Savonarola, Girolamo - Wie wir die Herrlichkeit des Worts durch Betasten erfahren.

Savonarola, Girolamo - Wie wir die Herrlichkeit des Worts durch Betasten erfahren.

Sermoni XIX nella prima epistola di San Giovanni et altri luoghi della scrittura. Sermone III.

3. Predigt im Advent 1491 über 1. Joh. 1,1.

„Und unsre Hände haben es betastet.“

Von der Herrlichkeit des göttlichen Worts, liebe Brüder, hat Sankt Johannes uns Zeugnis abgelegt nicht bloß nach dem, was er gehört, sondern auch, was er geschaut und geschmeckt hat von all' dem Wunderbaren, das dies Wort im Himmel und auf Erden vollbrachte. Es bleibt uns noch das Zeugnis des Betastens, das wir nur kurz berühren konnten, da wir das letzte Mal unsre Betrachtung unterbrechen mussten, weil die Kürze der Zeit uns ein Ziel setzte. Wenn wir zusammenfassen, was wir von dem göttlichen Wort gesagt haben, so haben wir bezeugt mit Sankt Johannes, dass es das Wort ist, durch das alle Dinge geschaffen sind und durch das wir das ewige Leben haben, da es Fleisch geworden sein Blut für uns vergoss; so wollen wir denn ablegen ein gar gewaltiges Zeugnis, dass unsre Hände dieses Wort berührt und betastet haben. Und gerade das ist beim Menschen besonders zuverlässig, weil der Mensch seiner edleren Natur entsprechend einen viel feineren Tastsinn hat als die andern Geschöpfe. Da wir nun einen feineren Tastsinn haben, haben wir auch einen schärferen Verstand, denn diejenigen, die weichlich und zart von Körper sind, besitzen höhere geistige Fähigkeiten, und wer stark ist, ist weniger befähigt, wie der Philosoph sagt. Somit will uns der Apostel ein besonders gewisses Zeugnis vom Wort geben, wenn er sagt, dass er es mit seinen eignen Händen betastet habe. Aber wie? Wir erkennen doch durch Berühren nur die Körper, die Eigenschaften, wie warm, kalt, feucht, trocken, hart, weich u. ä., unterworfen sind. Was meint da Sankt Johannes mit dem Betasten des göttlichen Worts? Vielleicht wirst du sagen, er habe öfters das ähnlichen Eigenschaften unterworfene Fleisch berührt. Das wäre aber kein genügendes Zeugnis vom Wort, denn das Wort kann nicht so berührt werden, weil Gott Geist und das Wort Gott ist: Gott war das Wort, sagt ja die Schrift. Das Wort ist also Geist.

Wenn du nicht sagen willst, dass er ihn betastet habe wie Sankt Thomas, als er rief: „Mein Herr und mein Gott!“, nämlich mit Hand und Erkenntnis zugleich. Sicherlich hat Johannes den Herrn Jesum berührt, als er an seiner Brust lag, aber doch hat er anders geschaut, anders betastet, anders geglaubt als Thomas. Daher will dir der selige Johannes sagen: Lasst uns nicht leichtfertig glauben, denn wer so gar schnell glaubt, ist leichtfertigen Herzens; aber indem wir anfühlen und betasten, viele Male sehen und beschauen seine Werke und sein Leben und das mit der heiligen Schrift vergleichen, haben wir die Erkenntnis gewonnen, das Alles sei nicht zufällig geschehen, sondern aus Gottes herrlichem Ratschluss, der von Anbeginn bis in Ewigkeit alles trägt in seiner gewaltigen Hand und ordnet alle Dinge nach seinem Wohlgefallen.

