Schlatter, Adolf - Der dritte Brief des Johannes

Schlatter, Adolf - Der dritte Brief des Johannes

Zum dritten Brief, der an Gajus gerichtet ist, hat der Apostel teils ein freudiger, teils ein schmerzlicher Anlaß bewogen. Die freudige Ursache desselben bestand darin, daß Christen, die für den Namen, nämlich Christi und Gottes, ausgezogen waren, wohl als Boten des Evangeliums an Orten, wo noch das Heidentum mächtig war, aus der Stadt, wo Gajus wohnte, zu Johannes kamen und von ihm wieder zu Gajus zurückkehrten. Der Wohnort des Gajus war wieder auf ihrem Rückweg gelegen, nachdem sie inzwischen Johannes, vermutlich in Ephesus, besucht hatten. Diese Brüder hatten der Wahrheit des Gajus und seiner Liebe Zeugnis gegeben; denn dieser hatte sich ihrer angenommen und sie unterstützt. Dies hat Johannes innig gefreut: Es gibt für mich keine größere Gnade als das, daß ich höre,daß meine Kinder in der Wahrheit wandeln (V. 4)

Da läßt uns Johannes den reichen Schatz von seliger Freude sehen, der das Leben des Apostels erfüllt hat. Er hat viele Kinder an allen den Männern und Frauen, denen er mit dem Evangelium zu jenem Leben half, das in Gott seinen Schöpfer hat, und wenn er nun sieht, daß sie die Wahrheit nicht nur kennen und gehört haben, sondern in ihr wandeln, und sich so verhalten und so handeln, daß sie von der Wahrheit umschlossen und geleitet sind, so wird ihm dies zur tiefen, vollen Freude, die ihn dankbar macht. Er heißt das eine Gnade, denn Gott ist's, der ihm diese Kinder gab und der die Wahrheit in ihnen mächtig macht, so daß sie ihr untertänig sind.

Der zweite Brief ließ uns den Kampf der apostolischen Kirche wahrnehmen, wie die Christen ihre Häuser vor den lügenden und trügenden Geistern verschließen mußten, die sie von Jesus abziehen wollten. Hier wird und das sichtbar, was die Kraft und das Wachstum der apostolischen Gemeinde hervorgebracht hat, wie in herzlichem Verkehr und reger Gemeinschaft die Brüder von Gajus zu Johannes ziehen und wieder von Johannes zu Gajus, und der Gemeinde von denen Nachricht bringen, die anderswo der Wahrheit in der Liebe dienen, und wie sie nicht bloß den Apostel aufsuchen sich selbst zur Erbauung, sondern auch die Heiden suchen mit dem Wunsch, Gottes Namen unter ihnen zu preisen und den Glauben an Christus in ihnen zu erwecken, da w er noch unbekannt war.

Johannes will aber Gajus nicht nur danken und ihn nicht nur loben für das, was er getan hat, sondern er mahnt zugleich, daß er sich nochmals der Brüder annehme. Er soll bei der begonnenen Arbeit beharren und ihrer nicht müde werden. Die Brüder kehrten zu ihm zurück, und bedurften aufs Neue seiner Unterstützung. Johannes mahnt ihn, für ihre weitere Reise besorgt zu sein in einer Weise, wie es Gottes würdig ist (V 6).

Nicht die Menschen,die seine Gabe empfangen, heißt er ihn vor Augen haben, sondern Gott. Was er Gott schuldet, wie er Gott danken möchte, wozu ihn die Liebe Gottes treibt, das soll er bedenken, und daraus das Maß gewinnen für das, was er an den Brüdern tut. So hat uns Johannes auch im ersten Brief gesagt, daß sich unsere Liebe zu Gott in dem zeigt, was wir den Menschen tun.

Des Namens wegen zogen sie aus und nahmen nichts von den Heiden. Sie haben es ähnlich gehalten wie Paulus, der von niemand eine Gabe nahm, damit niemand den Verdacht hege, er suche die irdische Vergeltung und den greifbaren Lohn, und habe ein anderes Ziel als das Heil der Menschen und den Gehorsam gegen Gottes Wort. Darum heißt Johannes die Christen Sorge tragen, daß die Boten des Evangeliums ihrer selbstlosen Liebe wegen nicht Mangel leiden. Wir sind darum verpflichtet, solche aufzunehmen, damit wir Gehilfen der Wahrheit werden (V. 8).

