Spurgeon, Charles Haddon - Eine geschäftsmäßige Berechnung
Gehalten am Sonntag, den 3. Juni 1877.
“Aber, was mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Schaden geachtet. Denn ich achte es alles für Schaden gegen der überschwänglichen Erkenntnis Jesu Christi, meines Herrn, um welches willen ich habe alles für Schaden gerechnet und achte es für Dreck, auf dass ich Christum gewinne und in ihm erfunden werde, dass ich nicht habe meine Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz, sondern die durch den Glauben an Christum kommt, nämlich die Gerechtigkeit, die von Gott dem Glauben zugerechnet wird.“
Phil. 3, 7-9.
Unsers Heilands Rat an die, welche seine Jünger zu werden wünschten, war: „Überschlagt die Kosten.“ Er wünschte Niemand zu verlocken, sich in sein Heer anwerben zu lassen dadurch, dass er ihn in Unwissenheit über die Erfordernisse zu seinem Dienste hielt. Wieder und wieder prüfte er die, welche sich als seine Anhänger bekannten, und oft ermahnte er die Menschen, sich zu prüfen, damit sie nicht eine Jüngerschaft begönnen, die sie nachher nicht durchführen könnten. Wahre Religion ist eine Sache des Enthusiasmus, aber zu gleicher Zeit können ihre Wahrheiten und Vorschriften die strengste Prüfung ertragen. Wir werden gebeten, ja, es wird von uns gefordert, das Evangelium mit unserem Verstand zu beurteilen. Es ist wahr, dass Viele zu Christo in ernsten Versammlungen gebracht werden, wozu ihnen in warmen Worten geredet wird, aber dennoch kann ein Mann sich hinsetzen in seinem Studierzimmer oder Comptoir mit der Jeder in der Hand und in möglichst kühler Art rechnen, und wenn er unter des Heiligen Geistes Leitung nach der Wahrheit rechnet, so wird er zu dem Schlusse kommen, dass die Sache des Herrn Jesu die würdigste und beste ist. Meint nicht, wie Einige es tun, dass die Religion in einem wilden Fanatismus bestehe, der niemals überlegt, berechnet, urteilt, schätzt oder erwägt; denn solche Meinung ist das Gegenteil von Wahrheit. Wärme, Inbrunst, Enthusiasmus sind wünschenswert und wir können nicht leicht zu viel davon haben; aber zu gleicher Zeit können wir, wie schon gesagt, unsere Anhänglichkeit an Christo durch die ruhigste Logik rechtfertigen, durch die geduldigsten Erwägungen. Wir machen eine lange und wohl überlegte Schätzung, ziehen beides, zeitliche und ewige Dinge, in Betrachtung, und doch können wir alle Gegner herausfordern, wenn wir erklären, dass es das weiseste und beste Ding in der Welt ist, ein Jünger Jesu Christi zu sein.
In unserem Texte gibt uns der Apostel das Wort „rechnen“ dreimal.1) Er war geübt in geistlicher Arithmetik und sehr sorgfältig in seinem Rechnen. Er setzte seine Rechnungen vorsichtig auf, und beobachtete mit wachsamem Auge seinen Verlust und seinen Gewinn. In seiner Berechnung übersieht er nicht die Verluste, die vielleicht oder wirklich erlitten werden, und er vergisst auf der anderen Seite keinen Augenblick jenen seligen Gewinn, für den er es wert achtet, überraschenden Verlust zu leiden. Paulus erscheint hier in kaufmännischer Stimmung, addierend und subtrahierend, rechnend und vergleichend, mit vieler Ruhe und Entschiedenheit des Gemütes. Ich empfehle diesen Text Geschäftsleuten; ich lade sie ein, des Apostels Beispiel zu folgen, nach bestem Vermögen ewige Dinge zu beurteilen, niederzusitzen, ihre Jeder zu nehmen und zu zählen, wie mans tut, und dann Schätzungen und Berechnungen anzustellen über sich selbst und Christum, ihre eigenen Werke und die Gerechtigkeit des Glaubens.
Das Thema soll heute Morgen sein, zuerst des Apostels Berechnungen und zweitens unsere eigenen; im zweiten Teil wollen wir uns Fragen vorlegen, ob wir die Dinge nach der apostolischen Weise schätzen.
I.
Zuerst denn, lasst uns des Apostels Berechnungen betrachten. Wenn ihr den Text anseht, so bemerkt ihr, dass er drei verschiedene Rechnungen machte; sie liefen alle ziemlich auf Eins hinaus, mit dem Unterschiede, dass jede folgende nachdrücklicher in ihrem Resultat war; das Resultat war dasselbe, aber es wurde immer stärker ausgedrückt.
Zuerst haben wir ein Rechnen beim Beginn des christlichen Lebens. Als er ein Gläubiger wurde, sagt er von sich selbst: „Was mir Gewinn war, habe ich um Christi willen für Verlust gerechnet.“ Das heißt, in der ersten und frühesten Periode, als er aus Saulus, dem Rabbi, dem strengen Pharisäer, Paulus, der Bekehrte, wurde, und der Prediger des Glaubens, den er einst zerstörte, da zerrannen diese Dinge, die ihm glänzender Gewinn geschienen, ihm alle zu Einem großen Verlust. Zu der Zeit, sagt er, machte er eine Berechnung und bildete sich eine wohl überlegte Meinung, dass das, was ihm am vorteilhaftesten geschienen, wirklich, soweit es Christum betraf, ein wahrer Nachteil und ein Hindernis für ihn war, - die Gewinne waren ein Verlust.
