Sigel, Eduard - Predigt am Sonntag Septuagesimä

Sigel, Eduard - Predigt am Sonntag Septuagesimä

Text Matth. 19, 27. - 20, 16.
Da antwortete Petrus und sprach zu Jesu: siehe wir haben alles verlassen und sind Dir nachgefolget; was wird uns dafür? Jesus aber sprach zu ihnen: wahrlich, ich sage euch, daß ihr, die ihr mir seyd nachgefolget, in der Wiedergeburt, da des Menschen Sohn wird sitzen auf dem Stuhl Seiner Herrlichkeit, werdet ihr auch sitzen auf zwölf Stühlen und richten die zwölf Geschlechte Israel, Und wer verlässet Häuser oder Brüder oder Schwestern oder Vater oder Mutter oder Weib oder Kinder oder Acker um meines Namens willen, der wirds hundertfältig nehmen und das ewige Leben ererben. Aber viele, die da sind die ersten, werden die letzten und die letzten werden die ersten seyn. Das Himmelreich ist gleich einem Hausvater, der am Morgen ausging, Arbeiter zu miethen in seinen Weinberg, Und da er mit den Arbeitern eins ward um einen Groschen zum Taglohn, sandte er sie in seinen Weinberg. Und gieng aus um die dritte Stunde und sah andere an dem Markt müßig stehen und sprach zu ihnen: gehet ihr auch hin in den Weinberg; ich will euch geben, was recht ist. Und sie giengen hin, Abermal gieng er aus um die sechste und neunte Stunde und that gleich also. Um die eilfte Stunde aber gieng er aus und fand andere müßig stehen und sprach zu ihnen: was stehet ihr hier den ganzen Tag müßig? Sie sprachen zu ihm: es hat uns niemand gedinget. Er sprach zu ihnen: gehet ihr auch hin in den Weinberg und was recht seyn wird, soll euch werden. Da es nun Abend ward, sprach der Herr des Weinbergs zu seinem Schaffner: rufe den Arbeitern und gib ihnen den Lohn und hebe an an den letzten bis zu den ersten. Da kamen, die um die eilfte Stunde gedinget waren, und empfing ein jeglicher seinen Groschen. Da aber die ersten kamen, meinten sie, sie würden mehr empfangen, und sie empfingen auch ein jeglicher seinen Groschen. Und da sie den empfingen, murreten sie wider den Hausvater und sprachen: diese letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, und du hast sie uns gleich gemacht, die wir des Tages Last und Hitze getragen haben. Er antwortete aber und sagte zu einem unter ihnen: mein Freund, ich thue dir nicht Unrecht; bist du nicht mit mir eins worden um einen Groschen? nimm, was dein ist, und gehe hin. Ich will aber diesen letzten geben gleich wie dir. Oder habe ich nicht Macht zu thun was ich will mit dem meinen? stehest du darum scheel, daß ich so gütig bin? also werden die letzten die ersten und die ersten die letzten seyn. Denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwählet.

Andächtige Zuhörer! Wie Viele unter uns den Muth haben, dem Apostel Petrus nachzusprechen,: siehe wir haben Alles verlassen, und sind dir nachgefolgt, weiß ich nicht. Aber das weiß ich, daß Viele und viel Mehrere die Frage im Mund und im Herzen haben: Was wird mir dafür? oder was ist mir dafür geworden?

