Calvin, Jean - Der Prophet Jesaja - Kapitel 7.

Calvin, Jean - Der Prophet Jesaja - Kapitel 7.

V. 1. Es begab sich usw. Hier wird die herrliche Weissagung mitgeteilt, die von Jerusalems wunderbarer Befreiung handelt, als es gänzlich um dasselbe geschehen schien. Der Prophet legt nun alle Umstände dar, die das Wunder in helles Licht setzen und deutlich zeigen, dass die Stadt nicht durch menschliche Pläne und Kräfte, sondern durch Gottes Gnade gerettet wurde. Denn das Volk war so undankbar, dass es nach geschehener Tatsache die Rettung durch Gottes Hand nicht anerkannt haben würde, wären ihm nicht alle einzelnen Umstände ins Gedächtnis zurückgerufen. Und als die Gefahr noch drohte, wagten nur wenige zu hoffen, was Jesaja weissagte: denn man bildete sein Urteil über den öffentlichen Stand des Königreichs nach dem gegenwärtigen Befunde. Um also Gottes unvergleichliche Wohltat klarzulegen, entfaltet der Prophet alle einzelnen Umstände. So sollte Israel anerkennen, was wie großer Gefahr es durch Gottes Hand gerissen war; wir aber sollen inne werden, dass diese Wohltat an undankbare Menschen gewandt wurde, damit Gottes Gemeinde gerettet, und damit endlich Christus aus ihr erweckt werde. Wir müssen nun wissen, dass der Prophet von dem zweiten Kriege spricht, den Pakah und Rezin heraufführten. Dies ergibt sich leicht aus der heiligen Geschichte. Denn in einem ersten Kriege wurde Ahas besiegt und eine ungeheure Menge in die Knechtschaft abgeführt; dieselbe wurde aber endlich von den Israeliten zurückgegeben, als ein Prophet im Namen Gottes dies gefordert hatte (2. Chron. 28, 5 ff.). Indessen sammelten die Könige von Israel und Syrien wiederum ein Heer und griffen Ahas an, weil sie glaubten, dass er durch den früheren Krieg gebrochen sei und keine Kraft zum Widerstand mehr besitze (2. Kön. 16, 5). Die Erinnerung an diesen zweiten Krieg muss freilich zum besonderen Ruhm des göttlichen Wunders dienen. Denn allerdings hatte Ahas keine frische Kraft mehr, einer so gewaltigen Menge zu begegnen: die Blüte des ganzen Volks war im ersten Kriege zerschlagen, und wenn auch noch viel Volk übrig blieb, so war dasselbe doch unkriegerisch und durch das Gedächtnis der frischen Niederlage erschreckt. Gottes Güte und Kraft zeigen sich also besonders darin, dass er nach einer so großen Niederlage sich erbarmt und seinem Volk Hilfe bringt: da alle an seinem Heil verzweifelten, riss er es plötzlich aus den Schlünden des Todes.

Zog herauf usw. Diese Sätze geben die Überschrift und den Gesamtinhalt des ganzen Ereignisses. Der Prophet deutet an, wovon er reden will, und fasst nach hebräischer Erzählungsweise kurz zusammen, was er nachher ausführlicher und in allen seinen Teilen berichten wird. Denn schon hier im Eingang deutet er auf das Ergebnis, dass der Zug der beiden Könige vergeblich war. Erst später berichtet er, weshalb sie Jerusalem nicht erobern konnten. Zuvor aber deutet er kurz an, welche Stimmungen und Pläne der König hegte.

V. 2. Da ward dem Hause David angesagt usw. Gemeint ist Davids Palast und Hof: dem Ahas und seinen Ratgebern wurde der Anschlag der beiden Könige gegen Juda mitgeteilt. Ephraim, woselbst die Syrer sich gelagert hatten, deutet in bekannter Weise auf das ganze Reich Israel: denn jener Stamm übertraf die übrigen an Volkszahl und Kraft, auch war der erste König Jerobeam aus ihm hervorgegangen.

Da bebte ihm das Herz und das Herz seines Volks. Vom königlichen Palast springt der Schrecken auf das ganze Volk über. Es war ja auch nicht anders möglich, als dass das Volk gleicher weise erzitterte, wenn es von der Furcht des Königs und der Obersten hörte. Sobald also die Botschaft eintraf, wurden alle vom Schrecken ergriffen, und jedermann verlor den Kopf. Mit einem auch uns geläufigen Gleichnis wird gesagt, dass sie zitterten, wie die Bäume im Walde beben vom Winde. Dadurch rückt das Wunder in ein besonders helles Licht. Denn es wird deutlich, dass das Volk nicht bloß anderen, sondern auch sich selbst ganz verzweifelt vorkam. Es wäre also verloren gewesen, hätte nicht der Herr rechtzeitig Hilfe gebracht. Hier wird uns wie in einem Spiegel die Sicherheit gezeigt, in welcher die Gottlosen sich wiegen, solange sie Gottes Hand nicht fühlen; sobald aber der Herr ihnen irgendetwas von Gefahr zeigt, erzittern sie in plötzlicher Furcht. Denn im Glück fühlen sie sich sicher und glauben sich kaum dem Regiment Gottes unterstellt; wenigstens wähnen sie aller Gefahr entrückt zu sein. Im Unglück aber werden sie bestürzt und brechen plötzlich zusammen: Furcht nimmt ihre Sinne derartig gefangen, dass sie wie tot und niedergeschmettert daliegen. Dies ist die Strafe, mit welcher der Herr sie aus ihrer tiefen Schlafsucht aufweckt. Denn zuerst glaubten sie fest und unbeweglich zu stehen und niemals fallen zu können: jetzt aber erschrecken sie plötzlich bei der geringsten Beunruhigung. Durch diesen Schrecken rächt sich der Herr, den sie immer nur gezwungen verehren. Wenn aber in uns auch nur ein Funke von Glauben ist, wollen wir lernen, dass man bei drohender Gefahr gegen Gott nicht ein solches Misstrauen hegen soll. Gewiss können wir in der Gefahr nicht völlig unerschüttert und unbewegt bleiben: aber in ein solches Zittern brauchen wir nicht zu verfallen, dass wir uns ängstlich hierhin und dorthin umtreiben ließen und keine Zuflucht mehr sehen, wo unser Fuß haften könnte. Der Unterschied zwischen der Furcht der Frommen und der Gottlosen muss bleiben, dass die Letzteren kein Mittel finden, ihre Seele zu beruhigen, während die Frommen alsbald zu Gott fliehen, wo sie ihren sichersten Hafen haben. Wenn auch Unruhe sie quält, bleiben sie doch gesammelt und still.

V. 3. Aber der Herr sprach usw. Zuerst sehen wir, wie Gott an seinen Bund gedenkt und dem gottlosen König durch die Sendung des Propheten zuvorkommt: er wartet nicht auf seine Bitten, sondern verspricht aus freien Stücken, dass er ihn retten wolle. Als Zeuge für seine Weissagung wird dem Propheten sein Sohn Sear-Jasub beigegeben, d. h. der Rest wird zurückkehren. Es lässt sich vermuten, dass ihm dieser Name nicht zufällig, sondern durch verborgenen Antrieb des Geistes, oder auf ausdrücklichen Befehl Gottes, gegeben wurde: er sollte auf die künftige Erlösung des Volkes deuten. So war in diesem Namen das Siegel sowohl der nahen Gefangenschaft, als der Rückkehr eingeprägt. Man muss auch annehmen, dass diese symbolische Darstellung der Weissagung allgemein bekannt war. Denn Sear-Jasub wäre seinem Vater nicht als Begleiter beigegeben worden, wenn nicht seine Person eine besondere Bedeutung gehabt hätte. Der Ort der Begegnung wird genannt, um die Gewissheit der Erzählung zu bekräftigen. Möglicherweise ist der König herausgegangen, um die Zugänge zu mustern, an denen man den Feind abhalten konnte: das wird auch aus der heiligen Geschichte deutlich (2. Kön. 18, 17). Die Stelle wird bezeichnet als am Wege beim Acker des Walkmüllers gelegen, wahrscheinlich, weil man dort Felle zu waschen pflegte, vielleicht auch, weil irgendein altes Denkmal mit diesem Namen sich dort befand. In jedem Falle war es ein Zeichen von Angst und Furcht, dass jener elende Heuchler hierhin und dorthin lief, als Jesaja ihm begegnete, seine Seele zu beruhigen.