Immer ist's die Wahrheit, dieses eine unschätzbare Gut, dem Johannes alle Habe und alle Kraft des Menschen dienstbar macht. Er gibt uns hier genau dieselbe Regel, die wir auch im zweiten Brief hörten; nur ist sie hier nach der entgegengesetzten Seite hin gewandt. Dort sagte er: schließt ihnen das Haus zu, hier sagt er: schließt es ihnen auf. Der Grund war dort: ihr würdet euch an ihren bösen Werken beteiligen und der Wahrheit zuwiderhandeln; und hier ist der Grund: ihr beteiligt euch so an ihrem redlichen Werk und helft der Wahrheit, indem ihr den Boten der Wahrheit dient.

So macht uns auch dieser Brief wieder die Freude und Herrlichkeit des Christenstandes deutlich. Der Wahrheit zum Gehilfen werden in herzlicher und treuer Gemeinschaft mit Brüdern, die derselben Wahrheit ergeben sind wie wir, das bringt in unser Leben Glück, Reichtum, Kraft und Seligkeit. Es wird aber auch der Schmerz und Kampf, der dem Christentum anhängt, in unserem Brief sichtbar. Das treue Werk, das Gajus an den Brüdern tat, ist ihm nicht leicht geworden. Bitterer Zank, Verdächtigungen und böswillige Angriffe sind in der Gemeinde des Gajus geschehen. Johannes hat ihn gelobt und mit seinem Lob ihn erquickt, aber Diotrephes hat ihn gescholten und nicht bloß Gajus, sondern auch Johannes mit bösen Worten angegriffen und einen Brief von ihm nicht beachtet und die Brüder nicht aufgenommen, und die, welche sie aufnahmen, aus der Gemeinde gestoßen und den Brudernamen ihnen verwehrt und die Gemeinschaft ihnen aufgekündigt. Dergleichen tut weh.

Der Brief zeigt uns, daß die Arbeit der Apostel dem Wege Jesu bis ans Ende ähnlich geblieben ist. Sie mußten sich vielfach verachten lassen und redeten vergeblich und ertrugen das Widersprechen der Sünder, nicht nur unter Juden und Heiden, sondern auch in der Kirche selbst. Sie sind nie Kirchenfürsten geworden, die durch äußeren Glanz und Ansehen die Gemeinde sich unterwürfig machten, und für ihr Wort überall willig Gehorsam fanden. Sie arbeiteten bis ans Ende mit dem stillen, nach innen zielenden Mittel des Worts; wer sie höre wollte, trat mit ihnen in Gemeinschaft und ward ihnen von Herzen untertan; wer sich ihrem Wort nicht untergab, der widersprach und schalt, verwarf ihre Briefe und übertrat ihr Gebot.

Es wird hier noch eine andere Ursache der Verwirrung und Versündigung in der Kirche sichtbar, als im zweiten Brief. Dort mußte Johannes vor den finsteren Gedanken und Lehren warnen, die Jesus nicht fassen und Gottes Art und Weise nicht verstehen, sondern sich eine unsaubere Frömmigkeit zurecht machen. Diotrephes war dagegen kein Irrlehrer, sondern gehörte der Gemeinde an, und stand sogar an ihrer Spitze als leitender Mann. Was ihn sündigen macht, deutet Johannes mit den Worte an: er will unter ihnen der erste sein (V. 9). Ihn hat der Ehrgeiz zu Fall gebracht, der die Gemeinde als Mittel zur eigenen Erhöhung mißbraucht und seine Befriedigung darin sucht, daß er den eigenen Willen durchsetzt und die eigene Meinung gültig macht. Darum wird er auch die fremden Brüder nicht aufgenommen haben, weil er keinen fremden Einfluß in der Gemeinde dulden wollte, und darum war ihm auch der Brief des Apostels widerwärtig, weil er ihm seine eigensüchtigen Pläne störte. Es geschah und geschieht immer viel Ähnliches in der Kirche. Darum war es der Wunsch des Apostels, jene Gemeinde bald zu besuchen. Dann wird er ihn erinnern an seine Werke, die er tut. Es braucht, um ihn zu beschämen, nur das, daß ihm sein eigenes Werk vorgehalten wird. Kein Sündigender kann den Anblick seines eigenen Werks ertragen; derselbe fällt als Last auf ihn, die ihn erdrückt.

