Spurgeon, Charles Haddon - 1. Brief des Johannes (Andachten)
1. Joh. 1,6
„Gemeinschaft mit Ihm.“
Als wir durch den Glauben mit Christo vereinigt wurden, kamen wir in eine so völlige Gemeinschaft mit Ihm, dass wir eins wurden mit Ihm, und dass seine und unsre Neigungen sich gegenseitig und übereinstimmend gestalte- ten. Wir haben Gemeinschaft mit Christo in seiner Liebe. Alles, was Er liebt, lieben auch wir. Er liebt die Heiligen; wir auch. Er liebt die Sünder; wir auch. Er liebt das arme, verirrte Menschengeschlecht und seufzt und sehnt sich, dass die Wüste dieser Erde möchte in ein Paradies des Herrn verwandelt werden; so auch wir. Wir haben Gemeinschaft mit Ihm in seinen Wünschen. Ihn verlangt nach der Verherrlichung Gottes; danach trachten wir auch. Er wünscht, dass die Heiligen möchten bei Ihm sein, wo Er ist; und dort wünschen auch wir bei Ihm zu sein. Er sehnt sich danach, die Sünde zu vernichten; siehe, wir kämpfen unter seinem Panier. Er möchte gern, dass seines Vaters Name geliebt und gelobt würde von aller Kreatur; und auch wir bitten täglich: „Dein Reich komme; Dein Wille geschehe auf Erden wie im Himmel.“ Wir haben Gemeinschaft mit Christo in seinen Leiden. Wir werden zwar nicht ans Kreuz geheftet, noch sterben wir eines grausamen Todes, aber wenn Er geschmäht wird, so werden wir mitgeschmäht; und wahrlich, es ist süß, um seinetwillen Schmach zu erdulden; verachtet zu werden, weil wir in seiner Nachfolge wandeln; und die Welt zum Feinde zu haben. Der Jünger ist nicht über seinem Meister. In unserem Teil haben wir Gemeinschaft mit Ihm in seinen Mühsalen und in seiner Arbeit, indem wir den Menschen dienen durch das Wort der Wahrheit und durch Werke der Liebe. Unsre Speise und Erquickung besteht wie die seine darin, dass wir den Willen tun Des, der uns gesandt hat, und vollenden sein Werk. So haben wir auch Gemeinschaft mit Christo in seinen Freuden. Wir sind selig in seiner Seligkeit, wir freuen uns über seine Erhöhung. Hast du je diese Freude geschmeckt, liebe gläubige Seele? Es gibt keine reinere und entzückendere Wonne, und ist keine höhere bekannt unter dem Himmel, als die, dass wir Christi Freude in uns vollkommen haben, auf dass unsre Freude überschwänglich sei. Seine Herrlichkeit erwartet uns, um unsre Gemeinschaft völlig zu machen, denn seine Gemeinde wird mit Ihm sitzen auf seinem Stuhl als seine innig geliebte Braut und Königin.
1. Joh. 1,7
„So wir im Lichte wandeln, wie Er im Lichte ist.“
Wie Er im Lichte ist! Können wir je dahin gelangen? Werden wir je im Stande sein, so klar im Lichte zu wandeln, wir Er, den wir nennen „unser Vater,“ von welchem geschrieben steht: „dass Gott ein Licht ist, und in Ihm ist keine Finsternis?“ Gewisslich, das ist das Vorbild, das uns vorgestellt ist; denn der Heiland selber hat gesagt: „Seid vollkommen, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist;“ und wenn wir gleich fühlen, dass wir nie zur Vollkommenheit Gottes gelangen werden, so trachten wir doch danach und geben uns nicht zufrieden, bis dass wir sie möglichst erreicht haben. Wenn der junge Künstler im Anfang den Pinsel zur Hand nimmt, so kann er kaum hoffen, es einem Raphael oder Michel Angelo gleich zu tun; wenn er aber in seinem Gemüt nicht ein hohes Vorbild bewegte, dem er nachstrebt, so würde er nur Unbedeutendes und Mittelmäßiges erreichen. Was bedeutet aber der Ausdruck, dass der Christ im Lichte wandeln soll, gleich wie Gott im Lichte ist? Wir begreifen, dass hier