Tauler, Johannes - Medulla Animae - Zehntes Kapitel. Fortsetzung von der wahren Demut.

Tauler, Johannes - Medulla Animae - Zehntes Kapitel. Fortsetzung von der wahren Demut.

Wer zur wahren Demut, die eben auch der sicherste und geradeste Weg zu aller Heiligkeit und zur Liebe Gottes ist, gelangen will, der erkenne und bekenne, wie wir schon im Vorhergehenden sagten, sein Unvermögen ohne die Gnade Gottes, Desselben Größe, Majestät und Treue gegen den Menschen, und des Menschen Armseligkeit und Untreue; der lerne, vom Grund aus sich zu verachten, und überzeuge sich fest, dass jede Verachtung oder Schmach, die ihm widerfährt, und sollten es deren so viele sein, als allen und jeden je widerfahren sind, nicht übertrieben oder zu beschämend für ihn seien, als wie er es verdient1). Aus dieser Überzeugung und Gesinnung wird in ihm eine besondere Freiheit, ein großes Vertrauen gegen Gott entstehen, und je tiefer die Demut, je freier die Seele, je größer ihre Zuversicht auf den Herrn, und so wird es ihr denn auch allerdings leicht werden, alle ihre Kräfte zur Lobpreisung und Danksagung ihres Gottes zu erheben; und vermöchte sie in jedem Augenblicke Gott so sehr zu loben, und Ihm so vielmal zu danken, als es von allen Menschen und Geschöpfen geschehen kann, so wäre ihr das dennoch zu wenig und zu geringe; und eben dieses Unvermögen, Gott nicht nach Würde loben, und Ihm danken zu können, führt sie abermals wieder zur Verachtung ihrer selbst. Dieses Gefühl nun und diese innige Überzeugung ihrer Geringfügigkeit vor der Größe und der Majestät Gottes ist gerade nun ihr das Angenehmste und Liebste; denn nicht Tröstung, nicht Süßigkeit sucht sie in ihren Übungen und Werken, sondern einzig und allein die Ehre Gottes ist das Ziel alles ihres Strebens und Suchens. Darum sieht sie jede Beschwernis, jedes Leiden, das ihr im Dienste des Herrn aufstößt, als einen Wink Seiner Hand, als eine Gabe Seiner Hand an, die sie aufmerksam machen will, der Demut nicht zu vergessen, die sie lehren, und überzeugen will, dass sie der Tröstungen und der Lieblichkeiten des Herrn nicht wert sei, und sich nur geradehin Ihm übergeben und lassen solle für Zeit und Ewigkeit, wie und was er mit ihr vorzunehmen beliebe, und dass dieses Hingeben, dieser unbedingte Gehorsam gegen Gott ihr weit lieber sei, als wenn ihr die Freiheit gegeben würde, für die ganze Ewigkeit sich zu wählen, was sie wolle; denn obgleich den Herrn loben und preisen eines der lieblichsten Werke ist, so ist denn doch Ihm eigen sein, Ihm ganz angehören, das Herrlichste und Seligste, denn es führt den Menschen tiefer ein in Gott, und ist nicht sowohl ein Wirken, als ein Gott-Leiden.

Soll aber diese Demut je zur Fertigkeit und Gewohnheit in uns werden, so müssen wir unausgesetzt in ihr uns üben; denn Übung macht sie uns zum Wesen, zu unserer anderen Natur, d. i. die Übung ändert die Neigung der Natur; vermag nun das schon die Übung, wie vielmehr erst die Gnade, die in der Übung wirksam ist? In solche demütige Herzen kann die göttliche Sonne ihre Lichtstrahlen unmittelbar senden, denn tief haben sie sich versenkt, und gerade unter Gott sich gestellt, nicht blickend rückwärts, noch schauend vorwärts, ist ihr Auge über sich unmittelbar zu Gott gewendet. Einsam aber nach außen und innen, in einem andachtsvollen Schweigen musst du sein, und nicht nur unter Gott, auch unter alle Geschöpfe bis herab zum geringsten Wurm, der weder Gott je beleidigt, noch so viele Wohltaten von Ihm empfangen hat, als du, sollst und musst du dich erniedrigen. Willst du dein Herz ruhig, ohne Schmerzen und frei von Kränkung haben, sei demütig; nur wenn die Demut fehlt, muss und wird dergleichen Leiden dich treffen, denn nur der gekränkte Hochmut, die zurückgesetzte Hoffart bringt dem Herzen derlei Leiden, sie ist dieser Quälungen Mutter; hätte Lucifer die Demut gehabt, er wäre nie Teufel geworden, die Hoffart machte ihn dazu. Hat nicht die Demut die gesegneteste Mutter des Herrn vor aller Sünde und Befleckung erhalten? Wahrlich! wären wir wahrhaft demütig, wir würden nimmermehr sündigen, und Gott könnte, was Er wollte, in uns ohne alles Hindernis wirken; darum spricht der heilige Augustin: „Fragst du mich, wer der beste Mensch auf Erden sei, so sage ich, der Demütigste auf Erden, und fragtest du dasselbe hundertmal, ich würde dir allemal das nämliche antworten.“

