Schlatter, Adolf - Der erste Brief des Johannes. - Kap. 2,28 - 3,3. Der Blick auf Jesu neue Gegenwart.

Schlatter, Adolf - Der erste Brief des Johannes. - Kap. 2,28 - 3,3. Der Blick auf Jesu neue Gegenwart.

Bleibt in ihm, sagt Johannes, denn er wird euch wieder offenbar, und ihr steht bald vor ihm und seht ihn. Darum ist es wichtig, wie wir uns zu ihm gestellt haben. Sind wir in ihm geblieben, so haben wir dann Freudigkeit, da wir ja dann vor dem stehen, der schon jetzt in seiner unsichtbaren stillen Weise unser Herz umschlossen hielt und leitete, an den wir uns hielten und nach dem wir blickten. So wird es uns zur unausdenkbaren Freude, dass wir ihn nun sehen und bei ihm sind, ohne Hülle, ohne Entfernung, in offenbarer Gegenwart.

Aber wie, wenn ein Riss zwischen uns entstand, wenn wir ihn fahren ließen, wenn unser Herz sich selbst genug war und unserem Eigenwillen sich ergab, wenn wir uns einen andern Christus suchten und ihn verachteten? Dann wird seine Gegenwart uns zur Beschämung und seine Offenbarung uns zur Trennung weg von ihm. Dann treibt uns seine Herrlichkeit von ihm fort und die Türe seines Hochzeitssaals ist uns verschlossen. Wir werden zu Schanden fort von ihm, V. 28.

Der Blick auf Christi Erscheinung und neue Gegenwart legt uns die Frage in den Sinn: was sollen wir tun? Johannes gibt die einfache Antwort: ihr wisst, dass er gerecht ist, V. 29. Er hat nichts Böses bei sich eingelassen, sondern dient mit seinem ganzen Wesen und Werk dem, was recht ist. Nicht eine besondere Forderung von wunderbarer Höhe legt er uns auf. Nur daran erinnert er, dass Jesus der Diener der Gerechtigkeit ist und will, dass Gerechtigkeit in der Welt regiere und geschehe. Dadurch kennen wir unsern Weg und wissen, wie wir einst freudig vor ihm stehen können: wer die Gerechtigkeit tut, der geht in seiner Bahn, dient ihm und tut seinen Willen. Geh, sagt Johannes, dem Unrecht aus dem Wege. Es ist nicht Christi Art, ungerecht zu sein, Schaden zu tun und die andern zu drücken; suche die Gerechtigkeit nicht nur so, dass du sie mit Worten rühmst und dir beilegst, sondern so, dass du sie tust.

So einfach die Weisung des Apostels ist, so umfasst sie doch das höchste und Größte, was in unserem Leben Raum hat und daraus erwachsen kann. Mit aller Innigkeit, Hingebung und Aufopferung der Liebe bringen wir doch nichts anderes zu stand, als dass wir gerecht gegen einander sind und einander gönnen und gewähren, was die Gerechtigkeit verlangt.

Nun heißt uns aber Johannes nicht vorwärts sehen, auf den Lohn, den der gewinnt, der die Gerechtigkeit tut, und hält uns nicht vor, dass uns Jesus deswegen rechtfertigen wird. Wenn wir das schon jetzt vorwegnehmen, wird daraus leicht eine selbstgefällige Eitelkeit. Vielmehr lenkt er unsere Gedanken rückwärts auf den Anfang, der uns zur Gerechtigkeit gebracht hat und uns unsern guten Willen gegeben hat. Wer die Gerechtigkeit tut, der ist aus ihm erzeugt. Den hat er selbst lebendig gemacht, inwendig geformt und gebildet und ihm seine Art gegeben. Er ist ja gerecht, und wer ihm hierin gleicht, der hat seine Art, und hat sie deshalb, weil er sie uns gab.