Nun werdet ihr wahrnehmen, dass er in dieser Berechnung bei den einzelnen Punkten verweilte und jeden mit großer Bestimmtheit anmerkte. Die Liste der Dinge, deren er sich nach dem Fleisch rühmen könnte, liest sich wie ein Katalog. „Am achten Tage beschnitten, einer aus dem Volk von Israel, des Geschlechts Benjamin, ein Hebräer aus den Hebräern; nach dem Gesetz ein Pharisäer, nach dem Eifer ein Verfolger der Gemeine, nach der Gerechtigkeit im Gesetz gewesen unsträflich.“ Dies sind die Dinge, die ihm Gewinn waren, und die Liste ist sehr umfassend, beginnt mit seiner Geburt und Beschneidung und geht ganz hinunter bis zum Tage seiner Bekehrung. Er verweilt mit hohem Interesse bei seinen jüdischen Vorzügen; sie waren ihm einst wie köstliche Perlen gewesen, und während er sie freiwillig aufgibt, gedenkt er doch daran, dass sie ihm einst teuer wie der Apfel seines Auges waren. Sie waren sein Stolz gewesen, sein Adelsbrief und sein täglicher Ruhm. Er fühlte sich in dieser Hinsicht den meisten Menschen weit voraus und Niemandem nachstehend, selbst keinem seines bevorzugten Volkes, denn sogar jetzt sagt er: „So ein anderer sich dünken lässt, er möge sich Fleisches rühmen, ich vielmehr.“, Am achten Tage beschnitten. Die Zeremonie, welche ihn in den äußeren Bund Abrahams als Glied einfügte, war genau nach dem Gesetz vollzogen. Er war nicht Einer, der, wie die Proselyten, spät im Leben beschnitten war, noch zu irgendeiner außergewöhnlichen Beit wegen schlechter Gesundheit, Reisen oder Nachlässigkeit der Eltern, sondern in dem Augenblick, den das mosaische Gesetz forderte, war er als Kindlein in die Gemeine Israels aufgenommen. Dann war er einer „aus dem Volk Israel,“ nicht einer, der zum israelitischen Glauben bekehrt war, noch ein Nachkomme der Gibeoniten ober proselytischer Eltern, sondern er war aus dem echten Volk Israel, stammte von einer deutlichen Linie ab, die er wahrscheinlich genealogisch nachweisen konnte bis zu jenem Israel, der mit Gott kämpfte und obsiegte. Er war stolz auf seine Abkunft, und wohl mochte er es, denn jeder Jude ist aus edlem Stamme. Sprecht von alten Familien, wer kommt dem Samen Israels gleich! Ihres ist das beste Blut in der Welt, wenn ein Blut besser ist als das andere.
Paulus rühmte sich auch, dass er „aus dem Stamme Benjamin“ sei, dem Stamm, den Moses den geliebten des Herrn genannt, dem Stamm, in dessen Bezirk der Tempel stand, dem Stamm, der abstammte von dem geliebten Weibe des Jakob, Rahel, und nicht von einem der Mägde. Der Stamm Benjamin war der, aus welchem der erste König in Israel erwählt ward, und dieser führte denselben Namen, unter dem Paulus bei seinen jüdischen Brüdern bekannt war. Paulus war deshalb von einem der auserwähltesten Zweige des Weinstocks, den der Herr selbst aus Ägypten brachte.
Er fügt danach hinzu, dass er ein „Hebräer aus den Hebräern“ sei; er war der Rahmen des Rahmens, ein Ausgesuchter und Auserwählter aus dem erwählten Volk. Wenn irgendein Vorteil dabei war, aus dem Samen Abrahams zu sein, so hatte er allen diesen Vorteil im höchstmöglichsten Grade. Zu allen diesen Vorzügen des Geburtsrechtes und der Nationalität hatte er noch den hinzugefügt, dass er Mitglied einer besonderen Sekte geworden war, der orthodoxesten, der frömmsten, denn „nach dem Gesetz ein Pharisäer,“ er gehörte der Sekte an, die den kleinsten Einzelheiten im Gesetz Wichtigkeit beilegte, ihren Mais, Dill und Kümmel verzehntete. Was konnte er mehr sein? Er war ein Jesuit unter den Katholiken, einer der Genauesten unter den Genauen, einer von denen, welche in die innersten Geheimnisse des Glaubens eingeweiht waren. Dann, in Betreff des persönlichen Charakters, fühlte er, dass er in seinem natürlichen Zustand etwas hatte, das Gewinn war, denn er war so voll Eifer, dass die, welche dem Gesetz Mosis zu widersprechen schienen durch die Verkündigung des Evangeliums, als seine Feinde gerechnet wurden, die er mit aller Kraft ausrottete, „nach dem Eifer ein Verfolger der Gemeine.“ Dies hatte er in ehrlicher Absicht getan, als das Resultat seiner gründlichen Selbstgerechtigkeit. Er schließt damit, dass er selbst in jeder Einzelheit des Gesetzes, jedem kleinen Punkt des Rituals und jeder besonderen Zeremonie ganz unsträflich gewesen. Dies war nichts Geringes zu sagen, aber er sprach nur die Wahrheit. Alle diese Dinge zusammen rechnete er für Gewinne (denn das griechische Wort ist im Plural), und ich meine, er verweilt etwas bei jedem besonderen Punkt, wie er es wohl konnte, denn sie waren ihm in früheren Tagen sehr teuer gewesen, und diese Vorrechte waren an sich Dinge von nicht geringem Werte.
Aber nun, was war an die andere Seite zu legen? Hier ist eine lange Liste auf der einen Seite, was ist pro- contra zu stellen? Er sagt: „Was mir Gewinn war, habe ich um Christi willen für Schaden geachtet.“ Was! Was! Nichts auf der anderen Seite als Ein Punkt! Einer? Nur einer? Und doch waren so viele Vorrechte auf der anderen Seite! Es war nur ein Name, Eine Person in dieser Waagschale, während in der anderen so viele Vorteile waren! Wie! Man beginnt zu denken, dass die Berechnung bald zu Gunsten der israelitischen Abstammung usw. des Saulus entschieden sein wird, aber nein, das Eine überwog das Viele. Hier wünsche ich, dass ihr beachtet, wie Paulus nicht sagt, dass er alles dieses für Verlust achtete um des Christentums oder der Kirche oder des orthodoxen Glaubens willen. Es würde Wahrheit darin gewesen sein, aber der Mittelpunkt der Wahrheit liegt hier, er achtete diese Dinge für Schaden um Christi willen, das heißt, um des Herrn Jesu Christi selber willen. Er dachte an jenen Göttlichen, gelobt sei sein Name, jenen Bruder unserer Seelen, der zu Bethlehem geboren ward, den Freund, den Erlöser seines Volkes; Christus, der lebendige, liebende, blutende, sterbende, begrabene, auferstandene, gen Himmel gefahrene, verklärte Christus; dieser war der Herrliche, den er auf die andere Seite stellte, als er die Bilanz zog.
