Schmidt, Christian Friedrich - Predigt am Christfest
Von Professor Dr. Christian Friedrich Schmid ordentlicher Professor der evangelischen Theologie und Frühprediger an der Stiftskirche zu Tübingen.
Text: Luc. 2, 1-14.
1 Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. 2 Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war. 3 Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt. 4 Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das judäische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum dass er von dem Hause und Geschlechte Davids war, 5 auf dass er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger. 6 Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte. 7 Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge. 8 Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. 9 Und des Herrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. 10 Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; 11 denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. 12 Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. 13 Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: 14 Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.
Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren ist, denn euch ist heute der Heiland geboren! - das war die erste Kunde, welche von dem großen Ereignisse des heutigen Festes Menschen zu Theil wurde. Das ist der Eindruck, welcher seit so vielen Jahrhunderten sich ohne Unterlaß erneut, so oft die Gläubigen im Geiste an die Krippe des neugebornen Heilandes treten. Das ist der Grundzug der festlichen Feier, welche die christliche Kirche seit anderthalbtausend Jahren der Geburt ihres Herrn und Heilandes widmet, und welche an allen Enden der Christenheit zu einer Freudenfeier geworden ist, - in allen Familien vom Palaste bis herab zur niedrigsten Hütte, und für alle Glieder der Familie auf jeder Stufe des menschlichen Lebensalters.
Von zarten Kindesbeinen an haben wir Alle diesen Tag mit Jubel als Freudenfest begrüßt: ist er uns auch jetzt, in reiferen Jahren, ein Freudenfest geblieben? ist er uns ein Freudenfest im Geiste geworden? Was damals von Aussen an uns kam, und zunächst eine Freude an Aeusserem war, ist es jetzt umgekehrt eine geistliche Freude geworden, welche so ans unserem Innern selbst quillt, daß alle äussere Feier nur der Ausdruck der innerlichen Freudenfeier ist? Und wenn uns der geistliche Seegen dieses Tags auch in der frühen Jugendzeit nicht ganz verborgen war, ist, was wir damals geahnt, jetzt in uns zur Klarheit hindurchgedrungen, was als Keim in uns sich regte, jetzt zur Blüthe entfaltet, zur Frucht gereift?
Das ist die Frage, welche dieser Festtag an uns macht, geliebte Freunde. Jeder Festtag der Kirche bringt uns eine Kunde und eine Frage; so bringen die Freudenfeste der Christen eine Kunde der Freude, aber sie fragen auch nach einer Freude. Wohlan denn, kommt heute der festlichen Freudenkunde auch ein freudiges Herz entgegen, dem, was das Fest uns verkündigt, zur inneren Erfahrung geworden, daß es in dem Geburtsfest Jesu Christi das Geburtsfest seines Heilandes, ja das Fest seiner eigenen Geburt aus Gott begeht, und daß ihm der Lobgesang der himmlischen Heerschaaren als ewige Harmonie in seinen eigenen Tiefen widertönt? In dem Sinne dieser Frage lasset das Freudenfest des heutigen Tages zu euren Herzen reden,
- als das Geburtsfest unsers Heilandes,
- als das wahre Geburtsfest der Menschheit.
I.
Ein Freudenfest feiern wir, und doch zeigt dasselbe dem äussern Anblicke nicht mehr, als ein neugebornes, unmündiges Menschenkind, - in der Krippe eines Stalles liegend, weil es keinen Raum in der Herberge findet. Aber Seine Geburt ist der Ursprung einer neuen Zeit geworden, nach ihr zählen wir unsre Jahre, sie ist das Wichtigste, was auf Erden seit Erschaffung der Menschen geschehen ist, die Begebenheit, an welcher wir jede andere messen. Denn in Ihm ist der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr! Heil uns, wenn wir aus vollem Herzen rühmen können: aus Seiner Fülle haben wir Alle genommen, und zwar Gnade um Gnade (Joh. 1,16)! Dann stoßen wir uns nicht an der Niedrigkeit, in welcher wir Ihn heute an Seiner Krippe erblicken; diese Niedrigkeit ist uns nur die Hülle, in welcher das ewige Leben, die Fülle der Gottheit, auf Erden erschienen, und uns nahe geworden ist; diese Niedrigkeit eben ist unsre Freude. Durch sie ist der, der von Ewigkeit war, der unsrige geworden; unser als Mensch, unser als schwaches, unmündiges Kind, unser als der Genosse menschlicher Armuth und Drangsal.
