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Taube, Emil Heinrich - Psalm 131.

Taube, Emil Heinrich - Psalm 131.

Dieses kleine und feine Lied trägt der wahren Demut Signatur (V. 1), Sieg (V. 2) und Segen (V. 3) in sich. Ihre Signatur bekennt der Dichter einfältig vor dem Herrn, ihren Sieg über die eigne Seele bekennt er willig vor sich selbst, ihren Segen ruft er fröhlich seinem Volke zu. Die Überschrift nennt David als den Verfasser des Liedes, und in Wahrheit liefert sein Herz und Leben den besten Beleg und reichsten Stoff dazu. Wenn wir diese Perle aus Davids Vermächtnis unter den Stufenliedern der nachexilischen Zeit wiederfinden, so ist dies ein Beweis, wie nötig und heilsam und darum wie lieb und wert dieser Fingerzeig auf das Eine und Erste im Reiche Gottes dem Volke geworden war.

V. 1. Ein Wallfahrtslied von David. Herr, mein Herz ist nicht hochmütig und meine Augen sind nicht stolz, und ich wandle nicht in großen Dingen und wunderbaren, die mir zu hoch sind. V. 2. Fürwahr, ich habe geebnet und gestillt meine Seele gleich einem Entwöhnten bei seiner Mutter, gleich dem Entwöhnten ist in mir meine Seele. V. 3. Harre, Israel, auf den Herrn, von nun an bis in Ewigkeit. Der ganze Lebenslauf Davids legt ein fortgehendes Zeugnis davon ab, dass das Bild, welches er hier V. 1 von der wahren Demut entwirft, ein treuer Abriss seines persönlichen Herzensstandes, der Grundstock seiner innersten Gesinnung war. Schon der achte Psalm, der in sein Jugendleben fällt, zeigt mit seinem schönen Bekenntnis: „Was ist der Mensch, dass Du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass Du Dich seiner annimmst?“ (Ps. 8,5), dass bereits dem Hirtenknaben über der Größe Gottes das Bewusstsein der eignen Geringfügigkeit aufgegangen war. Dieser Eindruck wurde durch seine Berufung von den Herden seines Vaters zum Könige von Israel wesentlich verstärkt und er scheint es nie vergessen zu haben, dass es des Herrn Wohlgefallen gewesen, ihn als den kleinsten der Söhne Isais erwählt zu haben. Als er bereits längst an Sauls Hofe war und dieser ihm seine größte Tochter zum Weibe geben wollte, spricht er: „Wer bin ich? Und was ist mein Leben und Geschlecht meines Vaters in Israel, dass ich des Königs Eidam werden soll?“ (1. Sam. 18,18); und als er ihm die jüngere Tochter Michal anbot, spricht er: „Ich bin ein armer geringer Mann.“ (V. 23.) Ja sogar dem höhnischen Spott eben dieser Michal gegenüber, welche in frivolster Weise Davids Tanzen vor der Bundeslade im leinenen Priesterrock durch die Hechel zog, konnte der König in der lautersten Demut erwidern: „Ich will noch geringer werden, denn also, und will niedrig sein in meinen Augen.“ (2. Sam. 6,22.) Tief beschämt von der Gnade seines Gottes, der ihm und seinem Hause die große messianische Verheißung gibt, weiß er nur wieder aus dem Staube heraus die Antwort zu geben: „Wer bin ich, Herr Herr, und mein Haus, dass du mich bis hierher gebracht hast?“ (2. Sam. 7,18.) Und die schweren Tage des Unglücks zeigen keinen andern Mann. Als der Vater vor dem abtrünnigen Sohne fliehen muss, spricht er in demütiger Ergebenheit: „Ich will gehen, wo ich hin kann gehen“; und als er unter den Tränen des ganzen Volkes den Kidron überschritten hat und gen Bahurim kam, wo ein Simei ihn mit Flüchen und Steinwürfen bedeckt, kann er sagen: „Lasst ihn fluchen, denn der Herr hat es ihm geheißen!“ (2. Sam. 15,20.23; 16,6.10.)