von einer Ähnlichkeit, nicht von einem gleichen Maße die Rede ist. Wir sind ebenso wahrhaft im Licht, ebenso herzlich im Licht, ebenso ernstlich im Licht, ebenso aufrichtig im Licht, obgleich wir nicht im gleichen Maße darin sein können. Ich kann nicht in der Sonne wohnen, es wäre ein zu glänzender Ort für meine Wohnung, aber ich kann wandeln im Licht der Sonne; und obgleich ich nicht zu derjenigen Vollkommenheit der Reinheit und Wahrheit gelangen kann, welche dem Herrn der Heerscharen, als dem unendlich Guten, eigen ist, so kann ich doch den Herrn allezeit vor Augen haben und mit dem Beistand des inwohnenden Geistes danach streben, dass ich Seinem Bilde ähnlich werde. Ein vorzüglicher alter Schriftausleger sagt: „Wir können im Lichte sein, wie Gott im Lichte ist, nach der Ähnlichkeit, aber nicht nach der Einerleiheit.“ Wir haben das gleiche Licht, und sind und wandeln darin so wahrhaftig als Gott, obgleich die Gottähnlichkeit in vollkommener Heiligkeit und Reinheit uns nicht zukommt, bis dass wir durch den Jordan schreiten und zur Vollkommenheit des Höchsten eingehen. Vergiss nie, dass die Segnungen heiliger Gemeinschaft und völliger Reinheit mit dem Wandel im Lichte verbunden sein müssen. (Goldstrahlen August 31)
1. Joh. 1,7
„Das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, macht uns rein von aller Sünde.“
„Macht uns rein“ spricht der Apostel, und nicht „es wird uns einmal rein machen.“ Es gibt Viele, die da meinen, dass ihnen als Trost im Tode die Hoffnung auf die Vergebung der Sünde bleibe. Ach, wie unendlich besser ists doch, dass wir schon jetzt rein werden, als wenn wir auf die bloße Möglichkeit der Sündenvergebung angewiesen wären, wenns einmal mit uns zum Sterben kommen soll. Manche bilden sich ein, dass das Gefühl der Vergebung ein Gnadengeschenk sei, das uns erst nach jahrelanger innerer Christenerfahrung zu Teil werden könne. Aber die Vergebung der Sünden ist etwas Gegenwärtiges, ein Vorrecht eben des heutigen Tages, eine Freude gerade dieser Stunde. In gleichen Augenblick, wo ein Sünder sein Vertrauen auf Jesum setzt, hat er auch völlige Vergebung schon empfangen. Unsere Schriftstelle zeigt auch eine Fortdauer an, weil sie in der gegenwärtigen Zeitform ausgedrückt ist. Es hieß gestern, „macht uns rein“, es heißt heute, „macht uns rein“, und „macht uns rein“ heißts auch noch morgen; es wird auch so bleiben, bis du durch den Jordan schreiten musst; du darfst jede Stunde zu diesem Born kommen, denn er macht noch immerfort rein. Und ebenso haben wir die Vollständigkeit der Reinigung ins Auge zu fassen, „das Blut Jesu Christi, Seines Sohnes, macht uns rein von aller Sünde,“ nicht nur von Sünde, sondern „von aller Sünde.“ Liebe Seele, ich kann dir nicht sagen, wie unaussprechlich süß dies Wort klingt, aber ich bitte Gott den Heiligen Geist, er wolle dir einen Vorschmack davon geben. Vielerlei sind unserer Sünden wider Gott. Aber sei unsere Schuld groß oder klein, die gleiche Quittung tilgt Alles aus, das Blut Jesu Christi ist eine so köstliche und göttliche Zahlung für die Übertretung der Verleugnung Petri, als für die Flucht des liebenden Johannes; unsere Missetat ist hinweg, auf einmal hinweg, und auf ewig hinweg. O selige Vollendung! Welch ein lieblicher Gedanke, um darüber einzuschlafen!
Ich will von nun an nichts Andres seh'n,
Als nur, was am Kreuz für mich gescheh'n:
Das ist meine Freude, mein Heil, mein Leben,
Denn meine Sünden sind mir vergeben
Durch Christi Blut!