Klagen über undankbare und ungerechte Behandlung, Unzufriedenheit mit Lohn und Verdienst, wer kennt sie nicht? Wer hat sie nicht schon gehört in den Häusern und aus den Gassen aus mehr als Einem Munde, ja von hundert und aber hundert Zungen da und dort! Ach die zufriedenen Menschen sind so selten. Wie Viele auch von uns mögen schon zu kämpfen gehabt haben mit dem bittern Gefühl der Unzufriedenheit, und zwar nicht bloß jener kleinen und vorübergehenden Unzufriedenheit, die über kärglichen Dank und Lohn für einen einzelnen Dienst sich zu beschweren hatte, sondern mehr noch mit dem bittern Gefühl der großen und bleibenden Unzufriedenheit, die im Rückblick auf ein ganzes langes Leben, und hindeutend auf den Ertrag und Gewinn dieses Lebens murrend und mißmuthig ausrufen wollte: siehe da, das ist mir dafür geworden! ein bettelhaftes Almosen statt eines reichlichen und redlich erworbenen Verdienstes! Ja, die zufriedenen Menschen sind so selten; darum hört man so häufig die Klage: ich habe gearbeitet wie die Andern; sie sind belohnt worden, ich übergangen, sie sind zu Ehren, Macht und Reichthum gekommen, ich bin unten geblieben und arm, ja ich habe zwölfmal mehr gearbeitet als Der oder Jener, und doch hat Jener zwölfmal mehr erhalten an zeitlichem Gut und Glück als ich, und ich soll mich begnügen mit meinem armseligen Groschen!

Geliebte Freunde, die Schrift sagt, der Arbeiter ist seines Lohnes werth, sie sagt das für göttliches und menschliches Recht im alten und neuen Testament (3 Mos. 19, 13. Jer. 22. 13. Matth, 10, 10. Luk. 10, 7. 1 Tim. 5, 18 ). Darum beklagen, ja darum verdammen wir alle menschliche Ungerechtigkeit, die dem redlichen Arbeiter den wohlverdienten Lohn schmälert oder vorenthält; wir klagen den Ungerechten, der das thut, an vor Gottes Wort, und hören die Stimme Seines Urtheils in dem Gebote, das da sagt: 5,1 sollst nicht stehlen; ein Dieb aber ist, wer dem Nächsten weh thut auch an dem, was er zu fordern hat; und darum wehren wir auch dem ungerecht Beschädigten nicht, wenn er im christlichen Staat das menschliche Recht anruft und durch die Obrigkeit, die Gottes Dienerin ist, den Ungerechten zwingt, sein Unrecht zu erstatten. Anders aber verhält es sich, wenn die Klage über Undank und geringesten Lohn sich erhebt auch gegen Gott, wenn die Unzufriedenheit mit dem irdischen Stand und Zustand ein lautes oder leises Murren wider die göttliche Weltregierung ist. Diese Klage, diese Unzufriedenheit können wir nicht dulden, ihr müssen wir entgegentreten mit dem göttlichen Wort, ihr wehre und sie bekämpfe ich auch heute, indem ich eurer Andacht vorhalte:

wie wenig die in diesem Sinn unzufriedene Frage: was wird mir dafür? oder, was ist mir dafür geworden? Stand hält vor dem heutigen Evangelio.

I.

Die schlagendste Antwort auf diese Frage, meine andächtigen Zuhörer, scheint die zu seyn, mit der Jesus selbst Seine Gegenrede an den fragenden Jünger begann: wahrlich, ich sage euch, daß ihr, die ihr mir seyd nachgefolgt, in der Wiedergeburt, da des Menschen Sohn wird sitzen auf dem Stuhl Seiner Herrlichkeit, werdet ihr auch sitzen auf zwölf Stühlen und richten die zwölf Geschlechter Israel, und wer verläßt Häuser oder Brüder oder Schwestern oder Vater oder Mutter oder Weib oder Kinder oder Äcker um meines Namens willen, der wird's hundertfältig nehmen und das ewige Leben ererben. In der That, wer diese Verheißung sich aneignen kann als gültig auch für ihn, wie kann der noch zaudernd fragen: was wird mir dafür? oder unzufrieden mit dem bisherigen Stand und Zustand seines Lebenslaufs: was ist mir dafür geworden? Weiß er doch, daß noch nicht erschienen ist, was er seyn wird, daß aber, wenn's nun erscheinen wird in der Wiedergeburt des neuen Himmels und der neuen Erde, er auch seinen Theil haben wird an des himmlischen Königs ewiger Glorie und Herrlichkeit, und für alles, was er hienieden geopfert hat in Gottes Dienst und gelitten hat um des Namens Christi willen, hundertfältigen Ersatz bekommen wird im ewigen Leben. Ja, meine Geliebten, wer den Lohn der Ewigkeit im Auge und sein Unterpfand im Herzen hat, wie sollte der nicht sich getrösten können für die Leiden dieser Zeit? wie sollte dem es noch möglich seyn, unzufrieden zu fragen: was wird mir dafür? oder: was ist mir so Geringes bisher dafür geworden? ist doch das Bisher noch nicht das Einst, das Diesseits nicht das Jenseits, die Last der Hitze des zeitlichen Tags noch nicht die kühle und wonnige Abendruhe des ewigen Lebens.

