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Stiller, Erich - Psalm 6

Stiller, Erich - Psalm 6

Das ist ein rechtes Trauerlied und ein rechter Jammergesang! David klagt am Anfang dieses Psalmes dem Herrn das heimliche Leiden seines verwundeten Gewissens, und bittet gar sehnlich um Erbarmung, Hilfe und Errettung. Sehen wir auf den Ausgang des Psalmes, so finden wir, dass Davids vertrauensvolles Seufzen nicht vergebens war, und es stellt sich die Wahrheit heraus:

Der Herr hört das Flehen der erschrockenen Seele!

Davids Seele war sehr erschrocken; er fängt seinen Klaggesang gar tief an: Ach, Herr, strafe mich nicht in deinem Zorne, und züchtige mich nicht in deinem Grimme! Herr sei mir gnädig, fährt er fort, denn ich bin schwach; heile mich, Herr, denn meine Gebeine sind erschrocken, und meine Seele ist sehr erschrocken! Ach, Herr, wie so lange? Wende dich, Herr, und errette meine Seele; hilf mir um deiner Güte willen! denn im Tode gedenkt man dein nicht, und wer will dir in der Hölle danken! Gott hatte den König David vor sein strenges Gericht geführt, und ihn große Angst seiner Sünde wegen fühlen lassen! Er war schwach an Leib und Seele geworden, und es war ihm ein solches Zittern und Zagen angekommen, dass seine Gebeine lange erbebten! Er saß mit Händeringen auf seinem Lager, Tränen entströmten seinen Augen und Seufzer seiner Brust! Er schüttete sein betrübtes Herz vor Gott aus, und suchte Erleichterung im demütigen Gebete.

So braucht jeder Erdenpilger Erleichterung, denn keiner befindet sich mehr in dem ursprünglichen, glücklichen Zustande! Durch die erste Sünde ging das göttliche Ebenbild verloren, und kam leibliches und geistiges, zeitliches und ewiges Elend in die Welt! Schrecklich ist es, und ein großes Elend, dass der Mensch die angeschaffene Gerechtigkeit, Heiligkeit und Weisheit verloren hat, aus der Gemeinschaft Gottes gefallen, und ein Kind des Zornes geworden ist, dass aus seinem Herzen, als aus einem unlauteren Brunnen, lauter arge Gedanken aufsteigen, dass die Bewegungen der Seele wie die Töne einer verstimmten Harfe sind, dass das Herz einem solchen Gasthause gleicht, in dem die gemeinsten und unsaubersten Gäste am längsten weilen und am liebsten gesehen werden! Schrecklich ist es, dass der Mensch von Natur dem Zorne Gottes und tausendfachem Elende dieses betrübten Lebens unterworfen ist, und sein erstes Gebet schon sein sollte: Ach, Herr, strafe mich nicht in deinem Zorne, züchtige mich nicht in deinem Grimme; Herr, sei mir gnädig, denn ich bin schwach! Wir fangen unser Leben mit Weinen an, wir sehen es mit Klagen und Seufzen fort, und endigen es mit Angst und Kampf! Das menschliche Leben und Elend sind Zwillinge, die zugleich geboren werden, die miteinander leben und sterben. Doch wenn der Mensch nicht durch Christum erneuert wird, so stirbt sein Elend im Tode nicht, sondern geht dann erst recht an. Ungnade und Zorn, Trübsal und Angst soll über alle kommen, die in ihren Sünden sterben, - sie werden in die ewige Pein gehen, indem der gerechte Richter spricht: Geht hin, ihr Verfluchten, ich habe euch nie erkannt!

Hieran dachte wohl auch David, als er sagte: Meine Seele ist sehr erschrocken! Wollte Gott, dass alle Menschen solche Schrecken hätten! Allein den Leib und sein Wohlsein achtet der Mensch gewöhnlich hoch; aber an die edle Seele denkt er nicht; wenn Leibesnot ihn betroffen hat, dann ruft er: Herr, hilf mir! Herr, wende dich zu mir! Herr, errette mich! Aber hinsichtlich seiner Seele tut er, als ob er keine habe, oder mehr, als eine! Judas hat seine Seele um 30 Silberlinge verkauft, und hat sie teuer genug angebracht im Vergleiche zu dem Werte, den die Seele in unsern Tagen hat; denn wenn mancher 30 Silberlinge zu gewinnen wüsste, er würde nicht nur eine, er würde 30 Seelen verkaufen, wenn er es könnte!

Ein rechter Christ aber fühlt seine Schwachheit, und kennt den hohen Wert seiner Seele, und die Gefahr, in der er schwebt; es ergreift ihn ein mächtiger Schrecken; er wird müde vom Seufzen; er schwemmt sein Bette die ganze Nacht, er netzt mit Tränen sein Lager; seine Gestalt verfällt vor Trauern, er altert vor der Zeit; er fühlt sich allenthalben geängstigt, und hat keine Ruhe noch Rast, bis ihm Hilfe geworden ist.