So hat Gott alles eingerichtet nach Zahl, Gewicht und Maß und auch dieses Zeugnis lasst uns betrachten. Wenn auch der Glaube niemals daran gezweifelt hat, hat er nichtsdestoweniger den Gründen des Glaubens ebenso eifrig nachgeforscht, wie dem, was ihm entgegensteht (sonst wäre auch der Glaube nichts Verdienstliches); ich kann dann sagen mit sicheren Vernunftgründen, dass ich den Glauben mit meinen Händen befühlt und betastet habe, weil ich nichts sehe, was ihm wirksam entgegen sein könne, vielmehr finde ich alle Dinge harmonisch geordnet. So rede ich denn auch kühnlich. Warum? Weil ich glaube! Denn so ist geschrieben: „Ich glaube, darum rede ich.“ So der Apostel, der den Geist des Glaubens hatte, auch wir sollen, wie geschrieben steht, glauben und darum auch reden.

Auch noch anders können wir das Betasten verstehen. So gibt es Viele, zu deren Vollkommenheit wir noch nicht gelangt sind, weil sie ganz sicher sind, mit den Händen betastet zu haben. Die Hand ergreift und hält fest und zweierlei ist's in uns, damit das Wort ergriffen und festgehalten wird: die Erkenntnis und der Wille. Aber nicht immer hat man das Wort ergriffen, wenn man es betastet zu haben behauptet, denn Viele haben wohl allerlei Erkenntnis vom Wort und glauben doch nicht, Andere lieben das Wort, aber nicht recht, weil sie zugleich Reichtum besitzen wollen. Unser Heiland aber sagt: Niemand kann zwei Herren dienen.

Doch auf welche Weise kann die Erkenntnis das Wort betasten? Wenn sie sich von ihm nach Oben erheben lässt, und das geschieht, wenn sie sieht ein neues Licht, das aller Kreatur aufgeht durch das Licht der Gnade Gottes; wie geschrieben steht: „In deinem Lichte erwachen wir zum Licht.“ Das geschieht, wenn sie mit Gott vertraulich redet, wie der Apostel Johannes mit ihm vertraut war, und wenn sie mit der Braut spricht: „Mein Freund ist mein und ich bin sein!“ Ein solcher Mensch ergreift das Wort mit lebendigem Glauben, er betastet es, wenn er vertraulich mit ihm redet, er hält es fest, wenn er unerschütterlich glaubt und spricht: „Ich weiß, an wen ich glaube, und bin gewiss, dass er kann mir meine Beilage bewahren bis an jenen Tag.“ Dieser wird erhoben über den Erdenstaub, wovon Abraham bei seiner Fürbitte für die Bewohner Sodoms sagt: „Ich habe mich unterwunden zu reden mit dem Herrn, wiewohl ich Erde und Asche bin.“ Auch David spricht, als der Herr ihm so Großes verheißen: Wer bin ich, Herr Gott, und was ist mein Haus, dass du mich bis hierher geleitet? und Ezechiel sagt im 2. Kapitel1): Da ich es gesehen, fiel ich auf mein Angesicht! Ebenso erfüllt sich das vertrauliche Reden an David, wenn er sagt: Erhöht werde ich zu dir, wenn ich gedemütigt und beunruhigt werde.2) Beunruhigt, das heißt bei mir selbst, weil ich so viel sündige, Herr. Und je heiliger einer ist, desto demütiger ist er und trägt auch Leid um die kleinsten Sünden. So aber ergreift man Gott mit der Hand.

Auch mit der andern Hand wird Gott ergriffen und festgehalten, nämlich mit dem Willen, wenn Gott geliebt und begehrt wird und sich der Mensch in ihm gar sehr erfreut und ergötzt. Aber wohlverstanden: mit einer neuen Liebe, da er den liebt, den er nicht erkennt und nicht sieht, an den er trotzdem glaubt, den er sucht mit einer Liebe, die das Herz ganz gefangen nimmt und schmilzt; wie die Braut sagt: Ich beschwöre euch, ihr Töchter Jerusalems, findet ihr meinen Freund, so saget ihm, dass ich mich verzehre in Liebe zu ihm. (Hoheslied 5,8.) Da wünscht man auch abzuscheiden und ganz bei Christo zu sein; in ihm allein findet man seine Freude. Auch das heißt, meine ich, das Wort des Lebens befühlen und betasten.

