Scriver, Christian - Siebente Predigt. - Von dem Wachsthum der Sünde.

Scriver, Christian - Siebente Predigt. - Von dem Wachsthum der Sünde.

2 Tim. 3, 13.
Mit den bösen Menschen und den Verführern wird es je länger, je ärger, sie verführen und werden verführt.

Eingang.

Im Namen Jesu. Amen!

Ich trage meine Seele immer in meinen Händen und vergesse Deines Gesetzes nicht, sagt David. Diese Worte werden verschieden erklärt, und Mehrere beziehen sie zunächst auf die Lebensgefahr, darin sich Jener auf seiner Flucht befand - als ob er hätte sagen wollen: wenn ich auch in beständiger Todesgefahr schwebe, so vergesse ich doch deines Wortes nicht, welches mir Trost und Kraft gibt in den höchsten Nöthen, darum soll es mir auch kein Feind aus dem Herzen reißen. Der Sinn wäre: je größer die Noch, desto fester soll man sich an Gott halten. Je mehr der Satan wüthet, desto fester muß man sich an Gottes Verheißungen anschließen; ist die Liebe zum Wort Gottes verloren, so ist es bald um die Seele geschehen. - Andere sind der Meinung, David habe von der fleißigen Aufsicht und Bewahrung der Seele gesprochen. - Ich habe auf meine Seele, das theuerste Kleinod, genau Acht, und weil ich weiß, daß ich sterblich bin, und zu allen Zeiten den Tod erwarten muß, so will ich um so mehr Fleiß auf Dein Wort wenden, damit ich dadurch gestärkt und erleuchtet und zum ewigen Leben bewahrt werde. - Dieß geht uns Alle an, und wir sollen über unsere Seele wachen, als über unsern höchsten Schatz. - Viele Menschen tragen Ringe an' den Fingern, schätzen sie ungemein hoch und nehmen sich in Acht, daß sie dieselben nicht verlieren. Möchten doch alle diese sich an jene Worte Davids erinnern: Ein Ring hat oft einen großen Werth; aber die Seele ist kostbarer als alle Ringe der ganzen Welt. Was hilft es nun, kostbare Ringe tragen und bewahren, wenn man gleichgültig ist in der Sorge für seine Seele? Ja, was hilft es, Alles haben, und die Seele verlieren? - Trägt Jemand ein Gefäß mit köstlichen Wassern oder einem theuern Balsam, so ist er sehr vorsichtig, daß er es nicht zerbreche. Wenn du also o Christ, deine Seele täglich in Händen trägst, und nicht weißt, wann sie dir abgefordert wird, - da sie ein Gefäß ist, das Gott mit so herrlichen Gaben angefüllt und Jesus mit seinem Blute erkauft hat, so hast du alle Ursache, deine Schritte und Tritte nach Gottes Wort einzurichten und vorsichtig zu wandeln, damit deine Seele nicht in Gefahr komme und das Blut Christi an ihr nicht verloren gehe. Bitte Gott täglich, daß Er dir Gnade gebe, deine sündlichen Begierden zu bezwingen, deinen Willen zu brechen, und die Sünde, welche in dir wohnt, zu überwinden. Vor Allem aber übergib deine Seele täglich Gott und deinem Heiland Jesu Christo, und bitte Ihn, daß Er sie als Sein Eigenthum in Seinen Schutz nehmen, und an ihr erfüllen wolle, was Er verheißen hat: „Ich gebe meinen Schaafen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und Niemand wird sie aus meiner Hand reißen.“ Wenn Er die Seele nicht bewahrt, so ist sie, auch bei unserer größten Sorgfalt, schlecht bewahrt. Dieß wollen wir nach Anleitung unseres Textes weiter erwägen, und Gott helfe uns durch Christum Jesum. Amen.

Abhandlung.

