Scriver, Christian - Gottholds zufällige Andachten. - 24. Die Tulpen.
Ein gelehrter Gärtner hatte viel Tulpen von mancherlei Farben auf einem kleinen Gartenbeetlein zusammengebracht, und ob er wohl über 39 darauf zählen konnte, war doch nicht eine, die sich durchaus mit der andern verglich, sondern die eine war so, die andere so von der Natur gemalt, gestriemt, geflammt, gesprengt und ausgemacht. Dabei stand er mit fröhlicher Verwunderung und sprach: Ich sage euch, daß auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht bekleidet gewesen ist, als dieser eine; so denn Gott das Gras auf dem Felde also kleidet, das doch heute steht und morgen vergeht, sollte er das nicht vielmehr uns thun? O wir Kleingläubigen! Matth. 6, 29. 39. Gotthold sah dieses und sagte: Dies ist ein Bild der mancherlei Gnaden und Gaben Gottes, damit er die Menschenkinder ziert und ausrüstet, daß ein jeder in seinem Stande damit soll leuchten, auch Gott und Menschen ehren und erfreuen. Wie schön stehen diese Blumen in ihrer ordentlichen Unordnung! Wie neigen sie ihre Häupter gegen einander, als wollten sie sich küssen, so oft ein liebliches Lüftchen sie anweht! Wie benimmt doch der einen Schönheit der andern so gar nichts, sondern vermehrt dieselbe! Und wer kann diese so einhällige und schöne Mißhälligkeit ohne Ergötzlichkeit anblicken? Also giebt der Höchste mancherlei Gaben, und theilt einem jeglichen seines zu, wie er will; 1. Cor. 12, 4. 6. 11., und ach, wie schön steht es, wie fein und lieblich ist es, wenn die Amtsbrüder einträchtig bei einander wohnen! wenn sie ihre Häupter nach Antrieb des Geistes der Liebe zu heilsamen Rathschlägen vereinigen! wenn sie nicht durch Mißgunst getrennt, sondern durch Freundschaft verbunden bei einander stehen, und mit unterschiedlichen Gaben einmüthiglich Gott und Menschen dienen! Mein Gott! verbinde uns in Frieden durch deinen Geist zu ungefärbter Bruderliebe, daß wir uns unter einander brünftig lieb haben mögen aus reinem Herzen. 1. Petr. 1, 22. Was aber Distelköpfe sind und bleiben, die wird deine Hand finden, ausreißen und im Zornfeuer verbrennen.