Tersteegen, Gerhard – Briefe in Auswahl – Vorwort von Johannes Biegler.
Den lieben Freunden Tersteegens wird hier eine Sammlung seiner Briefe dargeboten.
Ist alles, was Tersteegen schrieb, vom Geiste Jesu durchhaucht, alles tröstlich und köstlich, beruht alles auf Erfahrung und auf Grundsätzen, die von der Gnade durchleuchtet sind, so sind es aber namentlich seine Briefe, die uns so sehr ansprechen und großen Reiz bieten, weil sich darin der freundlichste und zugleich sicherste Führer des inneren Lebens zeigt, dessen überaus segensreicher Einfluss heute noch in weiten Kreisen fühlbar ist. In Briefen tritt die Innerlichkeit hervor, wie sie ist, spiegelt sich die Persönlichkeit und die Gemütsstimmung klar ab. Der Schreibende nimmt den Ausdruck, wie ihn der Augenblick gibt, dreht und wendet seinen Stoff ohne ängstliche Beobachtung der Gesetze der Sprachlehre und lässt ihn nach Erfordernis seines Raumes und seiner Zeit fallen. Ebenso verhält es sich mit Tersteegens Briefen. Seine Gottinnigkeit, seine Ergebung in Gottes Fügung und Führung, seine innige Teilnahme an dem Wohl und Wehe seiner Freunde, seine Demut, seine Selbstverleugnung, seine liebenswürdige Herzenseinfalt, dies alles strahlt uns daraus entgegen. Bei all dem hatte er jenes Siegel der Kindschaft empfangen, dass er von seinen Vorzügen und Tugenden nichts wusste. Weil er selbst zum vollkommenen Alter in Christo Jesu herangereift war, so durfte er auch andern Fingerzeige, Winke, Ratschläge und Belehrungen erteilen, ihnen Führer und Wegweiser hinsichtlich des inwendigen Lebens sein. Man erstaunt über die Klarheit, womit er in seinen Briefen redet von den verborgensten und den flüchtigsten Regungen, welche aller Bezeichnung durch die Sprache zu entschlüpfen scheinen. Treffliche und sichere Anleitungen gibt er darin für manche bedenkliche Zustände des inneren Lebens, welche oft eintreten, und in denen doch viele sich nicht zu raten und zu helfen wissen. Da nun bei den verschiedensten Christen dieselben oder doch die ähnlichen Zustände, Gefahren und Kämpfe auf dem Wege der Heiligung häufiger, als man gewöhnlich denkt, wieder zu kehren pflegen, so können die in diesen Sendschreiben den zur Zeit Tersteegens lebenden Lesern erteilten Belehrungen auch von uns in gleicher Weise zum Segen benutzt werden. Auf diese Weise dürfte man eine solche Sammlung geistlicher Briefe für ein Erbauungsbuch halten, zumal da die Briefform für die Erbauung schon durch die Briefe der Apostel geweiht ist, und der Zweck jeder Erbauungsschrift die Vereinigung der Seele mit dem HErrn sein soll.
Dass doch durch diese Briefe noch manche Seele in sich selbst zurückgeführt werde, damit sie auf die Regungen der göttlichen Gnade in ihrem Herzensgrunde achte und denselben treulich folge! Nur so kann das innerlich begonnene gute Werk weiter geführt und gefördert werden, indem wir dem Eigenwillen und Eigensinn, der Liebe zu dem eigenen Ich und zu den Geschöpfen absterben und allein in dem HErrn, dem allgenugsamen und liebenswürdigsten Gute, in kindlicher Herzenseinfalt leben und ruhen.
Dazu verleihe unser HErr und Heiland Jesus Christus seinen Segen!
Dorn-Dürkheim, in Rheinhessen, am Tage Aller Heiligen 1888.
Johannes Biegler.