Die menschliche Seele ist, wie wir oben bemerkt haben, von der Sünde ganz verdorben, und ob sie gleich von Gott in Heiligkeit und Gerechtigkeit erschaffen wurde, so hat doch der Satan gleichsam ihre Wurzel vergiftet und mit Galle und Wermuth übergossen, daher alle ihre Worte, Werke und Gedanken sündlich, bitter und giftig sind, so daß der Herr von ihr sagen kann: Ich hatte dich gepflanzt zu einem süßen Weinstock, aus einem ganz guten Saamen, wie bist du mir denn gerathen zu einem wilden Weinstock? - Leider aber ist es nicht genug, daß die Seele verdorben und von dem Gift der Sünde angesteckt ist; sondern es ist noch mehr zu beklagen, daß die Sünde eine so fruchtbare Mutter ist, und sich so schnell vermehrt. Die Erbsünde verbreitet sich in tausend Arten, und wenn eine Art der Sünde im Herzen überhand nimmt, da bleibt sie nicht allein, sondern zieht viele andere nach sich; sie ist wie ihr Vater, der Teufel, der, wo er Platz in einem Menschen findet, sieben andere böse Geister zu sich nimmt, die ärger sind, als er selbst, also, daß es mit solchem Menschen immer ärger wird. - Wenn also der Satan das Herz des Menschen eingenommen hat, so setzt er sich in demselben immer fester, lenkt und beherrscht es nach seinem Willen. Er treibt die Gottlosen von einer Sünde zur andern, sie verführen Andere durch ärgerliche Reden und Beispiele und lassen sich von Andern, die es ihnen in der Bosheit zuvor thun, immer weiter verleiten. Wie bei den Frommen, durch den Trieb des heiligen Geistes, eine heilige Begierde der andern, ein Seufzer dem andern, ein Lob Gottes dem andern und eine Tugend der andern folgt, so daß sie erfüllt werden mit allerlei Gottes-Fülle, mit Früchten der Gerechtigkeit, und reich an guten Werken; ebenso wächst bei den Gottlosen, durch die Wirkung des Satans, eine Sünde aus der andern, es folgt eine böse Lust verändern, ein Fluch dem andern, eine Bosheit der andern, bis sie mit allerlei Früchten der Ungerechtigkeit erfüllt, ein Greuel vor Gott und seinen heiligen Engeln werden. - Es gibt sogenannte Wucherblumen, welche sich überaus schnell verbreiten, und wenn man in einem Jahr nur einige auf dem Acker stehen läßt, so vermehren sie sich so ungemein, daß sie gar bald das ganze Feld einnehmen und alle Saat ersticken. - So verhält es sich auch mit der Sünde; wenn dieselbe in dem menschlichen Herzen gehegt wird, so ist in wenigen Jahren das Herz so verwildert, daß man sich wundern muß, wie der Mensch in kurzer Zeit so gottlos werden kann. Davon spricht die heilige Schrift in mehreren Beispielen; namentlich sagt David: „Wohl dem, der nicht wandelt im Rath der Gottlosen, noch tritt auf den Weg der Sünder, noch sitzt, da die Spötter sitzen“- Zuerst wird der Mensch verleitet, mit den Gottlosen Rath zu halten, an ihrer Bosheit Lust zu haben und mit ihnen davon zu reden; nachher bringen sie ihn so weit, daß er mit ihnen auf einem Wege wandelt, daß er Gemeinschaft mit ihnen hat, und Alles mitmacht, was sie Böses treiben und thun. Endlich setzt er sich mit ihnen auf den Stuhl der Spötter, und wird so geschickt in der Bosheit, daß er öffentlich mit Gottes Wort Spott treibt und sich bemüht, das gottlose Wesen auszubreiten. - So hat das Heiligthum und der Himmel seine Stufen, durch welche man hinaufsteigt, und die Hölle auch, durch welche man hinabsteigt. Wie die Gläubigen in der Gottseligkeit stufenweise zunehmen, so auch die Ungläubigen in der Bosheit. Man sollte nicht meinen, daß es Menschen gebe, die sich recht eigentlich bemühen, in der Gottlosigkeit so zuzunehmen, daß sie alles Andenken an Gott und göttliche Dinge aus ihrem Herzen vertilgen. Sie können den Widerspruch ihres Gewissens nicht ertragen und suchen dasselbe einzuschläfern; ihre Seele aber wollen sie damit zufrieden stellen, daß sie gar nichts mehr glauben. Diese sind mit Recht die Ersten in der Schule des Teufels, und können als Anführer unter den Spöttern sitzen, um Andere zu verführen. Billig entsetzt sich darüber ein christliches Herz, und wundert sich, daß der Satan die menschliche Seele so weit bringen kann, daß sie nichts mehr von Gott wissen, nichts von Ihm hören und nicht mehr an Ihn denken will. Man staunt darüber, daß der Mensch sein natürliches Licht ganz auslöschen und ein Unmensch, ein wahrer Teufel werden will.- Ach Herr, mein Gott! ist es ein Wunder, daß es dich gereuet, daß Du Menschen gemacht hast? Ein Wunder ist es, daß Du solchen Verruchten so lange zusehen kannst! Ach errette bald deine Kirche von solchen Greueln und Teufeln! Ach eile! Ach komm, Herr Jesu! - Moses vergleicht einen solchen bösen Menschen mit einem Trunkenbold, der auf allerlei Mittel sinnt, um seinen Durst noch zu vermehren, bis er endlich ganz toll wird. So ist es auch wirklich bei den Gottlosen, sie gehen von einer Bosheit zur andern, sie lesen und hören gerne solche Dinge, die sie in ihrem gottlosen Wahn bestärken, sie haben gerne solche Gesellschafter, die mit ihnen gleichen Sinnes sind, finden ihre Lust an schlimmen Reden, und nehmen begierig an, was ihrem Gewissen in der Bosheit Ruhe verschafft. Diese sind es, von denen Hiob bezeugt, daß sie zu Gott sagen: ,Hebe Dich von uns, wir wollen von deinen Wegen nichts wissen! Wer ist der Allmächtige, daß wir Ihm dienen sollen? Oder was nützt es uns, wenn wir Ihn anrufen?„ „Gott ist nichts, und es ist kein Gott, oder wenn es Einen gibt, so achtet er doch nicht auf die Menschen, und es nützt nichts, wenn man auch gleich des Gottesdienstes pflegt; - die Religion ist darum erdacht worden, daß man unverständige Leute damit im Gehorsam erhalte.“ - Dieß ist wohl die höchste Stufe der Sünde, und wenn es einmal so weit mit dem Menschen gekommen ist, so ist der Wunsch und das Verlangen des Satans erfüllt. Gott bewahre uns vor einem solchen Zustand um des Herrn Jesu willen! - - Von dem Wachsthum der Sünde handelt auch der Ausspruch des Erlösers: „Aus dem Herzen kommen arge Gedanken rc. rc.“ Die Sünden hängen oft wie die Glieder einer Kette aneinander. Zuerst zeigen sich böse Neigungen und Begierden im Herzen. Die Seele findet Gefallen daran, hängt denselben mit Luft nach und hegt die Schlangenbrut. Bald folgt das Verlangen nach Gelegenheit, Böses zu thun, und dann die sündliche That selbst, welche der Satan so zu versüßen weiß, daß das verleitete Herz eine große Sehnsucht nach der verbotenen Frucht bekommt. Dieses Verlangen nimmt aber bei dem Genuß nicht ab, sondern wächst vielmehr, weil das Verbotene durch des Satans Wirkung immer süßer ist, als das, was erlaubt ist. Daher sagt Salomo: „Die verstohlenen Wasser sind süße, und das verborgene Brod ist lieblich.“ Die That wird mehrmals wiederholt, daraus entsteht eine Gewohnheit, dann ein Bedürfniß, daß der Mensch meint, er könne nicht leben, wenn er nicht nach seinem sündlichen Willen handelt. Dazu kommt die Entschuldigung und Bemäntelung der Sünde, am Ende noch die Vertheidigung der Bosheit. Der Mensch stellt sich fromm und gibt sich den Schein der Gottseligkeit, er geht in die Kirche, beichtet, genießt das heilige Abendmahl ohne ernstliche Buße, und ohne den festen Vorsatz, von seinen Lieblingssünden abzulassen. Zuletzt zeigt sich völlige Sicherheit, Verachtung Gottes, und ein ruchloses, verkehrtes und verstocktes Herz. - Paulus sagt von den Gottlosen, daß sie Sklaven der Sünde seyen, und daß sie ihre Glieder zum Dienste der Unreinigkeit hergeben und von einer Ungerechtigkeit zu der andern eilen. Ein Herr gewöhnt seinen Knecht immer mehr nach seinem Sinn und Willen und hält ihn in beständiger Arbeit; ist die eine vollbracht, so ist schon wieder eine andere da; ebenso verhält es sich mit dem Dienst der Sünde. Anfangs sündigt der Mensch mit Schaam und Furcht; nachher aber gewöhnt ihn der Satan ganz nach seinem Willen, daß ihm die Missethat eine wahre Lust und Freude wird. Er schreitet von einer Bosheit zur andern und wird endlich ein Meister darin. Die Schrift nennt solche Menschen Uebelthäter, Künstler in der Bosheit, welche mit Fleiß und Mühe, dem Teufel zum Dienst, Gott zum Verdruß und ihrem Nächsten zum Schaden, gleichsam ein Handwerk aus der Sünde machen. Darauf deutet ohne Zweifel der Apostel hin, wenn er spricht: der Fürst der Finsterniß habe sein Werk in den Kindern des Unglaubens. Das Herz der Gottlosen ist die Werkstätte des Satans, er ist der Meister, und die Gottlosen sind seine Gesellen. Sie arbeiten so eifrig an der Sünde, als hätten sie einen großen Gewinn davon zu erwarten. - An einer andern Stelle nennt er dieselben Erfinder von schädlichen Dingen, und Salomo sagt: „ein loser Mensch gräbt nach Unglück.“ Der Gottlose denkt dem Bösen immer weiter nach und vertieft sich je mehr und mehr in der Bosheit. Tag und Nacht gehen solche Leute darauf um, Andern Schaden zuzufügen, sind schlau und wissen ihre Maaßregeln sehr gut zu nehmen. Sie trachten auf ihrem Lager nach Schaden, und können weder rasten noch ruhen, bis sie ihre bösen Plane ausgeführt haben. - Gewöhnlich aber ist es nicht Eine Sünde, welcher der Mensch ergeben ist, sondern es hängt gleichsam eine an der andern, wie bei Simon dem Zauberer, von welchem Petrus sagte: „Ich sehe, daß du bist voll bitterer Galle und verknüpft mit Ungerechtigkeit.“ Bei demselben fand sich nämlich Zauberei, Heuchelei, Hoffart, Geiz, Mißgunst und dergl. Der Satan hatte ihn durch die lange Gewohnheit so in sein Netz verwickelt, daß er sich ohne Gottes besondere Gnade und Kraft nicht mehr davon losmachen konnte. - Wir wollen dieß durch einige Beispiele erklären. Die Brüder Josephs nahmen von einem kleinen Vorzug, welchen der Vater ihrem Bruder gegeben hatte, Veranlassung, ihn zu beneiden. Daraus entstand allmählig ein großer Haß, weßwegen sie kein freundliches Wort mehr mit ihm sprechen konnten; immer suchte ihn Einer dem Andern verdächtig zu machen, und als er einige Träume hatte, verdroß es sie, daß nicht bloß der Vater, sondern auch Gott selbst ihm einen Vorzug zu geben schien, und sie hätten gerne aus Neid den Rathschluß Gottes gehindert, wiewohl sie denselben nachher wider ihren Willen befördern mußten. Sie schmähten ihren Bruder und nannten ihn den Träumer, dann folgte der schreckliche Vorsatz, ihn um's Leben zu bringen. Als Ruben die Ausführung verhinderte, wurden sie Menschendiebe und verkauften ihn! Dadurch betrogen und betrübten sie ihren alten Vater, preßten ihm viele Thränen aus, und stellten sich doch, als hätten sie kein Wasser getrübt, und wollten ihn sogar trösten. Sehet, welch' eine Kette von Bosheit, die der Satan hier geschmiedet hat! - Auf gleiche Weise ging es auch mit David, mit Petrus und mehreren Andern, deren die Schrift erwähnt; immer entsprang eine Sünde aus der andern und endigte zuletzt mit einem schweren Fall. - Sehen wir auf die Vorfälle unserer Tage, so finden wir das Nämliche bei dem eingerissenen Laster der Trunkenheit, bei dem Fluchen, Schwören rc. rc. Die Trunkenheit, die bei Jungen und Alten so gemein ist, hat durch lange Gewohnheit gleichsam ein Recht bekommen, und man hält sie entweder für keine Sünde mehr, oder nur für eine geringe, während sie einen Schwarm von Sünden nach sich zieht und unter die Haupt- und Todsünden gezählt werden sollte. Dieselbe treibt die Furcht Gottes und den heiligen Geist aus dem Herzen, erstickt und ersäuft den edlen Samen des Worts Gottes, läßt den Menschen nicht mehr zum Nachdenken kommen, und hält ihn in beständiger Betäubung, daß er sich nicht besinnen und zu sich selbst sagen kann: was treibe ich doch? Sie verhindert ihn im Gebet, macht, daß er Zeit, Geld und Kräfte verschwendet, macht ihn ruchlos, wild, frech, verwegen, lüstern, unzüchtig. Sie erregt Hader, Zank, Streit, Mord und Todtschlag, und nimmt ihm zuletzt alle Liebe zu den Seinigen aus dem Herzen, daß er dieselben nicht mehr versorgt, sondern versäumt, und also ärger wird, als ein Heide. - Das Fluchen ist gleichfalls eine schwere Sünde, aus welcher alles mögliche Böse entspringt. Es ist geradezu gegen das erste Gebot und setzt den Satan an Gottes Stelle; denn der Mensch, welcher flucht, überträgt die Rache, welche nur Gott zusteht, dem Teufel und setzt diesen zum Richter über die Menschen. Es ist ferner gegen unseren Taufbund, in welchem wir dem Satan und allen seinen Werken und Wesen abgesagt haben. Es macht die Zunge des Menschen zu einem Werkzeug des höllischen Feindes und einer Welt voll Ungerechtigkeit. Es mordet den Menschen, so viel an ihm ist - mit Leib und Seele; es ärgert endlich die Jugend, betrübt alle frommen Christen, die heiligen Engel und den heiligen Geist. - Aus diesem erhellt nun zur Genüge, daß eine Sünde der andern Mutter ist, daß selten eine allein ist, sondern immer eine der andern den Weg bereitet. Dabei aber ist noch zu bedenken, daß die Sünde nicht bloß der Zahl nach mit der Zeit zunimmt, sondern auch an Größe und Stärke. Je länger der Mensch die Sünde in sich herrschen läßt, desto mächtiger wird sie, von ihr heißt es mit Recht: „Je länger, je schlimmer.“ Wie es sich mit einem wüsten Acker verhält, so ist es auch mit dem sündlichen Herzen. Im ersten Jahre findet man auf demselben hie und da Disteln und Dornen, im folgenden vermehrt sich das Unkraut nicht nur, sondern es wird auch größer und stärker, bis endlich eine völlige Wildniß daraus entsteht. Demnach kostet es weit größere Mühe, einen Acker, der viele Jahre lang ganz verwildert war, wieder zu reinigen. Ebenso ist es mit der Sünde, je länger der Mensch derselben ohne Reue und Schaam nachhängt, desto mehr beherrscht sie sein Herz, desto gefährlicher ist sein Zustand. Endlich entsteht eine Gewohnheit daraus, welche macht, daß er die Sünde nicht mehr achtet und nicht mehr für Sünde hält. Daher sagt Jeremias: „Kann auch ein Mohr seine Haut ändern, und ein Parder seine Flecken?“ Ebensowenig könnt ihr Gutes thun, da ihr des Bösen gewohnt send.“ Dieß sind die stolzen und starken Sünden, von denen die Schrift redet, welche durch lange Gewohnheit in Frechheit, Sicherheit und Verstockung ausarten; und ein christliches Herz hat alle Ursache, Gott zu bitten, daß Er es vor denselben in Gnaden bewahren wolle. -