Wenn im folgenden Johannes auf den Anfang unsres ewigen Lebens steht und auf den, der uns dasselbe schenkt und schafft, so nennt er uns den Vater. Aus Gott seid ihr geboren; euer Wesen und Leben hat euch Gott gegeben. Aber hier hat er im Vorangehenden überall von Christus gesprochen: dass wir in ihm bleiben, dass er offenbar werden wird, dass wir in seiner Gegenwart nicht zuschanden werden. Und erst im folgenden zeigt er ausdrücklich auf den Vater hin, der uns eine solche Liebe erzeigt hat, dass wir seine Kinder heißen. Johannes wird hier sagen: wer die Gerechtigkeit tut, der ist durch Christus ins Leben gesetzt. Er hebt Christus nie aus der Gemeinschaft mit dem Vater heraus. Was er tut, ist des Vaters Werk. Aber er trennt auch den Vater nie vom Sohn. Was der Vater tut, ist das Werk des Sohns. Aus Gott wird geboren, wer ewiges Leben hat; aber die Vollmacht, Gottes Kinder zu werden, wird uns von Jesus gegeben, Ev. 1,12. Er sagt von sich: ich bin das Leben; so ist er der, durch den wir lebendig worden sind.

Dadurch, dass Johannes uns von unserem Werk, das der Gerechtigkeit dient, zu dem aufsehen heißt, der uns das Leben gab, tilgt er alle Hoffart und selbstgefällige Eitelkeit. Woher haben wir Lust, Trieb und Kraft zur Gerechtigkeit? Wären wir nicht aus ihm geboren, wir glichen ihm nicht und hätten nicht in der Gerechtigkeit das, was uns mit ihm gemeinsam ist. Er selbst hat unser Bild dem seinigen ähnlich gemacht, selbst unser Leben nach dem seinigen geformt. Darum tun wir die Gerechtigkeit. Mit der demütigen Dankbarkeit, die der Gabe Christi eingedenk bleibt, verbindet sich aber der tiefe Ernst, der uns zum Werk hintreibt, gerade wie es Jakobus tut. Wer aus ihm das Leben empfangen hat, der gleicht ihm auch in seiner Tat. Lebendigkeit, die nichts täte und wirkte, gibt es nicht. Dann, wenn unser ganzer Wille der Gerechtigkeit untergeben ist, so dass wir sie tun, dann nur dürfen wir sagen, dass wir im Kern unsers Wesens durch Christus gebildet seien; nur dann sind wir selbst mit dem, was uns innerlich erfüllt und bewegt, Christi Werk.

Dadurch wird zugleich unsere Hoffnung fest, weil der, der aus ihm geboren ist, vor ihm nicht zuschanden werden wird. Indem Christus zum Urheber und Schöpfer unsres Lebens geworden ist, haben wir Gottes unermessliche Liebe empfangen. Die Größe der Gabe, die uns gegeben ist, bildet ein Maß für die Hoffnung, die noch vor uns liegt. Zuerst richtet Johannes unser Auge auf das, was uns schon gegeben ist; dann hebt er es zur künftigen Gnade empor, die uns die Vollendung bringen wird.

Wir heißen Kinder Gottes, 3,1. Diesen Namen empfangen wir durch Jesus als Gottes Geschenk, der uns durch denselben beschreibt und bestimmt, was er uns sein will und was wir ihm sind. Ihm gelten wir als seine Kinder, die er zum Leben bringt, damit sie bei ihm seien und für ihn leben. Damit hat er uns Liebe gegeben und was für eine Liebe! Johannes steht mit tiefer Verwunderung vor derselben. Sie dünkt ihn unbegreiflich groß. Und wer das nicht in etwelchem Maß mit ihm empfindet, der hat ein verdrehtes Herz. Näher, völliger, wirksamer, kräftiger kann uns Gott nicht zu sich erheben, als dass er uns seine Kinder heißt.