Solche Dinge werden allen, die von ihnen berührt werden, zur Versuchung. Darum bittet Johannes den Gajus: ahme nicht das Schlechte, sondern das Gute nach (V. 11), und er erinnert ihn daran, daß es sich auch hierbei für ihn um Gott handelt, daß Gottes Gemeinschaft ihm gegeben sei und Gott ihn inwendig bilde und leite, so daß sein Leben aus ihm erwächst. Wer Gutes tut, ist aus Gott; wer Böses tut, hat Gott nicht gesehen. Wenn wir den bösen Trieb in uns walten lassen und unsere Gedanken mit ihm füllen und unseren Willen aus ihm schöpfen, dann ist ein Riß zwischen uns und Gott entstanden, durch den Gott uns gänzlich verborgen wird. So ist er für uns nicht vorhanden, wie etwas, das uns unsichtbar bleibt. Alle frommen Worte ändern hieran nichts. Zu Gott hat der dem bösen Trachten Untergebene keine Beziehung, hat keinen Verkehr mit ihm und keinen Anteil an seinen Gaben. Der Gott, den er sich träumt und von dem er spricht als von seinem Gott, ist nicht der wahrhaftige Gott, der überall, wo er sein Werk anhebt, das Gute schafft.

Johanns fügt noch ein Wort über einen dritten Mann bei: Demetrius, von dem er wünscht, daß Gajus ihn gleich mit herzlichem Vertrauen aufnehme. Er hat vielleicht die Brüder, die von Johannes zu Gajus zurückkehrten, geleitet. Dieser Demetrius war des Vertrauens wert; denn er hatte das Zeugnis von allen, und von der Wahrheit selbst, und auch von uns, vom Apostel (V. 12). Sein Christentum hat sich überall in derselben Treue und Aufrichtigkeit bewährt; das zeigt sich darin, daß er das Zeugnis von allen hat. Es steht ihm aber nicht nur ein menschliches Zeugnis zur Seite, sondern die Wahrheit selber, Gott selber, hat für ihn geredet durch seinen Geist, der in der Gemeinde das göttliche Wort lebendig macht, und unter denen, die aus der Wahrheit im Namen Gottes reden dürfen, steht Johannes an erster Stelle, und du weißt, fügt er bei, daß unser Zeugnis wahr ist. Gajus hat's erlebt und erprobt, wie klar und eindringend der Blick des Apostels und wie zuverlässig sein Urteil über die Leute gewesen ist.

So hat Johannes dem Demetrius eine liebliche Aufnahme bei Gajus bereitet. Nun bedurfte es zwischen ihnen nicht mehr einer langsamen, vorsichtigen Verständigung. Hier reichten zwei Männer einander die Hand, deren Gemeinschaft sofort ihr ganzes Wesen und Handeln umfaßt hat, weil sie auf Gott begründet war. Es kann nichts Schöneres und Größeres auf Erden geschehen.

Abschluß

Die beiden kleinen Briefe sind genau gleich lang; Johannes hat beide Male einen Bogen Papier vom selben Format gebraucht. Und wie er am Ende des Bogens ist, drückt er in beiden Briefen die Empfindung aus, daß es mit dem Schreiben doch eine kümmerliche Sache sei, und daß es uns lange nicht das gebe, was das Wort von Mund zu Mund uns verschafft.

Auch die Kirche kann sich nicht bloß durchs geschriebene Wort erhalten. Gottes Wahrheit und Evangelium muß immer wieder in uns lebendig werden und als unser eigenes Wort all unseren Verkehr durchdringen, daß es „von Mund zu Mund“ durch die Zeiten weitergeht, jedem Bedürfnis und jeder Empfänglichkeit angepaßt. Deswegen ist dennoch das von den Aposteln geschriebene Wort für uns alle unentbehrlich und durch nichts ersetzbar. Denn sie sind von Christus zu seinen Boten gemacht, und auf ihr Wort ist jeder gewiesen, der ihn und Gott in ihm finden und sehen will. Und wer auch diese Briefe aufmerksam gelesen hat, der muß es erkannt haben, daß auf Erden nichts Größeres, Köstlicheres und Heiligeres „durch Papier und Tinte“ geschrieben worden ist, als was hier in unseren Händen liegt.

Quelle: Schlatter, D. A. - Erläuterungen zum Neuen Testament, Teil 4

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