1) Nach diesem soll nun Jeder eine Prüfung mit sich anstellen, um genau zu erforschen, in welchem Zustande er sich befinde. Es läßt sich hier nicht scherzen, es ist auch umsonst, daß man sich selbst heuchle und seine Sünden entschuldige; denn Gottes Gericht untersucht den innersten Grund des Herzens und vor Seinen Augen ist Alles aufgedeckt. Prüfe dich also wohl, o Christ, ob du vielleicht eine Lieblingssünde hast, von der du glaubst, sie habe nicht viel zu bedeuten. Es haben zwar auch die frommen Seelen meistens ihre eigene Sünde, welche ihnen besonders anklebt und von welcher sie nicht so bald ganz befreit werden können. Ohne Zweifel deutet David darauf hin, wenn er sagt: „Ich hüte mich vor meiner Sünde.“ Er war vorsichtig in seinem Wandel, und hatte das Gesetz seines Gottes stets vor Augen; doch fand er bei Untersuchung seines Lebens einige Fehler, zu welchen seine Natur besonders geneigt war, darum nennet er sie seine Sünde. Weil er aber dieselbe erkannte, sich ihr widersetzte, und seinen Gott um Vergebung anrief, wurde sie ihm um des künftigen Sündentilgers willen nicht zugerechnet. - Von solcher Sünde aber reden wir dießmal nicht, sondern von solchen bösen Gewohnheiten, über welche der Mensch so gerne weggeht, die er nicht mehr achtet, unter dem Schein, als hätten sie nichts zu bedeuten. Er geräth z. B. ohne besondere Ursache plötzlich in Zorn, ereifert sich unzeitig, flucht, ist dem Trunk ergeben, scherzt leichtsinnig und liebt unnütze Geschwätze rc. rc. Solche Sünden werden von den Wenigsten nach ihrem Werth erkannt, viel weniger bereut und bei Gott abgebeten. Denn der Mensch spricht sich selbst davon frei, und weil sie in seinen Augen gering sind, also müssen sie in den Augen Gottes auch gering seyn. Laß dich aber davon recht unterrichten, und denke der Sache in der Furcht Gottes fleißig nach, so wirst du ohne Zweifel andern Sinnes werden. In Sachen, welche die Seligkeit oder die Verdammniß betreffen, soll man nichts gering achten; thut man ja dieß auch in dem, was den Leib angeht. - Wer will sich entschließen, mit Wissen und Willen auch nur ein wenig Gift zu nehmen? Wenn eine Mücke in's Getränk fällt, so eckelt es Manchem davor, und er will es nicht trinken. Sollten wir denn für unsere Seele weniger sorgen, als für den Leib? - Die Sünde hat einen ganz kleinen Anfang; aber ihr Ende ist schrecklich. - Wenn du z. B. verwundet wirst, so ist es zuerst eine ganz feine Spitze, welche deine Haut durchbohrt und dem größeren Theil des Degens Bahn macht. Ebenso zieht sich das Wasser anfangs durch eine kleine Ritze in das Schiff, doch wenn dieselbe nicht verstopft wird, so ist sie stark genug, das Schiff zu versenken. - Die Schrift vergleicht die Sünde mit Stricken und Seilen. Es ist aber bekannt, daß dieselben nicht so groß und dick aus der Erde wachsen, sondern aus kleinen und schwachen Fäden gedreht werden, viele zusammen aber geben endlich ein starkes Seil. So verhält es sich mit der Sünde; viele kleine Sünden machen einen großen Strick, womit der Sünder an Händen und Füßen gebunden in's höllische Feuer geworfen wird. - Was ist feiner, als der Faden einer Spinne? Jedoch, wenn sie eine Fliege in ihrem Gewebe erhascht, kann sie dieselbe so darein verwickeln, daß sie sich nicht mehr bewegen kann. Auf gleiche Weise verfährt der Satan mit den Menschen. Er stellt ihnen die Sünden klein vor Augen und verblendet sie, daß sie ihre Sicherheit nicht bemerken; und Mancher wird, ohne daran zu denken, in des Satans Netze so verwickelt, daß er nur durch Gottes gnädige Hand daraus befreit werden kann.

