Unbekannt - Reformirte Erklärung über das Abendmahl
In Freiheit unterthan
Was uns der Geistliche im Abendmahl darreicht, ist und bleibt Brod und Wein; was uns aber Gott im Abendmahl gewährt, ist etwas ganz anderes. Es ist nicht etwa die Erinnerung an Christus und sein Werk, denn das wird nur von Unkundigen als der Inhalt der Aussprüche Zwingli's und anderer reformirter Lehrer angegeben; es ist vielmehr nach der übereinstimmenden Lehre der ganzen reformirten Kirche die Aneignung Christi. Alles, was Christus für den Menschen sein will, das wird uns in dem Abendmahl zum Empfange dargeboten. Aber freilich nicht in dem Abendmahl allein. Wer nicht schon vorher die Wirkung Gottes durch Christus erfahren hätte, der würde sie auch im Abendmahl nicht erfahren. Wer wöchentlich oder täglich das Abendmahl nehmen wollte, und dabei nur mit dem Verstande glaubete, ohne von Herzen gläubig zu sein, ohne das neue, das ideale Leben, das Christus bringt, zu ergreifen und durch Verwirklichung des Guten zu bethätigen, der würde wöchentlich oder täglich nichts anderes empfangen als Brod und Wein. Der Ungläubige empfängt nichts anderes. Er empfängt es, wie die reformirten Lehrer immer hinzugesetzt haben, sich zum Gerichte, weil er nicht unterscheidet den Leib des Herrn. Den Leib des Herrn unterscheidet man nicht dadurch, daß man sich in der Communion anständig beträgt, oder die Unterschiede und Feinheiten der Lehre kennt, und mit dem Verstande glaubt; wer mehr nicht hinzubringt, empfängt nur Brod und Wein, sich zum Gerichte, denn er ist schon gerichtet und wird täglich gerichtet, und leicht kann es kommen, daß ihm das Wenige, das er hat, auch noch genommen werde. Wer aber viel hinzubringt, dem wird in dem Abendmahle gegeben, daß er die Fülle habe. Nur muß er vorher schon haben. Und von ihm selbst hat er es nicht. Zwar geschieht auf dem sittlichen Gebiete nichts durch Zwang oder unfreiwilliges Empfangen. Was ich nicht in Freiheit mir angeeignet habe, das besitze ich gar nicht. Aber das Aneignen in Freiheit wird durch den Schöpfer der sittlichen Ordnung gestützt und getragen; zu allen Zeiten und unmittelbar empfangen wir das Gute, das in uns auflebt, durch Wirkung des göttlichen Geistes, nur daß es in diesem Empfangen so viele Unterbrechungen gibt, nur daß es bei Christus allein gar keine Unterbrechungen gab. Die Unterbrechungen in dem Aufnehmen des Guten sind Störungen der Freiheit durch die Willkür des Menschen, Störungen des Geistes, der dem göttlichen Geiste verwandt ist, durch das Begehren und Empfinden der Seele, die dem Niederen verwandt ist. So lange wir keine Unterbrechung erleiden in der Aneignung des Guten, sind wir in Freiheit unterthan; kommt die Störung, so sind wir in Willkür unterworfen; Gott in Freiheit unterthan, dem niederen und schlechten Begehren in Willkür unterworfen. In jedem Augenblicke und ohne Unterlaß in Freiheit unterthan war nur der Eine, der die Erlösung brachte, und der, obgleich er der einzige war, der einzige nicht sein wollte. Nur durch die geringere Energie und durch die zahllosen Unterbrechungen ist unser Aneignen und Verwirklichen des Guten, unser Empfangen aus Gott von seinem Empfangen verschieden; wir sollen, das ist die Lehre der Schrift, eben so unmittelbar wie er durch den Geist Gottes das Gute empfangen. Die Schrift lehrt, daß das sittlich Gute im Menschen nur durch seine Gemeinschaft mit dem Geiste Gottes und Christi gewirkt wird, nur dadurch, daß der Geist von oben her, der Geist Gottes und Christi von uns aufgenommen wird und in uns fortlebt, in uns Leben und Gestalt gewinnt, und das ist so wenig eine schwärmerische Annahme, daß vielmehr außer ihr gar keine andere möglich ist. Wer nicht zugeben will, daß wir