Nicht mich oder dich allein heißt Gott sein Kind. Uns hat Gott so wunderbare Liebe erzeigt, dass wir seine Kinder heißen. Darin besteht erst die ganze Größe der göttlichen Liebe, dass sie nicht mich allein, sondern mich in Gemeinschaft mit vielen Brüdern Gottes Kinder heißt. Auf den Namen, den Gott uns verliehen hat, schaut Johannes, und sucht nicht gleich bei sich selbst in der eigenen Gestalt seines Lebens die Merkmale und Spuren der göttlichen Liebe. Er baut und traut aufs Wort, auf das, was Gott von uns sagt und wie er uns heißt. Im Namen, den Gott uns gab, hat sich Gottes Liebe ausgesprochen, und ihr Wort lässt keinem Zweifel Raum; es macht, was es sagt. Darum fährt er dankend fort: dass wir Gottes Kinder heißen, und wir sind's.1) Heißen wir so, so sind wir's auch. Was Gott von uns sagt, gibt unserem Leben und Wesen seine Art, weist uns unsern Platz vor Gott an und setzt unserem Wege das Ziel, das ihm nicht fehlen wird. Ich soll, was Gott mich heißt, als für mich gültig ergreifen und bejahen: es ist so, wie er's sagt.

Diese dankbare Freude am Namen, den Gott uns gab, welche ihn als ein kostbares Geschenk und eine wirksame Kraft behandelt, weil Gott nach dem Namen, den er uns gibt, auch an uns handeln wird, ist Glaube. Eben noch letzte Johannes allen Nachdruck auf unser Werk, auf die Gerechtigkeit, die wir tun. Jetzt freut er sich und dankt dafür, dass wir Gottes Kinder heißen. So stehen bei ihm Glaube und Werk in völliger Eintracht beisammen und keines fügt dem andern Schaden zu.

Mit der Anbetung und Freude, die Gottes Liebe anschaut und nicht ermessen kann, verbindet Johannes einen Blick auf den Schmerz und Ernst des Christenlebens und verwandelt auch diesen in einen Grund der Freude und des Danks und lässt uns auch hieran die Größe der göttlichen Liebe sehen. Deswegen erkennt euch die Welt nicht und weiß nicht, wer ihr seid, und versteht nicht, was ihr wollt.

Johannes beschreibt uns unsere Stellung in der Welt nach und nach immer deutlicher. Das erste, was er über die Welt gesagt hat, war, dass sie mit uns unter Christi Gnade steht und er die Versöhnung für ihre Sünden ist, 2,2. Dann hat er von ihrer verlockenden Kraft geredet, wie sie unsere Liebe verleiten will, sich an das zu hängen, was nicht aus dem Vater stammt, 2,15. Aber die Welt lockt nicht nur, sondern sie drückt auch. Sie möchte nicht bloß unsere Freundschaft haben, sondern übt auch gegen uns Widerstand, und das erste, womit sie uns plagt, ist ihr Unverstand. Nun macht uns Johannes auch gegen den Druck der Welt fest.

Weil Gott und Welt wider einander stehen, ergibt sich aus der Weise, wie sich Gott zu uns hält, auch die Art, wie die Welt sich gegen uns stellt. Gott kennt uns als seine Kinder; darum kennt uns die Welt nicht mehr. Gott hebt die Scheidung auf, die uns von ihm trennt; dadurch entsteht für uns eine Scheidung und Trennung von der Welt. Das bringt manche Bitterkeit und Schwierigkeit im Leben mit sich. Die Missverständnisse, Verdächtigungen und Vorwürfe stellen sich unvermeidlich ein. Jeder misst die andern nach seinem Maß, und wer den Glauben entbehrt, wem Gott und Christus nichts gelten, der urteilt notwendig schief und ungerecht über den, dessen Leben gerade hierin seine Wurzel und regierende Kraft besitzt. Wir verstehen dagegen die Welt, weil wir ihre sündliche Art mit ihr teilen, und der Trieb des Fleisches, der sie bewegt, uns nicht unbekannt ist. Wir sind aber davon frei geworden durch Gottes Geschenk, das Gottes Liebe uns gegeben hat, weil wir Gottes Kinder worden sind. In das hat die Welt keinen Einblick, und darum urteilt sie unrichtig über uns und handelt verkehrt gegen uns. Auch das ist ein Zeichen und Maß der göttlichen Liebe, und kann uns darum in unserer Freude an Gottes Gabe nicht stören. Gottes Liebe bindet und löst zugleich. Sie bindet an Gott, löst von der Welt, macht uns ihm nah und denen fern, die ihn nicht kennen. Der Zwiespalt mit der Welt kommt daher, dass sie ihn nicht erkannte. Wer das bedenkt, wird still und friedlich, auch wenn ihn die Leute Jesu wegen verachten und missverstehen. Wir dürfen von dem kein Lob erwarten, der für Gott weder Lob noch Anbetung hat, dürfen nicht verlangen, dass uns der nicht widerspricht, welcher Christo widerspricht und ihn leugnet, und müssen uns willig von dem als töricht betrachten lassen, der Gott nirgends spürt und sich eine Welt zurecht macht ohne Gott oder mit einem entstellten Gott, der nicht dem gleicht, welcher uns Jesus gegeben hat.