V. 4. Und sprich zu ihm: Hüte dich. Gemeint ist nicht, dass Ahas sich hüten solle, Krieg zu führen. Er soll sich vielmehr in Zucht nehmen, dass sein Geist nicht zweifelnd hin und her schwanke, sondern gesammelt und ruhig bleibe. Er soll nicht in innern Aufruhr geraten und durch Unruhe seine Seele quälen, wie denn die Menschenherzen unbeständig umherzuirren pflegen, wenn der Schrecken sie treibt. Dass dies die Meinung ist, zeigt auch die Fortsetzung: und sei stille. Dies beides pflegt ja miteinander verbunden zu sein, dass jemand in innerer Sammlung sich hütet, von mancherlei Plänen sich umtreiben zu lassen und hierhin und dorthin auszuschauen, - sowie dass er überhaupt sich ganz ruhig hält und ein friedliches Herz hat. Das sind die überaus süßen Früchte, welche der Glaube bringt. Denn während die Ungläubigen unter allerlei Stößen ins Wanken kommen und unsicher umherirren, auch nicht wissen, wohin sie sich wenden sollen, halten die Gläubigen sich im Zaum und bergen sich ruhigen Gemütes bei ihrem Gott. Die Unfrömmigkeit hat niemals Ruhe: wo aber der Glaube lebendig ist, bleibt das Herz in einem ruhigen Stande und zittert nicht über die Maßen. So beschreiben diese Worte aufs Trefflichste die Kraft des Glaubens. Und nachdem der Prophet das Heilmittel gezeigt hat, welches die aufgeregten Wogen des Geistes stillt, fügt er das Verbot hinzu: Fürchte dich nicht. Denn dem Glauben, welcher unsere Errettung in Gottes Hand legt, ist nichts schärfer entgegengesetzt, als die Furcht. Doch will ich gestehen, dass bei drohender Gefahr Furcht unausweichlich sich einstellt. Denn der Glaube nimmt uns nicht alles Empfinden. Sicherlich erfasst die Kinder Gottes sogar eine doppelte Furcht: einmal erwächst dieselbe aus dem menschlichen Gefühl, auch wo der Glaube noch so vollkommen ist; das andere Mal kommt die Furcht aus der Schwachheit des Glaubens. Denn soweit kommt niemand, dass er nicht noch Reste von Unglauben in sich trüge, gegen die wir fortwährend zu kämpfen haben. Die Ermahnung des Propheten will also nicht so verstanden sein, als ob uns der Herr jegliche Furcht verwehrte: aber er heißt die Gläubigen mit einer Standhaftigkeit sich rüsten, mit welcher sie die Furcht besiegen können. Er will etwa sagen: lass dich nicht zu Boden werfen; musst du auch schwere und harte Angriffe ertragen, so beweise unbesiegten Mut, damit die Gefahren dich nicht erdrücken: lebe vielmehr dem Herrn und überwinde alles Übel. In derselben Richtung fügt der Prophet hinzu: dein Herz sei unverzagt. Lehrt doch der Apostel mit gutem Grund (Hebr. 13, 9), dass unser Herz durch den Glauben fest wird. Weichlichkeit ist ein Zeichen von Feigheit: man vergisst in seinem Unglauben des Herrn. Wer im Vertrauen auf Gottes Geist standhaft dem Unglück widersteht, ist nicht weich und weibisch. Nach alledem wollte der Prophet nichts anderes, als dass Ahas furchtlosen Herzens den Ausgang erwarten sollte, den der Herr ihm versprach.

Vor diesen zwei rauchenden Löschbränden. Jesaja bedient sich eines treffenden Bildes, um die Meinung, welche die Juden über diese beiden mächtigen Könige hegten, und die ihr Herz mit Schrecken erfüllte, herabzudrücken. Ihre Wut und Grausamkeit erschien wie ein heftig brennendes Feuer, welches ganz Juda anzünden konnte, und welches niemand zu löschen vermochte. Dem gegenüber bezeichnet sie Jesaja nicht als Brandfackeln, was als etwas Großes hätte erscheinen können, sondern als „Löschbrände“, buchstäblich Schwärze von Brandfackeln, die schon am Erlöschen sind. Dieselben brennen auch nicht mehr, sondern rauchen nur: der aus dem Feuer gerissene Brand ist am Erlöschen und gibt nur noch einen dünnen Rauch von sich. Dieses Bild birgt einen großen Trost: wir werden erinnert, dass man die Gewalt der Gottlosen ganz anders einschätzen muss, als nach ihrem Schein. Sie scheinen mit einer Macht begabt, als ob sie den ganzen Erdkreis anzünden und vernichten könnten. Der Herr aber will dem gar zu großen Schrecken begegnen und verkündet, dass nur ein nichtiger und flüchtiger Rauch ist, was wir für eine lang dauernde Feuersbrunst hielten.

V. 5. Dass die Syrer einen bösen Ratschlag gemacht haben. Obgleich der Prophet voraussagt, dass die Drohungen der Feinde Gottes hohl und ihre Anstrengungen vergeblich sein werden, so verschweigt er doch keineswegs, dass ihre Anschläge sehr bösartig wirken müssten, wenn der Herr sie nicht zunichte machte. Denn unter einem bösen Ratschlag ist ein verderblicher zu verstehen: hatten sich doch jene beiden Könige zum Verderben Judas verschworen. Um dies noch deutlicher zu machen und uns gleichsam vor die Augen zu stellen, berichtet der Prophet ihre Worte.

V. 6. Wir wollen hinauf zu Juda. Sie wollen also einen Kriegszug veranstalten und sie erschrecken. Genauer wäre vielleicht zu übersetzen: sie aufscheuchen und in Unruhe erhalten. Die Absicht ist, revolutionäre Neigungen zu verbreiten, sodass die Zustände im Königreich nicht zur Ruhe kommen können. Darum wird auch das nächste Wort, dass sie hinein brechen wollen, nicht notwendig darauf deuten, dass sie das Land mit Gewalt erobern wollen. Buchstäblich wäre zu übersetzen: Wir wollen es eröffnen. Den Zugang zu Juda zu gewinnen, dazu wäre zwar ein Weg gewesen, dass sie mit Waffengewalt seine Schlösser zerbrachen; ein anderer war aber der, dass man furchtsame und schwankende Gemüter durch Furcht zum Abfall reizte. Denn so lange die Untertanen die Treue bewahren, ist der Zugang verschlossen: wo aber durch Parteiungen alles in Verwirrung gerät, öffnet er sich, sodass es leicht wird, auch in die stärkst befestigten und gesichertsten Orte einzudringen. So hofften die beiden Könige, dass sie bei ihrem ersten Eintritt in Judäa alsbald durch die Größe und Gewalt ihres Heeres das ganze Volk erschrecken würden, sodass es weder Kraft noch Willen zum Widerstande mehr hätte. Denn es ist nicht wahrscheinlich, dass sie bei ihrer Ausrüstung mit einer so ungeheuren Menschenmenge ihre Hoffnung erst auf eine lange Belagerung gesetzt hätten. Denn Jerusalem war hinreichend befestigt. Vielmehr glaubten sie, dass es durch die Übermacht sich in Schrecken und Verwirrung setzen lassen würde: so meinten sie, es würde ihnen offen stehen und sich alsbald ergeben. Mag man aber die Worte so oder etwas anders verstehen, - der Sinn des Propheten bleibt nicht zweifelhaft. Wer der Sohn Tabeels war, erfahren wir nicht aus der Geschichte. Vermutlich handelt es sich um irgendeinen dem Hause Davids feindlichen Israeliten, den jene Könige sich zu verpflichten wünschten.

V. 7. Es soll nicht bestehen. Die vorigen Verse zielten darauf, die herrliche und seltene Rettung in ein besonderes Licht zu setzen. Denn wenn der Herr uns wider unsere Anfechtungen Hilfe bringen will, stellt er uns die Größe der Gefahr vor Augen, damit wir nicht meinen, er verheiße weniger, als das zwingende Bedürfnis erfordert. Er pflegt auch das Unglück, das uns drückt, nicht zu verkleinern, sondern stellt es in seiner ganzen Größe dar: dann aber bietet er seine Verheißung an und zeigt, dass er hinreichend Kraft hat uns zu befreien, auch wenn wir verloren scheinen. Nach dieser Regel hält sich auch der Prophet. Er hätte ja kurzweg sagen können, was geschehen sollte, und dem Könige wie dem Volk Mut einsprechen, damit es sich nicht durch jene Heeresmassen einschüchtern und zu Boden drücken ließe. Er beschreibt aber ausführlich die Erwägung und das Planen der feindlichen Könige; dagegen setzt er dann die Verheißung und den Beschluss Gottes, damit die wunderbare Hilfe umso eindrücklicher werde. Denn dies ist der heilige Anker, der allein in den Fluten der Anfechtung uns festhält: wenn Gott uns sein Wort entzieht, werden wir nirgends im Unglück standhalten können. Obgleich also der König schon fast der Verzweiflung erlegen war, zeigt ihm Jesaja, dass er jeden Schrecken verachten dürfe, wenn er nur, durch Gottes Verheißung gerüstet, geduldig erwarten wollte, was man nicht sieht, ja was unglaublich scheint. Was Menschen in gigantischem Übermut gegen Gott aufrichten, soll nicht bestehen. Buchstäblich könnte man übersetzen: soll sich nicht erheben, d. h. es soll keine weiteren Fortschritte machen. Dass es nicht also gehen soll, deutet besonders nachdrücklich darauf hin, dass die lästerliche Frechheit zusammenbrechen soll, denn buchstäblich wäre zu übersetzen: es soll nicht sein. Was sie planen, soll zu einem Nichts gemacht werden, als wäre es niemals gewesen. Welch merkwürdige Sprechweise! Das bloße und schlichte Wort Gottes wird gegen ein ungeheures Heer und gegen die Pläne von Königen gesetzt.

