Riggenbach, Christoph Johannes - Matth. 11, 1-6, 1. Predigt

Riggenbach, Christoph Johannes - Matth. 11, 1-6, 1. Predigt

Und es begab sich, da Jesus solches Gebot zu seinen zwölf Jüngern vollendet hatte, gieng er von bannen fürbaß, zu lehren und zu predigen in ihren Städten. Da aber Johannes im Gefängniß die Werke Christi hörete, sandte er seiner Jünger zween und ließ ihm sagen: Bist Du, der da kommen soll, oder sollen wir eines Andern warten? Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Gehet hin, und saget Johanni wieder, was ihr sehet und höret: Die Blinden sehen und die Lahmen gehen, die Aussätzigen werden rein und die Tauben hören, die Todten stehen auf, und den Armen wird das Evangelium geprediget. Und selig ist, der sich nicht an mir ärgert.

Der Evangelist Matthäus führt uns in einer Reihe von Kapiteln die Wirksamkeit unsers Herrn Jesu vor Augen, seine Lehrweise in der wunderbaren Bergpredigt, seine helfenden Thaten in einer Zusammenstellung von sprechenden Beispielen; und schon konnte er eine Ausdehnung des Werkes berichten, die von dem stetigen Wachsthum Zeugnis gibt, die erste Aussendung nämlich von zwölf Boten des Himmelreichs. Und nun auf einmal lesen wir, wie dieses Werk des Herrn trotz seiner wachsenden Ausbreitung in Frage gestellt, ja wie die Bedeutung seiner Person in Zweifel gezogen wird, und zwar von wem? von keinem geringern als von Johannes dem Täufer, dem Vorläufer Christi, dem treuen Zeugen, dem Gottesmann ohne Menschenfurcht. Wahrlich, wenn das dem Herrn Jesu geschah, daß ihn der Zweifel, und noch dazu der Zweifel eines solchen Mannes nöthigte, sein Werk zu verantworten, wie dürften wir uns weigern, bereit zu sein, wie der Apostel fordert, zur Verantwortung gegen Jedermann, der Grund fordert der Hoffnung, die in uns ist? Aber noch mehr: wenn ein Mann wie der Täufer bedurfte, daß sein wankender Glaube zurechtgebracht und neugestärkt würde, wer ist unter uns, der nicht bekennen müßte, er habe sehr nöthig, daß ihm geschehe, wie geschrieben steht: es ist ein köstliches Ding, daß das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade?

In diesem Sinne, mit diesem Verlangen, daß wir mehr und mehr unsers Herrn Jesu gewis werden, lasset uns sowohl die Frage des Täufers als die Antwort Christi beherzigen.

Gib uns etwas, lieber Herr, wie wir's bedürfen; nicht leere Menschenworte, sondern Wahrheit, Kraft und Leben aus Dir, zur Erneuerung, Befestigung und Heiligung unserer Herzen. Amen.

I.

Bist Du, der da kommen soll, oder sollen wir eines Andern warten? in dieser Frage liegt, daß der so fragt, zwar ungewis ist über die Person dessen, den er fragt, aber fest und gewis in der Zuversicht: wir haben auf einen zu warten, der da kommen soll. Sei es Jesus, oder wird es erst ein anderer sein, einer wird kommen, das erwarten wir gewis, weil ihn und wie ihn die Propheten alle geweissagt haben. Einer wird kommen, wie Jesaja verheißen, auf welchem wird ruhen der Geist des Herrn, auf dessen Schulter wird die Herrschaft sein, und seine Herrschaft wird groß werden und des Friedens kein Ende; und er wird mit dem Stab seines Mundes die Erde schlagen und mit dem Odem seiner Lippen den Gottlosen tödten, und wird zum Panier den Völkern werden, daß auch die Heiden nach ihm fragen. Einer wird kommen, wie Jeremia geweissagt: ein König, der wohl regieren wird und Recht und Gerechtigkeit auf Erden anrichten, und man wird ihn nennen: der Herr, der unsre Gerechtigkeit ist. Einer wird kommen, wie ihn Micha nennt, ein Durchbrecher, der vor seinem gefangenen Volke her durchbricht und es aus- und einführt. Oder wie des Täufers Vater Zacharias gesprochen hatte: einer wird kommen, der sein Volk errette von seinen Feinden, auf daß sie erlöset aus der Hand ihrer Feinde ihm dieneten ohne Furcht in Heiligkeit und Gerechtigkeit.

