Riggenbach, Christoph Johannes - Matth. 11, 7-11, 2. Predigt

Riggenbach, Christoph Johannes - Matth. 11, 7-11, 2. Predigt

Da die hingiengen, fieng Jesus an zu reden zu dem Volk von Johanne: Was seid ihr hinausgegangen in die Wüste zu sehen? Wolltet ihr ein Rohr sehen, das der Wind hin und her wehet? Oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Wolltet ihr einen Menschen in weichen Kleidern sehen? Siehe, die da weiche Kleider tragen, sind in der Könige Häusern. Oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Wolltet ihr einen Propheten sehen? Ja, ich sage euch, der auch mehr ist, denn ein Prophet. Denn dieser ist's, von dem geschrieben stehet: Siehe, ich sende meinen Engel vor dir her, der deinen Weg vor dir bereiten soll. Wahrlich, ich sage euch: Unter allen die von Weibern geboren sind, ist nicht aufgekommen, der größer sei denn Johannes der Täufer; der aber der Kleinste ist im Himmelreich, ist größer denn er.

Johannes der Täufer hatte aus seinem Kerker heraus durch zwei seiner Jünger den Herrn Jesum fragen lassen: Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir eines Andern warten? Darauf hatte Jesus Bescheid gegeben, indem er den Täufer auf die Heilandswerke, die er verrichte, und auf seine Heilandspredigt zum Trost der Armen und Elenden hinweisen ließ. Nun aber, nachdem die Jünger Johannis mit dieser Botschaft wieder hingegangen waren, fing Jesus an zum Volk zu reden, das Zeuge von diesem Vorgang gewesen war. Johannes hatte wollen über Jesum Auskunft haben. Jetzt aber beginnt der Herr Jesus über Johannes zu reden. Sein letztes Wort, das er diesem hatte melden lassen, war gewesen: selig ist, der sich nicht an mir ärgert. Die Rede, die Jesus an das Volk jetzt richtet, hat offenbar die Absicht sie zu ermahnen: hütet euch, daß auch ihr euch nicht ärgert; hütet euch, daß auch ihr nicht im Glauben irre werdet, weder was den Johannes, noch was mich betrifft.

Das war auch keineswegs eine überflüssige Warnung. Denn wie leicht konnte, wer die Frage des Täufers vernommen hatte, bei sich selbst verwundert sprechen: was soll das heißen? weiß denn Johannes nicht, wer Jesus ist? Johannes, der früher auf Jesum wies als auf den, der nach ihm komme, der schon da sei, dem er nicht werth sei auch nur die Schuhriemen aufzulösen, der das Lamm Gottes sei, welches der Welt Sünde trage, der der Bräutigam sei, welchem die Gemeinde als Braut gebühre, ist denn Johannes über dies Alles ungewiss geworden? ist er selber denn kein Prophet, wie wir meinten? oder ist Jesus nicht, was Johannes früher von ihm sagte? was sollen wir denn für wahr und gewiss ansehen, wenn Johannes selber es nicht mehr weiß ? So konnten sie gar leicht sich ärgern, in ihrem Glauben unsicher und zweifelhaft werden.

Darin lag für den Herrn Jesum die Nöthigung, das rechte Wort über den Johannes zu sagen. Er thut es so, daß er Großes von Johannes, aber noch viel Größeres von seinen eignen Jüngern aussagt. In der That, es ist staunenswert!), es ist so groß, daß wir es kaum zu ergreifen wagen, was er da spricht von der Herrlichkeit der Glieder des Himmelreichs. Stellt er doch den Johannes über alles, was auf Erden groß ist, den Kleinsten aber im Himmelreich noch über den Johannes. Wie sollen wir das verstehen? wie dürfen wir das annehmen? dem lasset uns nachdenken.

Gib uns Licht, himmlischer Vater, durch deinen heiligen Geist. Leite uns in alle Wahrheit, daß wir sie erkennen und darnach thun. Amen.

I.