V. 8. Wie Damaskus das Haupt ist in Syrien usw. Der Prophet will sagen, dass jene beiden Königreiche keine anderen Grenzen haben werden, als sie jetzt besitzen. Der Herr ruft dem Ahas zu: mögen sie nach deinem Königreich sich ausstrecken, - ich habe ihnen Grenzen gesetzt, die sie nicht überschreiten werden. Damaskus war die Hauptstadt von Syrien. Die Meinung ist also, dass jene Könige mit ihrer Lage sich begnügen und sich auch in Zukunft nicht weiter ausdehnen sollen als jetzt. An diesen Hinweis darauf, dass ein Versuch der Grenzerweiterung vergeblich sein wird, schließt sich dann die Weissagung auf den Untergang des Reiches Israel: es soll mit ihm aus sein. Denn die Israeliten wurden in die Gefangenschaft geführt und von einem anderen Volk verschlungen. Dies meint der Prophet mit den Worten: dass sie nicht mehr ein Volk seien. Denn damals wurden die zehn Stämme des Reiches Israel unter fremde Völker gemischt und ihre besonderer Name ausgetilgt.

Über fünf und sechzig Jahre. Da die Israeliten im sechsten Jahre des Königs Hiskia in die Gefangenschaft geführt wurden (2. Kön. 18, 10), und Ahas nur sechzehn Jahre regierte (2. Kön. 16, 2), so versteht sich von selbst, dass man die Rechnung nicht erst mit dem Tage anfangen darf, an welchem Jesaja zur Ausrichtung dieser Botschaft geschickt wurde. Denn von hier aus verflossen bis zu der Zeit, da die zehn Stämme in die Gefangenschaft gehen mussten, nur zwanzig Jahre. Es hatte aber schon Amos diese Gefangenschaft geweissagt, und man darf nicht zweifeln, dass nicht bloß seine Weissagung, sondern auch die in ihr festgestellte Zeit allgemein bekannt war: die Zahl der Jahre wird einem jeglichen gegenwärtig gewesen sein. Zählen wir also von der Zeit an, da schon Amos dies weissagte, so kommen wir tatsächlich auf 65 Jahre. Denn Jotham regierte sechzehn Jahre (2. Kön. 15, 33), Ahas ebenso viele; dazu wären sechs Jahre unter König Hiskia zu rechnen bis zur Abführung der zehn Stämme in die Gefangenschaft. Nimmt man endlich an, dass Usia noch 27 Jahre regierte, nachdem die Weissagung erging (Amos 1, 1; 2. Chron. 26, 3; vgl. 2. Kön. 15, 2), so ergeben sich 65 Jahre. Diese Annahme ist sehr wahrscheinlich, und es hat gar kein Bedenken, dass Jesaja auf diesen Zeitpunkt zurückgeschaut haben soll. Besitzen wir doch auch die Weissagung des Propheten Amos (2, 6 ff.), in welcher der Herr das Volk erinnerte, es möchte unerwartet das Unglück über es kommen, sodass es über plötzliche Unterdrückung klagen müsste. Diese Weissagung bestätigt nun Jesaja und wiederholt dasselbe Zeitmaß, welches jedermann bekannt war. So enthalten seine Worte einen scharfen Tadel der Sorglosigkeit Israels: obgleich sie vor dem Untergang ihres Landes und ihres Namens gewarnt waren, verachteten sie in ihrer Sicherheit das Gericht Gottes, ja sie spotteten wie geflissentlich über die himmlische Weissagung, indem sie Juda gierig verschlingen wollten. Sie glaubten schon entronnen zu sein, weil bereits so lange Zeit verstrichen war. Über diese Torheit spottet der Prophet. Sie glaubten, dass in einer kurzen Reihe von Jahren Gottes Wort veralten könne! Weil nun die Leute des Reiches Israel stumpf und unempfänglich waren, redet Jesaja für die Leute von Juda und bestimmt ihnen den Zeitpunkt, zu welchem sie die Niederlage ihrer Feinde erwarten dürfen. Übrigens zeigt uns diese Stelle, dass die Propheten einander treulich in die Hände gearbeitet haben und mit vereinigtem Eifer dem Herrn dienen wollten.

V. 9. Und wie Samaria das Haupt ist in Ephraim usw. Diese Wiederholung bekräftigt, was der Prophet schon sagte. Allerdings meint er nur, dass für die Zwischenzeit bis zum Untergang dem Reich Israel seine Grenzen von Gott gezogen seien. Denn dass die Hauptstadt des Reiches auch nach der angekündigten Zerstörung desselben unversehrt bleiben sollte, wäre ungereimt. Der Prophet will also sagen, dass während jener 65 Jahre Israel einen gewissen Waffenstillstand haben soll: seine Hauptstadt soll Samaria bleiben. Es möge mit seinen Grenzen zufrieden sein und nicht weitere Ansprüche stellen. Denn sein Zustand wird bleiben wie er ist, bis es ganz ausgetilgt wird und aufhört ein Volk zu sein.

Gläubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht. Der Prophet will sagen: Euer Stand wird allein sicher sein, wenn ihr ruhig und ohne Gemütsbewegung erwartet, was der Herr verheißen hat, nämlich die Befreiung. Wollt ihr darauf nicht warten, was anders bleibt euch dann, als der Untergang? Mit großem Nachdruck hebt der Nachsatz an, sodass man fast übersetzen möchte: wahrlich, so bleibt ihr nicht. Der Prophet will tief einprägen, dass sie nicht Bestand behalten können, wenn sie nicht der Verheißung trauen. Dabei mag man zwischen den Zeilen lesen, dass Gott stehen bleiben wird, auch wenn die Menschen seinem Wort den Glauben versagen und es, soviel an ihnen ist, wankend machen wollen. Sie selbst aber werden nicht anders stehen können, als indem sie sich auf die angebotene Verheißung stützen. Daraus entnehmen wir eine allgemeine Lehre: Wenn wir von dem Wort des Herrn weichen, droht uns der Zusammenbruch, wenn wir auch noch so wohl gegründet zu sein glauben. Denn unser Heil ist in Gottes Wort beschlossen: wenn man dies verschmäht, rächt er mit gutem Grunde das ihm angetane Unrecht, - er, der bereitsteht, die Menschen mit seiner Kraft zu halten, wenn sie nur nicht mutwillig in ihr Verderben rennen. Wir müssen also entweder auf den Verheißungen Gottes ausruhen, oder vergebens auf unser Heil warten.

V. 10. Und der Herr redete abermals usw. Da der Herr wusste, dass der König Ahas in seinem unfrommen Sinn der Verheißung nicht standhalten würde, befiehlt er dem Jesaja, dieselbe durch ein beigefügtes Zeichen zu bekräftigen. Denn wo der Herr sieht, dass seine Verheißungen nicht ausreichen, fügt er Stützen hinzu, wie sie für unsere Schwachheit passen: so hören wir nicht bloß seine Rede, sondern empfangen ein handgreifliches Zeugnis zur Bekräftigung, indem wir gleichsam seine Hand gegen uns augestreckt sehen. Hier können wir den Nutzen solcher Zeichen erkennen: Gott pflegt seine Wunder zu tun, um uns im Glauben an sein Wort zu befestigen. Denn wenn wir noch Bedenken tragen, seinem Worte zu trauen, hebt er selbst unsern Zweifel, indem er uns die Tatsache und seine Macht sehen lässt.