Zu dieser menschlichen Niedrigkeit erkennen wir die Hoheit der göttlichen Liebe, die eben, indem sie ihr eigenes Leben mittheilt und zu den Niedrigen sich herabläßt, ja in die tiefsten Tiefen hinabsteigt, ihren unendlichen Reichthum uns offenbart.
Das Leben ist erschienen, so jauchzen wir heute mit dem Jünger der Liebe, Johannes, der uns zuruft: wir haben gesehen und zeugen, und verkündigen euch das Leben, das ewig ist, welches war bei dem Vater, und ist uns erschienen (l. Joh. l, 2.)! Erschienen in Christo Jesu, unserm Herrn, erschienen mitten in dieser armen Menschenwelt, erschienen - selbst ein Mensch unter Menschen.
Wie unendlich viel ist in diesem Einen Worte enthalten! Blicket hinaus auf die weiten Bahnen der Offenbarungen Gottes, und vergleichet sie mit der Einen Gottesthat, die wir heute feiern.
Einst, im Anbeginn, da sprach der Ewige das All-Machtwort: es werde! und es ward. Der Himmel war durch das Wort des Herrn gemacht und all sein Heer durch den Hauch Seines Mundes. Seit dieser Schöpfung ist Gottes unsichtbares Wesen, das ist, Seine ewige Kraft und Gottheit, an Seinen Werken sichtbar für den Geist der Menschen (Röm. l, 20.). Ja, an der Menschen eigenem Leben hat Er sich nicht unbezeugt gelassen, - durch Seine Führungen und Wege, in den Lichtblicken ihres Geistes, in den Ahnungen ihres Herzens, in den Stimmen ihres Gewissens, - daß sie den Herrn suchen sollten, ob sie doch Ihn fühlen und finden möchten, denn Er ist nicht fern von einem jeglichen unter uns (Apgsch. 17, 27.), Und nachdem Er mit Abraham und dessen Nachkommen einen Bund errichtet hatte, hat Er da nicht manchmal und auf mancherlei Weise geredet zu den Vätern durch die Propheten? hat Er nicht unablässig zu Seinem Volke gesprochen durch Sein Gesetz, durch dessen Verheißungen und Drohungen, durch Seine Heimsuchungen und Seine Gerichte? Und doch wisset ihr wohl, liebe Freunde: Gottes Offenbarung in der Schöpfung hat es nicht zu hindern vermocht, daß die Völker der Erde in alle Greuel der Abgötterei versanken - so hat sie auch nicht vermocht, aus dieser Versunkenheit dieselben wieder aufzurichten. Und Gottes Offenbarung durch Gesetz und Propheten war nicht im Stande, Sein auserwähltes Volk vor den Fesseln des Buchstabendienstes und den Täuschungen der Werkgerechtigkeit zu bewahren, geschweige denn, aus diesen Fesseln und Täuschungen zu erretten. In der Schöpfung mag der Mensch das Walten Gottes vernehmen, in dem Gesetz Seinen heiligen Willen, in der Weissagung Seine Rathschlüsse; aber ist dadurch die Entzweiung zwischen Gott und den Menschen aufgehoben, die unermeßliche Kluft, welche von seinem Gott den Menschen trennt, ausgefüllt? Mit nichten; denn bei all diesem bleibt die Sünde ungesühnt und ungetilgt. Daher die Sehnsucht, welche unter den Völkern der Erde die edleren Gemüther ergriff, nach einer neuen Offenbarung Gottes. Daher die Weissagung, durch welche im Volke Israel der Geist Gottes die Herzen der Gläubigen erhob zum Hoffen und Harren auf die Zukunft, - auf den, der da kommen sollte.
Und nun, Geliebte, - was durch die Werke der Schöpfung und durch das Gesetz des alten Bundes nicht möglich, was durch die Weissagung nur als künftig angedeutet war, das that Gott - durch die größte Seiner Gnadenthaten, durch die, welche wir heute feiern, die Sendung Seines Sohnes im Fleische (Röm. 8, 3.).