Und nun seht das Resultat. Er sagt: „Was mir Gewinn war, habe ich für Schaden geachtet.“ Ein sonderbares Resultat. Nicht nur fand er, nachdem er das Eine unter das Andere gesetzt und subtrahiert hatte, dass alle seine fleischlichen Vorteile weniger als Christus waren, sondern weit mehr, er fand alle diese Gewinne wirklich in einen Verlust verwandelt. Sie waren nicht ein Plus auf jener Seite, das verglichen werden konnte mit dem Plus auf dieser Seite, sondern sie waren ihm ein Minus wirklichen Defizits. Er fühlte, dass seine fleischlichen Vorteile, wenn er sie mit Bezug auf Christum betrachtete, Nachteile waren, und was er für Gewinne geachtet, wirkte mehr gegen als für ihn, als er Christum zu erkennen anfing. Meine Brüder, er meint nicht, dass es an sich ein Verlust wäre, ein „Hebräer aus den Hebräern“ oder aus dem Volke Israel zu sein, denn es war ein natürlicher Vorteil in all diesem. „Was haben denn die Juden Vorteile?“ sagt er an einem anderen Ort und antwortet: „Zwar sehr viel,“ aber er meint, dass in Bezug auf Christum diese Dinge, die von Natur ein Vorteil waren, zum Nachteil wurden, weil sie ihn vom Vertrauen auf Christum abgehalten und immer noch versuchten, ihn vom einfachen Glauben an Christum abzubringen. „Ach!“ scheint er zu sich zu sprechen, „weil ich mich rühmte, aus dem Volk Israel zu sein, verwarf ich den Christ Gottes; weil ich damit prahlte, dass ich nach dem Gesetz unsträflich sei, weigerte ich mich, die herrliche Gerechtigkeit Jesu Christi durch den Glauben anzunehmen. Diese Vorteile waren wie Schuppen über meinen Augen und hielten mich ab, die Schönheit meines Herrn zu sehen; diese Vorrechte waren Steine des Anstoßes in meinem Wege, die mich hinderten, als ein armer, demütiger und bedürftiger Sünder zu kommen und das Versöhnungsopfer Christi zu ergreifen.“ Meine Brüder, es ist ein Großes, ein tugendhaftes Leben geführt zu haben; es ist etwas, wofür wir Gott zu danken haben, wenn wir so recht auf der Mitte des Pfades der Sittlichkeit gehalten worden sind; aber dieser Segen kann durch unsere eigene Torheit ein Fluch werden, wenn wir unsere sittliche Trefflichkeit im Gegensatz zu der Gerechtigkeit des Herrn Jesu stellen und zu wähnen anfangen, dass wir keinen Heiland brauchen. Wenn unser Charakter nach unserer eigenen Schätzung so gut ist, dass er ein erträgliches Gewand für uns abgibt und wir deshalb das Kleid der Gerechtigkeit Christi verwerfen, so wäre es besser für uns gewesen, wenn unser: Charakter nach unserem eigenen Bekenntnis eine Masse von Lumpen gewesen, denn dann wären wir willig gewesen, mit dem Gewand bekleidet zu werden, welches die göttliche Barmherzigkeit bereitet hat. Ja, besser, soweit es dies betrifft, dem offenbaren Sünder zu gleichen, der nicht leicht in dieser Weise versucht werden kann, weil er zu faul, zu bankrott ist, um zu behaupten, dass er vor Gott gerecht ist. Ich sage wieder, er sagt nicht, dass diese Dinge keine Vorteile sind, aber dass um Christi willen, und wenn er sie in dem Lichte Christi betrachtet, er sie eher als Verlust denn als Gewinn ansieht. Wenn ich heute eine eigene Gerechtigkeit hätte, so würde ich sie doch wegwerfen, um die Gerechtigkeit Christi zu ergreifen, und immer fürchten, dass auch nur ein Geruch davon an meiner Hand zurückbliebe. Hätte ich niemals eine einzige offene Sünde getan und wäre in meinem Herzen nur eine einzige geheime Übertretung begangen, so würde ich doch meine eigene Gerechtigkeit wie einen schmutzigen Lumpen verabscheuen und nur zittern, dass mein stolzer Geist töricht genug sein könnte, an einem so unnützen Dinge zu hangen. Adam fiel durch Eine Sünde und verlor das Paradies und verlor uns Alle; so, dass Eine Sünde genügt, die reinste Gerechtigkeit gerinnen und sauer werden zu lassen. Weg denn mit dem bloßen Schatten der eigenen und gesetzlichen Gerechtigkeit.