Indessen, meine andächtigen Freunde, wie der Herr selbst nicht genug daran hatte, den fragenden Jünger nur auf den Lohn der Ewigkeit zu verweisen, sondern ein Gleichniß noch hinzufügte, um die Gerechtigkeit des Haushalts Gottes schon in diesem Leben aufzudecken, so werden auch wir jene unzufriedene Frage mit dieser ersten Antwort noch nicht für beschwichtigt genug erachten können. Einmal nämlich ist es ja doch vor der Hand noch sehr zweifelhaft, ob auch die, die so lohnsüchtig und unzufrieden fragen: was wird mir dafür? die Verheißung des ewigen Lebens also sich zueignen können, daß nicht nur der Traum und Wunsch ihres Herzens, sondern auch das inwendige Zeugniß des heiligen Geistes sie ihnen verbürgt. Sodann aber weiß ich nicht, ob der weltliche und fleischliche Sinn, der in jener unzufriedenen Frage sich Luft macht, sich überwunden und nun zufrieden gibt, wenn ihm, was er hier vermißt, erst in der Zukunft aufgewiesen wird. Ueberhaupt endlich wäre es ein Mißverstand und die weitere Rede Jesu beweist es, daß es ein Mißverstand wäre, wenn wir meinten, lohnsüchtigem und unzufriedenem Murren wider Gott lasse sich das Maul stopfen nur durch Vorhalten des dereinst zu erwartenden überschwänglichen Lohns. Denn das hieße eben so sündigen am irrenden Menschen, als gegen die Wahrheit und Gerechtigkeit Gottes. Der Irrthum des Menschen würde so nicht überwunden, sondern nur geschwelgt, seine Lohnsucht nicht verdammt, sondern nur einstweilen äusserlich beschwichtigt, innerlich aber noch mehr aufgestachelt, der Teufel der Unzufriedenheit also durch den Beelzebub der eines Bessern belehrten Lohnsucht ausgetrieben. Es wäre aber auch gesündigt gegen die Wahrheit und Gerechtigkeit Gottes. Denn was hieße das anders, als einräumen und behaupten, daß die Gerechtigkeit der göttlichen Weltregierung in dieser Zeit allerdings zu Klagen Anlaß gebe, weil sie nur eine halb und unvollkommen gerechte sey, daß man aber das sich ja gefallen lassen könne und gefallen lassen müsse, weil das Ende der Dinge und das jüngste Gericht alles Versäumte in überschwänglichem Maße hereinbringen, alle Ungerechtigkeiten des göttlichen Thuns oder Lassens ausgleichen, und den unbillig geschmälerten Lohn mit reichen Zinsen erstatten wird. Es ist das freilich eine gemeine Rede unter vielen Christen, aber beim Licht besehen ist sie nicht nur thöricht, sondern wahrhaft gotteslästerlich. Denn die Schrift spricht: Der Herr ist gerecht in allen Seinen Wegen und heilig in allen Seinen Werken (Ps. 145, 17. 5 Mos. 32, 4. Hiob 34, 10. 12.): nun, so ist Er auch gerecht nicht erst in der Zukunft und am jüngsten Tag, sondern gerecht und heilig in Allem, was Er schon in dieser Zeit thut oder duldet, zuläßt oder vollführt, und an dem Glauben festhaltend, daß Gott es nie und nirgends versehe in Seinem Regiment und nie oder nirgends erst hintendrein etwas wieder gut zu machen habe, was Er nicht von Anfang an gut und recht gemacht hätte, an diesem Glauben festhaltend müssen wir auch die unzufriedene Frage: was wird mir dafür? oder was ist mir dafür geworden? bekämpfen und überwinden auf dem Felde des täglichen Lebens und mit dem Thun Gottes schon in dieser Zeit. Zum Vorkämpfer aber haben wir Jesum selbst und wir dürfen

II.

nur die Waffen Seines Worts, und hier eben die Waffen Seines Gleichnisses recht handhaben, so müssen wir den Sieg der Wahrheit wohl gewinnen.