Aus dem, was wir geworden sind, ergibt sich ein Blick in das, was wir sein werden, obgleich uns das noch verborgen ist. Es wurde noch nicht offenbar. Dennoch ist uns eins als helle Gewissheit gegeben, damit wir sie mit fester Hoffnung ergreifen: Christus bleibt uns nicht der Verborgene und Unsichtbare, sondern wird uns offenbar, und dann werden wir ihm ähnlich sein.

Wir dürfen Jesu Lebensziel als unser Ziel, Jesu Ort als unsern Ort, Jesu Art als unsere Art ansehen. Das war bei allen Aposteln die große Freude und Hoffnung und der Hauptsatz ihres Evangeliums: er ist geworden wie wir, damit wir würden wie er.

Denn wir werden ihn sehen, wie er ist. Weil wir ihn sehen werden, werden wir ihm ähnlich sein. Ihn sehen wie er ist, in seiner Wahrheit, nach dem Reichtum seines Wesens, wie er in der Gemeinschaft mit dem Vater ist und an seinem Leben Anteil hat, das könnten wir nicht, wenn uns eine verschiedene, ihm widerstrebende Art und Eigenschaft von ihm schiede. Wer ihn sieht, wie er ist, der ist bei ihm und empfängt dadurch auch seine Gestalt und Art.

Seinetwegen haben wir diese Hoffnung, V. 3. Nicht wir, er ist ihr Grund. Dass wir Kinder Gottes sind, ist die Tat dessen, der zu uns auf die Erde kam. Dass wir ihm ähnlich sein werden, ist die Tat dessen, der uns wieder offenbar werden wird. Eine solche Hoffnung liegt nicht als etwas Totes und Unfruchtbares in unsrer Seele. Sie hat bewegende Kraft, weckt auf und leitet unser Trachten. Der Wunsch, ihm ähnlich zu sein, die Freude an seinem Bild, die es über alles stellt, als das, was uns selig macht, regiert tief in das hinein, was wir täglich sind und tun. Wir wissen nicht, wie er ist und sein wird in seiner Herrlichkeitsgestalt, wissen nicht, wie wir ihn uns denken sollen, jetzt, da er an Gottes Thron und Herrschaft Anteil hat. Aber wir wissen, dass er rein ist. Die hässlichen Dinge, die uns entstellen, finden sich an ihm nicht. Wer darum diese Hoffnung hat, der reinigt sich selbst und scheut und hasst, was ihn beschmutzt. Johannes zeigt uns, wie sich die Glieder des inwendigen Lebens aneinander schließen und eines fest am andern hängt. Wer die Hoffnung hat, der macht sich rein. Du bist nicht auf Reinheit bedacht; du hast die Hoffnung nicht, hast weder Grund zu ihr, noch ihre Kraft in dir. Die Mahnung erhält dadurch besonderes Gewicht. Wer möchte die Hoffnung nicht haben? wie kann sie dem fehlen, der Jesus kennt? Aber alle Kraft, mit der wir die Hoffnung erfassen und sie uns erfasst, geht auch in unsern Wunsch über, rein zu sein, wie er es ist.

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Wenigstens steht es so in manchen alten Bibeln.
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autoren/s/schlatter_a/schlatter-johannesbrief_7.txt · Zuletzt geändert: von aj
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