das sittlich Gute dadurch empfangen, daß der Geist Gottes und Christi in uns lebt, wohnt und Gestalt annimmt, der muß behaupten, daß er das sittlich Gute von ihm selbst, durch seine Person empfange, was nicht viel, oder daß er es durch die Function zufällig zusammengewürfelter Gehirntheile empfange, was gar nichts bedeutet. Wie der Leib durch die Nahrungsmittel genährt und vor dem Tode bewahrt wird, so muß unser Geist dadurch, daß er das Gute, den Geist Gottes und Christi, in sich aufnimmt, genährt und vor dem Tode bewahrt werden. Davon spricht Christus in dem 6ten Capitel des Evangeliums Johannis, und davon spricht er auch in der Einsetzung des Abendmahls. Er spricht im Bilde, und doch spricht er die volle Wirklichkeit aus. Die ihn höreten, die konnten ihn eben so wenig mißverstehen, als sie ihn mißverstanden hatten, da er ihnen sagte: „ich bin der Weg“, „ich bin der Weinstock“, „ich bin der Hirte“, „ich bin die Thüre des Eingangs“; sie waren nicht so kalt, daß sie das Bild nicht von der Sache, das Leibliche nicht von dem Geistigen unterschieden hätten. Hätte Petrus die Worte Christi: „du sollst von meinem Fleische essen und von meinem Blute trinken“, irdisch und fleischlich verstanden, so wäre er noch weit mehr zurückgebebt als vor der Ankündigung, daß der Herr ihm die Füße waschen wolle; hätte aber Christus ihm geantwortet: „bist du so trägen Herzens, daß du das Geistige nicht geistig verstehen willst? wie dein Leib genährt wird von Brod und Wein, so soll dein Geist genährt werden von meinem Geiste, so sollst Du das Gute von Gott empfangen, indem du den Geist Gottes und meinen Geist in dich aufnimmst; darum, so du mein Fleisch nicht issest und mein Blut nicht trinkest, so hast du keinen Theil an mir“: würde nicht Petrus gerufen haben: „Herr, all dein Fleisch gieb mir zu essen und all dein Blut gieb mir zu trinken.“ Das wahre und geistige Verständnis der Worte Christi hat sich in den ersten Jahrhunderten der christlichen Kirche erhalten; die spätere Kirche ist trägen Herzens geworden und hat das geistig gesprochene ungeistig verstanden, und auch jetzt noch hat in dem Einzelnen und in der Gemeinde das geistige Verständniß mit dem ungeistigen Verständniß zu kämpfen.
Alle christlichen Confessionen sind ohne Ausnahme darin einverstanden, daß das Abendmahl ein geistiges Mahl sei. Man sollte also denken, daß aller Streit beseitigt und aufgehoben sein müßte. Statt aber dieses große Zugeständniß genügend auszubilden und in allen seinen Folgerungen anzunehmen, hat man zu gleicher Zeit auch die entgegengesetzte Seite, das ungeistige Verständniß, ausgebildet. Um den Streit, der im zwölften und dreizehnten Jahrhundert mit trägem Herzen und scharfem Verstande darüber geführt wurde, wie der Leib Christi im Abendmahle sei, endlich zu einer Entscheidung zu bringen, hat die Kirche (1215) angenommen, daß das Brod im Abendmahl sich in den Leib Christi verwandle, und daß nach richtigem Denken dasjenige, was einmal Leib Christi geworden sei, auch Leib Christi bleiben müsse, so lange es da sei. Hat es vor der Kirchentrennung Streit über das Abendmahl gegeben, so war es nicht zu verwundern, daß es auch nach der Kirchentrennung Streit über das Abendmahl gab. Ein Theil der katholischen Kirche mußte sich von dem andern Theil der katholischen Kirche trennen, weil der Papst und die Mehrzahl der Kardinäle die Reform verweigerte, von welcher jetzt die ganze katholische Kirche zugiebt, daß sie nothwendig war, und welche damals von der Gemeinde, mit Einschluß eines kleinen Theils der Kardinäle und eines großen Theils der Priesterschaft, mit Einschluß der deutschen Kaiser und der französischen Könige, so wie aller anderen Regierungen vergeblich gefordert wurde.
