Stockmayer, Otto - Römer 11
(Ein Auszug aus seinem Buch „Aus Glauben in Glauben“)
XXX. Die freie Erwählung
Auch dieses elfte Kapitel des Römerbriefs hat seine besonderen Schwierigkeiten. Die freie Gnadenwahl Gottes tritt hier in besonderer Weise in den Vordergrund. „Er ist gnädig, wem Er will.“ Im letzten Verse des vorigen Kapitels hat es geheissen in Bezug auf Israel: „Den ganzen Tag strecke ich meine Hand aus nach einem ungehorsamen Volke…,“ aber trotzdem hat Gott Sein Volk nicht endgültig zurückgestossen, sondern nur zurückgestellt.
Der ganze Abschnitt von Römer 10 bis Römer 11,24 hat aber auch, wie alles, was sich auf die Erwählung bezieht, seinen besonderen Segen neben den Schwierigkeiten, wenn wir lernen, da - wo uns, wie man im gewöhnlichen Leben sagt, der Verstand stille steht, wo unser Blick und Verständnis nicht mehr ausreichen - uns gefangen geben in den Gehorsam des Wortes und des Kreuzes und uns einstweilen mit Durchblicken begnügen, bis der Herr weiteres Licht gibt. Die Souveränität Gottes muss uns immer wieder neu lebendig werden. Wir gehören einem gefallenen Geschlecht an, das sich gegen Gott auflehnt, das gewissermassen Republik sein wollte und doch haben wir den vom Vater selbst eingesetzten Sohn zum Könige, der frei und souverän regiert und dem doch alles noch zu Füssen gelegt werden muss bis auf den Tag, wo Gott alles in allem sein wird.
Im 15. Verse des letzten Kapitels heisst es: „Wie lieblich sind die Füsse derer, die Frieden verkünden…“ Das ist unser aller, seliger herrlicher Auftrag, unser aller herrliche Mission, nicht nur der Missionare und Evangelisten.
Wir sind als Kinder Gottes alle Missionare, Zeugen die Licht hinein zu tragen haben in die Herzen und Häuser der Nahen und Fernen, mit denen uns Gott in Berührung bringt. Gott hat uns nicht nur für uns selbst die Gnade gegeben, sondern Er hat uns zu Segensstätten für unsere Umgebung gemacht und da müssen wir wohl zusehen, dass unser Licht hell brennt.
„Aber“ heisst es weiter, „es sind nicht alle dem Evangelium gehorsam gewesen“ resp. geworden, es war zunächst nur eine Auswahl. Wohl kommt der Glaube aus der Predigt, aber nicht notwendigerweise. Wo der Herr einer Lydia das Herz auftut, da bricht der Glaube durch. Es ist nicht nur das Wort, das unser inneres Leben erleuchtet, sondern es ist auch der Heilige Geist, der das Wort lebendig macht. Wir müssen Licht werden durch das Wort Gottes. Der Glaube kommt aus der Verkündigung des Evangeliums, der Botschaft von Christo, dem Sünderheiland.
Israel ist zurückgestellt worden, weil es seinen Messias verworfen hat, aber wie gesagt, nicht für immer. Wenn die Vollzahl der Heiden eingegangen sein wird, kehrt die Geschichte wieder zu Israel zurück. Machen wir uns bereit entrückt zu werden mit allen Gläubigen, damit Israel wieder auf den Plan kommen kann.
In Kapitel 11 tritt die Unwandelbarkeit der Gnadenwahl noch deutlicher hervor. Israel ist nicht endgültig verstossen, wie man glauben könnte. Elias hat auch eine Zeit durchgemacht, wo er über sein Volk klagte und zum Herrn sagte: „Herr sie haben Deine Propheten getötet und haben Deine Altäre umgeworfen und ich bin allein übrig geblieben und sie stehen mir nach meinem Leben.“ Aber wie lautet die göttliche Antwort? „Ich habe mir lassen übrig bleiben 7000 Mann, die nicht haben ihre Knie gebeugt vor dem Baal,“ die Elias nicht kannte. die aber doch vorhanden waren.
Es ist mehr da, als wir wissen und ahnen. Vielfach ist auch bei denen, die wir kennen, mehr vorhanden. als wir glauben und wir können anderen helfen, wenn wir kein entsprechendes Urteil über sie fällen, sondern glauben, das sie etwas haben. Meistens hilft ihnen das viel mehr, als wenn wir ihnen misstrauisch gegenüber stehen und sie fühlen, dass wir am Ende noch an ihrer Kindschaft zweifeln. Wenn wir ihnen keine Misstrauen zeigen, so gelingt es uns vielleicht, sie zu wecken. Verstossen ist nicht Gottes letztes Wort.
