zu erzählen: sollst du nicht erzählen von der Liebe, die den Himmel zerrissen hat, von der Gnade und Wahrheit, die in Christo Jesu geworden ist? Wenn Timotheus die Geschichte des alten Bundesvolkes, die sich zumeist unter dem Zorn Gottes fortentwickelt, in der wir nur wenige Sonnenstücke der auf dem Volke ruhenden Gnade haben, gern hörte: sollen deine Kinder nicht die selige Geschichte des Aufgangs aus der Höhe und der begnadigten Gemeinde gern hören? Im alten Testamente ist von den Kindern so wenig die Rede, in dem ganzen umfangreichen Buche ist die Jugendgeschichte keines Kindes erzählt. Doch zog es den Timotheus hinein. Im Neuen Testamente steht das liebe Christkindlein als die junge frische Palme recht den Kindern zur Freude mitten in der argen Welt. Es ist wahr: Jesus Christus ist ein Kindlein worden, damit die Alten in ihm Kinder werden; er ist aber auch ein Kindlein worden, damit er an die Kinder herankomme, ja damit den Kindern von diesem Kinde erzählt werde. Im Erzählen bringt die Mutter ihrem Kinde den Herrn nahe. So erzähle ihm denn seine Geburt, stelle dein Kind an die Krippe, nimm es mit zu den Engeln auf dem Felde, nimm es mit in den Tempel nach Jerusalem, begleite mit ihm den Herrn bei seinen Wundern, stelle es mit unter sein Kreuz, freue dich mit ihm am Ostermorgen an dem Auferstandenen, geh mit ihm auf den Oelberg, auf dass es ihn sehe auffahren zu seinem Vater. Es muss wissen, dass et droben in unvergänglicher Herrlichkeit, Allmacht und Allwissenheit thront. Du sollst dem Kinde auch frühe zum Bewusstsein seiner Sünde und Schuld helfen. Es muss wissen, dass der Herr für diese Schuld gestorben ist, und dass es nur in ihm Vergebung derselben hat. Damit soll freilich nicht gesagt sein, dass du die Geschichten des alten Bundes nicht erzählen dürftest. Schöpfung und Sündenfall, Sündflut und Regenbogen, Abraham und die andern Erzväter bis auf Joseph, Moses und David müssen dem Kinde frühe bekannte Tatsachen und befreundete Männer werden. Auch die heiligen Engel müssen als Sterne an seinem Himmel stehen. Sie greifen an Stellen zur Freude, zum Troste, zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung und zur Züchtigung in der Gerechtigkeit in sein kleines Leben ein. - Dazu lehre das Kind frühe die kleinen Sprüche, welche es einigermaßen versteht. Warte nicht, bis es dieselben ganz verstehen soll.
Indem es sie lernt und in sich bewegt, lernt es sie verstehen. Ganz in seiner Tiefe verstehen auch wir Alten kein Wort der Schrift. Was du aber lehrest, das lehre fest. Wenn ihr nun eure Kleinen mit der Geschichte des Reiches Gottes bekannt macht, haltet ja die heiligen Männer recht hoch, lasst sie den Kindern in würdiger Gestalt entgegentreten. Wollt ihr ihnen Bilder, wirkliche gemalte Bilder aus der heiligen Geschichte zeigen, so nehmt keine Sudeleien. Nehmt auch keine Bilder, auf denen die Patriarchen Abraham, Isaak und Jacob und Jacobs zwölf Söhne wie verwilderte arabische Beduinen dargestellt sind. Sie sind die Träger der Offenbarung Gottes. Gott der Herr hat in der Geschichte einen hohen Glanz über sie ausgegossen. Er hat mit Abraham von Angesicht zu Angesicht geredet und ihn seinen Freund genannt. Der Abglanz dieser aus Gnaden geschenkten Würde soll auch auf dem Bilde ruhen. Schlechte Bilder prägen dem Kinde eine niedrige oder gemeine oder unedle Gestalt von jenen Männern ein, und diese Gestalt verwischt sich zeitlebens nicht wieder; bis ans Ende bleibt Etwas von ihr in der Seele hangen. - Ebenso sollst du dich lauter und hoch im Worte halten, wenn du den Kindern die biblischen Geschichten erzählst. Du sollst die Schriftsprache nicht übertragen in die Sprache des gemeinen Lebens. Ich habe manchmal in den Schulen darüber getrauert, wenn