Der Herr Jesus erinnert das Volk an die Tage, da sie schaarenweise zu Johannes in die Wüste geströmt waren. Was suchtet ihr dort? was hofftet ihr zu sehen? meintet ihr unter den Rohren des Jordans einen Mann zu finden, der sich biege wie ein Rohr vor jeglichem Wind der Lehre oder Menschenmeinung? oder meintet ihr einen Menschen in weichen Kleidern zu finden, einen Liebhaber der Bequemlichkeit und Fleischespflege? Ihr wußtet, daß ihr beides nicht finden würdet, und ihr habt es auch nicht gesucht. Ihr kanntet genugsam das unbeugsame Wesen dieses Mannes ohne Menschenfurcht, ihr wußtet, daß der das Kleid von Kameelshaaren trug und dessen Speise Heuschrecken und wilder Honig war, kein Weichling der Königspalaste sei. Wohlan, diese Ueberzeugung, die euch damals durchdrang, diese Erfahrung, die ihr dort selber machtet, haltet sie auch heute fest, da dieser gewaltige Mann euch zu schwanken scheint. Seid zum mindesten von vorneherein gewiss, daß nicht Wankelmuth und wetterwendischer Sinn, daß nicht weichliches Wesen und Leidensscheu ihn überwältiget haben. Seid gewiss, daß er noch ist, was ihr damals in ihm suchtet und fandet, nämlich ein großer Prophet.

Es ist ein Großes, wenn man zu den Menschen reden kann, wie Jesus dort zum Volke redete; wenn man sie kann an ihre eigenen besten Erfahrungen erinnern. Es hat euch ja Niemand gezwungen, zum Täufer zu ziehen. In euch selber war ein Trieb erwacht. Eure Seele selbst empfand das Bedürfnis, verlangte sehnlich, was ihr in euch selbst nicht fandet, was ihr bei dem Propheten suchtet: eine gewisse, zuverlässige Botschaft von Gott und seinem Heil zu empfangen. Dabei bleibet. Ja, meine Theuern, dabei bleibet, wenn auch ihr einmal etwas Aehnliches erfahren, vom Worte Gottes und von den Männern Gottes einen ähnlichen Eindruck empfangen habet. Daran lasset euch nicht irre machen, wenn euch nun auch an dem Propheten selber etwas entgegenkommt, das ihr einstweilen nicht reimen tonnet. Es war doch ein Wort aus Gott, ihr habt's erfahren, und der es euch sagte, war doch ein Prophet und ist es noch; ja, sagt der Herr Jesus vom Täufer: er ist mehr denn ein Prophet.

Wie so das? Das nächste Wort erklärt es. Denn dieser ist's, von dem geschrieben steht: siehe ich sende meinen Engel vor dir her, der deinen Weg vor dir bereiten soll. Also Johannes ist mehr als ein Prophet, weil er nicht nur weissagt, sondern selber ein Geweissagter ist; und weil er auf den Herrn, der nach ihm kommen sollte, nicht mehr hinausweist als in eine ferne Zukunft, sondern mit Fingern zeigt: siehe, da ist er mitten unter euch. Weil er aber ein solcher Prophet ist, ja mehr als einer der alten Propheten, nämlich der Vorläufer und Wegbereiter des gegenwärtigen Messias, eben darum fügt der Herr das weitere, aber freilich staunenswerthe Wort hinzu, und bekräftigt es mit einem: Wahrlich, ich sage euch: Unter allen, die von Weibern geboren sind, ist nicht aufgekommen, der größer sei denn Johannes der Täufer.

Johannes größer als alle vom Weibe geborenen! Dieser rauhe, elend lebende Wüstenprediger, der vielleicht kaum ein Jahr lang wirkte und am Ende wohl einiges Aufsehen erregte, aber kaum viele bleibende Sinnesänderungen zu Stande brachte, der soll größer sein als Alles, was unter den Menschen groß genannt wird? Wahrlich, der Herr Jesus urtheilt anders als die Menge urtheilt. Das ist offenbar auch eins von den Worten, das bei der Welt nicht anders als für Thorheit gelten kann.