Der nun getrennte und für sich bestehende Theil der allgemeinen oder katholischen Kirche hat die Lehre vom Abendmahl in verschiedener Weise ausgebildet. Die evangelisch-lutherische Lehre will nicht untersuchen, wie die wirkliche und substantielle Gegenwart des Leibes und Blutes Christi im Abendmahl erklärt werden könne; es ist ihr genug, daß Leib und Blut Christi unter Gestalt von Brod und Wein wirklich gegenwärtig seien, aber nur im Abendmahl, nicht vorher und nicht nachher; weil aber beide in Wirklichkeit gegenwärtig seien, so empfange auch der Ungläubige im Abendmahl den Leib und das Blut des Herrn, sich zum Gerichte; im Uebrigen ist das Abendmahl der evangelisch-lutherischen Lehre, wie der reformirten und auch der römisch-katholischen Lehre ein geistiges Mahl. Die reformirte Lehre hat schon vor 300 Jahren alles von dem Abendmahl hinweggethan, was es noch mehr ist als ein geistiges Mahl, und es ist ihr ein geistiges Mahl geblieben, so gut als der lutherischen und der römisch-katholischen Kirche. Sie lehret, daß Christus nur dadurch in uns gegenwärtig sein kann, daß wir durch Ergreifen des neuen Lebens zur Aufnahme des Geistes Gottes und Christi geschickt und zubereitet sind. Brod und Wein im Abendmahl sind ihr Wahrzeichen, Pfänder und Siegel der Gewißheit, daß Christus in uns gegenwärtig sein will, daß jeder, wenn er nur überhaupt in Freiheit unterthan sein will, so viel von dem Geiste Christi empfangen soll, als Gott ihm aufzunehmen beschieden hat; denn den ganzen Christus, den ganzen Geist Christi in sich aufnehmen, das kann keiner, und wer es wollte, würde sich selbst zu Christus machen wollen. Aber freilich, in Freiheit unterthan muß er sein wollen, ergreifen muß er im Glauben das ideale Leben aus Gott und durch Christus, sonst empfängt er, wie jeder Ungläubige, im Abendmahl nichts anderes als Brod und Wein, sich zum Gericht. Wohl ist es möglich, daß den oder jenen das Ergriffensein im Abendmahl zum Ergreifen des neuen Lebens hinführt, daß also für ihn ein Abendmahl den Anfang des neuen Lebens bezeichnet; dann aber muß er auch in dem neuen Leben stehen bleiben, und bei seinem nächsten Abendmahl muß es wahr werden, daß er vorher und nachher den Geist Christi in sich aufnimmt, sonst wird er ihn auch im Abendmahl nicht in sich aufnehmen, und er gehört wieder, oder genauer, er gehört immer noch zu denen, die nur Brod und Wein empfangen. Gegenwärtig, wirklich gegenwärtig im Geist ist nach reformirter Lehre im Abendmahl Christus dem Gläubigen, Pfand und Siegel der Gewißheit für die Gegenwart Christi im Geiste sind ihm die Wahrzeichen der That, durch welche Christus in freier Unterordnung unter die Ordnung Gottes sich für uns hingab, so gewiß als er zur Andeutung seines freien Entschlusses das Brod gebrochen hat. Erinnerungsmahl an diese That Christi ist das Abendmahl der reformirten Lehre von ihren ersten Anfängen bis auf den heutigen Tag nicht mehr und nicht weniger, vielmehr ganz in demselben Maße als der lutherischen und der römisch-katholischen Lehre.