die Lehrer das biblische Wort in den gemeinen alltäglichen Ausdruck herunterzogen. Die ganzen Personen und die ganzen Vorgänge bekamen dadurch eine gemeine Gestalt. - Aber ganz besonders hüte dich, dass du die Wahrheit der Geschichte nirgends antastest. Damit werden Risse in den ganzen Bau des Heils gerissen. Wenn du dem Kinde an einer Stelle sagst: „Das muss man so wörtlich nicht verstehen“, dann sagt es sich das Kind an zehn anderen Stellen selbst, denn der Zweifel sitzt in jedem Menschenherzen. Pflanze im Gegenteil die Ehrfurcht vor dem Worte der Schrift recht fest in die junge Seele. Sie muss fest stehen, denn es wird im Leben nicht an Stürmen fehlen, die den Baum des Glaubens mit Stumpf und Stiel ausreißen möchten. Darum nimm du auch, wenn du erzählen willst, solches Erzählen nicht leicht. Du hast in deinen jüngeren Jahren die biblische Geschichte gelesen und gelernt. Unterdessen ist Vieles aus derselben dem Gedächtnis entschwunden und verblasst; du meinst aber dennoch, du könntest sie erzählen. Du willst sie erzählen, so gut oder so schlecht du sie weißt. Es liegt dir Nichts daran, ob hie und da die Sache eine andere Wendung und Farbe bekomme. Das darf nicht sein, das ist falsch und verderblich. Lies du selber vorher erst durch, was du erzählen willst, damit du die rechte Tatsache mit dem rechten Ausdruck wiedergeben kannst. Wenn du, was bei ungenauem Wissen immer geschieht, heute so und morgen so erzählst, so sagt dir das Kind, welches an der ersten Erzählung festhält, bald ins Gesicht: „Vater“ oder „Mutter, das ist nicht wahr.“ Du musst ein Mal wie das andere Mal erzählen. Obenan aber bete, dass der Herr über die Samenkörner, die du in das junge Land streuest, seine Sonne aufgehen und auf sie seinen Regen und Tau fallen lasse, damit sie keimen und Wurzel schlagen und wachsen zur Ehre unseres hochgelobten Gottes und Heilandes. Dann wird die frühe Unterweisung im Worte des Herrn auch ihren Segen bringen.
Welchen denn? Denke noch einmal an unsern Text zurück. Frühe hatten Eunike und Lois den Timotheus im Worte Gottes unterrichtet. Dass das Kind seine Freude daran gehabt hat, und dass solcher Unterricht seine Frucht in der Erziehung desselben gebracht hat, unterliegt keinem Zweifel. Aber der größte Segen folgte noch später. Da Timotheus ein Jüngling geworden war, kam Paulus mit Barnabas nach Lystra, der Stadt seiner Eltern. Paulus predigte den Herrn, auf den das alte Testament in Gesetz und Propheten geweissagt hatte. Da siel es dem Jünglinge wie Schuppen von den Augen. Er erkannte nach den Vorbildern und nach den Weissagungen, dass das der Heiland sei, nach dem er sich mit der Mutter und Großmutter gesehnt hatte. Das liebe Erbe aus der Jugend ward ihm die Tür zu dem ewigen Erbe. Nie, nie hat dieser Timotheus später den Herrn verleugnet. Wenn Demas und Andere abfielen und die Welt lieb gewannen, so blieb er dem Herrn und seinem geistlichen Vater Paulo treu. Das hat zum guten Teil seinen Grund in dem frühen Unterrichte. Das Wort und die Verheißung stand zu fest in ihm, als dass er je wieder von dem Verheißenen losgekonnt hätte. - Und so wird es mit deinen Kindern auch. In der ersten Kindheit ist das Herz weich und das Gedächtnis jung. Was da gelehrt wird, prägt sich fest ein und wird meist nie wieder vergessen. - Das ist aber nicht Alles. Was wir in den ersten Kinderjahren lernen, namentlich von der Mutter lernen, das sieht anders aus als alles später Gelernte. - Dir Morgentau hängt daran, die Mutterliebe mit der ganzen Erinnerung an die glücklichen sorgenlosen Jahre schwebt darum. Wo uns solche Sprüche und Geschichten später wieder begegnen, da reden sie eine ganz andere Sprache, als die später gelernten. Es liegt dies nicht an dem Worte