Solcher Glaube war in dem, der jene Frage stellte, und ohne solchen Glauben hätte er nicht gefragt. Es ist eine Frage der Glaubenssehnsucht, des Glaubensverlangens, von welcher nichts versteht, wer nichts von solcher Sehnsucht und solchem Verlangen nach dem himmlischen, ewigen Heiligthum in sich trägt.

In der That, wer nichts anderes kennt als was in der Welt ist, der Augen Lust und des Fleisches Lust und hoffähiges Leben, der fragt nicht wie der Täufer, der versteht nichts von der Frage des Täufers. Das Gewinnen der Güter dieser Welt, das Genießen der Freuden dieser Welt, das Geizen nach den Ehren dieser Welt, das Trachten nach der Weisheit und Macht dieser Welt, das kennt er, darnach fragt er; aber nicht nach dem, der kommen soll. Freilich lassen auch die höchsten Güter dieser Welt ihre Anhänger leer und unbefriedigt; mitten im höchsten Selbstgefühl hat der Mensch so manches zu klagen, zu vermissen, zu rügen; er wartet immer noch auf eine Besserung der Zustände, auf ein Glück, er weiß nicht klar, worin es stehen soll; aber er wartet nicht wie Johannes auf den, der da kommen soll, und mitten in seinem Wohlergehen oder seiner Unzufriedenheit kommt der Ruf, der ihn aus all dieser Weltherrlichkeit hinwegrafft, und dann, was ist's gewesen? Eine Hand voller Sand, Kummer der Gemüther!

Wenn wir's bedenken, so ist es eigentlich eine staunenswerthe Thorheit, daß wir Menschen können solchergestalt, sei's grob oder fein, in den Tag hinein leben, ohne über unser Ende im Reinen zu sein; ohne unsers Herrn und Heilandes sicher zu sein. Freilich suchen sich manche, wenn sie genöthigt sind an die göttlichen Dinge zu denken, mit ihrem edlen Streben, mit ihrem sittlichen Wandel, mit ihrem Trachten nach allem, was schön und gut ist, zu trösten; haben sie auch nicht die Vollkommenheit erreicht, so werde doch der Richter droben das Wollen für die That annehmen. Solche, die sich also ihrer eigenen Gerechtigkeit getrösten, die fragen auch nicht wie Johannes nach dem, der da kommen soll. Er soll ja kommen, um denjenigen, die in sich keine Gerechtigkeit finden, die Gerechtigkeit zu bringen; um denjenigen, die sich im Gewissen beschwert finden, die Sündenlast abzunehmen. Nach dem fragen jene nicht. Wie ist es aber möglich, daß Menschen, die sich doch auch als Sünder bekennen müssen, dennoch meinen, sie können durch ihre eigene Gerechtigkeit bestehen? wie anders als darum, daß sie den heiligen Gott nicht kennen? sondern weil er in seiner Langmuth nicht gleich strafet, weil es ist als schweige er zu dem vielen heillosen Thun der Menschen, da meinen sie, er sei gleich wie sie, und die Gebote seiner Heiligkeit seien nicht so streng zu nehmen, sie seien, wenn ich so sagen darf, wie die Forderungen eines unredlichen Krämers auf's Heruntermarkten eingerichtet.

Wem aber die Heiligkeit Gottes durch Mark und Bein gegangen, wer angefangen hat zu spüren, was es heißt: Gott ist ein Licht und ist in ihm keine Finsternis, und wer mit ihm Gemeinschaft haben will, der muß ganz im Lichte wandeln, ein solcher lernt mit dem Täufer fragen nach dem, der da kommen soll, ihn von der Finsternis ganz zu erlösen. Denn er hat erfahren, daß er sein eigenes Herz nicht selbst von Schuld, Macht und Sold des Bösen befreien kann.