Nun wollen wir denn sehen, wie der wahrhaft Demütige sich in allen Dingen benehme. Das erste Bekenntnis legt er von und über sich selbst ab, nämlich von seiner Unwürdigkeit, seinem Unwerte und seinem Nichts, dass er sich aller jener Gnaden und Wohltaten Gottes, die der Gütige ihm etwa erteilt, durch seine Sünden durchaus unwert gemacht, dagegen alle Leiden, Qualen und Bedrückungen, die entweder Gott ihm zusendet, oder welche durch Seine Zulassung und Verfügung Menschen ihm antun, vollkommen verdient habe. Dass Gott ihn erschaffen habe, ihn speist und erhält, das sieht er als ganz unverdiente Gnaden und Gaben an, für welche er Gott in tiefster Demut zu danken nie vergisst, und weil sie alle von Seiner milden Hand geflossen sind, so bringt er sie auch alle wieder, und sich selbst dem unendlich gütigen Gott als Opfer zu Seiner Verherrlichung dar. Was der Herr gibt, oder gegeben hat, Kunst, Weisheit, Stärke, Wissenschaft, Schönheit, Reichtum oder was immer, dessen überhebt er sich nicht nur nicht, er betrachtet und erklärt sich vielmehr als einen dergleichen Gaben ganz Unwürdigen, die nicht etwa ein Verdienst von seiner Seite ihm zuwege gebracht, sondern die ihm einzig zugekommen sind, weil der Herr so unendlich gütig ist. Solche Seele, behaupte ich fest und standhaft, ist die echte Werkstätte Gottes, wo Er mit allen Seinen Gaben und Gnaden ungehindert wirken, und selbe zur höchsten Vollkommenheit hinanführen kann; denn will Gott in ihr wirken, sie steht Seiner Wirkung offen, sie ist ledig, frei und bereitet, sie leidet Gott, sie folgt Gott, sie wirkt mit Gott, wie das Instrument mit dem Meister. In keiner Lage, in keiner Stellung des Lebens verleugnet oder vergisst sie je ihrer Unwürdigkeit, denn sie kennt und weiß wohl ihr Eigentum; Sünde und Gebrechen sind dieses Eigentum, darum kann sie nicht glauben, sich je genug demütigen zu können, sie esse oder trinke oder tue was Anderes, die letzte Stelle ist ihre, der verachtetste Bissen ist der ihrige, was Niemand mag, nimmt sie fröhlich hin, und hält sich auch dessen noch unwert, weil sie es an Gott nicht verdient hat, noch verdienen kann. Ihre Worte sind kurz, sanft und demütig; die Antwort einfach und wahr; einfach der Wandel, wie das Kleid; dienstfertige Liebe ohne allen Trug kann jeder von ihr erwarten, in allen ihren Werken und Verrichtungen zeigt sich von außen, wie lebend im Inneren die Demut so vor Gott, wie vor den Menschen sei, und keiner Seele wird sie je zum Ärgernis, ober zur Kränkung sein; so besiegt sie den Hochmut, so die Hoffart, diese schnöde Sünden-Mutter, diese Quelle des Lasters. Ja, die Demut zerreißt alle Stricke des Feindes, der Welt und der Sünde; sie ordnet den ganzen Menschen, sie weist ihm seine ihm geeignete Tugend-Stelle an, und erhält ihn darin; sie öffnet ihm den Himmel; das Gebet der Demut erhört Gott, Er gießt Seine Gnade reichlich über sie aus, er erfüllt sie mit allen Seinem Segen; der Grund, auf dem die Demut ihr Tugend-Gebäude errichtet, ist Jesus Christus, er ist jener unzerstörliche Eckstein, der nicht fallen lässt, was auf Ihn sich gründet.

Die Demut endlich klagt nicht, sie weiß nichts von empfangener Kränkung, sie sieht überall nur die Hand des Herrn, nicht des Menschen; sollte ihr auch Unrecht oder sonst Unwürdiges widerfahren, Zerstörung, Ächtung, Schläge, das Schwert, der Tod, das alles ist ihr nicht Unbill, von Menschen zugefügt: es sind die besten, für sie gerade die zweckdienlichsten Dinge und Gaben, aus der Hand des Herrn gekommen; denn dass Gott keinem das Unrechte, vielmehr das für ihn Beste zuschickt, dessen ist sie so fest überzeugt, wie von dem Dasein ihres Gottes selbst.

Das ist nun der gerade, kürzeste und sicherste Weg, die göttliche Liebe und die Vollkommenheit aller Tugenden zu erlangen.

1)
Diese demütige Vernichtung seiner selbst teilt der heilige Bernard in jene des Erkennens, und die des Begehrens ein. Durch die erste sehen wir, dass wir Nichts sind, und lernen es von uns selbst und unserer eigenen Schwachheit. Durch die andere verachten wir die Ehre der Welt, und lernen es von Dem, Der Sich Selbst erniedrigt, und Knechtes-Gestalt angenommen hat. Und von dem natürlichen Zustande des Menschen in seiner Nichtigkeit sagt er:, Insoweit ich verderbt bin bin weder hier noch anderswo, weil ich zu nichts gemacht bin, und habe es nicht gewusst, ja, wahrlich! zunichte, d. i. zur Sünde. Der aber, Der immer Derselbe ist, und spricht: Ich bin, der Ich bin, Der ist in der Wahrheit, weil Sein Sein wirklich ist, was Er ist. Welche Gemeinschaft ist nun oder welche Vergleichung dessen, der nicht ist, mit Dem, Der da ist?
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autoren/t/tauler/medulla_animae/tauler-medulla_animae_-_kapitel_10.txt · Zuletzt geändert: von aj
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