Das Wort, das im Anfang war und durch das alle Dinge gemacht sind, - es hat nicht abermals eine Welt hervorgerufen, aber, mehr als dies, es ist Mensch geworden (Joh. 1,13.14.): die ganze Fülle der Gottheit wohnte in diesem Menschen leibhaftig (Coloss. 2, 9 ), Gott ist geoffenbaret im Fleisch. Der in göttlicher Gestalt war. Er äußerte sich selbst, ward gleich wie ein anderer Mensch, und an Geberden als ein Mensch erfunden (Phil. 2, 6. 7.); Er schämt sich nicht, von nun an unser Bruder zu heißen. Gott hat die Menschheit, wie sündhaft sie auch ist, doch nicht verschmäht; Er hat sich mit ihr vereinigt, und Engelchöre singen: an den Menschen hat Gott Sein Wohlgefallen.
Welches Wunder der herablassenden Liebe Gottes! Doch schaut noch einmal nach der Krippe, an welche das heutige Fest uns geführt hat. Das Bruderbild unsrer Menschheit, das ihr in derselben gewahr werdet, wie blickt es uns entgegen? nicht anders, als aus dem Antlitz eines unmündigen Kindes; und die Botschaft des Engels lautet: euch ist heute der Heiland geboren. Also, indem der Herr Mensch ward, ist Er wohl alsbald in voller Manneskraft dagestanden, wie einst der erste Mensch, als er hervorgegangen aus der Hand des Schöpfers? Nein, der Sohn Gottes ist auch darin uns gleich geworden, daß Er, vom Weibe geboren, als schwaches, unmündiges Kind, wie wir, in diese Welt gekommen, und, wie wir Alle, die niederste Stufe des Menschenlebens betreten hat. Als hilfloses Kind, in Windeln gewickelt von der Hand der Mutter, die ihn geboren, liegt Er da; bis zur Unmündigkeit ist Er herabgestiegen von Seiner Gotteshöhe. Denn was das auf sich habe, Mensch geworden, in der Gestalt des sündlichen Fleisches gesandt zu seyn (Röm. 8,3.), das offenbart sich am meisten an den beiden Endpunkten des Menschenlebens, dem Anfang und dem Schluß desselben. Wie kräftig auch ein menschliches Leben sich entfalten mag, - an diesen Endpunkten erscheint es in seiner Schwachheit und Niedrigkeit, seiner selbst nicht mächtig, seiner selbst nicht bewußt. So das Menschenleben, wenn es durch die Geburt in diese Welt eintritt, so wenn es im Tode aus dieser Zeitlichkeit scheidet. Nun seht, Freunde, diese beiden untersten Stufen hat der Herr betreten. Seiner selbst unbewußt seht ihr das göttliche Kind in der Krippe; das Wort, durch das alle Dinge sind, ein unmündiges Kind geworden! Und wie dieser Anfang, so der Fortgang und Schluß Seines irdischen Lebens. Nach Menschenweise auf der untersten Stufe beginnend, muß Er nun allmählig erst, unter den Einflüssen der Welt und im Kampfe mit ihr, den unendlichen Gehalt Seines Lebens menschlich inne werden und entfalten. Und in dem Dunkel kindlicher Unbewußtheit beginnt Er Sein irdisches Leben, um in der Nacht des Todes es auszuhauchen. Seine Geburt weissagt uns Sein Sterben.
Und ein Stall als Seine erste Wohnstätte, eine Krippe Sein erstes Lager, - sie deuten uns an, daß kein menschlicher Zustand so niedrig ist, in den Er nicht einzugehen bereit wäre. Reich an ewigem Leben, ist Er arm geworden im irdischen Daseyn, hat es nicht verschmäht, in Dürftigkeit auf Erden zu wandeln, den Niedrigsten im Volke anzugehören, und im Schweiße Seines Angesichts Sein Brod zu essen, der Geringschätzung und Verachtung, dem Haß und der Verfolgung sich auszusetzen, auf daß Er in allen Dingen Seinen Brüdern gleich würde, und worinnen Er gelitten hat und versucht ist, darin auch helfen könnte denen, die versucht werden (Hebr. 2, 17. 18.). Ja Er, der Herr, hat Knechtsgestalt angenommen, und ist gehorsam worden bis zum Tod; Seine Krippe ist uns die Vorbotin Seines Kreuzes.