So darf es denn nicht Wunder nehmen, wenn dieser lautere Knecht des Herrn hier unter die Augen seines Gottes tritt und in aller Demut von seiner Demut das Bekenntnis ablegt. (V. 1.) Sonst schöpft man nicht ohne Grund Verdacht, wenn Jemand von seiner Demut redet, zu Menschen redet; aber darf sie nicht betend und sich bekennend vor dem Herrn erscheinen, zumal, wenn die volle Wahrheit des ganzen Lebensbildes zur Seite steht und die Welt sie nicht erkennen will? Das Letztere scheint der dreifach verneinenden Ausdrucksweise zu Grunde zu liegen, und man hat deswegen an den feindseligen Argwohn Sauls und seiner Höflinge dabei gedacht, die den begabten, tapferen und klugen Jüngling lüstern nach der Krone wähnten. Jedenfalls ist es ein Zeugnis großer Wahrhaftigkeit, in das unbetrügliche Licht Gottes mit solchem Bekenntnis zu treten, und den ganzen in- und auswendigen Menschen im Gewande der Demut vor Gott sehen zu lassen. Herz- Auge Wandel, das begreift ja das Geheimleben der Gedanken samt seiner Offenbarung in Blick und Handlungsweise. Wenn es von letzterer heißt: „ich wandle nicht in großen Dingen und wunderbaren, die mir zu hoch sind“, so deutet der Dichter, indem er es von sich abweist, ein recht spezifisches Merkmal der Hoffart an, nämlich den Charakter des Maßlosen, den sie an sich trägt. „Oben aus und nirgend an“, wie die Väter sagen, den Sinn gehen zu lassen, die Grenzen der Begabung, die Schranken des Wissens und des Könnens, der Verhältnisse und Befugnisse zu überspringen, und so nach allen Richtungen hin über die gottgesetzte Sphäre hinauszugehen bis ins Wunderbarste und Abenteuerlichste hinein, kurz die Betörung der alten Schlange, „sein zu wollen, wie Gott“ das ist des Hochmuts Zeichen, während die Demut in der bescheidenen Selbstbeschränkung ruht. Doch es kostet viele und heiße Kämpfe der Selbst- und Weltverleugnung, bis die Demut den Sieg gewinnt über das in uns Allen von Haus aus so hochmütige Herz. Von diesem Siege redet der Dichter in V. 2; er sieht von seiner Höhe auf die ernsten, innern Kämpfe zurück, und die feierliche Beteuerung des Sieges, sowie die davon gebrauchten Ausdrücke verraten deutlich, was er zu überwinden gehabt hat: „Fürwahr, ich habe geebnet und gestillt meine Seele gleich einem Entwöhnten bei seiner Mutter, gleich dem Entwöhnten ist in mir meine Seele.“ Das „ebnen“ weist auf den ungeraden, ungeordneten Zustand der Seele hin, worin sie, der Vielheit des Begehrens hingegeben, gleichsam voller Höcker ist, d. h. sich bald nach diesem, bald nach jenem Gute emporreckt (Jes. 40,4); das „stillen“ aber deutet auf die heftige Erregung der Seele dabei hin, auf den ungestümen Charakter und die qualvolle Unruhe, welche gerade den hoffärtigen Menschen in seinen unberechtigten Prätensionen kennzeichnen. Es gilt also den Kampf des Menschen mit seiner Seele, welche der Sitz dieses Eigenlebens und Selbstwirkens ist, und das segensreiche Resultat dieses Kampfes ist ihre Stillung durch Entsagung dessen, worin man bisher das Leben fand, durch alleiniges Ruhen in Gott. Die Vergleichung mit einem entwöhnten Kinde will deshalb nicht in den Prozess der Entwöhnung, welcher im Gegenteil viel Wimmern und Jammern bei den Kindern herbeiführt, sondern den Zustand nach der Entwöhnung hineinweisen, wo das heftige und ungestüme Verlangen nach der Mutterbrust bereits glücklich beseitigt und das Kind zur Ruhe gekommen ist. Was dieser V. 2 in alttestamentlichem Gewande mehr verhüllt andeutet, das gewinnt überschwängliche Klarheit in jenem herrlichen Worte, das der Herr des Neuen Testamentes spricht: „Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig, so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.“ (Matth. 11, 29.) Mit diesem sieghaften Bekenntnis in V. 2 steht nun in sehr naher und inniger Verbindung der letzte Vers, welcher den Segen der Demut im gläubigen Hoffen auf den Herrn offenbart und empfiehlt.