Ebenso ist, wie wir oben bemerkten, nicht aus der Acht zu lassen, daß keine Sünde allein ist, keine allein bleibt, wenn man nicht darauf achtet. Das Unkraut geht anfangs klein und einzeln auf, wenn es aber einige Wochen Zeit hat, so breitet es sich aus, und nimmt so zu, daß es die guten Pflanzen erstickt und verderbt. Die kleinen Diebe schlüpfen öfters durch eine kleine Oeffnung in das Haus, sie machen aber den großen die Thüre auf; die kleinen Sünden bereiten den größeren den Weg. Wer gegen seine Lieblingssünden, die er für gering hält, nachsichtig ist, der hat oft sieben Greuel, ja sieben Teufel im Herzen, ohne daß er es glaubt. Eben das macht die kleine Sünde groß, weil sie nicht geachtet, nicht bereut, sondern geliebt und entschuldigt wird. Darum sagt der heilige Chrysostomus sehr schön: „Man hat sich nicht mit so großem Fleiß vor den großen Sünden zu hüten, als vor den kleinen; denn jene schrecken uns durch ihre Abscheulichkeit selbst ab, diese aber machen uns nachläßig, weil sie gering in unsern Augen scheinen. Wir widersetzen uns denselben nicht mit dem gehörigen Ernst, und weil wir sie verachten, bemühen wir uns auch nicht, ihrer los zu werden.“- Endlich müssen wir aber auch bedenken, daß keine Sünde an und für sich und vor Gott klein ist, wie gering sie auch dem sichern menschlichen Herzen dünken mag. Zwar sind nicht alle Sünden gleich, doch ist keine so gering, welche nicht den zeitlichen und ewigen Tod nach sich zieht, wenn Gott nach seiner Gerechtigkeit richten will. Wie sollte das für eine christliche Seele gering und klein seyn, was dem heiligen Willen des großen Gottes entgegen ist? - Alle Sünde ist unrecht und wider Gottes Gesetz, und zieht also den Fluch des Gesetzes nach sich. Daß aber einige Sünden für unschädlich erklärt werden, das kommt nicht von der Betrachtung ihrer Natur, oder von ihrer Größe und Geringfügigkeit her, sondern man kann dieß in Beziehung auf die Person sagen, welche solche Fehler an sich hat. Die Wiedergebornen haben nämlich auch noch ihre Fehler und Mängel, welche ihnen aber nicht zugerechnet werden, und also unschädlich sind, weil sie durch den Glauben mit Christo vereinigt in steter Buße leben und die Sünde in sich nicht herrschen lassen, wie Paulus sagt: „So ist nun nichts Verdammliches an denen, die in Christo Jesu sind, welche nicht nach dem Fleische, sondern nach dem Geiste leben.“ Ihre Sünden sind zwar verdammlich, oder der Verdammniß wohl werth, sie werden ihnen aber um des Herrn Jesu willen, dem sie im Glauben anhängen und im Leben nachzufolgen streben, nicht zugerechnet. Dieß läßt sich durch ein Gleichniß erklären. - Von dem Apostel Paulus wird bekanntlich erzählt, daß ihm auf der Insel Malta eine Otter an die Hand gefahren sey, da er eben Reiser sammeln und in's Feuer werfen wollte. Er blieb unbeschädigt, obgleich alle Umstehenden glaubten, er werde todt niederfallen. Das Thier war giftig und schädlich; aber es konnte dem Apostel nichts anhaben, weil das Leben und die Kraft Jesu in ihm war. - So sind auch die Sünden und Fehler der Gläubigen an und für sich schädlich und verdammlich, doch nicht ihnen, um ihrer Vereinigung mit Christo willen. Wer aber außer Christo und außer dem Stande der Gnade ist, der darf sich nicht darauf berufen. Außer Christo sind alle diejenigen, welche noch Freude an irgend einer Sünde haben und sie mit Luft vollbringen. - Ich sage absichtlich an Einer Sünde; denn gesetzt auch, ein Mensch wäre fromm, ginge fleißig zur Kirche, zur Beichte und zum heiligen Abendmahl und führte einen ehrbaren, unsträflichen Wandel; er würde sich aber einer einzigen Sünde schuldig machen, dieselbe nicht bereuen, sondern darin fortfahren bis an's Ende, so reicht diese allein hin, um ihn in der Gewalt des Satans zu erhalten und in das ewige Verderben zu stürzen. Eine herrschende Sünde kann mit dem Glauben nicht bestehen; außer dem Glauben aber ist nichts als Hölle und Verdammniß. Hier hilft kein äußerer Gottesdienst, kein Beten, kein Beichten; so lange noch eine Lieblingssünde im Herzen herrscht, ist dasselbe ein Greuel vor Gott und macht alles Andere zum Greuel. Solche Menschen gleichen einem Vogel, welchen Kinder gefangen und ihm einen Faden an den Fuß gemacht haben. Er flattert zwar und möchte sich gerne los machen, er kann aber nicht, sondern wird immer wieder niedergezogen und bleibt seiner Anstrengung ohngeachtet immer in den Händen der Kinder. - Achab, der gottlose König, war an seinem ganzen Leibe bewaffnet, doch war es zu seinem Tode genug, daß der Pfeil nur eine bloße Stelle zwischen seinem Panzer fand und dadurch in seinen Leib drang. Ein Scorpion sticht den Menschen bloß an Einer Stelle; aber das Gift dringt bald in den ganzen Körper. So geht es auch mit einer einzigen, unbereuten Sünde. - Diese Behauptung kommt aber nicht bloß von Menschen her, sondern beruht ausdrücklich auf deutlichen Aussprüchen der heiligen Schrift. Unser Heiland sagt: der Zorn allein oder das feindselige Herz gegen den Nächsten sey hinreichend, um unser Opfer, und unsern ganzen Gottesdienst verwerflich zu machen, und uns in die Hölle zu stürzen. Jakobus spricht: „So sich Jemand lasset dünken, er diene Gott, und hält seine Zunge nicht im Zaum, sondern verführet sein Herz, dessen Gottesdienst ist eitel. Ferner: So Jemand das ganze Gesetz hält, und sündigt an Einem, der ist es ganz schuldig.“ - - Daraus erhellt, daß wir in unserem Christenthum nicht schläfrig und sicher seyn dürfen, sondern unsere Wege fleißig betrachten und Alles genau untersuchen sollen, damit es uns nicht gehe, wie dem Bischof zu Laodicea, der da sagte: „Ich bin reich, und habe gar satt, und bedarf nichts;“ da er doch vor Gott elend, jämmerlich, arm, blind und bloß war. Lasset uns Gott bitten, daß er uns die Gnade verleihe, unsere unerkannten Sünden und unsere verborgenen Fehler zu erkennen und„ sie in der Kraft Jesu zu überwinden. Lasset uns den festen Vorsatz fassen, unsere Lieblingssünden unter dem Beistand des heiligen Geistes abzulegen und weder im Großen noch im Kleinen dem heiligen Willen Gottes zuwider zu leben. Es koste, was es wolle, es sey dem sündlichen Fleisch lieb oder leid, die Welt sehe süß oder sauer dazu, es muß schlechterdings heißen: Weichet von mir, ihr Boshaften, ich will halten die Gebote meines Gottes. Es darf keine einzige Sünde in unserer Seele herrschen; sondern Jesus allein, mit seiner Gnade und seinem Geiste, soll in uns leben und regieren. - Dabei ist zu erinnern, daß es uns nicht befremden, viel weniger verzagt machen darf, wenn wir die Sünden nicht sogleich ganz überwinden können. Denn der Sieg des Christen besteht im Glauben und im Kampfe des Glaubens; die Sünde wird überwunden, aber sie kann nie ganz ausgerottet werden; sie wird von Tag zu Tag mehr geschwächt und ihr stets der neue heilige Vorsatz und die Kraft Jesu Christi entgegengesetzt. Wenn auch die Sünde sich noch manchmal in den Gläubigen regt, und sie übereilt, so hat sie doch die Herrschaft nicht, weil sie schnell erkannt, bereut, beweint und bei Gott abgebeten wird. So lange der Mensch die Sünde für Sünde hält und dieselbe ihm so wichtig ist, daß er sie seinem Gott mit Thränen klagt, um Gnade und um den Beistand des heiligen Geistes bittet, so lange ist er in einem guten Zustand, und seine Besserung wird ohne Zweifel bei einer solchen Uebung täglich wachsen. - Luther schreibt darüber sehr treffend: „Dieß Leben ist nicht Frömmigkeit, sondern ein Frommwerden, nicht eine Gesundheit, sondern ein Gesundwerden, nicht eine Ruhe, sondern eine Uebung, wir sind es noch nicht, wir werden es aber; es ist noch nicht gethan und geschehen, es ist aber im Gang.“ Ferner: „Das ist die reiche Gnade des neuen Testaments, und eine übergütige Barmherzigkeit des himmlischen Vaters, daß wir durch die Taufe und Buße anfangen, fromm und rein zu werden; die Sünden aber, die noch in uns sind, die ausgetrieben werden müssen, hält er uns zu gut, um der angefangenen Frömmigkeit, der beständigen Uebung und des fortwährenden Kampfes willen, und will uns dieselben nicht zurechnen, wie er wohl von Rechtswegen könnte. Damit wir aber vollkommen rein werden, darum hat er uns einen Bischof gegeben, Christum, der ohne Sünde ist, und dieser soll für uns stehen, so lange, bis wir auch Ihm gleich, ganz rein werden.“

