Tersteegen, Gerhard – Briefe in Auswahl -Segenswunsch zum neuen Jahr.

Tersteegen, Gerhard – Briefe in Auswahl -Segenswunsch zum neuen Jahr.

In Jesu, der Dein Leben und alles sei, sehr werte und herzlich geliebte Schwester!

Jesus segne Dich aus dem Heiligtume, liebe Schwester! Er bringe meinen einfachen Gruß zu Deinem Herzen, und durchdringe Deine Seele mit seinem Geiste des Friedens und der Lauterkeit, damit Du seinem Herzen ähnlich werdest! Beim Anfang dieses Jahres wünschte ich Dir in meinem Herzen den Segen des HErrn; jetzt tue ich es mit der Feder. Am Neujahrstage musste ich mich wie aufs neue mit Dir und einigen andern Herzenskindern in und vor dem HErrn vereinigen, indem wir uns zusammen Ihm abermals hingeben und überlassen; und dieses tue ich noch. Wir selbst völlig und dieses Leben unsrer Fremdlingsschaft sei Gott und seinem Dienste geheiligt! Und auch unsre gegenseitige Gemeinschaft führe zur Stärkung, zum Segen, und sei in Ihn, um zusammen vor Ihm zu leben und zu sterben, und uns in unserm guten Gott zu verlieren und wiederzufinden! Amen.

Deinen lieben Brief vom 21. Oktober habe ich richtig erhalten und schon im Geiste beantwortet durch die innige Übereinstimmung mit den darin ausgesprochenen Wahrheiten. Jesus leite uns selbst durch seinen Geist in alle Wahrheit (Joh. 16,13), denn wir sind sehr unwissende Kinder, die allein gehend, beständig vom Wege abkommen, und dem Lichte von gestern nicht vertrauen dürfen. Es kommt mir auch vor, als würde ich jeden Tag unwissender und ich wundere mich, dass ich noch zu etwas tauge oder irgend etwas recht mache. Aber die Erfahrung wird lehren, dass die Abhängigkeit vom innern Führer im gegenwärtigen Leben uns sehr richtig gehen lässt, auch wenn wir es nicht glauben; und dass wir alles verderben und beflecken, wenn wir, nicht allein auf Ihn vertrauend, uns nach eigner Weisheit oder eignem Lichte leiten wollen. O, wie anbetungswürdig und lieblich sind alle Wege des HErrn, der alles zu seiner Zeit aussäubert und uns je länger je weniger Gut, Licht oder Kraft in Vorrat oder Eigentum besitzen lässt, damit Er alles sei, und wir, durch eine glückliche Notwendigkeit aus uns selbst gesunken, nur in Ihm bleiben müssen, in einer zeitlichen Abhängigkeit von Ihm lebend, die uns zu allem genug ist. Der Mensch ist unglaublich geneigt, zu sich selbst zurückzukehren und in sich selbst überzutragen, was von oben mitgeteilt wird; aber wie viel verliert das Gute dadurch von seiner ersten oder ursprünglichen Kraft und Reinheit! Könnte man nur alles so einfältig an seiner Stelle lassen, d. h. in Gott, in Ihm allein ruhend, gewiss wir würden mehr besitzen, als wenn wir uns danach umsehen oder greifen wollten, und in der Armut den Reichtum, in der Unwissenheit die Weisheit, in der Schwäche die Kraft des HErrn erfahren können. Alles indessen hat seine Zeit, und Gottes Güte schickt sich wunderbar nach dem gefallenen Menschen und nach dem gebrechlichen Zustande der Seelen; wenn er dies nicht täte, würde niemand bewahrt bleiben. Mir dünkt, die Geburt Jesu, deren Erinnerung man in diesen Tagen gefeiert hat, ist für uns ein Brunnen dieses Lebens der Abhängigkeit und Einfalt; ich glaube und fühle mehr davon, als ich auszudrücken vermag. Durch die Menschwerdung des Sohnes Gottes ist die Gnade und das Leben Gottes wiedergekommen nicht über einen Menschen, sondern über alle Menschen, die der Gnade und des Lebens Gottes beraubt und entfremdet waren (Röm. 5,18). Diese Gnade und dies göttliche Leben, ja Gott selbst teilt sich nun mit und fließt in das Innere der Seelen, die sich empfänglich öffnen. Aber Gott wird nur da Mensch, wo die Einfalt eines Kindes sich findet. Die Kindlichkeit ist die unmittelbare Vereinigung mit Gott. Die Liebe Gottes in Christo sei gepriesen und in uns verherrlicht.

Mit dieser Bitte bleibe ich mit vieler Liebe

Dein im HErrn verbundener Bruder.

Mülheim, den 14. Januar 1746.

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autoren/t/tersteegen/briefe_in_auswahl/tersteegen-briefe-16.txt · Zuletzt geändert: von aj
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