Spurgeon, Charles Haddon - Predigt-Entwürfe - 91. Des Herrn Aufforderung an sein Volk.
„Was habe ich dir getan, mein Volk, und womit habe ich dich beleidigt? Das sage mir.“ Micha 6, 3.
Das ist eine Probe davon, wie Gott mit seinem Volk rechtet. Er hat die Berge und die starken Grundfesten aufgefordert, die Klagesache zwischen Ihm und Israel anzuhören.
Es sei ferne von uns, zu spielen, wenn Gott einen Zwist mit uns hat, denn Ihm ist es eine Sache tiefsten Ernstes. In seiner herablassenden Gnade liegt Ihm viel an der Zuneigung seines Volkes. Er will es nicht dran geben, ohne alle Mühe angewandt zu haben. Wir haben vor uns:
I. Einen kummervollen Ausruf. „O, mein Volk!“ Ist es nicht wunderbar, dass der ewige Gott solche Sprache führt? Es ist
- Die Stimme feierlichen Ernstes.
- Der Ruf des Schmerzes. Als ob jemand unter Tränen riefe.
- Der Appell der Liebe. Beleidigte und doch lebendige, bittende, flehende Liebe.
- Die Sprache des Verlangens. Die göttliche Liebe sehnt sich nach Versöhnung der Rebellen; sie schmachtet nach treuer Gegenliebe.
Der Herr nennt ein aufrührerisches Volk noch „mein Volk.“ Die Gnade ist mächtiger als die Sünde. Die ewige Liebe gründet sich nicht auf unsre Verdienste.
II. Eine schmerzliche Tatsache. „Dich beleidigt.“ (Richtiger: ermüdet.) Israel tut, als sei es von Gott ermüdet worden. Aber sie waren müde geworden:
- Seines Namens. Baal und Astaroth waren Mode geworden und der lebendige Gott wurde verachtet.
- Seiner Anbetung; der Opfer, der Priester, des Heiligen, des Gebetes, des Lobes Gottes; alles das wurde von ihnen verachtet.
- Des Gehorsams gegen sein Gesetz, obgleich dasselbe recht und gerecht war und ihr Bestes wollte.
- seiner Schranken; sie wünschten Freiheit, sich durch Übertretung zu Grunde richten zu können.
Die Parallele zwischen uns und Israel liegt auf der Oberfläche.
In folgenden und mehreren Punkten beweisen es gewisse Bekenner, dass sie Gottes müde geworden sind. Sie geben die engere Gemeinschaft auf. Ebenso ihren vorsichtigen Wandel. Sie lassen es an der nötigen Hingabe fehlen. Sie haben ihren Eifer für seine Sache aufgegeben. Sie haben die klare Gewissheit des Glaubens und andere Freuden verloren. Und das alles, weil sie in Wirklichkeit ihres Gottes müde geworden sind. Das ist ein tiefer Schmerz für das große Liebesherz Gottes.
III. Eine geduldige Frage. „Was habe ich dir getan?“ Erstaunliche Liebe! Gott selbst stellt sich zum Verhör.
- Welche einzelne Handlungsweise Gottes konnte uns bewegen, seinen Weg zu verlassen? „Was habe ich dir getan?“
- Welcher beständige Weg des Herrn konnte uns Müdigkeit verursachen?
- Welche Zeugnisse irgend welcher Art können wir gegen Gott vorbringen? „Das sage mir.“
Es ist keine andere Antwort möglich, als das rückhaltlose Bekenntnis, dass der Herr uns nichts Böses getan hat.
Der Herr ist die Güte und ungetrübte Freundlichkeit selbst. Er hat uns nicht ermüdet mit der Forderung von Opfern. Er hat uns nicht mit Kasteiungen und Bußübungen gequält. Er hat uns nicht mit Eintönigkeiten gelangweilt. Er hat uns die Ruhe nicht versagt, sondern uns dieselbe sogar geboten.
Wenn wir unsres Gottes müde geworden sind, so ist es geschehen: wegen unserer törichten Verkehrtheiten; wegen unserer unbeständigen Laune; wegen unserer schwachen Liebe zu Ihm und zur Heiligkeit; oder auch, weil wir seine Gebote missverstanden haben.
Im Blick auf alles, was Gott bereits für uns getan hat, lasst uns an Ihm kleben.