Gottes, als ob da ein Teil kräftiger wäre als der andere. Es liegt an der Zeit und an den empfänglichen Herzen. Diese ersten Sprüche und Geschichten sind in das ganze Leben mit eingewurzelt. Es ist mit dem Samen draußen auf dem Acker ebenso. Was da im Frühjahr bei Zeiten gesät wird, schlägt am tiefsten Wurzel. Wenn später auch ein anderer Acker mit demselben Samen bestreuet wird, steht jener doch in der Dürre fester und lohnt den Landmann mit einer reichern Ernte. Was dem Kinde zuerst ins Herz geprägt ist, das gibt seinem Leben die Richtung. Die Geschichte kennt einen Mann, der schon in den ersten Jahren seines Lebens mit einer kleinen Kanone spieltet Fast sein ganzes Leben hindurch hat er dann mit diesem Mordinstrument gearbeitet. Es ist besser, wenn uns der Herr frühe begegnet; wir werden uns dann zeitlebens seinem Zuge nicht entwinden können. Ja, wenn wir später auch eine Weile in der Irre. laufen, wenn auch der Sand und Staub des Lebens über. jenen Körnern liegt, sie leben doch fort, sie gehen doch zur rechten Zeit am Ersten wieder auf. Nichts hat die verirrten und elend gewordenen Sünder öfter zur Bekehrung gezogen, als der Rückblick in die gottselige und selige Jugend, als die Erinnerung an die Stücke des göttlichen Wortes, die sie in der Kindheit gelernt hatten. Ja, gerade sie sind Vielen Stecken und Stab in dem dunkeln Todestale geworden. - Aber auch ihr Eltern gehet bei solcher Heilsarbeit nicht leer aus. Nur der Vater und die Mutter stehen bei den Kindern in rechter Würde, die den himmlischen Vater hinter sich stehen haben, ihr Amt in seinem Namen verwalten und die Kinder auf denselben hinweisen. Es liegt ein Glanz göttlicher Majestät um ihr Haupt, der eine viel höhere Ehrfurcht und einen wahreren Gehorsam erzeugt, als. alle weichliche Liebe und alles strenge Gesetz. Aber das ist eine Frucht, die mehr nach außen fällt, eine andere fällt in dein eigenes Herz. Das Wort Gottes hat, je einfältiger wir es nehmen, eine um so größere Macht. Wer es seinen Kindern recht klein und einfältig erzählt, wer sich zu ihnen herablässt, wie sich Gott der Herr in der Offenbarung selbst zu uns herabgelassen hat, der fühlt auch seinen Eindruck am eigenen Herzen, dem schmeckt es viel süßer, als wenn er es mit großer Gelehrsamkeit studiert und sich in hoher Rede über dasselbe ergeht. Er wird mit seinen Kindern ein Kind, auch die eigene innere Empfänglichkeit, die Freude und der Friede wird wieder jung. Die Sonne der Kindheit scheint noch einmal in das Tal, und die Blumen blühen noch einmal an dem Wasserbache. - Darum, ihr Väter und Mütter, versäumet dieses teure Werk nicht. Junge Pflanzen müssen am Eifrigsten begossen werden. Begieße ja die Gottespflanzen in deinem Garten recht treu, du begießest dabei zugleich den Lebensbaum in dir, der so leicht welk wird in der Dürre des Lebens. Und dabei hast du die reinste Freude, welche die arme Pilgerschaft bieten kann. In Schottland lebt ein Arzt, der jetzt unter den Männern seines Faches leicht den größten Namen hat. Er ist aber neben dem Arzte oder vor dem Arzte ein stiller demütiger Christ. Von seinen Schriften pflegt er zu sagen, sie seien nicht seine Werke, sondern Gottes; was gut darin sei, habe er Gott abgelernt. Diesen Mann forderte einmal ein Deutscher auf, er möge doch unser Land einmal besuchen, er sei hier bekannt genug, man würde ihm mit viel Anerkennung und Ehre entgegenkommen. Er antwortete: „Ein Abend im Kreise meiner Kinder“ - er hat. deren acht - „ist mir lieber als alle Ehre.“ Herr Jesu gib uns solche Väter. Herr Jesu, der du mit deinem teuren Blute die Welt begossen und befruchtet hast, begieße das Haus damit, auf dass dir in demselben Kinder geboren werden wie Tautropfen aus der Morgenröte. Amen.