Vers 1: „So sage ich nun: Hat Gott Sein Volk verstossen? Das sei ferne!“ Er hat Seine 7000 die nicht haben ihre Knie vor Baal gebeugt haben. Vers 5: „Also geht es auch jetzt zu dieser Zeit mit diesen, die übrig geblieben sind, nach der Wahl der Gnade. Die Gnade muss Gnade bleiben, und so hat den Israel nicht erlangt was es suchte, die Auswahl aber hat es erlangt; die Übrigen wurden verstockt.“ Gott hat sich ihnen entzogen, hat ihnen einen Geist der Verstockung gegeben. Das war ein Gericht. Es scheint, dass jetzt die Zeit angebrochen ist, da das Heil zurück kehrt, da durch alle Völkerbewegungen hindurch Israel seinen Weg in sein Land zurückfindet, im tausendjährigen Reich daselbst ein Segen zu werden für die Völkerwelt.
Wie wir gesehen haben, geht Gott im Anfang des 11. Kapitels zurück auf einen besonderen bedeutsamen Abschnitt der Geschichte Israels, des alten Bundesvolks, in jene Zeit des Propheten Elia, wo in dunkelster Nacht alles verloren schien und der Herr zu ihm sagte: „Ich habe mir übrig bleiben lassen siebentausend Mann, welche ihre Knie vor Baal nicht gebeugt hatte.“
Darin erkennt der Apostel eine Weissagung für die Zukunft, die Verheissung, dass allezeit, auch in den dunkelsten Zeiten, ein Überrest vorhanden ist, nach Wahl der Gnade, nicht nach Verdienst der Werke. Gnade ist Gnade. Also war auch das Gnade, dass diese Siebentausend ihre Knie nicht vor Baal gebeugt haben.
Diejenigen, die sich bebeugt haben, sind verantwortlich vor Gott und die sich nicht gebeugt haben, dürfen sich nichts darauf einbilden; denn sie haben es nur der Gnade Gottes zuzuschreiben. Das sind Dinge, die nicht in unsere natürlichen Anschauungen, in die Begriffe des natürlichen Menschengeistes taugen.
So lernen wir uns denn beugen unter die Ratschlüsse Gottes, ohne weder die Linien zu verlängern noch sie zu verkürzen, auch nicht in Bezug auf die grossen Fragen, die heutzutage die Gemüter in besonderer Weise beschäftigen, wie z.B die Frage bezüglich der Endlosigkeit der Endgerichte. Wir nehmen die Schrift wie sie ist und erlauben uns nicht, die Linien zu verlängern oder irgendwie hinaus zu gehen über das was die Schrift sagt. Wir lernen aus der Heiligen Schrift, was Gerechtigkeit ist, aber wir legen nicht unsere Begriffe von Gerechtigkeit in die Gottheit und die Heilige Schrift hinein. Es wird noch alles zusammen stimmen und Gott wird in der Ewigkeit keine Antwort auf diese oder jene Frage schuldig bleiben. Er wird in allem das letzte Wort behalten.
Vers 7+8: „Wie denn nun? Was Israel gesucht hat, erlangt es nicht; die Auserwählten aber erlangten es; die anderen sind verstockt. Wie geschrieben steht: Gott hat ihnen gegeben einen Geist des Schlafes; Augen, dass sie nicht sehen und Ohren, dass sie nicht hören, bis auf den heutigen Tag!“ Israel ist noch in einem Schlafgeiste befangen, hat noch eine Binde vor den Augen. Es handelt sich da um Gerichte, aber nicht um Endgerichte.
Vers 9-11: „Und David spricht: Lass ihren Tisch zu einem Strick werden und zu einer Behausung und zum Ärgernis und ihnen zur Vergeltung. Verblende ihre Augen, dass sie nicht sehen und beuge ihren Rücken allezeit.“ Vers 11: „So sage ich nun: Sind sie angelaufen, dass sie fallen sollten? Das sei ferne! Sondern aus ihrem Fall ist den Heiden das Heil widerfahren, auf dass sie denen nacheifern sollten.“ Sie sind gestrauchelt, damit das Heil unter die Heiden komme und damit aus letzteren die Vollzahl der Heiden eingehe und Israel dadurch gereizt werde zur Eifersucht bis auf die Zeit, da Israel als Volk wieder aufgenommen in den Bund Gottes, aus Lebende aus den Toten.