V. 11. Es sei unten in der Hölle, oder droben in der Höhe. Der Herr überlässt dem Ahas die freie Auswahl des Wunders, mag er es von der Erde oder vom Himmel begehren: dir soll der Wunsch freistehen; bald wird der Herr dir zeigen, dass sein Reich höher ist, als die ganze Welt, ja dass es auch alle Abgründe der Hölle beherrscht, sodass er nach seinem Belieben die Toten aus den Gräbern erwecken kann. Welch wunderbare Freundlichkeit Gottes gegenüber diesem unfrommen König und dem Volk! Er hat nicht bloß lange Zeit den Unglauben geduldig getragen, sondern sich auch freundlich herabgelassen und sich bereit erklärt, jedes gewünschte Unterpfand seiner Macht zu geben. Immerhin schaut er nicht bloß auf die Ungläubigen, sondern will auch für die Schwachen sorgen, in welchen noch einiger Same der Frömmigkeit schlummerte. Sie sollten umso gewisser überzeugt werden, dass Jesaja nicht in eigener Macht auftrat, wenn er sich zur Bestätigung seines Wortes bereit erklärte, ein Zeichen der Kraft Gottes zu geben. Noch heute offenbart sich die gleiche Güte Gottes gegen uns Menschen: er lässt sich freundlich zu uns herab, obgleich er ein Recht hätte uns zu zürnen. Wie schweres Unrecht tun die Menschen doch dem Herrn, wenn sie an seiner Wahrheit zweifeln! Was bleibt ihm anderes übrig, als sie ihnen zu entziehen? Aber wie sehr wir auch zweifeln, verzeiht er uns nicht nur, sondern kommt auch unserem Schwachglauben zu Hilfe, - nicht bloß mit dem Wort, sondern auch mit Wundern; und nicht bloß den Gläubigen, sondern auch den Gottlosen gewährt er dieselben, wie wir an König Ahas sehen können. Wenn der Herr sich einem ihm entfremdeten Menschen so gütig zeigte, was dürfen dann erst seine Freunde erwarten!

V. 12. Aber Ahas sprach usw. Der König weist das Angebot des Herrn unter einem einleuchtenden Vorwande zurück: er will ihn nicht versuchen. Er stellt sich, als glaube er den Worten des Propheten und fordere von Gott nichts weiter, als sein Wort. Ist der Unglaube vor Gott ein Gräuel, so ist in der Tat kein Zweifel, dass er den Glauben auf das allerhöchste schätzt. Wenn also jemand auf dem Wort allein ausruht und alles andere verachtet, scheint er das höchste Lob zu verdienen. Denn eine größere Vollkommenheit lässt sich nicht denken, als dass ein Mensch sich ganz dem Herrn unterwerfe und sich an ihn hänge. Aber es fragt sich, ob wir wirklich Gott versuchen, wenn wir annehmen, was er uns bietet. Ganz gewiss nicht. Ahas lügt also, wenn er vorgibt, auf das Zeichen verzichten zu wollen, weil er Gott nicht versuchen mag. Denn nichts ist besser und herrlicher, als dem Herrn zu gehorchen. Gewiss ist es eine hohe Tugend, nichts zu begehren außer Gottes Wort: will aber der Herr zu seinem Wort noch etwas hinzufügen, so kann es nicht als lobenswert gelten, wenn man diese Zugabe verachtet, als wäre sie überflüssig. Man tut dem Herrn eine schwere Schmach an, wenn man seine Freundlichkeit gering schätzt, als täte er etwas Unnützes an uns und wüsste nicht, was uns vor allem nötig wäre. Gewiss wird uns der Glaube namentlich auch unter dem Gesichtspunkt empfohlen, dass er den Gehorsam in sich begreift. Wo wir aber überklug sein wollen und irgendetwas gering schätzen, was des Herrn ist, werden wir vor ihm ohne Zweifel verwerflich, wenn wir auch vor Menschen den besten Vorwand haben. Wir wollen also dem Worte Gottes Glauben schenken, aber auch die Hilfsmittel nicht verachten, die er zur Unterstützung unseres Glaubens hinzufügen wollte. Ein Beispiel: Der Herr bietet uns im Evangelium alles, was uns zum Heil notwendig ist. Denn wenn er uns dadurch zur Gemeinschaft Christi führt, so ist sicherlich in ihm der Inbegriff aller Güter enthalten. Wozu dienen dann aber Taufe und heiliges Abendmahl? Muss man sie etwa für überflüssig halten? Durchaus nicht. Denn wer aufrichtig und ohne Selbsttäuschung an seine Schwachheit denkt, deren wir alle vom Kleinsten bis zum Größten uns bewusst sind, wird sich gern auf diese Hilfsmittel stützen. Gewiss sollen wir darüber klagen und seufzen, dass Gottes hochheilige Wahrheit um der Schuld unseres fleischlichen Wesens willen einer Stütze bedarf. Da wir aber diesen Fehler nicht sofort abschütteln können, möge ein jeder, soviel er davon fasst, dem Worte glauben, zugleich aber dem Herrn völligen Gehorsam leisten. Wir wollen also lernen, die Zeichen mit dem Wort zu erfassen: denn es steht nicht in menschlicher Vollmacht, sie davon zu trennen. Dass Ahas das angebotene Zeichen zurückstößt, ist ein Beweis seiner hochfahrenden Undankbarkeit: er verachtet, was ihm Gott als überaus nützlich geboten hatte. Hier sehen wir auch, inwieweit man sich Zeichen erbitten darf, nämlich wenn sie uns von Gott angeboten werden. Wer ein dargebotenes Zeichen verachtet, verachtet damit unweigerlich auch Gottes Gnade. So verwerfen heutzutage gewisse Schwärmer Taufe und heiliges Abendmahl und rechnen sie unter die kindlichen Anfangsgründe. Das können sie aber nicht tun, ohne zugleich das ganze Evangelium zu verwerfen. Denn was Gott verbinden wollte, dürfen wir nicht scheiden. Darüber hinaus aber erhebt sich die Frage, ob wir nicht zuweilen auch von uns aus Zeichen vom Herrn erbitten dürfen. Haben wir doch dafür ein Beispiel an Gideon, der seine Berufung durch irgendein Zeichen bekräftigt wissen wollte (Richt. 6, 17 ff.). Der Herr gewährte seinen Wunsch und stieß ihn nicht zurück. Ich möchte behaupten, dass Gideon zwar nicht ausdrücklich von Gott den Befehl empfing, ein Zeichen zu erbitten, dass er dies aber unter dem Antrieb des Geistes und nicht in eigener Willkür getan habe. Darum darf man sich auf sein Beispiel nicht missbräuchlich berufen, um sich eine zügellose Freiheit zu eröffnen. Denn die Menschen sind so zudringlich, dass sie unbedenklich und ohne Grund zahllose Zeichen von Gott fordern. Diesen Vorwitz gilt es zu zügeln: wir sollen uns mit den Zeichen begnügen, welche der Herr uns anbietet. Es gibt nun zwei Arten von Zeichen. In die eine Gruppe gehören die außerordentlichen Wunder, wie dasjenige, welches der Prophet alsbald verkündigen wird, und das andere, welches nachmals dem Hiskia angeboten wurde. In die andere Gruppe gehören die regelmäßigen Zeichen, die bei den Gläubigen in täglichem Gebrauch stehen, wie Taufe und heiliges Abendmahl: dieselben bergen kein Wunder in sich, wenigstens nicht ein solches, das wir mit den Augen oder irgendeinem Sinn auffassen könnten. Denn dass der Herr in ihnen durch seinen Geist wunderbar mit uns handelt, ist eine verborgene Sache: im Unterschied davon erscheint bei den außerordentlichen Zeichen das Wunder offensichtlich. Alle Zeichen nun haben den gleichen Zweck und Gebrauch. Denn wie Gideon durch das wunderbare Zeichen eine Bestätigung empfing, so dienen uns Taufe und heiliges Abendmahl zur Glaubensstärkung, obwohl darin kein Wunder vor unseren Augen liegt.

V. 13. Höret, ihr vom Hause David. Da es eine unerträgliche Verkehrtheit war, unter dem Schein der Ehrerbietung der Kraft Gottes den Zugang zu verschließen, welche die Verheißung bekräftigen sollte, lässt der Prophet seinem Zorne freien Lauf und fährt die schändlichen Heuchler hart an. Es wäre ihnen eine Ehre gewesen, zu Davids Stamm gerechnet zu werden, wenn sie in die Fußtapfen ihres frommen Ahnherrn getreten wären. Hier aber redet sie der Prophet mehr der Schande halber als Davids Haus an. Es war ja doppelt unwürdig, dass jenes Haus, aus welchem das Heil der ganzen Welt aufgehen sollte, Gottes Gnade verschmähte. So musste ihnen ihr Ursprung, den sie so schmählich und nichtswürdig verleugneten, zur tiefen Schmach werden. Übrigens wollen wir von dem stufenweisen Fortschritt der prophetischen Rede lernen. Man muss nicht mit schwerem Tadel anheben, sondern mit einer Belehrung, welche die Menschen freundlich lockt; wo die schlichte und bloße Lehre nicht ausreicht, mögen Bekräftigungen hinzukommen. Erst wenn sich auf diese Weise nichts erreichen lässt, ist ein heftigeres Auftreten am Platze. Denn wir hören den Propheten hier erst donnern, nachdem er dem Könige Lehre und Zeichen angeboten hat: nun erst wendet er das äußerste Mittel an und fährt auf den verstockten Menschen heftig und bitter los, und nicht auf ihn allein, sondern auf das ganze königliche Haus, welches an der gleichen Unfrömmigkeit litt.