1) So machen wir denn fürs erste geltend, daß nach dem Bilde des Hausvaters im Gleichniß Gott es ist. der den Menschen zur Arbeit miethet, in das Tagwerk seines irdischen Lebens ihn beruft, daß also auch die freie Wahl eines Berufes, Amtes, Standes nicht nach des Menschen eigener Laune oder Willkühr, sondern nach Gottes Willen und in den Schranken Seiner heiligen Ordnung geschehen soll. Wohlan, geliebte Freunde, diese erste Wahrheit schon unseres Textes ist sie nicht wie ein eherner Schild, vor dem ein guter Theil unzufriedener Klagen machtlos niederfällt, ja wie brennende Pfeile ins eigene unzufriedene Herz zurückkehren muß? So Viele, die am Abend ihres Lebens oder schon in seiner Mitte, Manche, die sogar bald nach den ersten Schritten auf der freigewählten Laufbahn unzufrieden klagen: was hab' ich nun davon? und was ist mir dafür geworden? müssen sie nicht von ihrer unzufriedenen Klage über verfehlten Lebenszweck und Beruf, über vereitelte Hoffnungen, über zerronnene Träume von Glück und Genuß abstehen, und sie in Anklage wider sich selbst verkehren, wenn man sie fragt: Hast du denn auch deinen Beruf gewählt nach Gottes Willen? hast du den Lebensweg betreten, den Gott dir als den für dich passendsten angezeigt und kund gethan hat auf mannigfache Weise, durch den Willen deiner Eltern, durch den Rath deiner Freunde, durch die Antwort Seines Geistes auf dein Flehen und Bitten um Licht und Rath und insbesondere durch das Wort Seiner Wahrheit, das bei jeder Wahl dir gebietet, nicht blos klug, sondern auch einfältig, also uneigennützig und selbstverläugnend, zuerst nach Gottes Reiche trachtend und Aussaat auf den Geist begehrend zu wählen. Hast du aber so nicht gewählt, hast du den ersten Fehlgriff selbst gemacht, da du weder klug noch einsaitig, oder nur klug, nicht auch einfältig, nur weltklug, selbstsüchtig und irdischen Vortheil allein begehrend, deines himmlischen Berufs aber und der Liebe Gottes und des Nächsten uneingedenk zu diesem oder jenem Schritt dich entschlossest; hast du als Knabe und unerfahrener Jüngling nur die glänzende Aussenseite eines Standes geschaut und vom Schimmer seiner Lust und Ehre oder vom Trugbild seiner Bequemlichkeit und seines Wohllebens zum unbedachtsamen Eintritt dich locken lassen und siehst du jetzt und klagst du jetzt, daß nicht Alles Gold ist, was glänzt; hast du einen Lebensgefährten dir gewählt im Rausch der Sinne oder in Berechnung zeitlichen Gewinnes, nicht aus der Hauptrücksicht der Einheit der Gemüther, nicht weil Gott euch äusserlich und innerlich zusammenführte und zusammenfügte, und hast du in diesem und in jenem Fall dem Willen derer, die Gottes Statthalter an dir waren, zuwider gehandelt, oder haben auch diese aus gleich thörichten Gründen wie du in deine Lust gewilligt - o lieber Freund, was klagst du jetzt so unzufrieden über getäuschte Hoffnungen und was dergleichen mehr ist? Klag' doch zuerst über dich selbst, über deine Thorheit und deine Selbstsucht und deine Sünde, in der du selbst dich getäuscht und betrogen hast: vor Gott aber beuge dich und Sein Thun bete an demüthig, reuig und bußfertig. Denn Er handelt auch an dir nicht anders, denn gerecht; Er gibt dir, was recht ist, und läßt dich von den Disteln deiner Wahl nicht Trauben, sondern, was eben der Disteln Art und natürliche Frucht ist, Dornen läßt Er dich lesen.