Der Herr hat anfangs das Heil nur zu Israel gesandt. „Ich bin nur gekommen zu den verlorenen Schafen vom Hause Israel,“ hat der Herr Jesus gesagt und Petrus hat sich entschieden geweigert, zu einem heidnischen Hauptmann nach Cäsarea zu gehen. Ehe er es wagte, musste er ein Gesicht vom Herrn erhalten. Erst nach einem direkten Auftrag Gottes wagte er es, auch unbeschnittene in die Gemeinde aufzunehmen. Das war auch am Horizont der Apostel ein neues Morgenrot.
Vers 12: „Denn so nun der Fall Israels der Welt Reichtum ist, und der Schade ist der Heiden Reichtum, wie viel mehr, wenn die Zahl voll würde? Wenn ihre Verwesung der Welt Versöhnung ist, was wird ihre Annahme anders sein, denn Leben aus den Toten?“ Was wird es sein, wenn einmal die Vollzahl Israels eingeht?
Vers 16: „Ist der Anbruch heilig, so ist auch der Teig heilig, so sind auch die Zweige heilig.“
Vers 17: „Ob aber nun etliche von den Zweigen ausgebrochen sind und du, der du ein wilder Ölbaum warst, bist unter sie gepropfet und teilhaftig geworden des Wurzel und des Saftes des Ölbaums, “, Vers 18: „ So rühme dich nicht wider die Zweige. Rühmst du dich aber wider sie, so sollst du wissen, dass du die Wurzel nicht trägst, sondern die Wurzel trägt dich.“ Schliesslich ist die letzte Wurzel, die Stammwurzel unser Herr Jesus Christus, der uns alle trägt aus Gnaden, seien wir nun Heiden oder Juden. Das sind alles Unterschiede, die nur eine Zeit lang währen.
XXXI. Der Heiden Berufung - Gottes Güte
Vers 19+20: „Du sagst wohl: Die Zweige sind ausgebrochen, dass ich eingepflanzt würde. Ist wohl geredet. Sie sind ausgebrochen um ihres Unglaubens willen; du stehest aber durch den Glauben. Sei nicht stolz, sondern fürchte dich.“ Die Zweige sind ausgebrochen worden, weil sie ihre Berufung nicht erfüllt haben und nicht treu gewesen sind. Sie sind ausgebrochen worden, weil sie ihren Heiland der Verfolgung und Kreuzigung ausgeliefert haben. Du stehst nun aber überhebe dich nicht, sondern fürchte dich.
Der echte Glaube ist mit heiliger Furcht verbunden. Da ist keine Selbstüberhebung, sondern heilige, tiefe Scheu und Anbetung, dass sich Gott deiner erbarmt hat, dass er dir zu stark geworden ist und deinem Stolz oder deine Verzagtheit gebeugt hat unter das Joch des Evangeliums, bis uns dieses selige Joch so kostbar geworden ist, dass wir gar nicht mehr leben möchten ohne dieses Joch der Gnade Gottes in Christo Jesu und dankbar sind, des Herrn sein zu dürfen mit Wort und Wandel.
Da ist kein Raum für Selbstüberhebung oder Selbstruhm. Da rühmt man sich auch nicht der ausgebrochenen Zweige, sondern beugt sich tief der göttlichen Gnade, durch die man bewahrt geblieben ist. Glaube und Überhebung gehen nicht zusammen. Jede Überhebung ist ein Riss in unser Glaubensleben.
Der Glaube sucht nichts in sich selbst, folglich kann er sich auch nicht erheben. Er hält sich einzig und allein an Gottes Gnade und stützt sich auf die vom heiligen Geiste aufgeschlossene Erlösung. Da darf sich keiner etwas zuschreiben. Gnade ist es unverdiente Gnade, wenn Gott uns herausgeholt hat aus der Sünde und Verderben, wenn er uns nicht dahingegeben hat in unsere natürliche Gottlosigkeit und Gottentfremdung. Auch die jetzt für einige Zeit Zurückgestellten kann Gott wieder einpropfen. Fürchte dich anstatt dich zu rühmen!
Vers 21: „Hat Gott die natürlichen Zweige nicht verschont, dass er vielleicht dich auch nicht verschone.“ Wo Gott mit Seinen Gerichten über andere Völker oder Familien einher fährt, da muss uns heilige Furcht ergreifen, damit wir, die wir bewahrt geblieben sind und noch feststehen, in der Demut bleiben; denn wenn wir unserer Berufung nicht treu sind, so wird Er auch unser nicht schonen.
