Thomas von Kempen - Buch 3 - Kapitel 42
Daß man den Frieden nicht bei Menschen suchen soll.
1. Sohn! wenn du deinen Frieden auf irgend einen Menschen setzest, weil er gleiche Gesinnung mit dir hat und mit dir zusammen lebt, so wirst du unstät und verstrickt sein.
Wenn du aber eine Zuflucht hast bei der Wahrheit, so wirst du dich nicht betrüben, wenn ein Freund dir untreu wird oder stirbt.
In mir muß deine Liebe zum Freunde gegründet sein, und um meinetwillen mußt du ihn lieben, wie gut er dir erscheine und wie sehr du ihn auch werthschätzest.
Ohne mich hat die Freundschaft weder Werth, noch Bestand; noch gibt es ein ächtes und reines Freundschaftsbündniß, welches ich nicht gestiftet habe.
So sollst du dergleichen Neigungen zu geliebten Personen abgestorben sein, daß du allenfalls auch ohne Umgang mit Menschen zu leben wünschen möchtest.
Um so viel näher kommt der Mensch Gott, je weiter er sich von allem menschlichen Trost entfernt.
Auch steigt er um so viel höher zu Gott empor, je tiefer er in sich hinabsteigt und je mehr er sich selbst erniedrigt.
2. Wer sich aber etwas Gutes zuschreibt, der wehret der Gnade Gottes, zu ihm zu kommen; denn die Gnade des heiligen Geistes sucht stets ein demüthiges Herz.
Wenn du dich vollkommen zu vernichtigen und aller kreatürlichen Liebe zu entledigen wüßtest; so müßte ich meine ganze Gnadenfülle in dich ausströmen. Heftest du aber deinen Blick auf die Kreaturen, so wird dir der Anblick des Schöpfers entzogen.
Lerne dich in Allem um des Schöpfers willen überwinden, dann wirst du fähig sein, zur göttlichen Erkenntniß zu gelangen. Wie gering auch etwas sein mag, sobald es mit Leidenschaft geliebt und beäugelt wird, hält es vom Höchsten ab, und befleckt.