Denn wer ist groß nach der Welt Urtheil? Wer es durch ungewöhnliche Geistesgaben zu einem ungewöhnlichen Erfolge bringt; sei es ein Regent der Völker, der durch seine Gesetze dem Leben für Jahrhunderte seinen Stempel aufdrückt; sei es ein Feldherr, der den Tod verachtend, im Schlachtgewühl kaltblütig, in den schwersten Bedrängnissen standhaft mit dem Geist des Muthes, der Kraft und Aufopferung auch seine Krieger anzustecken versteht; sei es ein kühner Entdecker, der mit eiserner Beharrlichkeit durch alle Hindernisse und Vorurtheile sich Bahn bricht, Länder und Meere durchzieht, ungeahnte Kräfte und Schätze auffindet; sei es ein Erfinder neuer Künste und Gewerbe, wovon sich dann Tausende und aber Tausende nähren; sei es ein scharfsinniger Denker, der in der Erkenntniß der Wahrheit neue Wege bahnt, der die Summe des Wissens mit staunenswerther Kraft bewältiget, ordnet, sichtet; sei es ein Künstler, der was schön ist, was wohl lautet, was herrlich anzusehen ist, mit Macht und Frische zu gestalten vermag, also daß ein Geschlecht nach dem andern dadurch entzückt und entzündet wird. Solches ist's, was in der Welt groß heißt. Sollen wir denn Alles das gering achten und verschmähen? Verschmähen nicht, soweit es nicht geradezu sündlich ist. Schreibt doch der Apostel den Corinthern: Alles ist euer, es sei Paulus oder Apollos, es sei Kephas oder die Welt, es sei das Leben oder der Tod, es sei das Gegenwärtige oder das Zukünftige, alles ist euer, wenn ihr nur Christi seid. Auf alles habt ihr ein Anrecht, alles muß euch dienen, alles muß euch fördern, jedes in seiner Weise. Jede Besserung, jede Entwicklung, jede Erfindung, jeder Fortschritt, alles Wahre und Schöne, alles kann und soll euch zu gute kommen. Aber alles das, was vielen Menschen wie das Größte und Einzige vorkommt, ist doch nicht das Größte. Es gibt ein Größeres, neben dem das Größte Nein wird. Es gibt etwas, das ihr bei den größten Regenten, Feldherrn, Entdeckern, Erfindern, Gelehrten, Weisen und Künstlern nicht findet und das doch größer ist als das Größte, das sie euch geben können. Denn was sie euch geben, wenn wir auch schweigen wollten von der bösen, heillosen Macht und Gewaltthat, die sich manche Regenten lassen zu Schulden kommen, von den Gräueln des Krieges, von dem Mißbrauch, mit welchem die Menschen ihre besten Entdeckungen und Erfindungen bestecken, von den kräftigen Irrthümern, womit viele Weise dieser Welt ihre Jünger verführen, von den Unreinigkeiten einer verderbten Einbildungskraft, die so häufig in den reizendsten Werken der Kunst das Ohr oder Auge verlocken; wenn wir auch von allen diesen schlimmen Zuthaten der Sünde nicht einmal reden wollten, so ist doch an ihr selber die Macht der menschlichen Regenten eine irdische, der Sieg der Feldherren ein irdischer, die Entdeckungen und Erfindungen sind Förderungen des irdischen Wohlergehens, und so ist es irdische Weisheit und Schönheit, welche die Denker und Künstler euch bieten. Und das alles, so hoch es sei, gibt uns nicht, was jener rauhe, strenge, elend lebende Wüstenprediger hatte und dem Volk anbot, was ihre Seelen bedurften, was unsere Seelen bedürfen: Buße zu Gott, ein Suchen und Finden des lebendigen Gottes, Vergebung der Sünden und Frieden mit Gott.

Das war eben die Sache dieses größten der Propheten. Man spürte, daß er seines Gottes gewiss war. Man fühlte ihm ab, daß er ans einem wahrhaftigen Umgang mit dem lebendigen Gott heraus redete. Das spürten diejenigen, denen nicht nur im Elend dieses Lebens, sondern mitten in den Herrlichkeiten desselben das Beste mangelte. Fühlt ihr's nicht ebenso auch ihr, vor allem ihr Elenden, Angefochtenen, Mühseligen, Beladenen, die ihr von den Sorgen und Plagen, von dem mannigfachen Verdruß und Kummer, von den Verschuldungen dieses Lebens, von den Leiden an Leib und Seele umgetrieben seid, fühlt ihr's nicht, daß auch das Beste, was die Größten der Menschen euch bieten können, euern tiefsten Schmerz nicht stillt, euern wesentlichen Mangel nicht erfüllt, euch höchstens eine vorübergehende Beschwichtigung gewährt? Und selbst ihr Glücklichen, die ihr im Haben und Genießen der Güter dieser Welt, der edelsten ihrer Güter noch nicht gestört seid, müßt ihr nicht mitten im Glanz und der Macht der Welt, mitten in den höchsten Erkenntnissen, mitten in der Freude an der trefflichsten Kunst und Schönheit euch selbst gestehen, daß euer innerstes Herz dabei leer ausgeht? daß ihr das alles haben könnt, und euch mangelt noch das Größte, das Beste, das Eine was Noth thut: euern Gott zu haben und Frieden mit ihm, Vergebung von ihm, Gemeinschaft mit ihm, Leben in ihm, dem Lebendigen, ein solches Leben, das allein ewig zu heißen verdient, das euch mit vollem Genügen erfüllt, also daß ihr jeden Augenblick zum Leben wie zum Sterben gleich bereit wäret: ich habe meinen Gott, meinen gnädigen Gott, mir kann nichts mangeln!