2) Doch kann es auch mit dir noch zum Guten sich wenden und Alles wieder gut werden, wenn du bedenkst und dein Leben darnach richtest, was das Gleichniß zweitens sagt, daß nämlich Gott die Menschen miethet zur Arbeit für seinen Weinberg, d. i. für sein Reich, und daß alle Arbeit, in die wir uns gestellt sehen, nach Gottes Willen Arbeit seyn soll für sein Reich. Und das, meine Geliebten, machen wir geltend auch gegen die, die in ihren Stand und Beruf eingetreten sind, wie sich's gebührt, mit Gott und um Gottes Willen, und die doch nicht glücklich darin sich fühlen wollen; wir machen's wieder geltend gegen jene, die behaupten, sie seyen wider ihren Willen von ihren Eltern oder Vormündern, oder von der Gewalt der Umstände gezwungen worden, diesen oder jenen Stand zu ergreifen, oder sie haben für ihn sich entscheiden müssen zu einer so frühen Zeit schon, da ihnen noch der Verstand und die nöthige Erfahrung mangelte, das Für und Wider gehörig abzuwägen, nun aber sey Rücktritt nicht mehr möglich, und doch was ihnen für ihren Dienst in des Tages Last und Hitze werde, sey nur ein armseliger Groschen, während Andere, die bei gleicher Blindheit doch glücklicher in die Urne der Schicksalsloose gegriffen, mit weniger Arbeit und größerem Lohn unverhältnißmäßig besser es haben als sie. Wie dem nun sey, auf welche Weise du an deine jetzige Stelle gekommen seyn magst, und von welcher Art sie seyn mag, hoch oder nieder, angesehen oder gering, bequem oder unbequem, weitreichend und viel versprechend, oder eng begrenzt und kaum ein Scherflein Erübrigtes abwerfend, das ist alles ganz einerlei für das, was Gott von dir will. Gott will - und was Er will, das kannst du auch, wer du seyst und wo du stehst - Er will, du sollst ein Mitarbeiter seyn an Seinem Reich; da merkst du wohl, daß das Miethen im Gleichniß nur den Ruf und Willen Gottes bedeutet, nicht aber daß du ein Miethling mit einer Miethlingsseele seyn sollst, vielmehr ein freier Arbeiter, ein um Gottes Willen mit Lust und Liebe, aus innerem Trieb und eigener Freude an dem Werk mitschaffender Gehülfe sollst du seyn. Und das bist du, und das kannst du, wenn du in deinem ganzen Tagewerk Gott vor Augen und im Herzen hast, wenn du bei Allem, was dir obliegt, darnach trachtest, etwas zu werden zum Lobe Gottes des Vaters und etwas zu schaffen zur Ehre deines Heilands, wenn du also nicht das Deine nur suchst in fleischlicher Selbstsucht, sondern gesinnet, wie Jesus Christus gesinnet war, in rechtschaffener Liebe Gottes und des Nächsten auch, und ebenso eifrig was des Andern ist; und wiederum das bist du und das kannst du, wenn du nicht mit dem Munde nur, sondern auch mit dem Herzen, und nicht mit dem Herzen nur, sondern auch mit der That Alles verlassen und aller Eigenheit abgesagt, Christo aber nachfolgend Sein Kreuz auf dich genommen, und nach dem das vornen und droben ist, nach dem Einen, das noth thut, dich zu strecken angefangen und bis jetzt fortgefahren hast.