Aber warum nach dem Befreier erst noch fragen, wenn er doch schon gekommen ist? Beim Täufer insonderheit muß uns auffallen, daß er fragt: bist Du's? nachdem er früher und kräftiger als irgend jemand bezeugt hatte: Er ist's, dem ich nicht werth bin die Schuhriemen aufzulösen; er ist das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt; er ist der himmlische Bräutigam, dem die Gemeinde als Braut gebührt. Und nun wieder fragt er: bist Du, der da kommen soll? wie ist das zu verstehen?

Eine Frage des Glaubens, sagten wir, ist es; denn er glaubt ja gewis, daß ein Erlöser kommen soll. Aber was nun die Person dieses Erlösers betrifft, so sehen wir: darüber fragt er aus angefochtenem Glauben. Wundert euch das? Doch nur, wenn ihr noch nicht groß aus Erfahrung wisset, was Glauben ist, nämlich nicht bloß annehmen, was euch Eltern und Lehrer gesagt haben, sondern selbständig, unerschüttert, auf Tod und Leben darauf vertrauen. Ist das allein lebendig glauben, so ist es auch nicht mehr so unbegreiflich, daß angefochten werden dabei nichts ungewöhnliches ist. Kam doch der Herr Jesus selber in Gethsemane in's Zittern und Zagen, also daß er flehte: ist's möglich, so gehe dieser Kelch von mir.

Aber freilich, wir möchten gerade zu unserer Belehrung noch etwas genauer verstehen, worin denn die Anfechtung, die dem Täufer zu thun gab, bestanden habe. Wir merken etwas, wenn wir uns seiner frühern Worte erinnern, darin er den Größeren, der nach ihm komme, als den Richter geschildert hatte, der die Worfschaufel in seiner Hand habe und die Tenne fegen, den Waizen in die Scheune sammeln, die Spreu mit ewigem Feuer verbrennen werde. Und nun schien es zu diesem heiligen Gericht so gar nicht kommen zu wollen. In Niedrigkeit zog der Herr Jesus umher. Wo man ihm nachstellte, wich er aus. Predigen, wohlthun ohne Unterschied, solchen die ihm dankten, solchen die es bald wieder vergaßen, das war sein Wirken; aber nichts von der Worfschaufel und nichts vom Fegen der Tenne. Ist er denn am Ende noch nicht, der da kommen soll, sondern selber nur ein Prophet, der den Weg bereitet? so mochte etwa der Täufer zweifeln.

Wir in unserer Zeit wissen auch, wie man auf mancherlei Weise an Jesu und seiner Sache kann irre werden, wenn man sich läßt durch die Reden der Menschen irre machen. Wir wollen aber für jetzt nur von der einen Anfechtung reden, die mit derjenigen, welche den Täufer bemühte, Aehnlichkeit hat. Schon zu der Apostel Zeiten kamen Spötter auf, die sprachen: wo ist die Verheißung seiner Zukunft? denn nachdem die Väter entschlafen sind, bleibt es Alles, wie es von Anfang der Creatur gewesen. Und jetzt noch viel mehr: welche lange Reihe von Geschlechtern ist gekommen und vom Schauplatz getreten, und noch immer herrscht derselbe Weltlauf, unaufhaltsam, unabänderlich, und noch immer zeigt sich Christus nicht als Richter der Welt, also daß diejenigen, die sein Gericht für eine leere Rede halten, immer mehr Gehör und Beifall finden; nicht anders freilich als er es geweissagt hat, daß man nicht mehr daran glauben werde. Aber was noch mehr als der Aufschub des Gerichts, noch innerlicher den Glauben anficht, das ist der Umstand, daß Jesus nicht einmal in den Herzen der Menschen eine durchgreifende Erneuerung und Scheidung zu bewirken scheint. Wer kann mit zweifelloser Gewißheit unterscheiden und sagen: hier sind Christen, da Nichtchristen? hier ist Licht, da Finsternis? Zeigen sich denn nicht auch an denen, die nicht nach Christo fragen, edle Züge, hohe Tugenden, und dagegen an denen, die ihn ausdrücklich bekennen, so manche Unart, so viel Unlöbliches, das uns nöthigt zu bekennen: man sieht nicht, daß sie besser als andere wären? Sollte man's denn nicht an seinen Jüngern sehen können, was er aus ihnen gemacht hat, wenn ihr Zustand den Beweis leisten sollte: Er sei's und wir haben keines andern zu warten?