Vers 22: „Darum schau die Güte und den Ernst Gottes; den Ernst an denen, die gefallen sind, die Güte aber an dir, so fern du an der Güte bleibst; sonst wirst du auch abgehauen werden.“ Wir haben die Güte und den Ernst Gottes ins Auge zu fassen. Israel hat Gottes Strenge und ernst erfahren; wir aber erfahren die Güte nach Seiner ewigen Gnadenwahl. Wenn wir aber nicht in der Gnade bleiben, können wir ebenso gut ausgeschieden werden, wie Israel ausgeschieden worden ist und wie es wiederum eingeschaltet werden kann, sofern es mit dem Unglauben bricht. Wehe uns, wenn wir mit dem Glauben brechen, dass alles Gnade ist. Schau darum immer wieder an, die dir bewiesene Güte Gottes, dass du hast eintreten dürfen unter den Schatten des Kreuzes und nun stehst unter dem Schatten des Ölbaums, um seine Früchte zu geniessen.
Vers 23+24: „Und jene, so sie nicht bleiben im Unglauben, werden sie wieder eingepropft werden: Gott kann sie wohl wieder einpropfen. Denn so du aus dem Ölbaum, der von Natur wild war, bist ausgehauen und wider die Natur in den guten Ölbaum gepropft, wie viel mehr werden die natürlichen eingepfropfet in den eigenen Ölbaum!“
Auch wo irgend jemand zurückgegangen ist durch eigene Schuld, Gleichgültigkeit oder Vernachlässigung, ist nicht gesagt, dass Gott ihn seinem Jammer überlässt; denn aus eigener Kraft kann niemand wieder aufstehen. Gott muss uns die Hand reichen und das tut Er aus Gnaden.
„Gott vermag sie wieder einzupropfen,“ und Gott vermag die Zurückgegangenen, herunter gekommenen Kinder Gottes wieder zu lösen. Er kann dir deine erste Liebe wieder zurückgeben, alles was du je gehabt hast und noch mehr. Er kann dein in Stockung geratenes Leben wieder flüssig machen und in ungehemmte Zirkulation bringen, so dass du wieder ein fruchtbarer Ölbaum wirst. Im Ölbaum zirkuliert Öl und wir sind Ölbäume, weil wir den Heiligen Geist haben, der in uns lebt, zirkuliert und uns leitet.
Vers 25: „Ich will euch nicht verhalten liebe Brüder, dieses Geheimnis, auf dass ihr nicht Stolz seid. Blindheit ist Israel zum Teil widerfahren, solange bis die Fülle der Heiden eingegangen sei. Jetzt ist die Zeit, wo die Vollzahl, wie die Elberfelder Bibel sagt, nicht die Nationen in ihrer Gesamtheit, sondern die Vollzahl derer, die aus der Heidenwelt gerettet und in den natürlichen Ölbaum eingepropft werden sollten, eingegangen ist.
Neben der Vollzahl der Heiden sind durch die Gnade Gottes durch die Jahrhunderte hindurch auch Einzelne Israeliten gerettet - einzelne Juden da und dort zu dem Nazarener bekehrt worden - aber über dem Volke als solchem liegt noch eine Decke. Israel hat unseren Heiland nicht als Heiland und Erlöser angenommen.
XXXII. Israels erneute Berufung
Vers 26: Dann kommt die Zeit wo das ganze Israel selig wird, wie geschrieben steht: „Es wird kommen aus Zion, der da erlöse und abwende das gottlose Wesen von Jakob.“ Danach tritt Israel wieder in den Mittelpunkt der Völkerwelt, gerettet, trägt es dann das Heil hinaus in alle Enden der Erde. Wir sind dafür verantwortlich, wenn wir gottlos bleiben. Und wenn wir erkennen, es war Gottes Gnade, die die Gottlosigkeit von uns abgewandt, uns unsere Sünden vergeben hat und in einen Bund mit uns getreten ist, so ist das wiederum wirkliches Erbarmen.