Aber nun lasst uns weiter gehen und bemerken, dass Paulus uns seine zweite Berechnung gibt, die seine Schätzung zu der Zeit war, als er schrieb. „Ja, ohne Zweifel,“ sagt er, „ich rechne,“ nicht „ich habe gerechnet,“ wie er vorhin gesagt, sondern „ich rechne es alles für Verlust gegen die Trefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn.“ Wir verlangen immer zu wissen, was ein Mensch von einer Sache sagt, nachdem er sie versucht hat. Es ist recht gut, mit Eifer zu beginnen, aber wie fällt das Wagnis aus? Nach 20 Jahren oder mehr hatte Paulus eine Gelegenheit, sein Bilanzbuch zu revidieren, wiederum seine Schätzung zu betrachten und zu sehen, ob sein Rechnen richtig gewesen oder nicht. Was war der Erfolg seiner letzten Untersuchung? Wie standen die Sachen bei seiner Schlussrechnung? Er ruft mit besonderem Nachdruck aus: „Ja, ohne Zweifel, und ich rechne es alles für Verlust gegen die Trefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn.“ Die drei Worte: „Ja, ohne Zweifel,“ sind eine starke Beteuerung. Er spricht sehr bestimmt über seine jetzige bestätigte Gewissheit und sein festgestelltes Urteil. Seht also wieder auf ihn, wie er heute seinen Überschlag macht, nachdem er einige Zeit das göttliche Leben geführt und für seinen eifrigen Dienst hat leiden müssen. Ihr bemerkt, dass er nicht die Dinge vergessen hat, die Gewinne waren, denn wie wir schon gesehen haben, gibt er uns eine detaillierte Liste davon. Bei dieser zweiten Gelegenheit wiederholt er nicht den Katalog, teils weil es nicht nötig tat, teils weil er weniger Gewicht auf jedes Einzelne legt und hauptsächlich, weil er aus Furcht, dass etwas vergessen sei, das Ganze kurz zusammenfasst, indem er sagt „alles.“ Es ist so gut, als wenn er spräche: „Ja, ohne Zweifel, und ich rechne für Verlust alle Vorteile der Geburt, Nationalität und Selbstgerechtigkeit, die ich einst für Gewinne rechnete. Wenn ich etwas ausgelassen, dessen ich als Israelit mich rühmen könnte, so bitte ich euch, es in die Liste einzutragen, denn ich wollte alles einschließen, wenn ich sage, dass ich alle Dinge als Verlust rechne um Christi willen.“
So seht ihr, dass er nicht die ursprüngliche Aufzählung verändert hat, er hat sie nur noch vollständiger gemacht, aber er bleibt stets bei derselben Schätzung, der Gewinn ist noch immer „Verlust;“ nur bemerken wir, dass er jetzt länger und mit ersichtlich größerer Freude im Ausdruck bei der anderen Seite weilt, denn nun braucht er nicht bloß das Wort „Christus,“ sondern den volleren Ausdruck „gegen die Trefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn.“ Nun ist er dahin gelangt, den Christus zu kennen, an den er vorhin glaubte. Er sprach vorhin von ihm als Einem, um deswillen er Gewinn für Verlust achtete, aber nun nimmt er so große Trefflichkeit in ihm wahr, dass er es als überschwänglichen Segen achtet, ihn nur zu kennen. Unser göttlicher Herr wird umso mehr geliebt, je mehr er gekannt wird. Je genauer unsere Einsicht, desto größer ist die Vortrefflichkeit seines Wesens.
Die von dem Apostel gebrauchten Worte zeigen uns die Punkte, von denen er die meiste Kenntnis hatte. Er kannte den Herrn als Christus oder als den Messias, gesandt und gesalbt vom Vater. Er verstand völliger als zuerst die Fülle, Macht und ungemeine Wirksamkeit der Salbung unseres Herrn, welche er empfangen hat „mehr denn seine Gesellen.“ (PF. 45, 8.) Er sah ihn als den verheißenen Weibessamen, den Kommenden, das verheißene Licht, den verordneten Fürsten und Heiland der Menschenkinder, und er sah seine ganze Befähigung zu diesem wundervollen Amt. Er nahm seine Salbung als Prophet, Priester und König wahr. Er freute sich, den Geist des Herrn auf ihm ruhen zu sehen und von ihm auf sein Volk hernieder kommen, wie das heilige Öl vom Haupte Aarons auf die Säume seiner Gewänder herabfloss. Er sah große Trefflichkeit in der Erkenntnis des Gesalbten Gottes, dessen Kleider duften von Myrrhen, Aloe und Kezia; aber dies war nicht alles, denn er nennt ihn weiter Jesus, Christus Jesus. „Des Namen sollst du Jesus heißen, denn er wird sein Volk selig machen von ihren Sünden.“ Paulus kannte ihn als den gesalbten Heiland, ja, als den wahrhaftigen Heiland, der ihn errettet hatte; errettet von dem Wahnsinn seiner Lästerung und Verfolgung, errettet von all seiner früheren Schuld, ihn errettet und zum Werkzeug der Errettung Anderer gemacht. Er ist froh über den Titel „Heiland,“ wie wir Alle es sind, die wir dessen Süßigkeit kennen. Wie lieblich, melodisch ist der Name Jesus; wie duftend, gleich ausgeschütteter Salbe. Trefflich in der Tat ist die Kenntnis unseres Herrn in dieser Eigenschaft.
Wie köstlich ist des Apostels nächstes Wort „mein Herr;“ nicht nur der Herr, sondern „mein Herr.“ Seine Kenntnis war eine aneignende Kenntnis. Er kannte den Erlöser als gesalbt für ihn, als errettend ihn, als Herr über Alles und nun als Herr für ihn. Der Honig des Ausspruches liegt in dem Worte, „mein.“ Ich weiß nicht, wie es euren Herzen scheint, aber für mich ist es eins der süßesten Worte, die sterbliche Lippen gebrauchen können, „die Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn.“ Ob er euer Herr ist oder nicht, so ist er doch sicher meiner, ob er von den Menschenkindern als Herr angenommen wird oder nicht, so ist er doch freudig als Herr und Meister meines Geistes anerkannt, der einzige Herrscher meines ganzen Wesens: „Christus Jesus, mein Herr.“ Ihr seht also, wie wahrhaft, völlig, praktisch und persönlich er den Herrn Jesum kannte.
Der Text schließt ein, dass er ihn durch den Glauben kannte. Er hatte ihn nach dem Fleisch gesehen, aber dessen rühmte er sich nicht, denn er war nun dahin gekommen, nur die Dinge des Glaubens zu schätzen, vor Allem zu wünschen, dass die Gerechtigkeit, welche von Gott durch den Glauben ist, ihm zugerechnet werde. Er glaubte und darum kannte er. Es gibt keine so gnadenvolle Kenntnis als die des Glaubens, denn ein Mensch kann Vieles auf natürlichem Wege wissen und doch verderben, aber die Kenntnis, welche aus dem Glauben kommt, macht selig. Wenn ein Mensch Christum nur mit dem Kopfe kennt, aber ihm nicht mit dem Herzen vertraut, wozu ist seine Kenntnis gut? Sie wird ihn eher verderben als retten. Den Herrn Jesum Christum so zu kennen, dass ihr eurer Seele volles Gewicht auf ihn lehnt, ihn so zu kennen, dass ihr Frieden fühlt, weil ihr ihm traut, ihn so zu kennen, dass ihr empfindet, wie ihr immer mehr von Tag zu Tage in ihm ruhen könnt, weil er euer ganzes Heil und euer ganzes Verlangen ist, - dies heißt ihn wirklich kennen! Aber Paulus kannte den Herrn so aus Erfahrung, denn er spricht davon, zu erkennen ihn und die Kraft seiner Auferstehung.“ Dies ist in der Tat treffliche Kenntnis, wenn die Kraft einer Tatsache innerlich erfahren und im Leben gezeigt wird. Wenn wir von dem Tode unserer Sünde aufgeweckt sind und fühlen, dass wir es sind, dann ist unsere Kenntnis des auferstandenen Christus in der Tat trefflich. Wenn wir ein neues Leben in uns empfinden, das uns in geistlichen Dingen lebendig macht und wissen, dass dies aus der Auferstehung unseres Herrn entspringt, und in uns gewirkt ist nach der mächtigen Kraft, die Jesum Christum von den Toten auferweckte, dann können wir in Wahrheit uns freuen über die Trefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu, unseres Herrn.