Ja, das ist eine Anfechtung, und eine Demüthigung dazu! Spürt ihr etwas davon, so thut nur wie der Täufer: fragt aus Glaubensverlangen, fragt aus angefochtenem Glauben, aber fragt wie er in Einfalt des Glaubens den Herrn Jesum selber. Das ist die Probe des rechten Fragens. ES gibt ein Zweifeln, da will der Mensch disputieren, dünkt sich in seinem disputieren, will Recht haben und seine Meinung behaupten. Das ist kein Zweifeln wie das, welches den Täufer anfocht. Dieser wünschte, daß Gott Recht behalte. Ihm war es nicht um seine Meinung, sondern um Gottes Wahrheit zu thun. Er wollte mit seinem Erlöser in's Reine kommen: wer ist es, der mich selig macht von meinen Sünden? Und darum gieng er auch an die rechte Quelle. Nicht bei den Menschen fragte er herum. Nicht rechts und links erkundigte er sich, was die Leute sagten. Gib du mir Licht, gib du mir den Beweis des Geistes und der Kraft, so bat er den, an dem er zweifelte. Thut desgleichen, die ihr angefochten seid.

Ihr sollt ja die Handreichung, die euch im Worte Gottes gegründete Menschen mündlich oder in Büchern gewähren können, gewis nicht verachten. Aber was ist das Ziel aller Handreichung? daß sie euch zur Quelle führe und anleite aus der Quelle zu schöpfen. Wie forschten doch die Beroenser in der Schrift, ob sich's also hielte, wie ihnen der Apostel predigte. Das ist allewege die Hauptsache, daß ihr solches lernet. Wer will über Glaubensdinge ein Urtheil haben, der nicht geforscht hat in der Schrift? Aber ihr verstehet so vieles nicht, was ihr leset, oder ihr stoßet euch an dem und jenem? Haltet fest, was ihr verstehen und fassen könnet, und sei es nur weniges. Haltet es fest und wendet es an im Leben. Betet auch darüber und forschet weiter. Was gilt's, ihr werdet auf eure Fragen Antwort bekommen!

II.

Was bekam der Täufer für eine Antwort? Gehet hin und saget dem Johannes wieder, was ihr sehet und höret: die Blinden sehen und die Lahmen gehen, die Aussätzigen werden rein und die Tauben hören, ja die Todten stehen auf. Auf solche Wunder der Kraft und des Erbarmens wies der Herr sie hin. Solches that er an den Kranken und Elenden, und nicht nur leiblich, sondern auch geistlich suchte er in ihnen zu wirken, daß die Blindheit der Gottentfremdung weiche, daß sie nicht mehr lahm seien auf Gottes Wegen zu gehen, daß der Sündenaussatz von ihnen gienge, daß ihre Ohren hörend würden für Gottes Gebot, ja daß, wer an ihn glaubte, aus dem Tod zum Leben käme. Auf diese seine Werke ließ der Herr den Täufer aufmerksam machen. Heißt es ja doch auch in der Erzählung, daß der Täufer zu Jesu schickte, weil er von seinen Messiaswerken gehört. Die gaben ihm Muth. Die erfrischten seinen Glauben. Daran halte dich, ließ ihm Jesus sagen; und das um so mehr, da auch dies Erfüllungen alter Weissagungen waren. Von der Zeit des Messias verheißt Jesaja: Alsdann werden der Blinden Augen aufgethan werden und der Tauben Ohren werden geöffnet werden. Alsdann werden die Lahmen locken wie ein Hirsch und der Stummen Zunge wird Lob sagen. Und durch Ezechiel verheißt ihnen Gott: Von aller eurer Unreinigkeit will ich euch reinigen, und die verdorreten Gebeine sollen lebendig werden. Daran halte dich, läßt Jesus dem Täufer sagen. Vermissest du noch die Werke des Richters und Königs aller Welt, so halte dich einstweilen an diese Heilandswerke. Solche geschahen dazumal an Leib und Seele, zum Zeichen, daß sein Rettungswerk ein ganzes sei. Solche Erlösung wird geschehen in der Zeit der Vollendung; es wird eine völlige Erlösung sein von Sünde und Tod. Sind aber wir nicht übler daran? Vor unsern Augen und Ohren gehen solche Thaten nicht vor sich, und doch bedürften auch wir gar sehr den Beweis des Geistes und der Kraft. Aber er mangelt auch uns nicht, obwohl er in der Regel nicht in solchen außergewöhnlichen Heilungen besteht. Wir haben's darin wie das Volk Israel nach seinem Einzug in's Land Kanaan. Bis zum Jordan hatten sie noch die wunderbare Speisung durch das Manna empfangen. Kaum waren sie über den Jordan gegangen und aßen vom Getreide des Landes, so hörte das Manna auf. Die Zeit der ersten Pflanzung ist eine andere als die Zeit des fortgehenden geordneten Wachsens. Aber hörte etwa der Herr auf, sie zu versorgen? War es nicht derselbe Herr, der sie gespeist hatte dort in der Wüste mit der wunderbaren Wüstenspeise, und der nun sie speiste mit dem natürlichen Segen des Landes?