Vers 27-29: „Und das ist das Testament mit ihnen, wenn ich ihre Sünden werde wegnehmen. Nach dem Evangelium zwar sind sie die Feinde um euretwillen; aber nach der Wahl sind sie Geliebte um der Väter willen. Gottes Gaben und Berufungen mögen ihn nicht gereuen.“ Der neue Bund, den der Herr aufrichten wird, besteht darin, dass Er ihre Sünden wegnehmen wird. Er wird ihre Sünden nicht nur vergeben, Er wird sie wegnehmen und wird Israel wieder einsetzen in sein Erbe. Die den Vätern gegebenen Verheissungen bleiben Israel.
Wir wollen dankbar sein, dass das Evangelium auch in unsere Lande gekommen ist und wollen es treu verwerten als einen kostbaren Schatz. Gottes Gnadengaben und Berufung sind unwiderruflich. In erster Linie handelt es sich da also um Israel. Ihr Heiden, ihr Römer waren Gott ungehorsam und seid nun begnadigt worden, in das Licht des Evangeliums getreten, habt die Predigt des Evangeliums angenommen, nachdem Israel den Heiland verworfen hatte. Aber Israel wird nicht für immer im Ungehorsam verharren. Gott rechnet anders als wir kurzsichtigen und kurzhändigen Menschenkinder, deren Blick, Gang und Horizont begrenzt ist. Diese wurden ungehorsam, damit sie durch das euch widerfahrene Erbarmen gleichfalls Barmherzigkeit erführen. Israel bleibt das Bundesvolk Gottes.
Vers 30: „Denn gleicher weise, wie ihr einst, nicht geglaubt habt an Gott, nun aber ist euch Barmherzigkeit widerfahren über ihrem Unglauben.“
Vers 31: „Also auch jene haben jetzt nicht wollen glauben an die Barmherzigkeit, die euch widerfahren ist, auf dass sie auch Barmherzigkeit überkommen.“ Wir sind alle aus den Unglauben heraus gekommen und sind durch den Unglauben dieser in die Begnadigung gekommen. Weil Israel den Herrn nicht aufgenommen hat, ist den Heiden das Heil zugewandt worden.
Vers 32: „Denn Gott hat alle beschlossen unter den Unglauben, auf dass Er sich aller erbarme.“ Gott hat alle mit eingeschlossen, auf dass niemand sich rühme, sondern auf dass alles, was in Israel und in der Völkerwelt geschieht, die Gnade rühme. Was euch Heiden, was euch, der Gemeinde in Rom und was andern in der Heidenwelt widerfahren ist, ist ein Angeld für die Wiederaufnahme Israels, wenn dessen Stunde gekommen sein wird.
Und nun spricht der Apostel am Schluss des Kapitels Worte der Anbetung, Vers 33: „Oh welch eine Tiefe des Reichtums, beide, der Weisheit und Erkenntnis Gottes! Wie gar unbegreiflich sind Seine Gerichte und unausforschlich Seine Wege!“ Der Apostel hat die Gemeinde, soweit es möglich war, in das Geheimnis göttlicher Gnadenwahl eingeführt in göttlichen Linien und nun beugt er sich selbst in den Staub vor der Herrlichkeit Gottes, Seiner Gedanken, Seiner Wege, Seiner Erwählung.
Alles was Gott von Seiner Herrlichkeit offenbart, darf uns nicht mehr in den Kopf steigen, sondern muss uns zu Gottes Füssen in den Staub legen, dass der Heiland sich unserer erbarmt hat, während er Israel zurückgestellt hatte, während andere Völker und Länder noch in Finsternis dahin gehen. Es soll uns das mit Preis und Anbetung zu Seinen Füssen niederlegen. Gottes Wege sind unergründlich und unausforschlich. Der Weisheit und den Plänen kommt man bald auf den Grund, da ist keine Unendlichkeit.
Auch für solche, die den reichsten Schatz von Erkenntnis gesammelt haben, kommt immer ein Punkt, wo sie eingestehen müssen: Ich weiss nicht, wo ihnen sozusagen der Verstand stillsteht, wo sie nicht mehr ausreichen mit ihrer Kurzsichtigkeit; aber anbeten können sie und anbeten können auch wir, wenn sich uns Tiefen auftun, in die auch der Apostel tiefer und tiefer hinein zu schauen begehrte.
„Wie unergründlich sind Seine Gerichte und Seine Wege!“ Wie unergründlich sind Seine Gerichte über die Völkerwelt, über die Familie und über die Einzelnen! Es ist herrliches, heiliges Studium, sich etwas in diese Gedanken und Wege Gottes zu versenken und Ihm Raum zu machen, weiter und tiefer zu enthüllen von Herrlichkeit zu Herrlichkeit und von Tiefe zu Tiefe.