2) Können wir aus der Lehre von dem Wachsthum der Sünde lernen, daß es überaus gefährlich und höchst schädlich sey, seine Bekehrung in die Länge zu ziehen, von einem Tag zum andern zu verschieben, und in wissentlichen Sünden zu verharren. - Ein berühmter Lehrer des Mittelalters pflegte zu sagen: Eines könne er nicht verstehen, noch begreifen: wie ein Mensch, der in einer Todsünde außer dem Gnadenstand lebe, lachen oder noch eine Freude in der Welt haben könne? Dieser gute Mann hat sich wohl nicht ohne Ursache darüber verwundert, weil ein solcher Mensch sich in den Händen des Satans befindet, außer der Gemeinschaft Jesu Christi lebt und lebendig in's Reich des Teufels gehört, und nur durch die große Güte und Langmuth Gottes bisher vor der Hölle bewahrt worden ist. Daß ein Mensch der Art lachen, essen, trinken, schlafen, sicher und fröhlich seyn kann, das ist eine Wirkung des Satans, der ihn verblendet, daß er die Gefahr seiner armen Seele nicht sieht. Gott erleuchte solche Unglückliche, und bewahre uns in Gnaden vor diesem Zustand. - Sollte es aber geschehen, o Christ, daß du durch die Verführung des Teufels in eine Sünde willigst, so verziehe nicht, dich zu dem Herrn zu bekehren, und schiebe es nicht von einem Tage zum andern auf. Bedenke, daß du in die Netze des Satans gefallen bist, und laß ihm nicht Zeit, dich immer mehr zu bestricken. Je länger du in der Bußfertigkeit dahin gehst, desto mehr wird die Sünde in deinem Herzen überhand nehmen und die Furcht Gottes sich verlieren. Wenn man einigemal über einen gepflügten und eingesäten Acker fährt, so sieht man, wohin man gefahren ist; geschieht es aber oft, so wird endlich ein gebahnter Weg daraus. Doch gewöhnlich bleibt es nicht dabei; sondern wenn der erste Weg ausgefahren und zu tief geworden ist, so macht man noch, andere daneben, bis endlich der Acker ganz verdorben ist. Ebenso geht es auch mit unserem Herzen; es ist gefährlich, einmal zu sündigen, wenn aber der Satan durch wiederholte Uebertretungen Macht bekommt über unser Herz, so wird es täglich mehr verhärtet, und geräth von einer Bosheit in die andere. Der Verstand wird täglich mehr verfinstert, der Wille verkehrt, die bösen Begierden werden gestärkt, das Gewissen wird eingeschläfert und der ganze Mensch entfernt sich je mehr und mehr von Gott. Denn der Apostel lehrt, wenn der Verstand verfinstert sey und die Blindheit und Verhärtung des Herzens überhand genommen habe, so werde der Mensch nicht allein, von dem göttlichen Leben entfremdet, sondern er werde auch ruchlos, unempfindlich und verstockt. Sein Gewissen erinnere ihn nicht mehr, daß er ganz böse sey, und allerlei Sünden mit Lust begehe. Daher sagt der Heiland: „Der Teufel nehme das Wort von dem Herzen, daß solche Menschen nicht glauben und selig werden.“

O wie entsetzlich, daß es Manche dahin kommen lassen!

Fällt der Mensch in eine vorsätzliche Sünde, so muß der Glaube, welcher in dem zuversichtlichen Vertrauen auf Christi Verdienst besteht, weichen und die Vereinigung mit Christo muß aufhören. Denn muthwillige Sünden können mit dem Glauben so wenig bestehen, als das Licht mit der Finsterniß. Auch der heilige Geist wird dadurch betrübt und in sofern verloren, als er sich in dem innerlichen Zeugniß von der Kindschaft Gottes und andern Früchten des Glaubens, - in der Liebe und Furcht Gottes, in dem Gebet, in dem Frieden des Gewissens und der Freudigkeit des Herzens nicht mehr so kräftig zeigt, wie früher. Doch bleibt das Wort und die Gnade Gottes noch bei dem Menschen, nicht allein innerlich im Gedächtniß, sondern auch äußerlich, durch getreue Seelenhirten vorgetragen, wodurch der heilige Geist noch immer fortarbeitet und denselben zur Buße ruft. Widerstrebt er dieser Wirkung nicht, sondern geht er in sich, erkennt und bereut seine Sünde, so fährt der heilige Geist in dem angefangenen Werke fort und zündet allmählig den erloschenen Glauben wieder an. Findet er aber seine Freude an der begangenen Sünde und scheut sich nicht dieselbe fortzusetzen, so wird der noch übrige Saame des göttlichen Worts vollends erstickt, der heilige Geist tritt zurück, die inneren Anregungen hören auf und der Mensch fällt je länger je mehr aus der Gnade Gottes in die Tiefe der Sünde und Sicherheit; oder wie Christus sagt: sein Herz wird zu einem harten, gebahnten Wege, und der Teufel nimmt das Wort von seinem Herzen. Also nimmt die Sünde und Sicherheit bei dem Menschen zu, und die Ungnade und der Zorn Gottes auch, wie Paulus lehrt: „Du aber nach deinem verstockten und unbußfertigen Herzen - häufest dir selbst den Zorn, auf den Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichts Gottes.“ Das Sündenregister wird immer größer, und die Rechnung schwerer, wie auch die Buße und Bekehrung.