Also auch in diesem Stück: wenn der Regel nach die wunderbaren Leibesheilungen nicht das sind, was wir gleich den Jüngern Johannis mit Augen sehen, so bleibt um so kräftiger die fortwährende innerste Wirkung des Herrn in den Herzen: den Armen wird das Evangelium geprediget.

Wer sind diese Armen, welchen die frohe Botschaft gilt? Die irdisch Armen überhaupt? aber was fragen die nach der Botschaft vom Himmelreich, wenn sie nur äußerlich arm sind und dabei unzufrieden und gierig nach den Gütern, die sie nicht haben, von Neid erfüllt gegen diejenigen, welche mehr besitzen? Die nehmen's fast als einen Spott, wenn man ihnen vom Himmelreich predigt, antworten wohl, vom Evangelium, vom Glauben und Beten haben sie nicht gegessen. Ihr sehet wohl, es müssen andere Arme sein, die das Evangelium mit Freuden aufnehmen. Es müssen Leute sein, in deren Herzen etwas vorgegangen ist. Seien sie äußerlich arm und elend, so müssen sie doch solche sein, welche die gewaltige Hand Gottes erkennen, fürchten und sich darunter demüthigen; welche mit Paulus sprechen: so wir nur Nahrung und Kleider haben, so begnügen wir uns; welche nach den vergänglichen Schätzen nicht begehren, froh, daß ihnen die Versuchungen des Reichthums erspart sind; welche nach höhern und unvergänglichen Gütern verlangen, betrübt, daß sie daran so arm sind. Solche geistlich Arme können sich aber durch Gottes Gnade auch unter denen finden, die irdisch reich sind und doch ihr Herz nicht an den Reichthum hängen, denn sie wissen, wie elende Güter das sind, wie unvermögend, einem Herzen den Frieden Gottes, die Versöhnung mit Gott, die Erneuerung des Herzens aus Gott, das selige, heilige, ewige Leben zu geben.