Gerne, weil ich dich gefunden,
Sterb' ich alle Stunden.

Nicht wahr, meine Theuren, das ist größer als das Größte, was die Welt kann geben? und weil es größer ist, so ist auch größer als die Größten der vom Weibe Gebornen jener rauhe, strenge, elend lebende Prediger der Wüste, der kaum ein Jahr lang wirkte und doch noch immer fortwirkt mit seinem Rufe: thut Buße, ändert euern Sinn. Denn das ist Buße: die Aenderung des Sinnes; statt wie er früher von Gott hinweg, ja Gottes vergessend zur Welt hinstrebte, nach ihren Gütern, nach der Macht und Weisheit und Schönheit dieser Welt nur trachtete, anstatt dessen Halt machen auf diesem Wege, in sich gehen, das Ende bedenken, das Ziel bedenken, umkehren zu Gott, dem lebendigen, heiligen Gott, daß Er unser Erstes und Letztes, das Ziel unseres Dichtens und Trachtens werde.

II.

Wenn wir nun aber auch ein wenig verstehen, warum der Herr den Johannes über alles, was auf Erden groß ist, erhebt, so staunen wir wohl um so mehr über den Zusatz: der aber der kleinste ist im Himmelreich, ist größer denn er. Das Himmelreich spricht der Herr Jesus seinen Jüngern zu: selig sind, die da geistlich arm sind, denn das Himmelreich ist ihr. Den Kindern spricht er es zu: lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn solcher ist das Himmelreich; den Kindern und denen, die ihnen gleich werden: es sei denn daß ihr euch umkehret und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen. Wo nun aber solches geschehen ist, und sei's auch in der tiefsten Schwachheit, der Kleinste im Himmelreich, sagt er, ist größer als der Täufer, größer als dieser Größte der vom Weibe Gebornen. Wie sollen wir auch das verstehen?

Ein Wink zum Verständnis liegt gerade darin, daß Johannes der Größte genannt wird unter allen, die von Weibern geboren sind. Beim Himmelreich aber handelt sich's um eine andere Geburt als die Geburt von Weibern. Der Größte von denen, die nur die erste Geburt erlebt haben, ist doch kleiner als der Kleinste, bei dem die zweite Geburt, die Geburt aus dem Geiste Gottes, die Wiedergeburt zu Stande gekommen ist. Johannes predigt wohl von dem, der nach ihm komme und mit Geist und Feuer taufen werde, er predigt vom Himmelreich, darein man nur durch die Geburt aus dem Geiste Gottes eintritt; aber er ist noch nicht darin, er steht erst an der Schwelle desselben. Er ist der Bahnbrecher dazu, der Wegbereiter, der Zeuge von dem Licht, aber noch nicht selber das Licht. Ja es ist wohl kein Mißverstand, wenn wir in diesen Worten, die uns wundern, die Erklärung finden, welche uns der Herr Jesus gibt, warum der Täufer von einer Anfechtung seines Glaubens habe können befallen werden: nicht aus Wankelmuth, als gliche er dem Rohr im Winde; nicht aus Leidensscheu, als sei ihm das Gefangensein zu hart geworden; aber weil er sich in die Ordnung des Himmelreichs noch nicht vollständig hineinzuleben weiß.

Was ist denn die Ursache hievon? Er hat doch so Großes empfangen, so tiefe Blicke gethan in's Erlösungswerl Gottes: Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde tragt; anstatt der Opferlämmer, welche das Gesetz Vorschrieb, das eine rechte Opferlamm, davon Jesaja geweissagt, der Knecht Gottes, der Gerechte, der seinen Mund nicht aufthut, wie ein Schaf, das verstummet vor seinem Scheerer. Und nun dennoch wieder kann er fragen lassen: bist du, der da kommen soll, oder sollen wir eines andern warten? Er hat eben doch das innerste der Ordnung des Himmelreichs noch nicht völlig erschaut, erlebt, ergriffen. Er ist der letzte Prophet, der das Gesetz einschärft, die heilige Forderung des heiligen Gottes: das sollt ihr thun; ihr sollt Buße thun; ihr sollt ändern euern Sinn; ihr sollt rechtschaffene Früchte der Buße bringen. Wo nicht, so ist die Axt dem Baum an die Wurzel gelegt. Das sollt ihr thun. Das droht euch Gott. Wahrheit Gottes! große, heilige, unendlich ernste Wahrheit Gottes! Aber Wahrheit nur in der Form des Forderns, des Gebietens, des Drängens, des Drohens. Auch wenn er sie zu Christo weist: wer-an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben, so fügt er alsbald hinzu: wer dem Sohne nicht glaubt, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibet über ihm. Der Charakter seiner Predigt ist Befehl, Gebot, Gesetz, heilige Forderung.