Zu unserer Zeit besteht Gott sei Dank im Ganz weit mehr Neigung, das Einigende in der lutherischen und reformirten Lehre vom Abendmahl zu erkennen, als das Trennende hervorzuheben und auszuspitzen. Ein gutes Zeichen ist, daß man nicht mehr, wie in früherer Zeit, zu Religionsgesprächen auffordert, die zur Verständigung führen sollten, aber nur zu größerer Entfremdung geführt haben, weil die Aufforderungen in der Erwartung erlassen wurden, daß es gelingen werde, die andere Seite zu der eigenen Meinung herüber zu führen. Wer sich der Übereinstimmung mit dem anderen in der Hauptsache bewußt ist, freut sich diese Uebereinstimmung bethätigen und gelegentlich auch aussprechen zu können, aber er sucht nicht in dem, was er noch als trennend erkennt, den anderen zu sich herüber zu ziehen. Die falsche Liebe zum Frieden, der so bequem ist, soll nicht Antheil haben an der Neigung, das Einigende in der Lehre vom Abendmahl höher zu halten, als das trennende, und wer es einmal erkannt hat, daß der sicherste Weg zum Frieden darin besteht, daß man das Unterscheidende völlig zu würdigen wisse, der wird immer noch wünschen müssen, daß die Kenntniß des Unterscheidenden auf beiden Seiten größer sein möchte. Aber auch bei genauer Kenntniß des Unterschieds muß man zugeben, daß des Trennenden weniger geworden ist. Keinem aufrichtigen Anhänger der lutherischen Lehre wird es noch einfallen, die Gründe sich aneignen zu wollen, mit welchen auf dem Religionsgespräch zu Maulbronn 1564 die lutherische Seite die Lehre vertheidigt hat, daß recht wohl im buchstäblichen Sinne der Leib Christi an jedem Tage unzähligemale an unzähligen Orten im Abendmahle empfangen werden könne, denn er sei zur Rechten Gottes, die Recht Gottes aber sei überall; und kein Reformirter wird sich die siegreiche Widerlegung dieser Lehre noch heute zum Ruhme anrechnen dürfen, denn die Lehre selbst ist von der lutherischen Seite zum größten Theile aufgegeben worden. Sie hat erkannt, daß diese Lehre von dem Ueberallsein des Leibes Christi dem Grundsatz widerspreche, den sie der römisch-katholischen Lehre entgegenhält, dem Grundsatz, daß sie dabei stehen bleibe, daß der Leib Christi im Abendmahl leiblich gegenwärtig sei, daß sie aber nicht darüber urtheilen wolle, wie das zu erklären und wie das möglich sei. Denn freilich enthielt diese Lehre ein entschiedenes Urtheil über die Art, wie die leibliche Gegenwart Christi im Abendmahl erklärt werden sollte. Wie aber die lutherische Seite die Lehre aufgegeben hat, daß der Leib Christi überall sein könne, weil er zur Rechten Gottes, die Rechte Gottes aber überall sei, so hat auch die reformirte Seite ihr Hauptargument gegen diese Lehre fallen lassen, welches darin bestand, daß der Leib Christi nach der Himmelfahrt im Himmel sei, und deßhalb nicht an unzähligen Orten zugleich auf der Erde sein könne. Die reformirte Lehre hat weder Grund noch Veranlassung mehr zu der Behauptung, daß der Leib Christi im Himmel sei. Dagegen hat die lutherische Seite mit um so größerer Bestimmtheit eine Lehre festgehalten, die zwar noch nicht auf dem Marburger Religionsgespräch 1529, wohl aber auf dem zu Maulbronn 156 vorgebracht, und schon damals von der reformirten Seite bekämpft worden ist, die Lehre nämlich, daß in dem Abendmahl der verklärte Leib Christi genossen werde. Luther hätte zu Marburg diese Worte nicht wohl gebrauchen können, weil er sich darauf beschränkte, zu erklären, daß er bei den Worten: „das ist mein Leib“ stehen bleiben wolle. Man würde ihm geantwortet haben, Christus sage nicht: „das ist mein verklärter Leib“, so wie man ihm auch geantwortet hat, Christus sage nicht: „in dem Brode ist mein Leib“, sondern: „dies ist mein Leib, der für euch gegeben wird“, und die Bedeutung dieser Worte müsse mit Hinzunahme von Joh. 6 aus der Schrift erkannt werden. Das sei die Bedeutung dieser Worte: „wie ich dies Brod breche, so werde ich mein Leben für euch lassen“; und