Mehr als dies, Paulus kennt etwas von Christo und strebt nach mehr Erkenntnis durch eine wachsende Gleichheit mit ihm: „Zu erkennen ihn und die Gemeinschaft seiner Leiden, dass ich seinem Tode ähnlich werde.“ Er hatte in gewissem Maße an seines Herrn Leiden teilgenommen, er war verfolgt und verachtet von Menschen und aus dem ziemlich gleichen Grunde wie sein Meister. Er hatte in einigem Grade die Triebfedern Christi gefühlt, Christi Liebe für die Menschen, Christi Eifer für Gott, Christi Selbstaufopferung, Christi Bereitschaft für die Wahrheit zu sterben. Dies ist eine treffliche Erkenntnis und wohl mochte Paulus sie höher achten als alle gesetzlichen Vorrechte. Er sprach davon als alles überragend und schätzte sie über jeden Preis hinaus. Geliebte, es gibt keine Erkenntnis in der Welt, die mit einer solchen Erkenntnis Jesu Christi verglichen werden könnte, wie die, welche ich eben jetzt zu beschreiben versucht habe, denn es ist eine Kenntnis des höchsten, nur denkbaren Gegenstandes des Sohnes Gottes. Die Natur zu kennen, mit dem Gestein vertraut zu sein, die Sterne zu lesen, alle anderen Dinge zu begreifen, ist vergleichungsweise ein Unbedeutendes, wenn wir erwägen, was es ist, Gott in der Person des Herrn Jesu Christi zu kennen. Er, in dem die Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt, ist es würdig, gekannt zu werden, und Engel und Fürstentümer vereinen sich mit allen Heiligen in diesem Gedanken. Eine Wahrheit von Christo ist köstlicher als alle andere Kenntnis zusammen genommen. Dies ist eine Erkenntnis, die Niemand hat, wenn sie ihm nicht vom Heiligen Geist gegeben ist, und deshalb ist sie so trefflich. Wir können zu Jedem, der Christum kennt, sagen: „Fleisch und Blut hat dir das nicht offenbart.“ Göttlich gelehrt muss Der sein, der Christum kennen gelernt hat. Diese Wissenschaft kann nicht in den Schulen erlangt werden, noch von gelehrten Professoren mitgeteilt, nicht einmal durch Jahre fleißigen Forschens erworben werden; dem durch den Heiligen Geist er: neuerten Herzen muss der Herr Jesus durch den Geist selbst offenbart werden, denn Niemand kann Jesum einen Herrn heißen, ohne durch den Heiligen Geist. Das muss notwendig eine erhabene Kenntnis sein, die in jedem einzelnen Falle durch Gott selber mitgeteilt werden muss.
Wenn ihr die Trefflichkeit dieser Erkenntnis sehen wollt, so blickt auf ihre Wirkungen. Einige Erkenntnis blähet auf, aber diese macht uns demütig, und je mehr wir davon haben, desto weniger sind wir in unseren eigenen Augen. Diese Kenntnis heiligt, reinigt und befreit uns von der Liebe zur Sünde. Sie errettet die Seele rettet e von ihrer jetzigen Sünde und von ewigem Wehe. Diese Kenntnis erhebt die Neigungen, mildert die Gefühle und gibt dem ganzen Leben Adel; denn der, welcher Christum kennt, lebt nach einer höheren Lebensordnung, als die, welche ihn nicht kennen. Diese Kenntnis, meine Ges liebten, ist trefflich, weil sie nie verloren werden kann; es ist eine Kenntnis, die stets zunehmen wird, selbst in der Ewigkeit. Die meisten Gegenstände, welche die Sterblichen hier studieren, werden in der künftigen Welt vergessen sein; die tiefsten derselben werden zu unbedeutend fein, um inmitten der Engelthrone verfolgt zu werden. Die Ehren der klassischen und mathematischen Studien werden nur trübe schimmern in der Herrlichkeit des Himmels, aber die Erkenntnis Jesu Christi wird immer noch unschätzbar sein, und die, welche sie besitzen, werden scheinen wie die Sonne. Der, welcher Christum kennt, wird fortfahren zu seinen Füßen zu sitzen und zu lernen, und wie er lernt, wird er den Fürstentümern und Mächten die mannichfaltige Weisheit Gottes in der Person Jesu Christi verkünden. Seht ihr also, Geliebte, dass der Apostel um der Erkenntnis Jesu Christi, seines Herrn willen, Alles, dessen er sich einst gerühmt, noch immer als Verlust rechnete. Dies war seine Berechnung, als er schrieb. Es war nicht nur die Schätzung seiner jüngeren Tage, sondern es war fein jetziges erneuertes und bestätigtes Urteil. Meine Freunde, ist es das unsere?