Diesen Segen der Demut hatte David sein ganzes Leben hindurch reichlich erfahren; weil er unter der Zucht der Gnade gelernt hatte, von Herzen niedrig zu werden bei sich selbst, ist er auch ein Meister geworden in der großen Kunst des Harrens auf seinen Gott. Man denke nur an die Eine Tatsache, dass ihm vom Anfang seines Weges an durch Berufung und Salbung das Königtum zugesagt war und dass er nichtsdestoweniger sich zehn Jahre lang wie ein geduldiges Lamm von Saul auf das heftigste verfolgen lässt; man erinnere sich jenes Vorgangs in der Wüste Engeddi, wo Saul in der Höhle schläft und Davids Männer sprechen: „Siehe, das ist der Tag, davon der Herr dir gesagt hat: Siehe, ich will deinen Feind in deine Hände geben, dass du mit ihm tust, was dir gefällt“ tut da der demütige David? er schneidet unter Herzklopfen nur einen Zipfel von Sauls Rock und weist seine Männer von sich mit den Worten: „Das lasse der Herr ferne von mir sein, dass ich das tun sollte, und meine Hand legen an meinen Herrn, den Gesalbten des Herrn!“ (1. Sam. 24,4-8.) Und so erharrt er allezeit die Stunden Gottes mit sanftem und stillem Geist, reißt nimmer die Erfüllung der Verheißung eigenmächtig an sich, sondern hält geduldig aus auch in dem bittersten Herzeleid der Simeisflüche, der Empörung des eignen Sohnes. Wer so exemplarisch das Harren und Hoffen gelernt hat, der darf's auch lehren und seinem Volke den Segen der Demut fröhlich zurufen: „Harre, Israel, auf den Herrn von nun an bis in Ewigkeit!“ Wohl hat Israel von seinem Erzvater, dessen Namen es trägt, das gleiche Vermächtnis bekommen, aber mit wie vielen Warnungstafeln zugleich vor der Ungeduld des Fleisches, vor der Schlangenklugheit ohne Taubeneinfalt, vor dem eigenmächtigen Ertrotzen der Verheißungen Gottes! (1. Mos. 27,1-29.) Jakobs Bild warnt also vornehmlich, Davids Bild lockt, aber Beides war Israel und ist uns geschrieben zur Lehre, zur Strafe, zur Züchtigung in der Gerechtigkeit, auf dass wir durch Geduld und Trost der Schrift Hoffnung haben. (2. Tim. 3,16; Röm. 15,4.) Und das ist namentlich dieses Psälmleins große und herrliche Aufgabe, die Lösung zu der Rätselfrage zu geben: warum Glaube und Geduld der Heiligen so selten bei den Menschenkindern, auch bei den sogenannten Gläubigen, zu finden sind? Seine Antwort lautet: weil sie das neue Leben des Geistes begehren, ohne das alte Leben des Fleisches fahren lassen zu wollen. Nur wer dieses hasst und verliert, wird jenes finden und erhalten „von nun an bis in Ewigkeit.“ (Joh. 12,25; 1. Kor. 13,13.)

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autoren/t/taube/psalter/taube-psalmen-psalm_131.txt · Zuletzt geändert: von aj
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