wenn Luther zugegeben habe, daß die Worte in so fern bildliche Rede seien, als das Brod Brod bleibe, und doch den Leib Christi enthalte, so könne er auch zugeben, daß Christus mit der bildlichen Handlung des Brodbrechens auf den freien Entschluß seiner Erlösungsthat hingedeutet habe. Denn, so setzte man weiter hinzu, auch in anderen Stellen der Schrift sei das Wort „ist“ mit derselben Bestimmtheit gebraucht, z.B. in den Worten: „Johannes ist Elias“, „ich bin der Weinstock“, „ich bin die Thür des Eingangs“, „der Same ist das Wort Gottes“, „der Acker ist die Welt“, „der Fels war Christus“, und doch könnten diese Worte von denen, die sie nicht bildlich verstehen wollten, gar nicht verstanden werden. Auch die römisch-katholische Lehre findet sich im vollen Gegensatz gegen die Annahme, daß der verklärte Leib Christi im Abendmahle gegenwärtig sei. Sie bedarf dieser Annahme nicht, um sich, neben der geistigen Gegenwart Christi im Glauben, die sie festhält, auch der leiblichen Gegenwart Christi versichert zu halten; denn das Wunder, welches sich verwirklichen muß, damit nach der Entscheidung, durch welche die Kirche den Abendmahlsstreit des zwölften Jahrhunderts zu beendigen suchte, Christus im Abendmahl leiblich gegenwärtig sei, wird durch jene Annahme weder größer noch geringer, es bleibt vielmehr ganz dasselbe. Eben so bleibt auch für die lutherische Lehre das Wunder der leiblichen Gegenwart Christi im Abendmahl dasselbe, mag sie die Gegenwart des verklärten Leibes, oder die Gegenwart des Leibes ohne diesen Zusatz annehmen, und Luther zu Marburg war ohne diesen Zusatz eben so gewiß als Andreä in Maulbronn mit demselben. Desungeachtet wird zu unserer Zeit ein solcher Nachdruck auf die Gegenwart des verklärten Leibes Christi im Abendmahl gelegt, daß es scheint, als habe man das Bewußtsein, daß die leibliche Gegenwart Christi im Abendmahl gar nicht zu behaupten sei, wenn sich nicht die Gegenwart des verklärten Leibes vertheidigen lasse. Die reformirte Lehre aber hat dawider, daß die Schrift nichts sagt von der Gegenwart des verklärten Leibes Christi im Abendmahl, und daß wir nicht berechtigt sind, da, wo nach göttlicher Ordnung menschliche Fassungskraft und menschliches Denkvermögen aufhört, zur Erforschung des Unerforschlichen Folgerungen aus der Schrift zu ziehen. Wir finden keine Spur, daß die Apostel und die Kirche der ersten Jahrhunderte die leibliche Gegenwart Christi im Abendmahl angenommen hätten, und die reformirten Lehrer haben zahllose Belegstellen dafür beigebracht, daß den Kirchenvätern der ersten Jahrhunderte diese Annahme fremd war; auch der lutherischen Lehre ist die geistige Gegenwart Christi in der Anschauung des Glaubens das Wesentliche; legt sie außerdem Werth auf die Annahme, daß der Leib Christi, und insbesondere, daß der verklärte Leib Christi im Abendmahle gegenwärtig sei, so ist es keine Frage, daß man dieser Annahme Raum lassen muß, aber man sollte sich zu ihrer Begründung nur auf die Ausführungen der Lehrer und nicht auf die Bibel berufen. Daß die Berufung auf die Einsetzungsworte eben so vollständig den Reformirten zukommt, als allen anderen Christen, steht sicher; aus dem Schluß der Evangelien kann aber ohne Willkür nicht gefolgert werden, daß der verklärte Leib Christi im Abendmahle gegenwärtig sei, und der Apostel Paulus hat uns nicht die Aufgabe hinterlassen, aus dem fünfzehnten Kapitel seines ersten Briefes an die Korinther diese Folgerung abzuleiten. Sie ist vielmehr ein abermaliger Versuch, zu erklären, wie es möglich sei, daß Christus leiblich im Abendmahl gegenwärtig sei, und die im Voraus angekündigte Absicht, auf alle solche Versuche zu verzichten, hat sich als unausführbar erwiesen. So lange der menschliche Verstand sich für berechtigt hält, die leibliche Gegenwart Christi im Abendmahl anzunehmen, so lange kann und wird er es sich nicht nehmen lassen, Erklärungen für diese Annahme zu suchen.