Ist's euch zu wenig usw. Der Prophet stellt einen Vergleich an zwischen Gott und den Menschen. Freilich können ja die Propheten und heiligen Lehrer, an welche er denkt, tatsächlich nicht von Gott getrennt werden: sie sind seine Werkzeuge und führen seine Sache, wenn sie ihr Amt ausüben. Denn von ihnen bezeugt der Herr (Lk. 10, 16): „Wer euch verachtet, verachtet mich; wer euch höret, höret mich.“ So ist ersichtlich, dass der Prophet seine Rede dem Verständnis des gottlosen Ahas und ähnlicher Leute anpasst. Dieser glaubte es mit Menschen zu tun zu haben. Ohne Zweifel konnte man schon damals die Reden hören, mit denen uns noch heute die Gottlosen widerstreben: Sind es nicht Menschen, die zu uns reden? Damit wollen sie die Lehre Gottes herabsetzen. Und weil die unheiligen Verächter der Lehre damals so zu reden pflegen, nennt der Prophet entgegenkommend die mit dem heiligen Lehramt betrauten Männer ausdrücklich „Menschen“. Mögt ihr mich immerhin einen sterblichen Menschen nennen, wie ja dies euer Urteil über die Propheten Gottes ist. Aber ist es euch zu wenig, uns zu beleidigen und zu belästigen, - müsst ihr auch Gott beleidigen? Ihr verachtet aber den Herrn, wenn ihr das Zeichen seiner wunderbaren Macht von euch weiset, das er euch zu geben bereit ist. Vergeblich werdet ihr also behaupten, dass ihr ihn selbst nicht verwerft, und dass ihr mit Menschen, nicht mit Gott zu tun habt. Hier sehen wir den Grund, der den Propheten so zornig macht. Und es wird noch deutlicher, was ich schon sagte, dass scharfer Tadel eben dann am Platze ist, wenn wir alles versucht haben, was Gott uns auftrug, und nichts unterlassen haben, was unsere Pflicht gewesen wäre. In solcher Lage darf man mit Heftigkeit durchbrechen und soll dem gottlosen Wesen, welches sich unter der Hülle der Heuchelei verbarg, die Maske vom Gesicht reißen.

Meinen Gott. Vorher sagte der Prophet (V. 11): „Fordere dir ein Zeichen vom Herrn, deinem Gott.“ Denn die Verkehrtheit und Auflehnung des Königs waren noch nicht handgreiflich überführt. Jetzt aber nimmt er Gott gleichsam für sich allein in Anspruch, da Ahas und seinesgleichen nicht wert waren, sich des Namens Gottes zu rühmen. Damit erinnert der Prophet, dass der Herr auf seiner Seite stehe, bei jenen Heuchlern aber nicht zu finden sei. Auf diese Weise bezeugt er seine Zuversicht. Es wird auch klar, mit wie gutem Gewissen er dem Könige die Rettung verheißen hatte: er kam lediglich als Bote Gottes und sprach nichts aus, als was ihm befohlen war. Mit der gleichen Zuversicht müssen alle Diener des Worts ausgerüstet sein: nicht sollen sie mit derselben prunken, aber sie soll tief in ihrem Herzen wurzeln. Auch die falschen Propheten rühmen sich ihrer mehr als genug, - das ist aber leeres und eitles Geschwätz oder ein blindes Vorurteil, das aus Vorwitz geboren wird.

V. 14. Darum so wird euch der Herr selbst ein Zeichen geben. Ahas hatte das Zeichen, das Gott ihm angeboten, abgelehnt, der Prophet ihm seine Hartnäckigkeit und seinen Undank vorgehalten. Gleichwohl aber, so verkündigt der Prophet weiter, wird Gott dem jüdischen Volke das verheißene und in Aussicht gestellte Zeichen geben. Was ist das für ein Zeichen? Offenbar, was von der Jungfrauengeburt gesagt wird. Die Stelle ist in der Tat schwierig. Teilweise sind daran freilich die Spitzfindigkeiten der jüdischen Ausleger schuld. Ihnen ist unsere Stellen natürlich höchst unangenehm, weil sie eine so herrliche Weissagung enthält, eine Weissagung vom Messias unter dem Namen Immanuel. So suchen sie denn auf jede nur mögliche Weise einen andern Sinn aus den Worten herauszuquälen, als den, der wirklich vorliegt. Da sagen die einen, mit dem Sohne sei der König Hiskia gemeint, die andern, es sei von dem Sohne des Propheten Jesaja die Rede. Die erstere Auslegung bedeutet eine starke Zumutung. Denn Hiskia war zur Zeit der Belagerung Jerusalems jedenfalls schon erwachsen. So zeigt sich bei dieser Erklärung die völligste Unkenntnis der geschichtlichen Tatsachen. Vollends zu verwerfen ist die andere Annahme, wonach der Sohn des Propheten Jesaja gemeint sein soll. Denn wo steht etwas davon zu lesen, dass aus dem Samen Jesajas ein Erlöser, dem der Name Immanuel gebührte, erstanden sei? Diese Bezeichnung ist eine so hohe, dass sie überhaupt auf keinen Menschen zutrifft. Wieder andere, welche sich von der jüdischen Auslegung wenigstens nicht allzu weit entfernen möchten, glauben, der Prophet rede hier von irgendeinem andern damals geborenen Kinde. Ein Beweis dafür wird jedoch nicht erbracht, noch erfahren wir, wer der Knabe gewesen sein soll. Auch bleibt bestehen, dass, wie gesagt, der Name Immanuel einem gewöhnlichen Menschenkinde nicht in dieser einzigartigen Weise beigelegt werden kann. Somit ist klar, dass der Prophet von Christus spricht.

Allein alle bisherigen Ausleger machen sich die Erklärung unserer Stelle zu leicht. Sie sagen einfach, hier werde die Geburt Christi aus der Jungfrau Maria geweissagt; als wenn dabei gar keine Schwierigkeit wäre. Und doch ist der Einwand, dass eine Weissagung auf Christus hier gar nicht am Platze sei, nicht leicht zu widerlegen. Man vergegenwärtige sich nur den Zusammenhang: Jerusalem wird belagert, der Prophet will ein Zeichen geben, dass es befreit werden soll – wie kann er denn da vom Messias weissagen, der erst mehrere Jahrhunderte später erscheinen sollte? Konnte eine Weissagung von Christo dem Ahas ein Zeichen sein, dass Jerusalem befreit werden würde? Auf diese Schwierigkeit muss bei der Wichtigkeit der Frage näher eingegangen werden. Die Sache erklärt sich folgendermaßen: Ahas hatte das Zeichen, das Gott ihm angeboten, abgelehnt. Der Prophet geht nun zurück auf die Grundlage des Bundes zwischen Gott und seinem Volke, denn diesen konnten doch auch die Gottlosen nicht offen von sich weisen. Der Messias musste kommen, darauf hoffte man allgemein; von ihm hing das Heil des ganzen Volkes ab. So verfährt denn der Prophet, nachdem er seinem Unwillen gegen den König Ausdruck verschafft hat, weiter mit ihm in folgender Weise: „Du wärest wohl geneigt durch die Zurückweisung der Verheißung Gottes Ratschluss zu hindern. Aber er bleibt unabänderlich bestehen. Deine Untreue und Undankbarkeit soll Gott nicht hindern, allzeit seines Volkes Erlöser zu sein. Denn er wird ihm einst auch seinen Messias erwecken.“ Um das richtig zu verstehen, müssen wir beachten, dass die Propheten auch sonst, wenn sie bestimmte Einzelverheißungen aussprechen, auf diesen allgemeinen Grund zurückgehen: Gott wird einst den Heiland senden. Was Gott im Besonderen verheißt, findet hierin seine allgemeine Stütze. Und in der Tat, wer Hilfe und Beistand von ihm erwartet, muss seiner väterlichen Liebe gewiss sein. Wie aber kann Gott gnädig sein, wenn nicht in Christo? In ihm hat er aus Gnaden die Auserwählten zu Kindern angenommen und erhält sie bis ans Ende. So sagt ja auch Paulus (2. Kor. 1, 20): „Alle Gottesverheißungen sind Ja in Christo und Amen in ihm.“ So oft also Gott dem Volke des alten Bundes half, so oft hat er in Christo sein sich angenommen. Daher hören wir auch so oft vom Messias, wo es sich nur um Befreiung von Hungersnot, Pest, Kriegsplage und dgl. handelt. Also ist der Einwand, dass der Prophet hier in wenig passender Weise von entlegenen Zukunftszeiten rede, hinfällig. War denn die Befreiung Jerusalems nicht auch in ihrer Art eine Bezeugung Christi an sein Volk? Ist er doch allezeit der einzige Grund des Heils seiner Gemeinde. Ist Ahas auch der Verheißung unwürdig, so erfüllt doch Gott sie gleichwohl um seiner selbst willen. Angedeutet dies schon das „darum“, d. h. weil du jenes besondere dir angebotene Zeichen zurückgewiesen hast, - und das „selbst“: Gott selbst wird es tun von sich aus, Er, den du beleidigt hast mit der Verschmähung seines Zeichens. Daraus, dass dem Ahas die Ankunft Christi verheißen wird, folgt natürlich keineswegs, dass er zu den Auserwählten Gottes gehörte, die durch seinen Sohn das Heil erlangen sollten. Vielmehr ist die Rede an die Volksgesamtheit gerichtet. Der Prophet lässt den gottlosen König gleichsam stehen und wendet sich mit dem Worte „euch“ an das Volk, sofern es Gott zur Kindschaft angenommen hatte. Denn der mit Abraham geschlossene Bund bleibt fest und unantastbar. Auch hat der Herr immer einige Reste, denen die Frucht des Bundes gehört, auch wenn Heuchler über sein Volk herrschen. Auch dies lässt sich verstehen, dass der äußeren sichtbaren Gemeinde das Zeichen vorgelegt wird.