Der große Apostel gibt uns eine dritte Berechnung, die als die Schätzung seines ganzen Lebens angesehen werden kann; nicht der Vergangenheit allein, noch auch bloß der Gegenwart, sondern beider zusammen. Hier ist es: „um welches willen ich habe alles für Schaden gerechnet („um welches willen ich den Verlust aller Dinge erlitten habe.“ Engl. Üb.) und achte es für Dreck, auf dass ich Christum gewinne und in ihm erfunden werde.“ Hier seht ihr, Geliebte, dass seine Schätzung mit wirklicher Prüfung und tatsächlichem Beweis beginnt. Er sitzt nieder, vermute ich, in der Wachtstube des Prätoriums zu Rom, wo er Gefangener war; die Ketten sind um sein Handgelenk, da er schreibt, und wenn er will, braucht er kein Löschpapier, sondern kann seine Schrift mit dem Rost seiner Fesseln bestreuen. Er hat nichts in der ganzen Welt; er hat alle seine alten Freunde verloren; seine Verwandten verleugnen ihn, seine Landsleute verabscheuen ' ihn und selbst seine christlichen Brüder machen ihm oft Schmerz. Kein Name machte den Juden boshafter die Zähne knirschen als der Name Saul von Tarsus, welcher als der schändlichste aller Renegaten betrachtet ward. Er hatte seine Kaste verloren, und allen Grund zum Rühmen verloren, er hatte keine eigene Gerechtigkeit mehr, deren er sich rühmen konnte, sondern ihm war jeder Lappen einer gesetzlichen Hoffnung genommen: Christus ist sein alles und er hat nichts Anderes. Er hat kein weltliches Eigentum, er hat keinen Vorrat für seine gewöhnlichsten Bedürfnisse, und sehr wahr sind seine Worte: „um welches willen ich den Verlust aller Dinge erlitten habe.“ Lasst uns in das Gefängnis treten und ihm eine persönliche Frage vorlegen. Paulus, dein Glaube hat dich in gänzliche Dürftigkeit und Freundlosigkeit gebracht; wie schätzt du ihn jetzt? Die Theorie ist etwas, aber bewährt sie sich in der Praxis? Die See sieht glatt wie ein Spiegel aus, aber es ist angenehmer, vom Seefahren zu reden, als es zu üben. Das Einschiffen war ein schöner Anblick, aber was dünkt euch von einer Heerreise, wenn der Sturm wütet? Wie nun, Paulus? Wohl,“ sagt er „ich bekenne, ich habe den Verlust aller Dinge erlitten.“ Und bebauerst du es tief, Paulus? „Es bedauern,“ sagt er, „bedauern den Verlust meines Pharisäismus, meiner Beschreibung, meiner israelitischen Würde? Es bedauern! Nein,“ sagt er, ich bin froh, dass all' dieses fort ist, denn ich achte es für eine Befreiung, es nicht mehr zu haben.“
In seiner ersten und zweiten Berechnung nannte er seine früheren Gewinne Verlust, aber nun nennt er sie „Dreck.“ Er konnte kein stärkeres Wort brauchen; er nennt all' seinen Ruhm nach dem Fleisch einen bloßen Unrat, etwas, davon er frei werden musste, und es ist kein Verlust, wenn es fort ist, sondern eher etwas, dazu er sich Glück wünscht, wenn es gegangen. Das Wort bedeutet das, was wertlos ist, und wird gebraucht, um die Besen und Trester des Weins zu bezeichnen, den Bodensatz, den man in seinem Becher findet und wegschüttet, wenn man das Flüssige getrunken, den Abfall von Früchten, die Schlacken des Metalls und die Spreu und Stoppeln des Weizens. Eigentlich bedeutet die Wurzel des Wortes Dinge, welche den Kunden vorgeworfen werden; Hundekost, Knochen von den Tellern, Krumen und trockene Stücke, die vom Tische abgebürstet werden und des etwas, was man gerne los wird. Der Apostel nennt alle diese schönen Sachen, die er aufgezählt, nichts Besseres als Dreck. „Aus dem Volk Israel, vom Stamme Benjamin, ein Hebräer aus den Hebräern,“ er schüttet alles aus für die Hunde, und ist froh, es los zu werden um Christi willen. Es erinnert mich an ein Schiff im Sturm. Wenn der Kapitän den Hafen verlässt, hat er eine Ladung an Bord, wofür er große Sorge trägt, aber wenn ein furchtbarer Wind weht und das zu schwer beladene Schiff arbeitet und man fürchtet, dass es den Sturm nicht überstehen wird, seht, wie eifrig die Matrosen das Schiff erleichtern. Sie bringen mit allem Fleiß aus dem Schiffsraum gerade die Dinge, welche sie vorher schützten, und scheinen froh, sie in das Meer zu werfen. Niemals war Jemand eifriger zu empfangen, als diese es sind wegzuwerfen. Da geben die Fässer voll Mehl, die eisernen Stangen, die Manufakturwaren, über Bord gehen wertvolle Güterballen; nichts scheint des Behaltens wert. Wie ist das? Sind diese Dinge nicht gut? Ja, aber nicht gut für ein sinkendes Schiff. Alles muss geben, um das Leben zu retten, Alles, um den Sturm zu überstehen. Ebenso sagt der Apostel, dass er, um Christum zu gewinnen und in ihm erfunden zu werden, die ganze Ladung seiner geliebten Schätze über Bord warf, und so froh war, sie los zu werden, als wenn sie nur Unrat gewesen wären. Dies tat er, um Christum zu gewinnen, und diese Tatsache erinnert uns an ein anderes Bild: Ein englisches Kriegsschiff der alten Zeit kreuzt im Ozean und entdeckt eine spanische Galeone in der Ferne, die mit Gold von Indien beladen ist. Kapitän und Mannschaft sind entschlossen, sie einzuholen und zu entern, denn sie wünschen das Prisengeld zu verdienen; aber ihr Schiff segelt schwer. Was nun? Wenn es seiner Ladung wegen sich nicht rühren kann, so werfen sie alles in die See, was sie nur ergreifen können, da sie wissen, wenn sie das spanische Schiff nehmen, so wird die Beute sie weit mehr als entschädigen für alles, was sie verlieren. Wundert ihr euch über ihren Eifer, das Kleine zu verlieren, um das Große zu gewinnen? Seemann, warum diese nützlichen Dinge über Bord werfen? „O,“ sagt er, „sie sind nichts im Vergleich mit jenem Preis da drüben. Wenn wir nur an ihre Seite gelangen und sie entern können, so wird sie uns bald entschädigen für Alles, was wir jetzt ins Meer werfen.“ So ist es mit Dem, der ernstlich Christum gewinnen und in ihm erfunden werden mill. Über Bord gehen Beschneidung und Pharisäismus und die Unsträflichkeit nach dem Gesetz und all' das, denn er weiß, er wird eine bessere Gerechtigkeit in Christo finden als irgendwelche, die er aufgibt, ja, Alles in Christo finden, was er nun um seines Herrn willen den Schlacken des Seins gleichrechnet.