(Goldstrahlen Juli 23)
1. Joh. 2,1
„Und ob jemand sündigt, so haben wir einen Fürsprecher bei dem Vater, Jesus Christus, der gerecht ist.“
Ob jemand sündiget, so haben wir einen Fürsprecher. Ja, obgleich wir sündigen; wir haben Ihn noch. Der Apostel Johannes spricht nicht: „Ob jemand sündigt, so hat er seinen Fürsprecher verscherzt;“ sondern: „wir haben einen Fürsprecher,“ ob wir gleich Sünder sind. Alle Sünde, die ein Gläubiger je begangen hat, oder die ihm zu begehen noch zugelassen wird, kann seinen Anteil an dem Herrn Jesu Christo als seinem Fürsprecher nicht aufheben. Der Name, der hier unserem Herrn gegeben wird, ist vertrauenerweckend: „Jesus.“ Ach, dann ist Er ein Fürsprecher, wie wir Ihn brauchen; denn Jesus ist der Name eines solchen, dessen Pflicht und Freude es ist, zu erretten. Sein Name ist Jesus, denn Er wird sein Volk selig machen von ihren Sünden; sein lieblichster Name schließt sein Werk ein. Danach heißt es: „Jesus Christus.“ Christus, der Gesalbte: das zeigt seine Vollmacht als Fürsprecher an. Christus hat ein Recht zur Fürsprache, denn Er ist des Vaters bestätigter Fürsprecher und erwählter Priester. Wenn wir Ihn gewählt hätten, möchte es misslich ausfallen, wenn aber Gott die Hilfe einem Starken aufgetragen hat, so dürfen wir unsre Not getrost da niederlegen, wo Gott seine Hilfe zugesagt hat. Er ist Christus, und darum zu seinem Werk auserkoren; Er ist Christus, und darum geeignet zu seinem Amt, denn die Salbung verleiht Ihm die rechte Gewalt. Er ist ein solcher Fürsprecher, der das Herz Gottes bewegt und überwindet. Welche rührende Worte, welche überzeugende Sprache stehen Ihm zu Gebote, wenn Er sich meiner annimmt! Es bleibt noch eine Bezeichnung seines Namens übrig: „der gerecht ist.“ Das ist nicht nur seine Würde, sondern auch sein Verteidigungsgrund. Es ist seine Würde, und wenn der Gerechte mein Fürsprecher ist, dann ist meine Sache eine gute Sache, sonst hätte Er sich ihrer nicht angenommen. Es ist sein Verteidigungsgrund, denn Er begegnet der Anklage der Ungerechtigkeit gegen mich durch die Berufung auf seine Gerechtigkeit. Er erklärt sich als meinen Stellvertreter und rechnet mir seinen Gehorsam zu. Meine Seele, du hast einen Freund, der gar wohl zu deinem Fürsprecher geeignet ist; es kann Ihm nur wohl geraten; überlass dich völlig seiner Fürsorge.
1. Joh. 2,6
„Wer da sagt, dass er in Ihm bleibt, der soll auch wandeln, gleichwie Er gewandelt hat.“
Warum sollen Christen in ihrem Wandel Christo nachfolgen? Sie sollen‘s tun um ihrer selbst willen. Wenn sie ein Verlangen haben nach einem gesunden Seelenzustand, wenn sie der Sündenseuche entfliehen wollen, und sich gern der belebenden Empfindung des Wachstums in der Gnade erfreuen, so lasst sie Jesum zum Vorbild nehmen. Um ihrer eigenen Glückseligkeit willen; wenn sie gern trinken möchten vom reinen Wein, darinnen keine Hefen sind; wenn sie gern sich erfreuen möchten einer heiligen und seligen Gemeinschaft mit Jesu; wenn sie über die Leiden und Sorgen dieser Welt gern hinweggehoben wären, so lasst sie wandeln, gleichwie Er gewandelt hat. Es gibt nichts, was euch so mächtig fördert in eurem Pilgerlauf zum Himmel, als wenn ihr das Bildnis Jesu auf dem Herzen tragt und alle eure Gedanken und Empfindungen dadurch bestimmen lasst. Dann seid ihr am glücklichsten und werdet am ersten erkannt als Söhne Gottes, wenn ihr durch die Kraft des Heiligen Geistes imstande seid, Jesu nachzufolgen in seinen Fußstapfen. Petrus ist unglücklich und elend, sobald er fern von Ihm ist. Dann aber sucht