Siehe, eine Jungfrau ist schwanger usw. Mit großem Nachdruck steht das hinweisende Wort „Siehe.“ So wird die Größe des Gegenstandes eingeprägt. Denn der heilige Geist pflegt über große und bemerkenswerte Dinge so zu reden, dass er die Gedanken der Menschen zur Höhe empor hebt. Der Prophet mahnt also die Hörer zu innerer Anspannung: sie sollen das unerhörte Gotteswerk wohl betrachten. Es ist, als wollte er sagen: Seid nicht so gleichgültig, sondern erwäget jene überschwängliche Gnade Gottes, die euch ohne weiteres in die Augen fallen müsste, die euch aber wegen eures Stumpfsinns verborgen bleibt. Das hebräische Wort „alma“, welches wir als Jungfrau übersetzen, heißt buchstäblich die Verhüllte: denn eine Jungfrau wird durch Schamhaftigkeit und Scheu gehindert, öffentlich aufzutreten. Ich will nun aus dem Wort selbst nicht allzu viel beweisen. Denn die Juden erheben über dasselbe einen großen Streit und behaupten, dass es nicht eine Jungfrau im strengen Sinne bedeute. Wir können ihnen ruhig zugeben, dass das Wort mehr die Bezeichnung eines gewissen Lebensalters ist, - obgleich die Schrift es häufig gerade da gebraucht, wo von einer wirklichen Jungfrau die Rede ist. Aber die Sache selbst widerlegt hinreichend alle ihre Einreden. Denn was hätte der Prophet Wunderbares gesagt, wenn er von einem Mädchen gesprochen hätte, das infolge Verkehrs mit einem Manne schwanger werden sollte? Es wäre ohne Zweifel lächerlich gewesen, dergleichen als Zeichen oder Wunder anzubieten. Oder setzen wir den Fall, der Prophet deute auf eine junge Frau, welche durch den ehrlichen Umgang schwanger werden sollte: so sieht jedermann, dass es sinnlos und töricht wäre, wenn der Prophet wir bei einem neuen und ungewohnten Vorgang mit der Vorrede angehoben hätte: eine junge Frau, um dann fortzufahren: wird einen Sohn gebären. Es ist ohne weiteres klar, dass er von einer wirklichen Jungfrau redet, die nicht nach dem gewöhnlichen Lauf der Natur, sondern durch Gnadenwirkung des heiligen Geistes empfangen soll. Dies ist das Geheimnis, welches Paulus herrlich rühmt (1. Tim. 3, 16): „Gott ist offenbaret im Fleisch.“

Den wird sie heißen Immanuel. Dass dies von der Mutter gesagt wird, weicht von der gewöhnlichen Sitte ab: denn sonst war es die Sache des Vaters, seinem Sohn den Namen zu geben. Dies ist ein Zeichen der väterlichen Gewalt über die Söhne, wie sie den Weibern nicht zusteht. Wenn hier diese Gewalt der Mutter zugeschrieben wird, so folgt, dass dieser Sohn von ihr ohne irdischen Vater empfangen wurde. Doch wollen wir feststellen, dass Christo sein Name nicht nach Gutdünken seiner Mutter gegeben ward. Dies hätte kein Gewicht gehabt. Aber indem der Prophet diesen Namen feierlich verkündet, ist seine Meinung, dass die Jungfrau wie ein Herold desselben auftreten soll, da kein irdischer Vater dies Geschäft übernehmen wird. Übrigens ist kein Zweifel, dass Christo dieser Name aus inneren Gründen beigelegt ward. Der eingeborene Sohn Gottes hat unser Fleisch angenommen und sich mit uns durch die gleiche Natur verbunden. Darum heißt er Immanuel, das ist „Gott mit uns“, oder Gott mit uns verbunden. Dies kann von einem Menschen nicht gelten, der ja nicht Gott ist. Die Juden brauchen freilich die Ausflucht, dass dieser Name dem Hiskia beigelegt werde, weil Gott durch seine Hand das Volk befreit habe. Sie sagen: Wer als Diener Gottes dasteht, repräsentiert seine Person. Aber weder Mose noch Josua, welche doch Befreier des Volkes waren, sind so genannt worden: also wird dieser Immanuel dem Mose und Josua und allen übrigen vorgeordnet. Vermöge dieses Namens überragt er alle, die vor ihm waren und nach ihm kommen werden. Dieser Name ist eine herrliche Bezeichnung seiner Erhabenheit und Würde, mit der er vor anderen geschmückt ist. Darum steht fest, dass in ihm nicht bloß Gottes Kraft beschrieben werden soll, die er seinen Dienern zu beweisen pflegt, sondern eine persönliche Verbindung, kraft deren Christus zugleich als Mensch und als Gott erschien. So wird klar, dass Jesaja hier von keinem gewöhnlichen Dinge reden, sondern jenes unvergleichliche Geheimnis ausdrücken will, welches zu verdunkeln die Juden sich vergeblich bemühen.

V. 15. Butter und Honig wird essen. Damit bekräftigt der Prophet die wahre Menschheit Christi. Denn dies war ganz unglaublich, dass der, der Gott war, von einer Jungfrau geboren werden sollte. Ein solches Wunder liegt den gemeinen menschlichen Begriffen sehr fern. Damit wir also nicht glauben, der Prophet träume von irgendeinem Gespenst, weist er auf weinige Kennzeichen wahrer Menschheit hin, um zu zeigen, dass Christus tatsächlich in dem Fleisch und der Natur eines Menschen erscheinen solle: er soll in derselben aufgezogen werden, wie man junge Knaben aufzuziehen pflegt. Dabei verfuhren die Juden anders als wir: sie bedienten sich des Honigs, dessen Gebrauch bei uns nicht so allgemein ist. Sie haben ja auch bis heute die Sitte beibehalten, dass sie einem neugeborenen Knaben Butter und Honig schmecken lassen, ehe er von seiner Mutter genährt wird.

Bis dass er weiß, Böses zu verwerfen usw. Der Ausdruck will besagen: bis er soweit herangewachsen ist, dass er Gut und Böse zu unterscheiden vermag, wie wir zu sagen pflegen: bis zu den Unterscheidungsjahren. Das ist der Zeitpunkt, bis zu welchem kindliche Speise verabreicht zu werden pflegt. Der Hinweis darauf zeigt uns vollends deutlich die wahre menschliche Natur: nach den ersten Kinderjahren stellt sich Einsicht und Urteil ein. Daran sehen wir, wie tief sich der Sohn Gottes um unsertwillen herabgelassen hat: er wollte sich nicht bloß mit unserer Speise nähren, sondern auch für eine gewisse Zeit sein Bewusstsein ablegen und alle unsere Schwachheiten auf sich nehmen. Dies soll nach seiner menschlichen Natur geschehen; denn auf die Gottheit passt es nicht. Von dieser zeitweisen Unwissenheit Christi spricht Lukas (2, 52): „Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.“ Hätte Lukas einfach von einer Zunahme gesprochen, so hätte man sagen können, dies gelte für das Urteil der Menschen; er fügt aber ausdrücklich hinzu: bei Gott. Christus musste also für eine Zeitlang den jungen Kindern gleichen und nach seiner menschlichen Natur des klaren Bewusstseins entbehren.