Nun, Geliebte, bemerkt, wie viel näher Paulus Christo gekommen war, als früher, denn in seiner zweiten Schätzung sprach er davon, ihn zu kennen, aber jetzt spricht er davon, ihn als sein eigen zu gewinnen. Der Apostel bleibt bei dem kaufmännischen Bild die ganze Zeit über und meint, „dass ich Christum gewinne und ihn mein eigen weiß, dass ich ihn haben und halten möge und mit der Braut singen: „Mein Freund ist mein.“ Hierfür können wir weislich Alles für Unrat achten, damit wir ewig den Herrn Jesum besitzen möchten.
Dann fügt Paulus hinzu: „und in ihm erfunden werde.“ Er sehnt sich danach, in Jesu verborgen zu sein und in ihm zu bleiben, wie ein Vogel in der Luft oder ein Fisch im Meer; er verlangt, Eins mit Christo zu sein und in ihm zu sein, wie ein Glied am Körper. Er wünscht in Christum hinein zu gelangen, wie ein Flüchtling sich in seinem Zufluchtsort verbirgt; er strebt danach, so in Christo zu sein, dass er nie heraus kommt; so dass, wenn ihn Jemand sucht, er ihn in Jesu finde, und wenn der große Richter Aller ihn am letzten großen Tage aufruft, er ihn in Christo finden möge. Es würde schlimm sein, gefunden zu werden, wo Adam war, bebend unter den Bäumen im Garten, mit seinen Feigenblättern bedeckt; aber unter dem Lebensbaum gefunden zu werden, mit dem Gewand der Gerechtigkeit Gottes, das wird Seligkeit sein. Wir sind außer Christo verloren, aber in ihm sind wir gefunden. Wenn der große Hirte uns begegnet, so sind wir von ihm gefunden, aber wenn wir sicher in seine Liebe eingeschlossen sind, so werden wir in ihm gefunden.
Beachtet, wie Paulus bei dem bleibt, womit er angefangen, nämlich das Entkleiden seines Selbst von dem Rühmen nach dem Fleisch und das Sich-Bekleiden mit Christo. Er wünscht, in Christo erfunden zu werden, aber er fügt hinzu: „dass ich nicht habe meine eigene Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz.“ Nein, er will nichts damit zu tun haben; er hat sie schon als Verlust verachtet und über Bord geworfen als Unrat und nun will er sie überhaupt nicht haben oder sein eigen nennen. Es ist sonderbar, wenn ein Mensch sagt: „dass ich nicht meine eigene habe,“ aber er sagt so; er leugnet seine eigene Gerechtigkeit eben so eifrig, wie Andere ihre Sünden leugnen, und er achtet die Gerechtigkeit hoch, welche Christus uns erwirkt hat, die durch den Glauben unser wird. Er nennt es: „die Gerechtigkeit, die von Gott dem Glauben zugerechnet wird,“ und er schätzt sie sehr, ja, sie ist alles, was er wünscht. Meine Brüder, dies ist das, wonach wir suchen sollten, immer mehr uns bewusst zu werden, dass wir Christum haben, in ihm immer beständiger zu werden, ihm immer ähnlicher, selbst in seinem Leiden und Tode, und die volle Kraft seines Auferstehungslebens in uns zu fühlen. Möge Gott uns Gnade geben, dies zu tun, und je mehr wir es tun, desto mehr werden wir mit dem Apostel übereinstimmen in seiner Geringschätzung alles Andern. Diese Sache ist wie eine Wage, wenn eine Schale niedergeht, so muss die andere steigen. Je schwerer der Einfluss Christi wiegt, desto leichter wird die Welt und die Selbstgerechtigkeit sein, und wenn Christus Alles in Allem ist, so wird die Welt und das Selbst gar nichts sein.
II.
Ich werde euch hoffentlich nicht ermüden, wenn ich ein paar Minuten für den letzten Teil nehme, unsere eigenen Berechnungen.
Zuerst, stimmen wir mit der ersten Schätzung des Paulus überein? Am Anfang seines geistlichen Lebens sah er alle seine natürlichen Vorteile und Vorzüge und achtete sie als Verlust um Christi willen. Jeder wahre Christ hier erinnert sich der Zeit, wo auch er alles, worauf er früher sein Vertrauen gesetzt, für wertlos achtete und sich Jesu ergab. Aber vielleicht spreche ich zu Einigen, die das nimmer getan. Du bist in diesem Augenblick noch immer der Zuversicht, mein Freund, dass du nie Jemandem ein Leid getan, dass dein Wandel aufrichtig und liebenswert gewesen, dass du gerecht, barmherzig und freundlich gewesen bist, und dass all' dieses dich für den Himmel geeignet macht. Du rechnest deine natürlichen Tugenden als große Gewinne.
Ich sprach vor drei Tagen mit einem alten Mann über achtzig und als er mir von seinem hohen Alter erzählte, sagte ich: „Ich hoffe, wenn Sie sterben, werden Sie in den Himmel gehen.“ „Ah, mein Herr,“ sagte er, „ich habe nie etwas getan, wofür ich anderswohin gehen müsste.“ Es gibt sehr Viele, die dasselbe Glaubensbekenntnis haben, sie sprechen es nicht ganz so offen aus, wie der alte Bauer, aber sie meinen dasselbe. Ach, liebe Freunde, ihr müsst aus dieser Täuschung heraus und alle diese sittlichen Vorzüge und Tugenden müssen Verlust für euch sein, damit Christi Gerechtigkeit euer einziger Gewinn sei. Möge der Heilige Geist euch diese unangenehme Wahrheit lehren. Ihr werdet nie selig werden, bis ihr alle eure gesetzlichen Hoffnungen verliert.