Solche Erkenntnis und Liebe kann allein von Gott kommen, da sie über das Geschaffene hinausgeht und der Mensch mit Dahintenlassen des Sichtbaren mit ganzem Herzen das Unsichtbare sucht in dieser Erleuchtung, Liebe und Sehnsucht. Da befühlt er mit den Händen das Wort und kann Zeugnis von ihm ablegen, wie Sankt Johannes. Denn dieser hat ihn klar geschaut, wie er in seiner Offenbarung sagt im ersten Kapitel: Ich war im Geist an des Herrn Tage und folgte dem Herrn. Darum war er auch der Jünger, den Jesus lieb hatte. Das ist also das Zeugnis des Johannes.

So seid denn fleißig, liebe Brüder, und müht euch, dieses Ziel zu erlangen; durch Gebet und Betrachtung werdet ihr es erreichen. Aber sage ich das nicht alle Tage und doch vergebens? Alle loben es, aber wenige tun danach! Wie kommt das? Weil viele noch am Glauben zweifeln. Und das kommt wieder daher, dass die Bücher der Heiden lieber gelesen werden als die heilige Schrift. Darum schallt der Name Jupiters im Munde der Christen wieder und die Kinder schon werden hierzu erzogen. Darum reden viele gegen den Glauben, die Guten verspottend. Darum singen sie Lieder wider den Glauben. Darum findet sich kein Eifer! Gott redet zu euch und ihr hört ihn nicht.

Er mahnt euch zu Gebet und Betrachtung seiner selbst, ihr aber denkt nur an irdische Dinge. Was kann ich euch Freundlicheres von Gott sagen, als dass er in mir zu euch redet und mit mir ist? Müsste er euch nicht hinaustreiben um eurer Sünden willen und zu euch sagen: Freund, wie bist du hereingekommen und hast doch kein hochzeitliches Kleid an? Und haben wir euch nicht ein so herrliches Zeugnis gegeben, warum trachtet ihr nur nach dem Irdischen?

Sicher wisst ihr, dass in Kurzem alles verlassen werden muss. Sei der Mensch auch glücklich, soweit die Welt ihn dazu machen kann, aber was dann? Musst du nicht sterben? Jawohl, alle müssen wir sterben. Wir eilen dahin über die Erde, wie das Wasser, das nicht wieder zurückläuft, und wo ist der Mensch, der lebte und den Tod nicht sah? Wo ist Adam, wo Methusalem, die so lange Zeit lebten? Wo sind die gewaltigen Könige und Fürsten? Wo sind alle die schönen Frauen? Vergehen so nicht alle Dinge? Eitelkeit der Eitelkeiten, alle Dinge sind eitel. Ja, so sagt der Prediger Salomo, es ist alles eitel und führt alles an einen Ort. Von Erde sind sie geworden und zu Staub müssen sie wieder werden. Wenn das alles wahr ist, was ich gesagt habe, sind wir nicht alle Narren, dass wir der Welt folgend in das ewige Verderben rennen und das ewige Leben verlieren?

Siehe, was für Toren wir sind: wir folgen der Welt, die uns von allen Seiten bedrängt und uns hindert zu Gott zu gehen. Ringsum ist Krieg, Teuerung, Hinterhalt und Verfolgung, und wir könnten befreit sein davon und wollen nicht, sondern folgen der Welt in Angst und Not, weil wir mit ihr verdammt sind. Wir mühen uns gegen den Wind, weil wir nicht glauben. Das ist die Zeit, von der der Apostel predigt: „Du sollst aber wissen, dass in den letzten Tagen werden gräuliche Zeiten kommen. Denn es werden Menschen sein, die von sich selbst halten, geizig, ruhmredig, hoffärtig, Lästerer, den Eltern ungehorsam, undankbar, ungeistlich, störrig, unversöhnlich, Schänder, unkeusch, wild, ungütig, Verräter, Frevler, aufgeblasen, die mehr lieben Wollust, denn Gott; die da haben den Schein eines gottseligen Wesens, aber seine Kraft verleugnen sie.“ Ja, Christen wollen sie alle heißen, aber sie tun die Werke Christi nicht.