Denen, die also arm im Geiste sind, wird das Evangelium verkündet, die frohe Botschaft nämlich: was ihr euch selbst nicht geben könnt, das ist alles bereit, ihr könnt es haben in Christo Jesu. Mangelt euch Gerechtigkeit vor Gott? sie ist in Christo vollkommen. Mangelt euch Friede mit Gott? Jesus gibt ihn seinen Jüngern. Mangelt euch Kraft zum Guten? Jesus gibt den Müden Kraft und Stärke genug den Unvermögenden. Drückt euch das Todeselend leiblich und geistig? In Jesu ist Leben, das den Tod überwindet. Das sind nicht leere Worte. Den Armen wird das Evangelium verkündiget, und nicht umsonst verkündiget. Es wird etwas daraus. Tausende haben's erfahren, die es angenommen haben; sind im Glauben reich und Erben des Himmelreichs geworden; haben in Christo Vergebung und Frieden gefunden, die sie zuvor nicht hatten; haben in Christo eine Kraft der Heiligung gewonnen, wodurch sie den alten Menschen zu bekämpfen vermochten; sind vielleicht ihres Elends nicht gleich los und ledig geworden, haben aber doch eine Stärkung erlebt, durch die sie ihr Kreuz tragen und für ihr Kreuz sogar danken konnten; sind in Christo zu einem seligen Leben und seligen Sterben gelangt. Das alles sind göttliche Wirklichkeiten, welche Tausende erlebt haben, welche ihr auch erleben könnt. Versucht's damit. Gebt euch hin daran. Laßt euch einladen durch das freundliche Wort: selig ist, der sich nicht an mir ärgert.

Der Herr Jesus könnte den Unglauben strafen und schelten; er thut es nicht. Er könnte wenigstens gebieten: zweifle doch ferner nicht; er thut auch das nicht. Ganz mild und freundlich ladet er ein: selig ist, wer sich nicht an mir ärgert. Er weiß, wie unselig ist, wer sich ärgert. Nur sich selber schadet er, nicht ihm, dem Herrn Jesu. Warum willst du dir selber im Wege stehen? Dem Herrn Jesu kann nichts abbrechen, wer an ihm zweifelt; muß er doch, ohne es zu wissen, auf eine neue Art nur des Herrn Jesu Herrlichkeit verkündigen und den Beweis vollenden, daß Jesus wirklich der Verheißene sei. Denn auch das ist verheißen, daß viele sich an ihm ärgern werden. Siehe, so spricht der Herr durch Jesaja, ich lege in Zion einen Grundstein, einen bewährten Stein, einen köstlichen Eckstein, der wohl gegründet ist; er wird ein Heiligthum sein, aber ein Stein des Anstoßes und ein Fels der Aergerniß den zweien Häusern Israel, ein Strick und eine Falle den Bürgern zu Jerusalem, daß ihrer viele sich daran stoßen, fallen, zerbrechen, verstrickt und gefangen werden. Aber wie es im Psalm heißt: der Stein, den die Bauleute verworfen, wird doch zum Eckstein. Daß sie ihn verwerfen, vollendet den Beweis, daß er der rechte ist. Er wäre gar nicht der rechte, nämlich der Heilige in Israel, wenn er allen Unheiligen in Israel wohlanständig wäre.

Aber freilich: selig ist nicht, wer sich an ihm ärgert. Darum die ihr nach dem Erlöser fraget mit Glaubensverlangen wie der Täufer, aus angefochtenem Glauben wie der Täufer, mit Glaubenseinfalt wie der Täufer sich an Jesum selber wendete: nehmt auch wie der Täufer die Antwort Jesu an. Haltet euch an dasjenige von seinem Wort und Werke, was ihr fassen könnet, und auf das weitere wartet in Geduld. Auch dem Täufer wurde nicht gesagt: als Richter mit der Worfschaufel, der seine Tenne fegt, wird Jesus gar nicht offenbar werden. Vielmehr er wird es werden zu seiner Zeit. Alle die Drohungen heiligen Gerichts in Gesetz, Propheten und Psalmen und im Evangelium sind durchaus nicht abgethan; nur ist die Langmuth, die das Gericht hinausschiebt, die Gnade, die das Aeußerste zur Rettung der Sünder thut, unendlich viel größer als irgend ein Mensch sich's ausgedacht hätte. Wer aber sollte nicht gern und immer von neuem gern verstehen lernen die unausdenklichen Wunder der Gnade? Wer sollte nicht mit herzlichem Dank die Geduld unseres Herrn für unsere Seligkeit achten lernen? Darum, meine Seele, harre des Herrn.

O Gott, o Geist, o Licht des Leben,
Man harret deiner nie vergebens.

Amen.

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