Nun zweitens, nach manchen Jahren des Christenlebens, die eurer Viele hinter sich haben, verharrt ihr noch in demselben Sinne und macht ihr dieselbe Schätzung noch? Ich habe leider einige Christen gekannt, die sich allmählich auf etwas Anderes verlassen als auf Christum. Geliebte, vertraut ihr jetzt auf die Jahre, in denen ihr offenbar besser geworden seit eurer Bekehrung? Beginnt ihr auf die Regelmäßigkeit zu bauen, mit der ihr die Gnadenmittel benutzt, auf euer Gebet, auf das, was ihr gegeben, auf euer Predigen oder irgendetwas Anderes? Ach, das geht nicht. Wir müssen da stehen bleiben, wo wir zuerst standen und sprechen: „Ja, ohne Zweifel, ich rechne Alles für Verlust gegen die Trefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn.“ Komm nun, Christ, wenn du zurück gehen könntest, wolltest du wieder am Kreuze beginnen? Wenn du deine Schritte von neuem machen könntest, würdest du damit beginnen, dich auf Christum zu verlassen und ihn als dein Alles in Allem zu nehmen? Ich will euch meine Antwort sagen: Ich habe keinen anderen Grund, auf dem ich beginnen könnte, ich muss auf meinem Herrn ruhen.
„Zu wem und wohin soll' ich gehen,
Wenn ich von dir mich wenden sollt'?“
Alleinige Zuflucht meines Geistes, einziger Hafen meiner armen kämpfenden Barke, zu dir fliehe ich heute, wenn ich nie früher es getan; und habe ich es, so fliehe ich aufs Neue zu dir. Sprecht ihr so, Brüder und Schwestern? Ich bin gewiss, ihr tut es.
Nun wiederum, ihr könnt nicht dem Paulus beistimmen in der dritten Schätzung und sprechen: „Um des willen ich den Verlust aller Dinge erlitten;“ aber doch muss ich euch fragen: denkt ihr, dass ihr den Verlust aller Dinge ertragen könntet, wenn er von euch gefordert würde um Christi willen? Wenn es dahin gekommen wäre, dass ihr verbannt werden müsstet oder eurem Heiland entsagen, würdet ihr in die Verbannung geben? Wenn der Verlust eurer Güter zur Frage stände, würdet ihr lieber alles fahren lassen, als euren Herrn aufgeben? Eure Vorväter taten das und was der Geist in ihnen wirkte, würde er ohne Zweifel in euch gewirkt haben, wären die Zeiten härter gewesen. Aber ich will euch eine praktischere Frage vorlegen. Da ihr nicht den Verlust aller Dinge zu erleiden gehabt habt, stellt ihr alle Dinge zu Gottes Verfügung? Seid ihr bereit, Annehmlichkeit und Ehre um seinetwillen aufzugeben? Könnt ihr das gesellschaftliche Kreuz auf euch nehmen und in die am meisten verachtete Sekte eintreten um der Wahrheit willen? Könnt ihr das Ansehen verlieren, welches mit den populären Glaubensbekenntnissen verbunden ist, und könnt ihr euch dem verachteten Erlöser anschließen, wenn die Religion nicht mehr in silbernen Pantoffeln einherwandelt, sondern barfuß durch den Schlamm geht? Könnt ihr zufrieden sein, das Lobes „Allerverachtetsten und Unwertesten“ zu teilen? Wenn ihr es könnt, so könntet ihr auch den Verlust aller Dinge erleiden, aber seht zu, dass es so ist.
Lasst mich eine andere praktische Frage tun. Ihr habt nicht den Verlust aller Dinge erlitten, aber da Gott euch irdische Güter gelassen hat, habt ihr alle Dinge für ihn gebraucht? Habt ihr für seine Sache Alles gegeben, was diese Sache billig verlangen kann? Ich hoffe, ihr könnt sagen: Ja, ich hoffe, ich habe, und wie die Welt urteilt, weit mehr, denn ich habe in meiner Seele gesagt:
„Könnt' ich mir etwas vorbehalten,
Geböte nimmer mir die Pflicht,
Doch liebe ich so innig meinen Herrn,
Ich gäb' ihm Alles, Alles gern.“
Wohlan, auch ihr könnt eure Berechnung machen, wie der Apostel es tat; obgleich ihr nicht wirklich den Verlust aller Dinge zu erleiden habt, so achtet sie doch für Unrat um Christi willen.
Aber Eins mehr. Geliebte, wenn Christus euch so viel ist, dass alles Andere im Vergleich mit ihm nur Unrat und Dreck ist, wollt ihr ihn nicht für eure Kinder? Wünscht ihr ihn nicht für eure Freunde? Möchtet ihr nicht, alle eure Verwandten hätten ihn? Was ein Mensch für sich schätzt, das schätzt er auch für andere. Ihr wünscht, dass euer Sohn euer Geschäft ergreift, wenn ihr es für ein gutes haltet. Ihr wünscht euren Kindern eine gute Stellung im Leben, aber welche Stellung kommt der gleich, in Christo erfunden zu werden? und welche Gewinne unter dem Himmel können mit dem Gewinnen Christi verglichen werden? Ihr könnt eure eigene Aufrichtigkeit beurteilen nach dem Maße eures Verlangens nach der Errettung Anderer und ich bitte euch ernstlich, bleibt nicht dahinter in dem Reden zu Andern von der Trefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu, eures Herrn, und seid nicht träge, ihnen die Notwendigkeit einzuprägen, in ihm erfunden zu werden.
Verabscheut den Gedanken an eine eigene Gerechtigkeit, aber ergreift mit all' eurem Glauben die Gerechtigkeit Jesu Christi. Ich empfehle euch Christen, dass ihr euer ganzes Selbst Christo hingebt, dass von diesem Tage an ihr ihm dient, mit Geist, Seele und Leib, denn im Grunde ist nichts, wofür es der Mühe wert ist zu leben, nichts, das einer einzigen Träne wert ist, wenn ihr es verliert, noch ein Lächeln, wenn ihr es gewinnt, außer dem, was von Christo kommt und für Christum gebraucht werden kann und in Christo gefunden wird. Christus ist Alles. Möge er euch das sein. Amen.