Doch lasst uns zum vorliegenden Texte zurückkehren. Wir haben bezeugt mit Sankt Johannes von dem Worte des Lebens, ein ganz bestimmtes Zeugnis haben wir abgelegt. So hütet euch, dass nicht das Wort des Herrn sich an euch erfülle: „Wo euch jemand nicht annehmen wird, noch eure Rede hören, so geht heraus von demselbigen Hause oder Stadt und schüttelt den Staub von euren Füßen. Wahrlich ich sage euch: dem Lande der Sodomer und Gomorrer wird es erträglicher ergehen am jüngsten Gericht, denn solcher Stadt.“ Es hüte sich auch jeder, dass er nicht spreche wie die, die sich selbst nicht erkennen, die nicht glauben Sünder zu sein, sondern der Zahl der Gerechten anzugehören. Viele kommen zur Predigt und, wenn sie einen Tadel hören, denken sie flugs an den Nächsten, anstatt bei sich selbst einzukehren; deshalb bringen sie keine Frucht und sind schlimmer krank als die Andern. Sie glauben ganz sicher, nicht krank zu sein und nehmen deshalb den Arzt nicht an. Gegen solche sagt die Schrift: „Du sprichst: ich bin reich und habe gar satt und bedarf nichts, und weißt nicht, dass du bist elend und jämmerlich, arm, blind und bloß. Ich rate dir, dass du Gold von mir kaufst, das mit Feuer durchläutert ist, dass du reich werdest; und weiße Kleider, dass du dich antust und nicht offenbar werde die Schande deiner Blöße!“ Und umso mehr betrügst du dich, je mehr dich die Menschen loben und du für heilig gehalten wirst. Wiege dich also nicht in Selbstgefälligkeit ein, fürchten müsstest du, dass von dir gesagt wäre, was von dem Engel der Gemeinde von Sardes gilt: „Ich weiß deine Werke; denn du hast den Namen, dass du lebst und bist tot. Sei wacker und stärke das andere, das sterben will.“

Siehe, wiederum bin ich abgeschweift, doch nicht ohne Nutzen; denn der Wunsch nach eurer Seligkeit hat mich dies sagen lassen, da ich euch liebe in der Liebe Gottes. Ich lade euch auf ein andres Mal, liebe Brüder, nicht dass ihr mich ehrt (denn ich bin auch ein Mensch wie ihr), sondern dass ihr ehrt das Wort des Herrn Jesu, das aus meinem Munde geht. Jeder bedenke in seinem Herzen, woher es kommt und wer mich reden macht. Was müht und betrügt sich meine Seele um allerlei Gut? Siehe, der Glaube spricht: Ich bin das wahre Gut. Warum also folge ich nicht dem Herrn Jesu Christ? Sei klug wie jener Bauer. Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, auf dass, wenn ihr nun darbt, sie euch aufnehmen in die ewigen Hütten. Da aber die Stunde schon spät ist, lasst uns hier aufhören. Gehe jeder und bewege in seinem Geiste, was ich euch gesagt habe; und macht dass euer Glaube sich in Werken zeige und nicht in Worten allein, auf dass (wie Petrus sagt) ihr, die ihr an ihn glaubt, euch freut mit unaussprechlicher und herrlicher Freude und das Ende eures Glaubens davonbringt, nämlich der Seelen Seligkeit durch Jesum Christum unsern Herrn, der mit dem Vater und dem heiligen Geist ist ein Gott, hochgelobt in Ewigkeit. Amen.

1)
Ez. 1, 28.
2)
Luther: „Wenn du mich demütigst, machst du mich groß.“
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autoren/s/savonarola/savonarola-betasten.txt · Zuletzt geändert: von aj
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