um eures Bekenntnisses willen Jesu ähnlich zu werden: Ach, du armer Christenglaube, wie bist du von deinen Feinden grausam verfolgt und verwundet worden! aber diese Wunden waren nicht halb so gefährlich, wie der Schaden, den dir deine Freunde zufügten. Wer hat der edlen, göttlichen Hand jene tiefen Wunden geschlagen? Der Jünger, der die Schlange der Heuchelei im Busen herbergte. Ein Mensch, der vorgibt, er sei etwas, und sich unter die Schafe mischt, während er nichts ist, als ein Wolf in Schafskleidern, verstört die Herde mehr, denn ein Löwe, der draußen lauert. Keine Waffe ist halb so tödlich, denn ein Judaskuss. Wankelmütige Jünger verunehren das Evangelium mehr, als der schnöde Spott der Gottlosen. Vor allem aber folgt Jesu nach um seinetwillen. Christ, liebst du deinen Heiland? Ist dir sein Name teuer? Liegt dir seine Sache am Herzen? Wünschest du, dass die Reiche der Welt sein eigen werden? Ist‘s dein Verlangen, dass Er möchte verherrlicht werden? Sehnst du dich danach, dass sich Seelen für Ihn gewinnen lassen? Wenn dem so ist, so folge Jesu nach; sei „ein Brief Christi, der erkannt und gelesen wird von allen Menschen.“
1. Joh. 3,1.2
„Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erzeigt, dass wir Gottes Kinder sollen heißen! Darum kennt euch die Welt nicht, denn sie kennt Ihn nicht. Meine Lieben, wir sind nun Gottes Kinder.“
Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erzeigt! Schaut zu, was wir gewesen sind, und wie wir selber uns jetzt noch vorkommen, wenn die Sünde sich in uns regt und mächtig werden will, und verwundert euch über eure Begnadigung! Dennoch heißen wir „Gottes Kinder.“ Was ist doch die Kindschaft für eine innige Verwandtschaft, und welche herrlichen Vorrechte schließt sie in sich! Welche Sorgfalt und Zärtlichkeit hat der Sohn beim Vater zu erwarten, und welch eine Liebe fühlt der Vater zu dem Sohn! Aber das alles und noch mehr besitzen wir nun durch Christum Jesum. Die zeitliche Erniedrigung und Schmach unsers leidenden erstgeborenen Bruders gereicht uns zur Ehre: „Darum kennet uns die Welt nicht, denn sie kennet Ihn nicht.“ Wir bleiben gern unbeachtet mit Ihm in seiner Erniedrigung, denn wir werden mit Ihm erhöht werden. „Meine Lieben, wir sind nun Gottes Kinder.“ Das ist leicht gelesen, aber nicht so leicht gefühlt. Wie steht‘s heute mit deinem Herzen? Schwebst du etwa in der tiefsten Nacht des Kummers? Regt sich das Verderben in deinem Herzen, und glimmt die Gnade nur noch wie ein armer zertretener Funke in deiner Seele? Will dir der Glaube zerrinnen? Fürchte dich nicht, weder deine Gnadenerfahrungen, noch deine Empfindungen sind der Quell deines innern Lebens; du musst einzig vom Vertrauen auf Christum dich nähren. Wenn sich alles gegen uns erhebt, dennoch sind wir nun - mitten im tiefsten Kummer, im Tal wie auf dem Berge „Geliebte, - so sind wir nun Gottes Kinder.“ „Ach,“ erwiderst du, „siehe, wie ich gekleidet bin! Mein Tugendschmuck ist nicht schön; meine Gerechtigkeit strahlt nicht in herrlichem Licht.“ Aber so lies denn, was folgt: „Und ist noch nicht erschienen, was wir sein werden. Wir wissen aber, wenn es erscheinen wird, dass wir Ihm gleich sein werden.“ Der Heilige Geist wird unsern Sinn läutern, und die Kraft Gottes wird unsern Leib verklären; alsdann „werden wir Ihn sehen, wie Er ist.“ „Hier Gottes Kinder, und dort Erben Als Jesu Christi Eigentum! O, lasst uns werben um diesen Ruhm!“
1. Joh. 3,14
„Wir wissen, dass wir aus dem Tode in das Leben gekommen sind; denn wir lieben die Brüder.“