Durch die Erkenntnis dieser Gottesgedanken und Gotteswege werden unsere Herz und unser Leben, unsere Lebensverhältnisse und Lebensaufgaben ins Licht kommen, vom Licht geleitet und beherrscht werden. Sonst kommt man natürlich immer wieder in eigene Gedanken und Wege hinein, verliert Zeit und Kraft und es geht viel heiliger Gottessegen verloren. Alle Erkenntnis muss uns klein machen, dann kann uns der Herr immer tiefer und weiter führen. Oh, welche Tiefe und Weisheit und der Erkenntnis Gottes.“ Im gewöhnlichem Leben zuweilen: da steht einem ja der Verstand still. Das 11.Kapitel ist eines von den Kapiteln im Römerbrief, wo einem in besonderer Weise auferlegt wird, seine Vernunft gefangen zu geben unter die Gehorsam des Kreuzes. Kinder brauchen nicht alles zu verstehen, aber treu wollen wir sein in dem, was wir verstehen; dann kann uns der Herr Blicke geben in die Geheimnisse, die uns vorher verborgen waren. Wir treten jetzt mit ausgezogenen Schuhen an sie heran, nicht mit einer sich breitmachenden Vernunft und sind dankbar für jeden Blick, den Gott uns schenkt in Seine Weisheit und Erkenntnis, damit Er uns immer weiter und weiter die Augen öffnen und uns einführen könne von Klarheit zu Klarheit in die Erkenntnis Seines Heils und Seiner Heilsratschlüsse. Wie klein und arm stehen wir vor solchen Tiefen und Geheimnissen Gottes! Wie hoch gehen sie über unseren Horizont! Da findet man keinen Boden. Da darf man schwimmen; da wird man vom Meer der Gnade getragen.
„Wie unausforschlich sind Seine Wege…“ Man erzählt vom Kirchenvater Augustinus, er habe sich viel mit dem Geheimnis der ewigen Gnadenwahl beschäftigt. Da sah er im Traum am Ufer des Meeres ein Knäblein, einen kleinen Engel, der mit der hohlen Hand Wasser aus dem Meer schöpfte und es in ein Grüblein goss, dass er im Sande gemacht hatte. Natürlich floss das Wasser sofort ins Meer zurück. Was tust du da? fragte Augustinus. „Ich schöpfe das Meer aus“, sagte das Englein. Bei diesen Worten gingen Augustinus ein Licht auf. Wie töricht, bin ich doch, fragte er sich, dass ich mit meinem armseligen Menschenverstand die Ratschlüsse Gottes zu ergründen suche!
Je tiefer wir uns vor den Ratschlüssen Gottes beugen, desto mehr Durchblicke kann Er uns geben in die Herrlichkeit Seiner Gnade, Seines Heils und Seiner wunderbaren Berufung.
Vers 34-36: „Denn wer hat des Herrn Sinn erkannt? oder wer ist Sein Ratgeber gewesen? Oder wer hat Ihm zuvor etwas gegeben, dass ihm werde wieder vergolten. Denn von Ihm und zu Ihm und durch Ihn sind alle Dinge, Ihm sei Ehre in Ewigkeit, Amen. Auch darin liegt ein Stück Herrlichkeit, dass wir uns sagen dürfen: „Wir sind für Gott da.“ Hoch über allen über Seiner Schöpfung und über Seiner Gemeinde, steht Er das Haupt und steht der Vater, in dem Er allen Rätseln gegenüber immer wieder Ruhe und Befriedigung und Stille. In Ihm können und wollen wir unser Herz stillen. Es kommt alles von Ihm und muss alles einmal zurück kehren zu Ihm.
Welche Gnade, dass wie nicht mehr unser eigener Mittelpunkt zu sein brauchen, sondern mit unserem ganzen Sein und Wesen für Gott da sein dürfen! Das ist Herrlichkeit, das ist das Vorrecht derer, die Glieder sind am Leibe Christi, die Christi Sinn haben und täglich besser lernen, einen Gott anzubeten, dessen Ratschlüsse unerforschlich sind, in dessen Beschlüsse wir aber Ruhe, Heimatluft und Seligkeit finden.
Alles geht von Ihm aus, hat Ihn zum Mittelpunkt und kehrt schliesslich zu Ihm zurück. Alles muss ausreifen zu Seiner Herrlichkeit und Ihm dienen, dem Schöpfer, dem Hohen, Herrlichen und Erhabenen. Ihm sei Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen. So soll es geschehen.