Im Blick auf die höchste Vortrefflichkeit Jesu lasst uns an Ihm gebunden bleiben.
Möchten wir durch die Kraft des Heiligen Geistes in der Liebe zu Ihm bis ans Ende bewahrt bleiben.
Zitate.
Da ist eins, darauf wir notwendig die Aufmerksamkeit der Abgewichener lenken möchten: dass der Herr sie nie verlassen hat, dass sie Ihn aber verlassen haben! Und dies haben sie ohne Ursache getan! Er sagt: „Welche Missetat haben eure Väter an mir gefunden, dass sie von mir gewichen sind?“ Ist Gott heute nicht noch derselbe, der Er war, als ihr zuerst zu Ihm kamt? Hat sich Gott verändert? Menschen sind geneigt, das anzunehmen, aber die Veränderung liegt in ihnen. Abgewichener, ich möchte dich fragen: Welcher Missetat hat sich Gott schuldig gemacht, dass du Ihn verlassen hast?“
Liebe möchte nicht gern vergessen werden. Ihr Mütter, eure Herzen würden brechen, wenn eure Kinder euch verließen und euch nie ein Wort schrieben oder euch ein Zeichen ihrer Liebe sendeten; und Gott klagt über Abgewichene, wie Elternherzen über die Geliebten, die irre gegangen sind, und Er versucht, sie zurück zu lieben. Er fragt: „Was habe ich dir getan, dass du mich verlassen hast?“ Die zärtlichsten und liebevollsten Worte, die in der ganzen Bibel zu finden sind, werden von Jehovah an die gerichtet, welche Ihn ohne Ursache verlassen. D. L. Moody.
Möchten die, welche versucht werden, von dem Herrn zu weichen, der Antwort gedenken, welche Christ dem Apollion gab, als dieser ihn zu überreden suchte, umzukehren und seinen Herrn zu verlassen: „O du zerstörender Apollion, um die Wahrheit zu sagen: Mir gefällt sein Dienst, sein Lohn, seine Herrschaft, seine Gesellschaft und sein Land besser, als alles, was du hast, und deshalb höre auf, weiter auf mich einzudringen. Ich bin sein Knecht und ich will Ihm folgen.“
Als Polykarp von dem ungläubigen Richter aufgefordert wurde, Christum zu lästern, gab er ihm die geistreiche und schöne Antwort: „Sechsundachtzig Jahre diene ich Ihm, und Er hat mir nie ein Leid getan, warum sollte ich denn meinen Gott lästern, der mich weder gehindert, noch beleidigt hat?“ Wir können unseren Gott keines Unrechts, unseren gnädigen Herrn keiner Härte, keiner Schädigung, keiner Unfreundlichkeit gegen uns beschuldigen, sondern müssen mit Polykarp stets sein überschwängliches Wohlwollen und seine unaussprechliche Güte anerkennen. Richard Meredeth.
„Was habe ich dir getan, o mein Volk?“ Oder besser, „was hätte ich dir nicht Gutes getan?“ Volk, sieh' das Wort des Herrn, höre es nicht nur, war jemals etwas mehr beweisend, als was ich hier anführe? „Bin ich Israel eine Wüste oder ein finsteres Land gewesen?“ Jer. 2, 31. „Kann ich nicht mit Recht zu euch sagen, was Themistokles zu seinen undankbaren Landsleuten sagte: Wie? seid ihr es müde geworden, so viel Wohltaten von einem Menschen anzunehmen?“ Aber sagt, welchen Schaden habe ich euch jemals zugefügt, und womit habe ich euch ermüdet oder bin ich euch lästig geworden, wenn es nicht das ist, dass ich euch täglich mit meiner Gütigkeit überschüttet und eure Reizungen mit Geduld ertragen habe? Vergebt mir diese Sünde (2 Kor. 12, 13). Trapp.
„O mein Volk“ rc. Wenn Untertanen ihre Treue gegen ihren Fürsten aufgeben, werden sie vielleicht vorgeben, wie die zehn Stämme taten, als sie sich gegen Rehabeam auflehnten, dass sein Joch ihnen zu schwer geworden sei. Aber was habe ich dir getan, das ungerecht oder unfreundlich gewesen wäre? Habe ich dich ermüdet mit zu schwerem Dienst oder mit der Forderung des Tributs? Matthew Henry.