„Gott schied das Licht von der Finsternis.“ Die Finsternis ist an und für sich ruhig und bleibt ungestört; sobald aber der Herr Licht hineinsendet, so gibt es einen Kampf, denn eines stehet dem andern entgegen. Und dieser Kampf hört nimmer auf, bis der Gläubige völlig verklärt ist im Herrn. Findet nun eine Scheidung innerhalb des einzelnen Christen statt, so erfolgt auch äußerlich eine Scheidung. Sobald der Herr einem Menschen Licht schenkt, so strebt er, sich von der umgebenden Finsternis los zu machen; er will nichts mehr zu schaffen haben mit einer bloß weltlichen Frömmigkeit äußerlicher Formeln, denn ihm genügt von nun an nichts mehr, außer dem Evangelium von Christus, und er entzieht sich aller weltlichen Gesellschaft und allen leichtsinnigen Vergnügungen und sucht die Gemeinschaft der Heiligen, denn „wir wissen, dass wir aus dem Tode in das Leben gekommen sind; denn wir lieben die Brüder.“ Das Licht sammelt sich, und so auch die Finsternis. Was Gott geschieden hat, wollen wir nicht zu vereinigen suchen, sondern gleichwie Christus hinausging außer dem Lager und seine Schmach trug, so wollen auch wir ausgehen von den Gottlosen und ein heiliges Volk sein. Er war heilig, unschuldig, unbefleckt, von den Sündern ausgesondert; und gleich wie Er, sollen auch wir uns nicht dieser Welt gleichstellen, sondern alle Sünde verabscheuen und uns von den übrigen Menschen dadurch auszeichnen, dass wir unserem Meister ähnlich werden; denn wir sind geheiligt durch den Namen unseres Herrn Jesu Christi.
1. Joh. 4,8
„Wer nicht lieb hat, der kennt Gott nicht.“
Das auszeichnende Merkmal eines Christen ist sein Vertrauen in die Liebe Christi, und die Erwiderung dieser Liebe durch seine Liebe zu Christo. Der Glaube versiegelt fürs erste den Menschen, und setzt die Seele in den Stand, mit dem Apostel zu sprechen: „Der Sohn Gottes hat mich geliebt, und sich selbst für mich dargegeben.“ Dann gibt die Liebe ihre Mitunterschrift und drückt dem Herzen das Siegel der Dankbarkeit und der Liebe zu Jesu auf. „Lasset uns Ihn lieben, denn Er hat uns zuerst geliebt.“ In jenen großen Tagen der ersten Christen, der Heldenzeit des Glaubens an Jesum, war diese doppelte Versiegelung an allen Gläubigen deutlich zu erkennen; sie waren solche Menschen, welche die Liebe Christi kannten und sich darauf verließen, wie sich ein Mann auf einen Stab lehnt, dessen Tüchtigkeit er schon erprobt hat. Die Liebe, die sie gegen den Herrn empfanden, war nicht eine bloße Gemütsstimmung, welche sie in den geheimen Kammern ihrer Herzen zu verbergen suchten, und von welcher sie nur in ihren Versammlungen zu sprechen wagten, wo sie am ersten Tag jeder Woche zusammen kamen und Lieder zur Ehre Jesu Christi des Gekreuzigten mit einander sangen; sondern es war eine innige Liebe von so gewaltiger und verzehrender Kraft in ihnen, dass sie sich in allem ihrem Thun offenbarte, in allen ihren Reden äußerte, und bei den gewöhnlichsten Vorfällen aus ihren Augen leuchtete. Die Liebe zu Jesu war eine Flamme, welche sich von dem Fett und Mark ihres Wesens ernährte, und darum aus eigener Kraft sich ihren Weg in den äußern Menschen bahnte und hier hervorleuchtete. Der Eifer um die Ehre des Könige Jesus war das Siegel und Kennzeichen aller wahren Christen. Wegen ihres Vertrauens auf die Liebe Christi wagten sie viel, und aus Liebe zu Christo taten sie viel; und so ists noch heute. Die Kinder Gottes werden in ihren innersten Kräften von der Liebe getrieben: die Liebe Christi dringet sie; sie freuen sich, dass die göttliche Liebe sich ihnen zuneigt, sie fühlen dieselbe ausgegossen in ihre Herzen durch den Heiligen Geist, welcher ihnen geschenkt ist: und durch die Macht der Dankbarkeit lieben sie den Heiland aus reinem Herzen, inbrünstig. Liebe Seele, hast auch du Ihn lieb? Gib eine aufrichtige Antwort hierauf. (Goldstrahlen Juni 5)