V. 16. Und zwar ehe ein Knabe lernet, Böses verwerfen usw. Die meisten Ausleger lassen sich verleiten, diesen Satz enge mit dem vorigen zu verbinden, als wäre noch von demselben Knaben die Rede. Man übersetzt, als würde nun der Grund des vorigen angegeben: denn ehe der Knabe lernet usw. Wenn man aber die Absicht des Propheten genauer erwägt, wird sich leicht ergeben, dass er jetzt von der allgemeineren Lehre, auf die er eine kleine Weile abschweifte, wieder zum vorliegenden Fall zurückkehrt. Dass die Stadt Jerusalem errettet werden soll, gründete er auf den verheißenen Mittler; jetzt aber zeigt er, in welcher Weise die Errettung stattfinden soll. Ich deute also diesen Vers nicht auf Christus, sondern auf alle Knaben insgesamt. Damit stehe ich freilich völlig allein. Denn weil es heißt „der Knabe“, meint man, es sei ein bestimmter Knabe gemeint. Aber wir sagen auch unter Umständen „das Kind“, wenn wir nicht auf ein bestimmtes Kind deuten, sondern vom Kind im Allgemeinen reden. Hätte der Prophet auf den bestimmten Knaben deuten wollen, von dem soeben die Rede war, so hätte er doch wohl gesagt: dieser Knabe. Unsere Übersetzung „ein Knabe“ trifft also den wirklichen Sinn. Denn es ist doch unwahrscheinlich, ja ganz widersinnig, dass diese auf die allernächste Zeit zielende Weissagung von der Vernichtung des Königreichs Syriens und Samaria über Jahrhunderte hinaus auf Christi Ankunft ausgedehnt wäre. Der Sinn ist also der: bevor ein Knabe, der alsbald geboren wird, Böses und Gutes wird unterscheiden können, wird das Land verödet sein, vor dessen zwei Königen dir grauet. Gemeint ist Israel und Syrien, was ja eigentlich zwei Länder waren, was aber wegen des zwischen den beiden Königen geschlossenen Bündnisses als ein Land zusammengefasst wird. Dass, was hier geschrieben steht, eintraf, ergibt sich leicht aus der heiligen Geschichte. Denn als Ahas die Assyrer zu seiner Hilfe herbeigerufen hatte, wurde Rezin von ihnen getötet (2. Kön. 16, 9). Kurz darauf ging Pekah, der König von Israel, zugrunde, nämlich im zwölften Jahre des Königs Ahas (2. Kön. 15, 30; 17, 1), und Hosea, der Sohn des Ela, trat an seine Stelle. Bevor also die Knaben, die kurz nach der Weissagung geboren wurden, heranwuchsen, sollten die beiden Länder ihrer Könige beraubt sein. Tatsächlich waren Rezin und Pekah nach Ablauf einer solchen Zeit nicht mehr am Leben. Die Rede wendet sich nun an Ahas, und der Herr verspricht es als einen Trost, dass er an den Feinden des Königs Rache nehmen werde, jedoch zu keinem anderen Zweck, als damit Ahas selbst desto unentschuldbarer werde.

V. 17. Aber der Herr wird über dich usw. Hier droht nun der Prophet auf der anderen Seite dem gottlosen Heuchler: denn während dieser vorgab, den Herrn nicht versuchen zu wollen, hatte er eben die Leute zu Hilfe gerufen, die er nach Gottes Befehl nicht rufen sollte. Damit also Ahas durch die eben gehörte Verheißung nicht gar zu übermütig und frech werde, kündigt ihm der Prophet auch seinen Untergang an. Damit bekräftigt er, dass, worauf er als auf seine Rettung traute, nämlich die Hilfe der Assyrer, ihm zum völligen Verderben ausschlagen solle. Der Prophet will etwa sagen: Du zwar versprichst dir alles vom Könige der Assyrer und meinst, er werde dir treu bleiben, weil du Bündnis und Freundschaft, und zwar gegen Gottes Willen, mit ihm geschlossen hast. Aber in kurzer Zeit wirst du sehen, was es dir genützt hat, den Herrn zu versuchen. Du hättest Ruhe in deinem Hause und Gott zum Helfer haben können: aber du wolltest lieber die Assyrer herbeirufen. Du wirst härter an ihnen zu tragen haben, als an den Feinden selbst. So schließt sich diese Rede trefflich mit dem Vorigen zusammen. Der Prophet tadelt mit großem Nachdruck den Unglauben und die Undankbarkeit des Königs, welcher Gottes Wort und Zeichen verworfen und sich jeder Verheißung unwürdig gemacht hatte. Da nun solche Heuchler sofort wieder sicher zu werden pflegen, wenn sie einer Gefahr und Angst wieder entronnen sind, erklärt der Prophet, dass die Juden keinen Schutz mehr haben, sondern auch ihrerseits zu gerechten Strafe geschleppt werden sollen. Insbesondere soll auch das Haus Davids, welches um seines einzigartigen Vorzugs willen darüber erhaben schien, in das allgemeine Unglück hineingezogen werden. Gott pflegt seine Gerichte so zu teilen, dass er seine Gemeinde schont und für ihren bleibenden Bestand sorgt, dass er aber endlich die Gottlosen, welche unter die Guten gemischt sind, nicht ungestraft entrinnen lässt.

Seit der Zeit Ephraim von Juda geschieden ist. So redet die Schrift, wenn sie ein schweres Unglück bezeichnen will. Denn einen schwereren Schaden konnten die Juden nicht erleiden, als indem durch die Abtrennung der zehn Stämme nicht bloß das Reich jämmerlich geteilt, sondern auch der Volkskörper zerrissen und verwundet wurde. Darum wird der Abfall Ephraims von Juda zum Beispiel des schwersten Verlustes. Durch jene Spaltung wurde die Macht des jüdischen Reiches viel empfindlicher getroffen, als durch irgendwelche äußere Niederlagen. Und nun sagt der Prophet, dass seit dieser Zeit ein größerer Unfall den Juden noch nicht zugestoßen sei. Daraus erkennen wir, wie ich soeben sagte, ein welcher Weise der Herr, wenn er die Heuchler straft, zugleich der Gläubigen gedenkt und seiner Barmherzigkeit Bahn macht. Auf diesen seinen wunderbaren Rat muss man sehen, wenn unter einem schrecklichen Sterben die Kirche dennoch erhalten bleibt. Wer hätte jemals geglaubt, dass Jerusalem vor dem ungeheuren Heer der beiden Könige könne gerettet werden? Ferner dass das Königreiche Syrien, welches damals in höchster Blüte stand, binnen kurzem zerstört werden könnte? Dass auch das Reich Samaria nicht weit vom Zusammenbruch entfernt sei? Das alles hat der Herr getan, um seine Gemeinde zu retten, aber in einer solchen Weise, dass dabei die Gottlosigkeit des Königs Ahas ihre Strafe empfing.

V. 18. Zu der Zeit wird der Herr zischen usw. Während die Juden die Assyrer sich durch das Bündnis verpflichtet glaubten, spottet der Prophet über diese Torheit und erklärt, sie würden auf Gottes Wink schnell zur Stelle sein, damit er sie treibe, wohin er will. Dass Gott ihnen befehlen wird, drückt er bildlich so aus, dass er ihnen zischen wird. Darin liegt eine Anspielung an die Beschaffenheit der betreffenden Königreiche. Ägypten wird als Fliege dargestellt: denn wegen seines schlammigen Bodens und feucht-warmen Klimas wimmelt es dort von Fliegen. Assur wird mit einer Biene verglichen: denn es gibt dort Bienen in großer Zahl. Neben der Anspielung auf Bienen und Fliegen liegt aber in dem Ausdruck „zischen“ auch der Gedanke, dass es den Herrn nicht die geringste Mühe kosten wird, jene Völker herbeizurufen: sie werden auf ein bloßes Zeichen herbeieilen. Dass er durch bloßes Zischen die mächtigsten Völker zum Gehorsam zwingt, deutet darauf, was sein verborgener Antrieb und Befehl ausrichten kann.