Ist nun das die Geschichte deines bisherigen Lebens und Wirkens, ob du nun oben stehst oder unten in der menschlichen Gesellschaft, gleichviel - wirst du dann noch unzufrieden seyn mit deinem irdischen Stand und Zustand? wirst du dann überhaupt noch fragen: was wird mir dafür? oder klagen: was ist mir dafür geworden! Wirst du nicht vielmehr, auch wenn du Alles gethan hast, was dir befohlen war, demüthig sprechen: ich bin ein unnützer Knecht, ich habe gethan, was ich schuldig war? ja, wirst du nicht so anspruchslos das Deine thun, daß deine Linke nicht erfährt, was die Rechte thut und du an Bescheidenheit Jenen gleichst, die der Herr im Bilde des jüngsten Tages sprechen läßt: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen, und haben dich gespeiset, oder durstig und haben dich getränket? wann haben wir dich einen Gast gesehen und beherbergt, oder nackt und haben dich bekleidet? wann haben wir dich krank und gefangen gesehen und sind zu dir gekommen? Siehe da, das sind die Diener, die Gott gefallen: das sind die, denen alles Uebrige und alles Nöthige auch im Zeitlichen zufällt, weil sie trachten zuerst nach Gottes Reich und seiner Gerechtigkeit und das sind auch die, und sie weil sie nicht einmal darnach fragen noch lohnsüchtig es begehren, sie sinds allein, denen auch die Verheißung des ewigen Lebens und des Antheils an Christi himmlischer Glorie und Herrlichkeit gilt.

Bist du aber nun, statt so gesinnet zu seyn, wie Gott will, statt Freude zu haben an deinem dir beschiedenen Werk und dich begnügen zu lassen am Frieden Gottes und deiner Seele, bist du statt dessen ein unzufriedener Murrer wider Gott, ein lohnsüchtiger Rechner, was wird mir dafür? wohlan, so ist es nur wieder Gottes Gerechtigkeit, daß Er dich straft mit deiner eigenen Sünde, daß Er dich dahingibt in den unglücklichen Sinn deiner Unzufriedenheit, und freie Gnade ist es, daß Er dich bis jetzt nicht mit Härterem heimgesucht hat. Oder kannst du es läugnen, daß du Härteres verdientest? Du rühmst dich, des Tages Last und Hitze getragen zu haben, wie ein Anderer und besser als mancher Andere: wohl, du hast gethan, was du schuldig warst und doch hast du nicht einmal so viel gethan, als du schuldig warst. Denn du hast's gethan mit Seufzen, mit verdrossenem Sinn und Unmuts? und hättest's thun sollen mit Freuden; du hast's gethan aus Lohnsucht und hättest's thun sollen aus freiem Gehorsam und aus der Dankbarkeit des Glaubens: du hast's gethan als Augendienst und hättest's thun sollen als einen Dienst vor dem allwissenden Gott, so wirst du's auch in vielen Stücken schlechter und mangelhafter gethan haben, als ein frommer Knecht. Und wenn zu allem dem noch hinzukommt dein Neid gegen Glücklichere, dein Scheelsehen gegen den Bruder, dessen Glück dich so sehr freuen sollte, wie dein eigenes; wenn endlich alle diese Sünden sammt und sonders hervorkommen aus dem irdischen, fleischlichen, von Gott abgewandten, selbstsüchtigen Sinn, aus dem Sinn, der über den Götzen der Welt des lebendigen Gottes und des Trachtens nach seinem himmlischen Reich vergißt: kannst und willst du denn noch rechten mit Gott? sollst und mußt du nicht vor ihm niederfallen und ihm die Ehre geben, deine Sünde ihm abbitten und ihm danken, daß er in dieser Frist seiner Langmuth gnädiger noch als gerecht mit dir gehandelt hat?

O, meine geliebten Freunde! die Wahrheit des Evangeliums ist ein zweischneidig Schwert. Wohl dem, der es handhabt wider jede Sünde! wohl dem, der es handhabt auch wider die Sünde der Unzufriedenheit! - Sey denn auch unser Schluß, wie das Lied des heutigen Gottesdienstes schließt:

Bei Pflicht und Fleiß sich Gott ergeben,
Ein ewig Glück in Hoffnung seh'n: -
Das ist der Weg zu Ruh' und Leben.
Herr, lehre diesen Weg uns geh'n!
Amen.

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