So sehr ist Er durch Seine Geburt der Unsrige geworden, und zwar das Alles uns zu Gute, nicht um Seinetwillen, sondern um unsertwillen, als unser Heiland und Erlöser. Er ist in unsre Stelle hereingetreten, damit Er uns zu Sich erhöbe. Welch ein Tausch der Liebe! Er hat Niedrigkeit, Armuth, Kampf und Tod übernommen, damit wir von Ihm Leben und Frieden, Heil und Seligkeit empfingen. Der Reichthum der Liebe Gottes hat sich uns enthüllt, der Himmel ist offen über uns, und die Engelsbotschaft erschallt: euch ist heute der Heiland geboren! O wer unter dem Gefühl seiner Sünde und seiner Sterblichkeit, unter dem Drucke der Leiden und der Noth Trost, Kraft und Frieden im Glauben an seinen Heiland gefunden, dem hallt dieser Freudenruf wider in seiner Brust, dem ist diese Botschaft theurer, als alle Güter der Zeitlichkeit, der feiert heute in geistlicher Freude das Geburtsfest seines Heilandes.
II.
Ja als das wahre Geburtsfest der Menschheit, und als das Fest seiner eigenen höhern Geburt lernt er diesen festlichen Tag begehen.
Einst, als der Allmächtige sprach: lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sey, da schuf Er den Menschen Ihm zum Bilde, - zum Bilde Gottes schuf Er ihn, die Krone der irdischen Schöpfung. Gleichwohl bewahrte ihn dieses göttliche Ebenbild nicht vor Sünde und Verderben. Der erste Mensch fiel, und von dem Einen ist Sünde und Tod zu allen Menschen hindurchgedrungen, wie die Schrift uns bezeugt, und wie wir Alle es täglich empfinden, daß unser Zusammenhang mit dem natürlichen Menschengeschlecht ein Zusammenhang mit Tod und Sünde ist.
Um von diesem Falle die Menschheit aufzurichten, hat Gott Seinen Sohn im Fleische gesandt, das vollkommene Ebenbild des unsichtbaren Gottes, den Abglanz Seiner Herrlichkeit, und hat verordnet, daß Alle, die Ihm sich im Glauben ergeben, hinfort, erlöset von Sünde und Tod, gleich seyn sollten dem Ebenbilde Seines Sohnes, ans daß derselbige der Erstgeborne sey unter vielen Brüdern (Röm. 8, 21).). Auf die ursprüngliche Schöpfung der Menschen also weist uns das Geburtsfest Jesu Christi zurück. Was die Schöpfung des ersten Menschen begonnen hat, das ist im höhern Sinne zum Vollzug gekommen durch die Menschwerdung und Geburt des Sohnes Gottes.
Oder denkt ihr wohl, es habe sich in Jesu Christo nur dasselbe wiederholt, was schon in Adam da war, und in dessen Nachkommen allen sich wiederfindet? O dann wäre Er, wie wir, ein Adamskind, aber nicht der Erlöser von Adams Fall. Meint ihr, ein Mensch mit ausgezeichneten Gaben sey Er gewesen? aber menschliche Begabung, wie hoch sie auch steige, macht nicht rein von Sünde, nicht siegend über den Tod. Nein, mit Ihm ist ein neuer Anfang in der Menschheit gesetzt: ein reiner Anfang, frei von aller sündlichen Befleckung, welche die Menschheit verunreinigt, ein gotteskräftiger Anfang, frei von der Gebrechlichkeit und Unmacht, zu welcher Adams Geschlecht herabgesunken. Es steht geschrieben (1. Kor. 15, 45 ff.): der erste Mensch, Adam, ist gemacht ins natürliche Leben, und der letzte Adam ins geistliche Leben, das heißt: der erste Adam ward eine lebendige Seele, der letzte Adam ist der lebendig machende Geist. Ferner: der erste Mensch ist von der Erde, und irdisch; der andere Mensch ist der Herr vom Himmel. Und wie wir getragen haben das Bild des irdischen Adams, also werden wir auch tragen das Bild des Himmlischen.