Darum eile und rette deine Seele! Eile, dränge und treibe dich selbst, laß deine Augen nicht schlafen, noch deine Augenlieder schlummern, errette dich wie ein Reh von der Hand des Jägers, und wie ein Vogel aus der Hand des Vogelfängers. Heute, da du des Herrn Stimme hörest, verstecke dein Herz nicht; suche den Herrn, weil er zu finden ist, rufe Ihn an, weil er nahe ist. Thue Gutes, weil du noch Zeit hast.“ Siehe, jetzt noch wird dir die Gnade angeboten, jetzt noch steht dir die Himmelsthüre offen, jetzt hast du noch Zeit und Mittel, Buße zu thun und dich zu Gott zu bekehren. Wirst du das nicht erkennen, und die angebotene Gnade nicht annehmen, so wisse, daß eine Zeit kommen wird, da leine Zeit mehr seyn und die Gnadenthüre verschlossen wird. Der barmherzige und langmüthige Gott, der dir jetzt die Versöhnung anbieten läßt, ist nicht schuldig, dieß allezeit zu thun. Er hat nirgends verheißen, dir die Himmelsthüre so lange offen zu lassen, bis du dich genug in Sünden gewälzt, die Lust der bösen Welt zum Ueberdruß genossen hast und ihrer nun satt geworden bist. - Wie viele Beispiele hat man, daß den Unbußfertigen die früher verachtete Gelegenheit zur Buße entgangen ist, und daß sie der Tod in allen ihren Sünden übereilt hat, ehe sie daran dachten? Wer gibt dir nun die Versicherung, daß dir nicht auch das Gleiche widerfahren werde? Spare also deine Buße nicht bis in's Alter; denn wie wirst du dann erst Augen und Hände zu Gott erheben und Ihn um Gnade bitten dürfen, da du dein Lebenlang nie recht an Ihn gedacht, Sein Wort verachtet und Seine Gnadenmittel verspottet' hast? Da du den Kern deines Lebens dem Teufel geopfert hast, wie wirst du es wagen dürfen, dem heiligen und gerechten Gott die Hülsen zu bringen? Hat dich denn Gott dazu erschaffen, und dein Lebenlang ernährt, beschützt und erhalten? Hat Er dich deßwegen so theuer durch das Blut Seines Sohnes erlöset, daß du deine beste Lebenszeit im Dienst der Sünde zubringen, und wenn du zu nichts mehr taugst, dich Ihm hingeben sollst? Thut Er dir Unrecht, wenn Er dich in deiner Sicherheit dahin gehen läßt? - Ich will zwar gerne zugeben, daß die Gnade und Barmherzigkeit Gottes so groß ist, daß Er die aufrichtige Sinnesänderung der Alten gnädig ansieht; doch ist kein Zweifel, daß die Buße derer, die in Sünden alt geworden sind, sehr schwer werde. Denn weil bei ihnen aus der Bosheit eine Gewohnheit geworden ist, weil es ihnen an der nöthigen Bekanntschaft mit Gottes Wort fehlt, weil sie nie recht, gelernt haben, ihre Sünden, sich selbst und ihren Erlöser Jesum Christum zu erkennen, weil endlich ihr Herz verwildert, hart und verstockt ist, so sind meistens alle Ermahnungen umsonst, und wenn man sie auch dahin bringt, daß sie beten, beichten und das heilige Abendmahl genießen, so ist doch zu befürchten, daß dieses ihrer vorigen Gewohnheit nach in Heuchelei, Sicherheit und Unbußfertigkeit geschehe. Ein junger Baum läßt sich wohl verpflanzen; aber mit einem alten, der seine Wurzeln tief eingeschlagen und ausgebreitet hat, geht es selten an. Wie thöricht handeln daher diejenigen, welche ihre theure Seele so auf's Spiel setzen? - Spare auch deine Buße nicht bis auf das Siechbett, oder bis zum Tod; denn du weißt nicht, wie es mit dem Ende deines Lebens gehen wird. O wie Viele von denen, mit welchen du umgegangen bist, hat der Tod unvermuthet weggerafft! Viele Tausende übereilte der Tod, ohne sie vorher durch Krankheiten auf seine Nähe aufmerksam gemacht zu haben. Nun bist du aber nicht versichert, daß dir das Gleiche nicht auch begegnen werde. Wenn es also ein Augenblick ist, an welchem die Ewigkeit hängt, was für eine Thorheit ist es, daß der Mensch so sicher dahin geht und seine Seele so leichtsinnig daran wagt! - Siehe, o Christ, ich muß bereit seyn, indem ich dieß schreibe, auf den Wink Gottes diese Welt zu verlassen, und in die Ewigkeit zu gehen, und du auch, indem du dieses liesest. Wir haben von der Zukunft keine Gewißheit; warum wollen wir also das, wovon unsere Seligkeit oder Verdammniß abhängt, auf's Ungewisse wagen? - Gesetzt aber, daß du auf deinem Krankenbette noch Zeit hättest, dich zu besinnen, und an dein voriges Leben zu denken; bist du denn versichert, daß du auch die Gnade zur Buße haben wirst? Buße thun, an Christum glauben, sich zu Gott bekehren, sind keine Werke, die in des Menschen Kraft und Willen stehen, sondern in Gottes Gnade, welche Er giebt, wem Er will; wenn Er sie dir aber wegen deiner beharrlichen Unbußfertigkeit nicht geben wollte, würde Er dir Unrecht thun? Wie, wenn dich das treffen würde, was du so oft in der Kirche gesungen, aber nie recht beherzigt hast:

Und wenn er (der Gottlose) nicht mehr leben mag,
So hebt er an eine große Klag,
Will sich erst Gott ergeben.
Ich fürcht' fürwahr, die göttlich Gnad',
Die er all'zeit verspottet hat,
Wird schwerlich ob ihm schweben.

Wie, wenn es dir alsdann ginge, wie vielen Andern, welchen auf ihrem Todtenbette nichts anders in den Sinn kam, als was sie in ihrem Leben wünschten und liebten, nämlich Geld, Spiel, Wollust und dergleichen? -Jener Geizhals hatte kurz vor seinem Tode 300 Dukaten, binnen 3 Jahren zahlbar, ausgeliehen. Ob ihn gleich sein Beichtvater, wie seine Freunde und Bekannte ermahnten, an Gott zu denken, und sich um seine Seligkeit zu bekümmern, so redete er doch immer von seinen 300 Dukaten und wiederholte es so oft, bis er starb. Von einem ruchlosen Menschen aus Rom meldet die Geschichte, daß er sich mit dem Teufel in ein Bündniß eingelassen habe. Dieses enthielt unter Anderen auch die Bedingung, daß der Satan ihm drei Tage vorher sein Ende anzeigen solle. Dieser hielt Wort und machte ihm auf die bestimmte Zeit seinen Tod bekannt. Darauf ließ Jener die Geistlichen zu sich rufen - entdeckte ihnen die Gefahr seiner Seele und bat um Rath und Hülfe. Als sich diese seiner eifrig annahmen, um ihn von der Hölle zu befreien, überfiel den Gottlosen ein tiefer Schlaf, aus welchem er durch keine gewöhnlichen Mittel zu erwecken war. Sobald aber die Anwesenden von schändlichen Dingen, von der Welt und deren Lüsten redeten, so erwachte er. Gingen sie dann auf den Zustand seiner Seele, auf die Nothwendigkeit der Buße und Sinnesänderung über, so schlief er schnell wieder ein, bis er endlich in diesem unseligen Zustande am dritten Tage den Geist aufgab. Das heißt auf Gnade sündigen und mit Ungnade belohnt werden; das heißt seine Buße bis aufs Todtenbett verschieben, und alsdann ohne Buße sterben. Wenn du nun, o Mensch, solchen Leuten in ihrem gottlosen Wesen gleichen willst, könnte es dich befremden, wenn Gott dein Ende dem ihrigen gleich seyn ließe? - Hierüber sagt Luther: „Wiewohl Gott Gnade und Vergebung verheißen hat, so hat er doch nicht verheißen, daß du eben so gewiß nach dem Fall wieder kommen werdest. Es steht nicht in unserer Macht, die Gnade zu ergreifen, und du weißt nicht, ob du auch die Vergebung, welche dir angeboten wird, annehmen kannst. Darum soll man Gott fürchten, welcher der Vermessenheit wie der Verzweiflung Feind ist.“ Ferner: „Je größer die Gnade und Barmherzigkeit Gottes ist, je weniger soll man dieselbe mißbrauchen. Wer gefallen ist, der soll zu Gottes Gnade seine Zuflucht nehmen, da wird er sehen, wie schwer es sey, bis man sich trösten und aufrichten läßt; wenn man aber den Trost ergriffen hat, so ist die Sünde schon geheilt. Willst du dich aber auf Gottes Güte und Gnade verlassen, und wissentlich und vorsätzlich seine Gebote übertreten, so ist große Gefahr dabei, ob du auch die Vergebung in seinem Sohn erhältst; gleich wie Judas, Saul, Absalom rc. derselben nicht haben begehren können, weil sie zuvor so verstockt gewesen sind, daß sie auf Gottes Gnade und Barmherzigkeit hin gesündigt haben.“ Endlich: „Sey deßhalb nicht sicher, Böses zu thun, daß Gutes daraus komme; denn obwohl viele Beispiele von Gottes Gnade und Barmherzigkeit in der Schrift stehen, so ist doch Gefahr dabei, daß diejenigen, die so ganz ohne Furcht sind, vom Tode übereilt werden, und in die Hölle fahren, ehe sie Zuflucht nehmen können zu der Barmherzigkeit ihres Gottes. Du wirst aber dabei noch, obschon du dich nach der Gnade sehnest, zugleich einen schrecklichen Kampf mit dem Gesetze, mit der Natur und der Gewohnheit fühlen, ja mit der ganzen Welt, welche diesem Glauben und Vertrauen auf die Seligkeit widerstrebt. Darum können wir denselben mit unsern Kräften nicht hervorbringen; es ist kein selbst erworbener Glaube, sondern wie Paulus sagt: Es ist Gottes Gabe, und kommt nicht aus uns selbst.“ So weit Luther; diesem stimmt der gottselige Gerhard bei, indem er sagt: „Warum verziehen wir, daß wir unsere Buße so weit verschieben, und wollen immer morgen, morgen erst fromm werden? Steht es doch nicht in unserer Macht, den morgenden Tag zu erleben, so vermögen wir auch nicht aus eigener Kraft von Sünden abzustehen, und rechtschaffene Buße zu thun. Gott hat denen Gnade und Vergebung der Sünden zugesagt, die sich zu Ihm bekehren, aber nicht jedem sichern Sünder geradezu verheißen, daß er ihm diese Gnade geben wolle, damit er sich bekehren solle und müsse.“ Darum müssen wir beständig seufzen, die Sicherheit ablegen, und uns hüten, daß wir nicht in des Teufels Gewalt kommen, und von Gott verlassen werden mögen.„ - Damit aber die ruchlosen Sünder, welchen diese Lehre hart scheint, nicht meinen, als ob bloß einige Eiferer die Sache so genau nehmen, während Gottes Wort nicht so strenge sey, so geben wir ihnen folgende Sprüche zu erwägen: „Mein Volk gehorcht Meiner Stimme nicht, und Israel will Mein nicht, so hab' Ich sie gelassen in ihres Herzens Dünkel, daß sie wandeln nach ihrem Rath. Weil Ich denn rufe und ihr weigert euch, Meine Hand ausrecke, und Niemand achtet darauf, und ihr lasset fahren allen Meinen Rath, und wollet Meiner Strafe, (meines Unterrichts und meiner Ermahnung) nicht, so will Ich auch lachen über euren Unfall, und eurer spotten, wenn da kommt, was ihr fürchtet, wie ein Sturm, wenn Angst und Noth über euch hereinbricht. Alsdann werden sie Mir rufen, aber Ich werde nicht antworten, sie werden Mich frühe suchen und nicht finden rc. rc.“ „Es ist das Licht, sagt der Erlöser, noch eine kleine Zeit bei euch. Wandelt, dieweil ihr das Licht habt, daß euch die Finsterniß nicht überfalle; wer in Finsterniß wandelt, weiß nicht wohin er geht; glaubet an das Licht, dieweil ihr's habet, auf daß ihr des Lichts Kinder seyd. Darum lasset uns schaffen, daß wir selig werden, mit Furcht und Zittern“- Zwar pflegen die unbußfertigen Sünder sich auf den bekehrten Schächer zu berufen, aber es mag sie wenig helfen; denn was mit ihm vorging, ist ein besonderes Beispiel der göttlichen Güte und Barmherzigkeit, aus dem man nicht schließen kann, daß der gerechte Gott diejenigen Alle, welche ihre Buße bis an ihr Ende verschieben und seine Gnade verachten, auf gleiche Weise behandeln werde. Wenn tausend Personen eine giftige Speise genossen hätten und alle bis auf einen daran gestorben waren, wolltest du dieselbe auch kosten und dir Hoffnung zum Leben machen? Zudem ist zwischen dem Schacher und den heutigen Gottesverächtern ein großer Unterschied. Jener hatte bis dahin entweder nichts von Christo gehört, oder keine Gelegenheit gehabt, Ihm nahe zu seyn; er hielt sich als Verbrecher in einsamen Gegenden auf und durfte sich da, wo Christus lehrte, nicht öffentlich sehen lassen. So bald er aber den Herrn sah und hörte, nahm er die Gnade an, die ihm angeboten ward. Diesen dagegen ist die Gnade Gottes in Christo von Jugend auf angetragen, sie haben in der Taufe mit Gott einen Bund gemacht, haben die Mittel zur Seligkeit, das Wort und die heiligen Sakramente, und verachten doch Alles. Wie können sie sich also mit dem Beispiel des Schächers trösten? Ferner bedenke man:

  1. Erkannte der Schächer seine Sünde mit Reue und Leid.
  2. Läßt er sich das Gericht Gottes, das um seiner Sünde willen über ihn kam, in Demuth gefallen, und gibt zu, daß er die Strafe wohl verdient habe.
  3. Sucht er nicht des Kreuzes und der Strafe, sondern nur seiner Sünden und der göttlichen Ungnade loszuwerden.
  4. Straft und warnt er seinen Mitgenossen.
  5. Wendet er sich mit ganzem Herzen von Allem ab, was in der Welt ist, zu dem gekreuzigten Herrn Jesu, nennt Ihn einen Herrn, ob er wohl in der größten Verachtung am Kreuze hing, bittet, daß Der seiner am Besten gedenken wolle, welchen alles Volk für einen Fluch hielt, schreibt Dem ein Königreich zu, der nichts in der Welt, als das schmähliche Kreuz hatte, und sucht seine Seligkeit bei Dem, der mit ihm zum Tode verurtheilt war. -

Dieß waren Zeichen eines großen Glaubens, zeige mir einen solchen bei einem Gottlosen, der sein Lebenlang in Sünden, Sicherheit und Unbußfertigkeit zugebracht hat und sich zuletzt bekehren will, so wollen wir ihn in die gleiche Klasse mit jenem Schacher setzen. Du wirst selten Einen finden; darum schließe ich mit den Worten Sirach's: „Spare deine Buße nicht, bis du krank wirst; sondern bessere dich, so lange du noch sündigen kannst. Verziehe nicht, fromm zu werden, und warte nicht mit der Besserung deines Lebens bis zum Tod; willst du Gott dienen, so laß es dir ein Ernst seyn, auf daß du Gott nicht versuchest.“