Wie aber, wenn nun ein Mensch das zu Herzen nimmt, und macht sich auf, das zu halten, und nimmt einen Anlauf, und erleidet einen Rückfall, und möchte Gott lieben, und kann es nicht, und möchte seinen Nächsten lieben, und entdeckt erst über diesen Vorsätzen und Anstrengungen, wie tief die Selbstsucht, die Lieblosigkeit, die Herzlosigkeit bei ihm wurzelt, und möchte vollkommen werden, wie der Vater im Himmel vollkommen ist, und findet sich, je mehr ihm die Augen aufgehn, immer weiter von der Vollkommenheit entfernt, immer häßlicher in der natürlichen Art seines Wesens, also daß er Verzweifeln möchte: was soll ihm da Johannes der Täufer? was kann ihm desselben heiligste Forderung helfen, anders als ihn immer unseliger zu machen, immer mehr zu verdammen, immer mehr zum Schreien nach Erbarmung zu drängen?

Was ihm hilft, nachdem ihn Johannes also bis zur Schwelle geführt, was ihm über die Schwelle hinüber und hinein in's Himmelreich hilft, das ist nicht das Gebieten, das Fordern und Drohen Johannis des Täufers, das ist nur das Evangelium, die frohe Botschaft: selig sind, die geistlich arm sind, denn das Himmelreich ist ihr; Gott schenkt es eben ihrer Armuth. Selig ist der Mann, dem Gott die Missethat nicht zurechnet, in deß Geiste kein Falsch ist, der aufrichtig Vergebung, Befreiung, Erlösung verlangt, und bei Gott sucht, was er in sich selbst nicht findet. Selig ist, wer in Christo ist, und in ihm, dem Geliebten, Gott angenehm geworden ist. Selig ist, wer in keiner Weise mehr seine Seligkeit durch eigene Leistung machen, sondern rein und allein im Glauben und Vertrauen annehmen will, was Gott ihm darbietet. Selig wer es aufgibt sich abzuquälen in der Meinung,: so und so muß ich zuerst werden, ehe und bevor ich mich des göttlichen Wohlgefallens getrösten darf; selig wer sich vielmehr von ganzem Herzen wirft auf die frohe Botschaft: also hat Gott die Welt geliebt, die arge Welt, mich arges Glied der argen Welt, Er hat mich geliebt, Er hat mich lieb rein von sich aus, rein unverdienter Weise, und hat mir's gezeigt, da er seinen Sohn auch für mich dahin gab, auf daß ich im Glauben an ihn das ewige Leben hatte. Wer dies Wort ergreift, wer in diesem Worte die Liebe des heiligen Gottes ergreift, wer in diesem Worte Gott selbst ergreift, in dem geht ein Neues vor, in dem entsteht ein Leben über das hinaus, das er von der eisten Geburt hat, in dem kommt zu Stande, was auch Johannes der Täufer erst zu zeigen, aber noch nicht zu bewirken vermochte. Darum eben sagt Christus der Herr: unter allen, die von Weibern geboren sind, ist keiner größer denn Johannes, aber der Kleinste im Himmelreich ist größer denn er.

Aber ist dieses Wort nicht zu groß, als daß wir's ergreifen dürften? könnte es nicht zur Nahrung des bedenklichsten, nämlich des geistlichen Hochmuths werden, daß wir uns einbildeten, wir haben wer weiß welchen Vorzug in Gottes Gunsten?

Meine Theuern, es ist ja freilich der geistliche Hochmuth der schlimmste von allen. Aber annehmen, was Gott aus reiner, freier Gnade uns darbeut, das ist nicht Hochmuth. Es verschmähen müßte vielmehr so heißen. Liegt ja doch in unserm Glauben nichts von der Einbildung, als habe uns Gott um irgend einer Vortrefflichkeit willen, die in uns selber läge, vorgezogen, sondern: also hat Gott die Welt geliebt, mit einer Liebe, die will, daß allen geholfen werde. Also wie die Schrift sagt: nehmet aus Seiner Fülle Gnade um Gnade. Amen.

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