Geliebte Freunde, was in Jesu Christo geboren und in die Welt gekommen ist, das ist nicht nur in dem Sinne unser, daß es überhaupt uns zu Gute kommen soll, sondern in dem Sinne, daß wir Seines göttlichen Lebens selbst theilhaftig, daß wir in Sein Bild verklärt werden sollen. Er ist das Haupt, die Menschheit soll immer mehr Sein Leib werden, in welchen vom Haupte aus immer mehr die göttliche Kraft Seines vollkommenen, Seines heiligen und seligen Lebens übergehen soll. In diesem Sinne ruft uns Johannes zu (l Br. 4, 9).: daran ist erschienen die Liebe Gottes gegen uns, daß Gott Seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, daß wir durch Ihn leben sollen. Gleichwie sie in Adam Alle sterben, spricht Paulus,(l Kor. 15,22.), also werden sie in Christo Alle lebendig gemacht werden. Was durch Adam auf die Menschheit übergegangen ist, empfangen wir mittelst der leiblichen Geburt, Fleisch vom Fleisch geboren; was durch Christus in die Menschheit eingepflanzt ist, das wird unser durch die Geburt von oben, Geist aus dem Geiste gezeugt, geistliches Leben, strömend aus dem lebendigmachenden Geiste in Christo Jesu.
Die Geburt Jesu Christi ist eine zweite Geburt der Menschheit.
In so hohem Sinne ist es wahr, was die Engel sangen: Friede auf Erden, an den Menschen ein Wohlgefallen! Und ist es nicht eben das, was dem Gläubigen heute aus dem frohen, seligen Auge glänzt, wenn er seinen Blick auf die Menschheit richtet? Ist nicht eben das ein wesentlicher Zug in unsrer christlichen Weihnachtfreude, daß uns durch die Geburt des Heilandes die ganze Menschheit in einem neuen Lichte erscheint; daß wir selbst uns freuen, Menschen zu seyn, und jedem Andern, der uns begegnet, in unserm Herzen Glück wünschen, daß auch er es ist. Ist nicht aus demselben Gefühl die äußere Sitte unsrer Weihnachtfeier hervorgegangen? Eben jene Freude ist es, was im Aeußern durch die Geschenke ausgedrückt werden soll, welche wir auf diesen Tag geben und empfangen; sie sind ein wechselseitiger Glückwunsch, das Angebinde eines gemeinsamen und von der ganzen Menschheit zu feiernden Geburtsfestes.
Könnten wir das menschliche Leben nur im Lichte unserer natürlichen Geburt betrachten, mit Schmerz müßten wir auf unser Geschlecht, würden wir insbesondere auf die inniger mit uns verbundenen Menschen und auf unsre Kinderwelt blicken, über der traurigen Genossenschaft menschlichen Verderbens, die in unserem Geschlechte sich vererbt. Aber in dem göttlichen Kinde, dessen Geburt wir feiern, sehen wir im Geiste die Menschheit erneuert, vom Verderben erlöset als die Genossin Seiner Gerechtigkeit und Seines ewigen Lebens. Ein Strahl des reinen Lichtes, in welchem die Krippe zu Bethlehem glänzt, blinkt uns nun aus jedem Kinderantlitz entgegen. Und wenn in unserm Leben so oft die menschliche Verkehrtheit in Greueln und Lastern nicht nur, sondern auch unter besserm Schein, in allen Gestalten der Selbstsucht, in der Eigennützigkeit, der Ehrsucht, der Genußsucht, des Neides und der Mißgunst, uns begegnet: so flüchten wir uns heute an die Krippe des Neugebornen und schauen uns zum Troste in Seinem göttlich-kindlichen Angesicht das Bild einer reinen, geweihten Menschheit.
Aber das können wir in Wahrheit nur dann, wenn wir die Kraft Seines Heilandslebens schon an uns selbst erfahren haben, wenn Sein Bild in unserm eignen Innern lebt, wenn Sein reines, göttliches Leben in uns selbst auch geboren ist.
Heil uns, dann feiern wir an diesem festlichen Tage unsre eigene Geburt, nicht die in's sündliche Fleisch und in das sterbliche Leben, sondern die ins geistliche Leben, das Welt und Tod überwindet!
König der Ehren, aus Liebe geworden zum Kinde,
Dem ich auch wieder mein Herz in der Liebe verbinde:
Du sollst es seyn, den ich erwähle allein,
Ewig entsag' ich der Sünde.
Menschenfreund, Jesu, Dich lieb' ich, Dich will ich erheben,
Laß mich doch einzig nach Deinem Gefallen nur streben.
Herr, nimm mich bin, hilf mir in kindlichem Sinn
Ewiglich Dir nur zu leben. Amen.
Quelle: Dr. Christian Friedrich Schmid/ Wilhelm Hofacker - Zeugnisse evangelischer Wahrheit, Bd. 3