Wo aber ist Hilfe zu finden? Weicht von mir alle Übeltäter, sagt David, denn der Herr hört mein Weinen, mein Gebet nimmt der Herr an! Ein Edelstein kann einem Menschen aus der Hand fallen und sich im Staube verlieren, dass man aufhören muss zu suchen; aber eine gläubige Seele kann nie verloren gehen, dass der Herr ihre Tränen nicht sehen und ihre Seufzer nicht hören sollte!

Wenn du, o arme Seele, über deine Sünden weinst und traurig bist, stehe, so werden deine Tränen gezählt, und alle deine Seufzer werden in Gottes Buch eingetragen! Es heißt dann bei Gott: Ist nicht Ephraim mein teurer Sohn und. mein trautes Kind? Ist nicht diese arme Seele mein Eigentum? habe ich sie nicht teuer erkauft? Ich denke wohl daran, was ich in meinem Worte verheißen habe, darum bricht mir mein Herz, dass ich mich dieser armen Seele erbarmen muss! Wenn wir in ein Haus kommen, in dem sich ein krankes Kind befindet, so werden wir die Mutter nirgends gewisser finden, als am Bett desselben, und so dürfen wir fest überzeugt sein, dass man den Herrn am ersten bei denen findet, die im Gefühle ihrer Sünde zu ihm um Gnade schreien. Der dreieinige Gott ergreift mit Freuden die bußfertige Seele und führt sie dem Himmel zu! Der Vater ruft, der Sohn ergreift, der heilige Geist erneuert die Seele; der Vater umfängt sie mit Güte, der Sohn wäscht sie mit seinem Blute, der heilige Geist erfüllt sie mit Trost und Friede und Freude! Der Vater spricht: du sollst mein Kind sein, ich will dich lieben und deine Sünden nicht mehr gedenken; der Sohn: du sollst mein Miterbe sein, und der heilige Geist: du sollst mein Tempel und meine Wohnung sein! Wenn der Mensch über seine Sünde betrübt ist und in seiner Angst zu dem Herrn um Gnade fleht, so öffnet der gute Vater im Himmel die schwarze Wolke, lässt einen Gnadenblick in das Herz fallen, und spricht gar freundlich: So wahr ich lebe, ich will nicht den Tod des Sünders, sondern dass er sich bekehre und lebe; und die bisher betrübte Seele jubelt und jauchzt nun: Weicht von mir, alle Übeltäter, - ich habe keine Gemeinschaft mehr mit euch, denn Gott sieht mein Weinen, Gott hört mein Flehen, mein Gebet nimmt der Herr an! Der Herr straft mich nicht in seinem Zorne, er züchtigt mich nicht in seinem Grimme; bei dem Herrn ist die Gnade und viel Vergebung bei ihm!

Wo aber der Herr so mit seiner Hilfe einer armen Seele nahe war, und sie erquickte und tröstete und zu Ehren annahm, da heißt es: Es müssen alle meine Feinde zu Schanden werden, und sehr erschrecken, sich zurückkehren und zu Schanden werden plötzlich! Der größte Feind aber der Menschen ist die Sünde; und die Sünde flieht nun aus dem Herzen des Begnadigten, - und wenn sie auch mit mächtigen Verbündeten, mit vielen bösen Geistern zurückkehrt, sie findet keinen Eingang mehr, sie muss mit Schande abziehen. Der seligmachende Glaube erweckt einen neuen Gehorsam!

Wollt ihr nun wissen, geliebte Christen, ob euch eure Sünden vergeben sind, so sagt mir aufrichtig, ob ihr schon herzliche Reue und Leid über eure Sünden gehabt habt? Habt ihr aber dergleichen noch nie empfunden, wisst ihr von keiner Seelennot, von keiner Gewissensangst, von keiner Traurigkeit des Herzens, von keinem Weinen und Seufzen und Klagen, so ist es offenbar, dass ihr euch selbst betrügt! Christus ist ein Arzt, aber nur der Kranken; er ruft zu sich, - aber nur die Mühseligen und Beladenen; er will erquicken und erfreuen, aber nur die von Herzen betrübt und erschrocken sind! O prüft euch alle nach den Geboten des Herrn, und lernt den traurigen Zustand eurer Seele recht kennen; und fühlt ihr Reue und Traurigkeit in eurem Herzen, dass ihr ein und das andere Gebot übertreten habt, dann macht euch auf, und ruft vertrauensvoll: Herr, sei mir gnädig! Und ihr werdet erfahren, solch herzliches Gebet nimmt der Herr an.

Gott tröste und stärke alle Betrübten und Bußfertigen; Gott schrecke und schwäche alle unbußfertigen und von falscher Einbildung verleiteten Herzen; dann ist beiden geholfen! Ihm sei Ehre in der Gemeinde, die in Christo Jesu ist, zu aller Zeit von Ewigkeit zu Ewigkeit!

Amen.

Die Nach' ist dein, o Gott!
Du sprichst, ich will vergelten!
Drum lass mich stille sein,
Wenn Menschen schmäh'n und schelten!

Amen.

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autoren/s/stiller_erich/psalter/stiller_psalter_006.txt · Zuletzt geändert: von aj
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