1. Joh. 4,13
„Wir bleiben in Ihm.“
Hättest du gern ein Haus, eine Heimat für deine Seele? Du fragst: „Wie hoch steht der Preis?“ Ja, dieser Preis ist etwas geringer, als was die stolze Menschennatur gern dafür gäbe. Es heißt: Umsonst und ohne Geld. Ach! du möchtest gern eine erkleckliche Summe dafür darlegen! Du möchtest gern etwas tun, um Christum zu gewinnen! Dann kannst du diese Heimat nicht erwerben, denn sie hat keinen Preis! Willst du meines Herrn Haus und Heimat zur Miete nehmen für alle Ewigkeit, ohne etwas andres dafür zu bezahlen, als den Bodenzins deiner Liebe und deines Dienstes, die du Ihm ewig gelobst und bewahrst? Willst du Jesum empfangen und in Ihm wohnen? So siehe denn, dies Haus ist ausgestattet mit allem, was du brauchst; es ist angefüllt mit Schätzen, die du dein Leben lang nicht erschöpfen kannst. Hier kannst du täglich den innersten Umgang haben mit Christo und am Gastmahl seiner Liebe sitzen; hier sind reich besetzte Tafeln, mit köstlichen Speisen beladen, die dich ewiglich nähren; hier findest du eine sanfte Ruhe in Jesu, wenn du matt und müde bist; und du hast ringsum eine herrliche Aussicht und siehest den Himmel offen. Willst du dies Haus? O! wenn du noch nirgends eine Heimat gefunden hast, eine Stätte deiner Ruhe, so wirst du sagen: „Ich möchte dies Haus gern besitzen, aber werde ich es haben können?“ Ja, siehe, hier ist der Schlüssel; der Schlüssel ist: „Komm zu Jesu.“ „Aber,“ sprichst du, „ich bin zu schlecht gekleidet für ein so herrliches Haus.“ Glaube das nicht; es sind Kleider genug für dich darin. Wenn du dich schuldbeladen und verdammungswürdig fühlst, so komm; und wenn gleich das Haus zu gut für dich ist, so wird dafür der Herr Jesus dich gut machen für dies Haus. Er wird dich waschen und reinigen, und alsdann wirst du fröhlich singen: „Wir bleiben in Ihm.“ Gläubige Seele! Dreimal selig und glücklich bist du, dass du solch eine Wohnstätte gefunden hast! Du bist sehr wohl bedacht, denn du hast „eine feste Burg“, in welcher du sicher wohnest. Und, „wenn du in Ihm bleibst,“ so hast du nicht nur eine vollkommene und sichere Wohnung, sondern eine ewige Heimat. Wenn diese Welt vergeht wie ein Traum, so wird unser Haus bleiben, und wird unvergänglicher und unerschütterlicher dastehen als Marmor, unzerstörbarer als Granit, ewig wie Gott, denn es ist Gott selber: „Wir bleiben in Ihm.“
1. Joh. 4,14
„Der Vater hat den Sohn gesandt zum Heiland der Welt.“
Es ist ein lieblicher Gedanke, dass der Herr Jesus Christus sich nicht eingestellt hat ohne seines Vaters Willen, Wunsch, Rat und Beistand. Er wurde vom Vater gesandt, dass er die Menschen erlösen sollte. Wir vergessen gar zu leicht, dass bei allem Unterschied der Personen des dreieinigen Gottes kein Unterschied der Ehre bei ihnen ist. Gar zu oft schreiben wir den Ruhm unserer Erlösung, oder wenigstens den Abgrund der darin geoffenbarten Liebe mehr dem Herrn Jesu zu, als dem Vater. Das ist ein großes Missverständnis. Wie kommt‘s, dass Jesus in die Welt gekommen ist? Hat Ihn nicht der Vater gesandt? Wenn seine Rede gewaltig und lieblich war, war‘s nicht wieder sein Vater, der seine Lippen holdselig gemacht hat, auf dass Er ein beredter Verkündiger des neuen Bundes würde? Wer