Zwingli und die übrigen reformirten Lehrer scheuten sich nicht, die Worte zu gebrauchen, daß der Leib Christi im Abendmahle sei. Sie waren sich der Anwendung dieser Worte gewiß, und wußten, daß darunter der sacramentliche, der in der Anschauung des Glaubens durch die freie That Christi für uns in den Tod gegebene Leib Christi verstanden sei. In folgender Stelle aus seinem Glaubensbekenntniß an Kaiser Karl V. vom 3. Juli 1530 findet sich die Ueberzeugung Zwingli's zusammengefaßt: „Ich glaube, daß im heiligen Abendmahle der Danksagung der wahre Leib Christi in der Anschauung des Glaubens gegenwärtig sei, das ist, daß diejenigen, welche dem Herrn danksagen für die Wohlthat, die er uns in seinem Sohne erweisen, anerkennen, daß er wahrhaft Fleisch angenommen, wahrhaft im Fleische gelitten, wahrhaft unsere Sünden durch sein Blut abgewaschen, und daß so ihnen das ganze durch Christum vollbrachte Werk in der Anschauung des Glaubens gegenwärtig werde.“ Zu den Worten: „daß er wahrhaft unsere Sünden durch sein Blut abgewaschen“ ist zu bemerken, daß damit dasselbe gesagt ist, was wir so ausdrücken würden: daß er im Gehorsam gegen den göttlichen Willen, der auf Verwirklichung des Guten zugerichtet ist, für uns, das ist zu unserem Frommen, damit wir durch Ergreifen des neuen Lebens Erlösung und Versöhnung hätten, sich in den Tod gegeben hat. Es ist wahr, die Lehrer der Reformationszeit hatten die seit dem elften Jahrhundert genauer ausgebildete Vorstellung, daß die Worte der heiligen Schrift: „für uns in den Tod gegeben“ die Bedeutung hätten, daß Christus in dem Tod des Versöhnopfers, wie es der alte Bund an dem Opferthiere fordert, durch Stellvertretung an unserer Statt zur Genugthuung der göttlichen Strafgerechtigkeit den Tod erlitten habe, den wir hätten erleiden sollen. Diese Vorstellung, die man mit Recht die alttestamentlich-gesetzliche und juristische genannt hat, konnte in ihren ersten Anfängen nur darin begründet sein, daß die Christen bald nach dem Kreuzestode Christi annahmen, daß sie selbst noch das Endegericht und das Ende der Welt erleben würden, daß sie folglich nicht den gewöhnlichen Tod, sondern nur eine Verwandlung des Leibes erfahren würden, und daß Christus durch sein stellvertretendes Versöhnopfer den gewöhnlichen Tod dieses Leibes, da nun das Ende der Welt nahe sei, für immer aufgehoben habe. Als die Erwartung unerfüllt blieb, da hätte man auch die Vorstellung aufgeben sollen, daß Christus an unserer Statt, das heißt also in der Weise, daß wir den Tod nicht mehr zu erleiden hätten, den Tod erlitten habe. Jetzt war es Zeit, zu erkennen, daß die Worte der Schrift: „für uns in den Tod gegeben“ nicht „in Stellvertretung an unserer Statt“ bedeuten, sondern „zu unserem Frommen“, und daß die heilige Schrift, wie seitdem unzählige der frömmsten Christen bewährt und bekundet haben, diese Auffassung