V. 19. Dass sie kommen und alle sich legen usw. Der Prophet fährt noch in seinem Bilde fort: denn Bienen pflegen sich ihre Nester in Höhlen, Klüften und Gestrüpp zu suchen. Die Meinung ist, dass kein Winkel sein werde, in welchem die Feinde sich nicht niederlassen und ansiedeln. So passt es gut zum Bilde, dass von Hecken und Büschen die Rede ist. Der Prophet will anschaulich schildern, dass es kein Entrinnen geben wird: mag man sich in Klüfte und Schlupfwinkel verkriechen, - die Feinde werden die ganze Gegend mit Beschlag belegen. Hier sehen wir wiederum, was wir schon bemerkten, dass nichts durch Ungefähr oder Zufall geschieht, sondern alles durch Gottes Hand geleitet wird. Mögen die Gottlosen in Aufruhr und blinder Angriffswut daherstürmen, - Gott legt ihnen einen Zügel an, dass sie seiner Ehre dienen müssen. Wenn wir also sehen, wie die Gottlosen alles in Unruhe bringen, so wollen wir doch nicht glauben, dass Gott ihnen die Zügel gelockert habe und sie nach ihrem Belieben dahinstürmen lasse, sondern wollen fest überzeugt sein, dass er ihre wütenden Angriffe im Zaum hält. Daraus dürfen wir einen wunderbaren Trost schöpfen angesichts der Umwälzungen, in welche die ganze Christenheit verwickelt und durch deren Gewalt sie so erschüttert ist, dass alles in höchster Verwirrung begriffen erscheint. Wir wollen uns sagen, dass Gott die wilden Tiere an einem verborgenen Zügel hält, damit sie nicht ausbrechen können, wohin ihre blinde Lust sie treibt, noch die Schranken überspringen, die der Herr ihnen gezogen hat.

V. 20. Der Herr wird … abscheren usw. Jetzt bedient sich der Prophet eines anderen Bildes und bezeichnet jene Feinde, durch welche der Herr zu seiner Zeit Juda niederbeugen will, als ein Schermesser, mit welchem der Bart, die Haare und andere Auswüchse abgeschnitten werden. Die Assyrer, und zwar die aus der entferntesten Gegend, sollen wie ein Schermesser in Gottes Hand sein. Darum fügt der Prophet hinzu: so jenseits des Stroms sind. Auch der Euphrat soll sie nicht hindern, überzusetzen und Gottes Befehle zu vollziehen. Ferner wird bemerkt, dass nicht etwa nur ein Teil jenes Volks aus eigenem Antrieb in fremde Grenzen einbrechen oder ohne sichere Führung umherstreifen werde: der König von Assyrien wird selbst die Führung übernehmen, von ihm und seinem Volke soll Juda angegriffen werden, sodass es der gewaltigen Last erliegen muss. Mit gutem Grunde wird auch herausgehoben, dass das Schermesser gemietet ist: das deutet auf eine besonders schwere Niederlage, welche die Assyrer anrichten sollen. Wer ein gemietetes Pferd oder Schwert gebraucht, wird es umso rücksichtsloser gebrauchen: er wird es nicht so schonen, wie sein eigenes. Denn was die Menschen um Lohn sich mieten, wollen sie auch voll ausnützen. So verkündigt der Herr, dass er sein Schermesser durchaus nicht schonen werde, auch auf die Gefahr hin, dass es stumpf wird: er werde die Assyrer mit blindem und wütendem Angriff senden. Hat der Herr wegen der vom Propheten aufgezählten Gründe die Juden so hart gestraft, so wollen wir uns hüten, dass wir nicht die gleiche Erfahrung machen müssen. Wir sollen uns vor dem Schermesser fürchten, mit dem er schon angefangen hat uns zu scheren.

Das Haupt und die Haare an den Füßen. Die letztere Bezeichnung deutet auf den ganzen unteren Teil des Körpers. Entkleiden wir die Aussage des Bildes, so wird die Meinung sein, dass kein Stand verschont bleiben soll. Der Körper soll von der Fußsohle bis zum Scheitel geschoren werden: auch Könige und Fürsten sollen von der Niederlage getroffen werden und die Schärfe des Schermessers fühlen.

V. 21. Zur selbigen Zeit usw. Von hier an bis zum Ende des Kapitels beschreibt der Prophet den Zustand des ausgeraubten und verwüsteten Landes. In einem anschaulichen Bilde stellt er uns das ungeheure Unglück vor Augen: wohin man blickt, sieht man nichts als Zeugnisse schrecklicher Verwüstung. Denn es passt durchaus nicht in den Zusammenhang, wenn einige Ausleger hier einen Hinweis darauf finden, dass die Strafen gemildert werden sollen. Allerdings heißt es ganz allgemein, dass ein Mann eine junge Kuh und zwei Schafe ziehen wird. Eigentlich gemeint sind aber die Reichsten: nicht etwa soll jedermann soviel haben, sondern wer sonst eine Menge von Rindern und Schafen zu halten pflegte, wird mit diesem geringen Viehstand zufrieden sein müssen. Die Meinung ist also, dass alle zur äußersten Dürftigkeit herabgedrückt werden sollen.

V. 22. Und wird soviel zu melken haben, dass er Butter essen wird. Dies deuten manche Ausleger so, dass die eine Kuh kaum soviel liefert, als für die Nahrung der Familie ausreicht. Denn wer Vieh hält, nährt sich nicht bloß selbst von der Milch, sondern macht auch Käse und Hält die Butter feil. Wenn es also heißt, dass der ganze Ertrag nicht mehr umfassen wird, als was die Familie selbst unbedingt braucht, so wäre dies eine Beschreibung des Mangels. Andere finden dagegen eine Verheißung der Fruchtbarkeit: wenn die Leute auch nur wenige Kühe und Schafe besitzen, sollen sie doch reichlich Nahrung haben. Eine dritte Auslegung gefällt mir besser. Der Prophet scheint sagen zu wollen: es werden so wenig Menschen vorhanden sein, dass ein geringer Milchertrag für sie alle ausreicht. Dass das Land der Einwohner entbehren soll, ist ja viel schwerer, als dass an Vieh Mangel ist. Jesaja hat also im vorangehenden Verse verkündet, Juda müsse derartig ausgeraubt werden, dass nur noch ein ganz geringer Viehstand übrig bleibe. Jetzt fügt er hinzu, dass Menschen noch weniger vorhanden sein werden: denn die wenige Milch wird für alle Bewohner des Landes ausreichen. Auf diese geringe Zahl deutet der Satz, dass Butter wird essen können, wer übrig im Lande bleiben wird. Das Land wird verlassen und jämmerlich verwüstet sein; eine geringe Menge von Milch und Butter wird ausreichen, um die nach der Zerstörung noch übrigen wenigen Menschen zu nähren.

V. 23. Wo jetzt tausend Weinstöcke stehen usw. Hier zeigt der Zusammenhang deutlich, dass Jesaja durchaus nicht gewillt ist, die Gläubigen zu trösten. Er fährt vielmehr fort das Verderben anzukündigen und die Verwüstung des Landes zu beschreiben. Nachdem der Angriff der Feinde alles vernichtet hat und Weinbauer und Landleute fehlen, muss auch die best gepflegte Gegend von Dornen und Hecken überwuchert werden.

V. 24. Dass man mit Pfeilen und Bogen dahin gehen muss. Wo einst bebautes und fruchtbares Land war, muss man jetzt die wilden Tiere jagen, die im Dickicht ihre Schlupfwinkel gefunden haben. Welche trostlose Veränderung, dass wohl bestellte Äcker sich in Gestrüpp verwandelt haben! Nicht mehr Landbauer gehen dahin, sondern Jäger; nicht mehr Weinstöcke gräbt man dort um und bearbeitet sie, sondern verfolgt das Wild.

V. 25. Dass man auch zu allen den Bergen usw. Noch immer wird der unglückliche und trostlose Zustand des ganzen Landes beschrieben. Die Niederlage wird so schwer sein, dass der Anblick desselben gegen früher ganz verändert wird. König Ahas hat ohne Zweifel den Propheten verlacht, als er ihm dies verkündigte. Denn der gottlose König traute auf seine Hilfsmittel und den Bund mit den Assyrern: sobald nur die Belagerung der Stadt aufgehoben war, glaubte er behaglich ausruhen zu können. Dennoch musste Jesaja standhaft in seiner Pflicht fortfahren und zeigen, dass es keine andere Hilfe gab, außer von Gott; er musste dem elenden Heuchler kundtun, dass ihm von eben der Seite, von der er das Heil erwartete, Verderben kommen werde.

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