den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist so erkennt, wie er sie erkennen sollte, der weiß von keinem Vorzug in der Liebe etwas; er sieht sie zu Bethlehem, in Gethsemane, auf Golgatha in gleichem Maße zusammenwirken zum Werk der Erlösung. O Christenmensch, hast du dein Vertrauen ganz allein auf den Menschen Jesus Christus gebaut? Hast du deine ganze Zuversicht einzig auf Ihn gesetzt? Und bist du mit Ihm vereint? Dann glaube auch, dass du vereint bist mit dem Gott des Himmels. Da du den Menschen Jesus Christus zum Bruder hast, und in innigster Gemeinschaft mit Ihm stehst, so bist du dadurch mit Gott dem Ewigen verbunden und „der Alte der Tage“ ist dein Vater und dein Freund. Hast du dich je versenkt in den Abgrund der Liebe im Herzen Jehovahs, als Er seinen Sohn aussandte zum großen Werk der Gnade? Wenn nicht, so sei es heute deiner Betrachtung wert. Der Vater sandte Ihn! Bewege das in deinem Herzen. Denke daran, wie Jesus wirkt, was der Vater will. Schaue in den Wunden des sterbenden Heilandes die Liebe des großen „Ich werde sein.“ Alle eure Jesus-Gedanken lasst angeknüpft sein an den ewigen, hochgelobten Gott, denn „der Herr wollte Ihn also zerschlagen mit Krankheit.“
„Jehovah! Vater, Sohn und Geist,
O Segensbrunn‘, der ewig fleußt,
Durchström‘ uns Wandel, Herz und Sinn,
Und nimm uns ganz zum Opfer hin!“
1. Joh. 4,19
„Lasset uns Ihn lieben, denn Er hat uns zuerst geliebt.“
Planeten strahlen nur das Licht zurück, das ihnen von der Sonne zuströmt; und aus dem Herzen geht keine wahre Liebe zu Jesu hervor, die ihm nicht von dem Herrn Jesus selber zufließt. Aus diesem überströmenden Quell der unendlichen Liebe Gottes muss all unsre Gottesliebe entspringen. Es wird in alle Ewigkeit eine große und gewisse Wahrheit bleiben, dass wir Ihn aus keinem andern Grunde lieben, als weil Er uns zuerst geliebt hat. Unsre Liebe zu Ihm ist der zarte Sprössling seiner Liebe zu uns. Kühle, Mark und Bein durchschauernde Bewunderung kann jeder, der die Werke Gottes anschaut und sich darein vertieft, empfinden, aber die Flamme der Liebe im Herzen kann nur durch den Geist Gottes angezündet werden. Welch ein Wunder, dass überhaupt unsereins je dazu konnte gebracht werden, den Liebenswürdigsten zu lieben! Wie wunderbar, dass Er, gegen den wir uns aufgelehnt und empört hatten, durch Offenbarung einer solch erstaunlichen Liebe uns wieder zu sich zu ziehen sucht! Nein, nie hätten wir je ein Körnlein Liebe gegen Gott in uns gefunden, wenn es nicht wäre durch die liebliche Saat seiner Liebe in uns gepflanzt worden. Unsre Liebe ist ein Spross der Liebe Gottes, die in unser Herz ausgegossen wird; aber nachdem sie in uns göttlich geboren ist, muss sie göttlich ernährt werden. Die Liebe ist eine Treibhauspflanze; sie ist kein Gewächs, das von sich selbst im menschlichen Boden Blüten treibt, sie muss mit Tau von oben befeuchtet werden. Die Liebe zu Jesu ist eine Blume von gar zartem Bau, und wenn sie keine andre Nahrung empfinge als die, welche der Fels unsers Herzens zu geben vermag, so müsste sie bald verwelken. Wie die Liebe vom Himmel stammt, so muss sie auch mit himmlischer Speise ernährt werden. Sie kann nicht in der Wüste gedeihen, wenn sie nicht mit Manna von oben gespeist wird. Liebe muss von Liebe leben. Die Seele und das Mark unserer Liebe zu Gott ist seine Liebe zu uns.
„Ich bete an die Macht der Liebe,
Die sich in Jesu offenbart;
Ich geb‘ mich hin dem freien Triebe,
Mit dem ich Wurm geliebt ward;
Ich will, anstatt an mich zu denken,
Ins Meer der Liebe mich versenken.“