3) Müssen wir uns mit allem Fleiß vor der Wiederholung der einmal bereuten Sünden hüten, weil wie in leiblichen, also auch in geistlichen Krankheiten nichts gefährlicher ist, als der Rückfall. Die Schrift spricht darüber sehr ernstlich: „Ich bin des Erbarmens müde, sagt Gott durch den Propheten Jeremias.“ Ich hatte oft beschlossen euch um eurer Sünden willen zu strafen; aber aus lauter Gnade und Barmherzigkeit und in der Hoffnung, daß ihr euch bessern werdet, verschonte ich euch bisher. Ihr achtet aber auf Meine Langmuth nicht und ziehet Meine Gnade auf Muthwillen; ihr stellt euch bisweilen, als wären euch eure Sünden leid, allein es ist nichts als Heuchelei. Weil ihr nun nicht müde werdet zu sündigen, so will Ich endlich des Erbarmens und Verschonens müde werden und meine Gnade von euch wenden. - Daraus folgt, daß, so groß auch die Barmherzigkeit Gottes ist, dennoch diejenigen, welche sie mißbrauchen und in ihre vorigen Sünden zurückfallen, befürchten müssen, daß Er endlich des Erbarmens müde werde und sie von seinem heiligen Angesicht verstoße. Denn wer will einem rückfälligen Sünder die Versicherung geben, daß er, so lange er in seinem Leichtsinn beharrt, immer die Gnade zur Bekehrung haben werde? Wie, wenn Gott des Erbarmens müde würde und ihn in seinen Sünden plötzlich sterben ließe? Zwar ist Gottes große Güte und Langmuth an Vielen sehr zu bewundern und zu preisen; doch pflegt Er, damit sie nicht endlich gar verspottet werde, auch seine Gerechtigkeit an Einigen zu zeigen, wie die Erfahrung lehrt. - Hieher gehört der Ausspruch Christi: „Wenn der unsaubere Geist von dem Menschen ausfährt, so durchwandelt er dürre Stätte, suchet Ruhe und findet sie nicht, so spricht er: ich will wieder umkehren in mein Haus, daraus ich gegangen bin. Und wenn er kommt, so findet er's mit Besemen gelehret und geschmücket. Dann geht er hin und nimmt sieben Geister zu sich, die ärger find als er selbst, und wenn sie hineinkommen, wohnen sie da, und es wird nachher mit demselben Menschen ärger, denn vorhin.“ Gleich stark spricht sich Petrus darüber aus: „Denn so sie entflohen sind, der Unreinigkeit der Welt durch die Erkenntniß des Herrn und Heilandes Jesu Christi; werden aber wieder in dieselbe verflochten und überwunden, so ist mit ihnen das Letzte ärger geworden, als das Erste. Denn es wäre besser, daß sie den Weg der Gerechtigkeit nie erkannt hätten, als daß sie ihn erkennen und sich wenden von dem heiligen Gebot, das ihnen gegeben ist etc.“ Demnach ist alles Wiederkehren zu der einmal verlassenen Sünde sehr gefährlich, auch ist die Verdammniß derer, welche mehrmals durch den heiligen Geist von dem Wege der Sünde abgewendet wurden, und ihre Zuflucht zu Christo genommen, sich seiner Gnadenmittel bedient, ihren Taufbund erneuert, und ihrem Herrn versprochen haben, daß sie Ihm hinfort dienen wollen, viel schwerer, wenn sie wieder rückfällig wer. den und alles frühere hintansetzen. Wer sein erneuertes Taufgelübde bald wieder vergißt und bei der ersten Gelegenheit dem Satan und der Welt dient, in wissentliche, muthwillige Sünden ohne Kampf und Widerstand fällt und darin mit Luft beharrt, bis ihn abermals eine vorübergehende Andacht ankommt, oder bis er aus dem Kalender sieht, daß es Zeit sey, zum heiligen Abendmahl zu gehen, der wird billig für einen leichtsinnigen, gottlosen Menschen gehalten und man thut ihm nicht Unrecht, wenn man seine Buße für Spott und seinen Gottesdienst für Heuchelei hält. Denn wie kann es demjenigen Ernst seyn mit der Buße, welcher kaum von der Beichte kommt, und alsbald wieder muthwillig sündigt? Muß man nicht glauben, daß er sich nur mit dem Munde zu Gott nahe, und mit seinen Lippen Ihn ehre, da das Herz ferne von Ihm ist? (Daß er Gott den Mund, dem Satan aber das Herz ergeben habe, daß er sich kurze Zeit den Schein als ein Kind Gottes gebe, und nachher die größte Zeit seines Lebens willig und wissentlich im Dienste der Sünde und des Satans zubringe?) Was kann aber schrecklicher seyn, als eben dieses? Ist dieß das rechtschaffene Wesen in Jesu? Ist dieß der Streit des Geistes mit dem Fleische? Heißt das der Sünde absterben, und Gott leben in Christo Jesu, unserem Herrn? Heißt das würdig wandeln, dem Herrn zu Gefallen, und fruchtbar seyn in guten Werken? Heißt das der Gerechtigkeit, dem Glauben, der Liebe, der Geduld, der Sanftmuth nachjagen, den guten Kampf des Glaubens kämpfen, und das ewige Leben ergreifen?-Ich gebe zwar gerne zu, daß auch diejenigen, welche es mit ihrer Buße redlich meinen, und deren Herz aufrichtig ist, durch die Bosheit des Satans der Welt und ihres sündlichen Fleisches wieder verleitet werden können; aber dieß geschieht nicht vorsätzlich oder muthwillig, sondern es ist ein Kampf des Geistes dabei. Sie werden oft von ihren Begierden übereilt und hingerissen, ehe sie sich recht besinnen können. Wiewohl nun diese ihre wiederholten Sünden-Fälle nicht gleichgültig behandeln dürfen (was sie auch nicht thun), vielmehr dieselben täglich mit Thränen und Seufzer bei Gott abbitten, auch deßwegen um so vorsichtiger wandeln, so können doch jene leichtsinnigen Menschen, welche sich bald nach ihrer Beichte wieder mit Wissen und Willen von dem Satan leiten lassen, sich nicht auf dieselben berufen. Der Rosenstock hat Dornen, die Dornenhecke auch; allein jener trägt liebliche Rosen, diese aber kann bloß stechen. Wie kann sie sich also mit jenem in gleiche Klasse stellen? Haben die bußfertigen Kinder Gottes ihre Fehler, und straucheln bisweilen, trotz ihrer ernstlichen Vorsätze, so haben sie auch ernstliche Reue, wahre und tägliche Buße, Thränen, Gebet, Glauben, Besserung. Die Sichern und Gottlosen aber haben nichts, als den Schein der Gottseligkeit, und zwar nur eine Zeitlang; sie sündigen beständig und eilen von einem Laster zum andern. Welch' ein Unterschied ist also zwischen beiden? Diese sind große Heuchler und wahre Spötter, die sich in einem sehr gefährlichen Zustand befinden und der Verstockung nahe sind. Ich halte dafür, daß der Satan selbst diese Menschen zu solcher Heuchelei antreibe, damit er sie in der Sicherheit erhalten und auf den Gedanken bringen möchte, als ob ihr beharrliches Sündenleben ihrem Christenthum, ihrem Glauben und ihrer Seligkeit nicht nachtheilig sey, weil sie sich ja wie andere Christen bei dem öffentlichen Gottesdienste einfinden, beichten und zu dem heiligen Abendmahl gehen. Auch liegt ihm ohne Zweifel daran, daß sie durch öftern Mißbrauch eines so theuern Sakraments, welches sie ohne wahre Buße und Glauben zu ihrem Gericht empfahen, desto tiefer in's Verderben fallen mögen. - So laß es dir, o Christ, mit deiner Buße und Besserung Ernst seyn. Mit irdischen Dingen läßt es sich etwa spielen und scherzen; hat man es aber mit Gott zu thun, so ruft uns der Apostel zu: „Irret euch nicht, Gott läßt Seiner nicht spotten! Ueberzeugt dich dein Gewissen von einem schweren Sündenfall, und merkst du, daß dein Herz leichtsinnig und kalt dabei bleibt, so bitte Gott um die rechte Erkenntniß der Sünde und um die göttliche Traurigkeit, welche wirket zur Seligkeit eine Reue, die Niemand gereuet. Bitte Ihn, daß Er dein hartes Herz erweiche und zerknirsche, und dich vor Sicherheit bewahre. - Entschließt du dich wirklich, die Sünden zu meiden und dadurch den lieben Vater im Himmel nicht mehr zu betrüben und zu beleidigen, so laß es dir ja damit Ernst seyn. Nimm von deinen Sünden nicht Abschied, wie von deinen guten Freunden, welche du bald wieder zu sehen hoffst, sondern wie von deinen ärgsten Feinden. Verlaß dich auch nicht auf deine guten Vorsätze, wenn sie noch so gut und redlich gemeint sind; sondern ergib dein Herz Gott, und bitte Ihn, daß Er dich thun lehre nach seinem Wohlgefallen, und daß sein guter Geist dich auf ebener Bahn führe. Sprich nicht: ich will es thun, ich will fromm werden; sondern setze hinzu: mit der Hülfe meines Gottes und durch den Beistand des heiligen Geistes. - Unser Herz ist oft so eifrig, wenn es von der Furcht vor der Hölle gedrängt wird, daß es sich mit tausend Eiden zu dem Gehorsam gegen Gott verbindlich macht. Doch, wenn die Angst vorüber ist, läßt es von seinen sündlichen Begierden und seinem Leichtsinn nicht, und so entstammt es zuvor war, so kalt wird es nachher. Darum soll man sich nicht auf sein Herz, sondern bloß auf Gottes Gnade und Hülfe verlassen. - Befiehl dem Herrn Jesu täglich deinen Wandel und weihe Ihm dein Herz, daß Er es bewahre, reinige, erleuchte, bekehre und regiere. Bitte Ihn, daß Er dein Fleisch sammt den Lüsten und Begierden kreuzigen, dich von der Sünde abhalten und in der Stunde der Versuchung stärken möge. Hauptsächlich aber nimm dich in Acht, wenn du mit herzlicher Andacht zum Tische des Herrn gegangen bist; denn wahrlich, zu keiner Zeit stellt dir der Teufel mehr nach. Er weiß wohl, daß dein Fall desto schwerer, deine Undankbarkeit desto größer, und dein Zustand desto gefährlicher, sein Sieg aber desto ansehnlicher seyn werde, wenn er dich zu neuen oder gar wieder zu den früheren Sünden verleiten kann. Gelingt es ihm, wieder aus der Gemeinschaft Jesu Christi dich zu entfernen, so wird er dich um so fester halten, daß dir nachher deine Bekehrung um so schwerer fällt. Ja er wird darnach trachten, dich von einer Sünde in die andere zu stürzen, dich recht sicher und gleichgültig zu machen, gänzlich zu verstecken, und wenn es Gott zuläßt, in die Ewigkeit zu versetzen, ehe du zur Besinnung kommen, und zu der Gnade Gottes in Christo fliehen kannst. Daher wache und bete, und sprich oft: Herr Jesu Du in mir, ich in Dir! Laß mich keine Luft noch Furcht in der Welt von Dir abwenden und gieb mir Kraft, beständig zu seyn bis an's Ende. Ich lieg im Streit und widerstreb, hilf o Herr, Christ, mir Schwachen! An deiner Gnad allein ich kleb, Du kannst mich stärker machen! Amen.

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