überall zuläßt, und für jeden, der ihr einmal nahe getreten ist, unbedingt fordert. Weil man das bestritten hat, deshalb zieht sich der Kampf zwischen der einen und der anderen Auffassung ununterbrochen durch die Geschichte der Kirche von der ersten bis zu unserer Zeit. Die Unmöglichkeit, der ersten Auffassung sich hinzugeben, die geringe Ausbildung, welche die zweite erfahren hat, und die Schwierigkeit, ohne genügende Anleitung sie zu finden, ist eine der Hauptursachen geworden, weshalb der Abfall vom Christenthum so über die Maßen groß ist. Gerade jetzt haben die bewährtesten und begabtesten unter unseren gläubigen theologischen Lehrern auf der reformirten sowohl als auch der lutherischen Seite das Hauptbedürfniß der heutigen Theologie in dem Nachweis erkannt, daß die Worte der Schrift: „für uns in den Tod gegeben“ in ihrem Wesen und in ihrer vollen Kraft stehen bleiben, auch wenn die Vorstellung von dem stellvertretenden Versöhnopfer Christi wegfällt. Sie haben erkannt, daß wir, wenn wir dieser Auffassung widerstreiten, uns tief unter das Verständniß herabsetzen, welches sämmtliche Propheten des alten Bundes von ihren Zuhörern verlangten, da sie alle ohne Ausnahme das lehrten, was Jeremias 7, 22 in die Worte faßt: „so spricht der Herr: ich habe euern Vätern des Tages, da ich sie aus Egyptenland führete, nicht gesagt noch geboten von Brandopfern und Schlachtopfern.“
Zwingli's Ueberzeugung vom Abendmahl findet sich auch in folgender Stelle der im Jahr seines Todes 1531 von ihm verfaßten Erklärung des christlichen Glaubens an den König Franz I. von Frankreich verzeichnet: „wir werden demnach gezwungen, wir mögen es wollen oder nicht, anzuerkennen, daß diese Worte: das ist mein Leib u.s.w. nicht natürlich und nach dem eigentlichen Sinne der Worte zu verstehen seien, sondern sinnbildlich, sacramentlich, in der Weise, daß die Worte: „das ist mein Leib“ so viel heißen, als „das ist das Sacrament meines Leibes, oder: „das ist mein sacramentlicher oder mystischer Leib“, das heißt: „ein sacramentliches Sinnbild desjenigen Leibes, der bei der Menschwerdung wirklich und wahrhaft ist angenommen und für uns in den Tod ist gegeben worden.“„
Als Luther in seinem letzten Lebensjahre 1546 zu der Reise nach Eisleben zu den Grafen von Mannsfeld sich rüstete, ließ er Melanchthon zu sich rufen und sagte ihm: „ich muß bekennen, in der Sache vom Abendmahle ist zu viel geschehen“; worauf Melanchthon antwortete: „Herr Doctor, so lasset uns eine Schrift stellen, worin die Sache gelindert werde.“ Luther gab zur Antwort: “ ja lieber Philipp, ich habe es viel und oftmals gedacht, aber so wird die ganze Lehre verdacht; ich will es dem allmächtigen Gott befohlen haben. Thut ihr auch etwas nach meinem Tode.“
Quelle:
Reformirte Erklärung über das Abendmahl
Gießen 1858.
Verlag von Ernst Heinemann.
(Heyer's Universitäts-Buchhandlung