Schlatter, Adolf - Einleitung in die Bibel - Haggai.
Als sich wieder eine Gemeinde in Juda sammelte, nachdem Cyrus die Rückkehr nach Jerusalem verstattet hatte, war das nächste, große Werk, das sie auszurichten hatte, der Bau des Tempels. Die Schar der zuerst Heimgekehrten ging auch im zweiten Jahr nach ihrer Ankunft ca. 534 muthig an die Arbeit, wie uns Esra 3,8 erzählt wird. Aber der Muth sank ihr wieder. Das Haus durfte doch nicht gar zu dürftig werden, sondern mußte sich einigermaßen als die Wiederherstellung des Salomonischen Tempels darstellen. Die Opfer, die das erforderte, schienen zu schwer. Dazu kamen die Feindseligkeiten der Nachbarn und Intriguen persischer Beamter. Der nähere Hergang ist uns bei Esra nicht erzählt. Gewiß ist, daß der Tempelbau stille stand bis ins 2. Jahr des Darius, 520.
Das Volk sprach: es ist jetzt nicht die Zeit, um des Herrn Haus zu bauen, Haggai 1,2. Da sah sich Haggai getrieben, den beiden Häuptern der Gemeinde, dem Statthalter Serubabel und dem Hohepriester Josua, zu Händen des ganzen Volkes die prophetische Weisung zu erteilen, nun endlich den Bau zu beginnen, und der bestimmte göttliche Befehl lenkte den Blick von den Schwierigkeiten und Bedenklichkeiten ab. Das Werk ward gehorsam begonnen und glücklich durchgeführt.
Der erste Spruch Haggai's ist
Das Strafwort wegen der Unterlassung des Tempelbaus. 1.
Der Prophet wirft ihnen vor, daß sie sich selbst wohnlich eingerichtet haben, während das Haus des Herrn noch wüste ist, und heißt sie hierin die Ursache erkennen für das Mißlingen und den Mißwachs und Mangel, der sie bedrückt. Als aber die Häupter des Volkes eifrig den Bau unternahmen, fügt er die Verheißung des göttlichen Beistandes hinzu.
Der zweite Spruch, den er etwa sieben Wochen später an sie richtete, ist
ein ermunternder Hinweis auf die künftige Herrlichkeit des Hauses. 2,1-9.
Die größte Schwierigkeit, die bei dem Bau zu überwinden war, lag im lähmenden Gedanken, daß mit den jetzigen Mitteln der Gemeinde doch nichts hergestellt werden könne, was Gottes würdig und dem frühern Tempel ähnlich sei. Sei stark, ruft Haggai den Bauenden zu. Die kommende Herrlichkeit des Tempels ist größer als die vergangene. Freilich konnte das Auge in den damaligen Verhältnissen nichts entdecken, was dem Tempel zu Glanz und Bedeutung hätte verhelfen können. Aber Gott, sagt der Prophet, schafft Rat. Er wird die Welt und die Völker erschüttern; da strömen dem Tempel die Schätze zu.
Ein Vierteljahr wurde für die Vorbereitungen zum Bau gebraucht. Am Tage, als man den Grundstein zum Tempelhaus legte, sprach Haggai seinen dritten Spruch.
Die Wandlung im Zustand der Gemeinde. 2,10-19.
Bisher war alles unrein. Wie ein Verunreinigter nach dem Gesetz seine Unreinheit auf alles überträgt, was er berührt, während Heiliges nicht in derselben Weise auch anderes heiligt, so hat die Unterlassung des Tempelhaus allen Gottesdienst und alle Frömmigkeit vernichtet und vor Gott wertlos gemacht. Darum hat sie auch Mangel und Unglück in allem verfolgt. Sie werden nun erleben, wie sich das alles wandelt und Gottes Segen von jetzt an mit ihnen ist.
Am selben Tag hat er noch ein weiteres Wort gesprochen.
Gottes Lohn für Serubabel. 2,20-23.
Es kommen große Wirren über die Völker, und ihre Reiche brechen zusammen. Aber Serubabel hält Gott wie einen Siegelring in treuer Hut.
Haggai's Sprüche lassen den ärmlichen bedrückten Anfang des neuen Jerusalems deutlich erkennen. Er stützt seine Mahnung nicht auf hohe Beweggründe und weit hinaufreichende Aussichten. Die Sorge um's Brot erfüllt die Gemüter. Es waren wohl durchschnittlich arme Leute nach Jerusalem heimgezogen; die Reichen blieben in Babylon. Und die neue Ansiedlung war mühsam und beschwerlich. Ob und wie sie ihren Unterhalt finden, das ist die Frage, die den Ansiedlern zuerst im Sinne liegt. Haggai's Weissagung läßt sich zu diesem sorgenvollen Sinn herab und hält ihm vor, daß es die schlimmste Art sei, für Wohlstand und Gedeihen zu sorgen, wenn sie Gott hintansetzen, und daß nichts sich so sehr lohnen werde, als der opferwillige Gehorsam in der Ausrichtung des Tempelbaus.