Tersteegen, Gerhard - Gottesfürchtige und erbauende Briefe - Erster Brief.

Tersteegen, Gerhard - Gottesfürchtige und erbauende Briefe - Erster Brief.

Das innere Leben, oder die fortwährende Übung des Wendens nach Gott in unserm Herzen, ist der Kern des wahren Christentums und der kürzeste Weg zu Gott. Wie man dazu gelangt. Hoher Wert eines solchen Lebens. Die heilige Schrift ist für diejenigen, denen die Augen geöffnet sind, voll von diesem Wege.

Im Namen unsers teuren Seligmachers Jesus, der unser Leben und unser Alles sei und bleibe!

Geliebter Bruder!

Deinen lieben Brief habe ich wohl erhalten. Es erquickte mich sehr, von zwei, mir bisher unbekannten Freunden zu gleicher Zeit Schreiben zu bekommen, in denen ich einige Ausdrücke von der Wahrheit fand, nach der mein ganzes Herz, durch Gottes Gnade, trachtet, nämlich: von dem schönen Weg des innern Lebens, bestehend in einem liebenden Einkehren und verborgenen Bleiben in dem Geist unsers Gemüts, um darin die göttliche Majestät im dunklen Heiligtum zu beschauen und im Geist der Wahrheit anzubeten. Diese innere Übung ist gewiss die Seele des wahren Christentums, und die Quelle aller Heiligkeit und Tugend, so wie auch der kurze, gebahnte und einzige Weg zu einem gründlichen und festen Frieden unseres Geistes; indem er uns zu Gott führt, und mit Gott, der das höchste Gut, das wahre Vaterland und die einzige Ruhestätte unseres ewigen Geistes ist, vereinigt. Im Grunde unserer Seele, in der stillen Ewigkeit ist das unermessliche Land der Freiheit zu finden, zu welchem der edelste Teil unseres Wesens gehört. Aber freilich kann niemand wahrhaft dahin gelangen durch menschliche Mittel und eigene Anstrengungen, die unsern Geist nur umdüstern und in die Enge treiben, und ihn immer mehr von Gott und seiner heiligen Gegenwart entfernen. Die Erfahrung wird Dich ohne Zweifel belehren, dass nichts heilsamer ist, als unsere eigenen Anstrengungen aufzugeben, der Wirkung Gottes Raum zu lassen und uns ruhig zu verhalten, zumal in den Stunden unserer inneren Betrachtung. Denn stören wir durch eigenes Schaffen das Schaffen Gottes, so verhindert auch unser eigenes Leben gänzlich das Leben Gottes. Niemand kann innerlich in Gott leben, der noch äußerlich an den Sinnen hängt, und sein Leben in Etwas außer Gott sucht, weil dies ganz entgegengesetzte Stimmungen sind. Darum müssen wir trachten, unsere Sinne eingezogen, unsere Begierden ertötet, unsere Gedanken innig, unsere Gemütsaufregungen oder Leidenschaften unterdrückt, unsern Willen gelassen, unsern Verstand einfältig und unsre Absichten bei Allem recht zu erhalten. Indessen müssen wir bei dieser, wie bei jeder andern Übung, nicht auf uns oder unser Handeln achten, sondern allein auf Gott und sein Wohlgefallen. Alles, was wir tun und leiden, darf nicht gezwungen geschehen, sondern freiwillig, mit Freuden, aus Liebe zu unserm Seelen-Freunde, der uns so nahe ist, und mit inniger Hingebung zu ihm. Zwar wird es nicht an äußerem und innerem Kreuz auf diesem Wege fehlen; aber Alles wird zum Guten mitwirken. Und wie herrlich muss nicht das Leben sein, aus so vielen Ertötungen geboren! Eine Viertelstunde dieses Lebens ist gewiss mehr wert, als ein ganzes Jahrhundert voll weltlicher Genüsse.

Mein lieber Bruder! Gott schenke Dir und mir feste Treue an die unschätzbare Gnade, durch die er uns auf diesen Weg geführt hat, auf dass wir uns nicht kümmern um alles Geschrei außer uns: Hier ist Christus, da ist Christus! Nicht Christus hier oder Christus da, sondern Christus in uns ist die Hoffnung der Herrlichkeit: so hätte es nach dem Grundtext müssen übersetzt werden. (Kol. 1,27.) Dies allein hilft und tröstet in Not und Tod. Denen, die auf diesem Wege trachten, mit Gott und der Ewigkeit vertraut zu werden, wird die Ewigkeit nicht so fremd und bang auf ihrem Totenbette vor Augen stehen.

Ich schreibe dieses, werter Bruder! nicht, um Dich zu belehren, sondern um meine Übereinstimmung mit Deinem Briefe zu bezeugen, und meine Herzensmeinung auszusprechen. Die Bibel ist voll dieses Weges, wenn man nur Augen zum Sehen hat. Viele heilige Männer haben es auch bezeugt, deren Schriften, wenn sie gut gebraucht werden, großen Nutzen stiften könnten. Der Herr Jesus sei selbst unser beständiger Führer und Hirte! Amen! In ihm und seiner Liebe grüße ich Dich von Herzen, und bleibe durch die Gnade

Dein Bundes-Bruder.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/t/tersteegen/tersteegen-briefe/tersteegen_-_brief_1.txt · Zuletzt geändert: von aj
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain